Als die iranische Literaturprofessorin Azar Nafisi den Schleier nicht länger tragen will, wird sie von der Universität Teheran verwiesen - und erfüllt sich einen Traum. Zwei Jahre lang kommen sie und sieben ihrer besten Studentinnen jeden Donnerstag morgen heimlich zusammen, um verbotene Klassiker der westlichen Literatur zu lesen. Aus den verstohlen in ihr Haus huschenden schwarz verschleierten Schatten werden junge Frauen in Jeans und bunten Kleidern. Sie öffnen sich in der Diskussion über die literarischen Werke und beginnen die eigene Realität, der gegenüber sie sich lange sprachlos und ohnmächtig fühlten, zu hinterfragen und zu verändern.
"Ich war bezaubert und bewegt von Azar Nafisis Geschichte, wie sie und - mit ihrer Hilfe - andere sich dem radikalen Kampf des Islam gegen Frauen widersetzten." Susan Sontag
"Famos ... Alle sollten es lesen." Margaret Atwood
"Erinnerungen über das Unterrichten von westlicher Literatur im revolutionären Iran, mit tiefen und faszinierenden Einblicken in beides. Ein Meisterwerk:" Bernard Lewis
"Bemerkenswert ... ein großartiges Plädoyer für die verändernde Wirkung von Literatur."
The New York Times
"Famos ... Alle sollten es lesen." Margaret Atwood
"Erinnerungen über das Unterrichten von westlicher Literatur im revolutionären Iran, mit tiefen und faszinierenden Einblicken in beides. Ein Meisterwerk:" Bernard Lewis
"Bemerkenswert ... ein großartiges Plädoyer für die verändernde Wirkung von Literatur."
The New York Times
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005Sätze, vor denen sich die Mullahs fürchten
Gefährliche Lektüre: Azar Nafisi liest "Lolita" in Teheran / Von Wolfgang Günter Lerch
Der vor einigen Jahren verstorbene iranische Schriftsteller Huschang Golschiri klagte einmal darüber, wie schwierig es sei, den Mullahs klarzumachen, daß ein in der Literatur, in einem Roman oder einer Erzählung dargestellter Ehebruch kein wirklicher Ehebruch sei und auch nicht "für diesen werbe oder ihn entschuldige". Dies war zu einer Zeit, da lackierte Fingernägel oder rosa Söckchen fast schon als Staatsverbrechen galten und die jungen Frauen, die sie zeigten, mit Übergriffen von Fanatikern des Regimes rechnen mußten. Golschiri kannte schon die Zensur unter dem Schah, die primär eine politische war; dann lernte er die Zensur unter Ajatollah Chomeini und seinem Nachfolger kennen, die religiös-fundamentalistisch inspiriert war und erst nach 1997, dem Amtsantritt des Staatspräsidenten Chatami, gelockert wurde. Über die gegenwärtigen Zustände unter dem Ultra-Staatspräsidenten Ahmadineschad ist schwer Auskunft zu bekommen.
In jenem Jahr 1997 verließ Azar Nafisi endgültig ihre iranische Heimat. Lange Zeit hatte sie an der Teheraner Universität Literatur gelehrt, persische Klassiker und westliche Autoren. Als sie sich weigerte, den Tschador zu tragen, wurde sie entlassen. Doch heimlich unterrichtete sie weiter. Sieben ihrer Studentinnen kamen, gewissermaßen "wie Diebe in der Nacht", in ihrer Wohnung zusammen, um sich mit ihrer Hilfe weiterhin in die Lektüre westlicher Klassiker zu vertiefen - in einer Atmosphäre, die manchmal, so jedenfalls vermittelt es "Lolita lesen in Teheran", auch etwas von einem höheren Kaffeekränzchen an sich haben mochte. Ein Zirkel von Verschwörerinnen war es jedenfalls nicht, obschon die Hizbullahs und die Moschee-Komitees dies gewiß so interpretiert hätten und zur Verharmlosung kein Anlaß besteht.
In Amerika stand "Reading Lolita in Tehran. A Memoir in Books" viele Wochen lang ganz oben auf der Bestsellerliste. Nicht zu Unrecht, wenn man abrechnet, daß solcherlei Literatur seit Betty Mahmoodys Bestseller "Nicht ohne meine Tochter" gerne oben auf diesen Listen steht. Doch der Vergleich täte dem Buch unrecht. Es ist ein vieldimensionales Werk über Identität und Befreiung durch die Begegnung mit großer (westlicher) Literatur. Keine der Studentinnen, die sich immer donnerstags bei Azar Nafisi trafen, konnte oder wollte mit ihrer Identität als Iranerin brechen, sowenig wie ihre Dozentin. Gleichwohl leben inzwischen bis auf zwei alle im Ausland, vornehmlich im angelsächsischen.
"Lolita", "Gatsby", "James", "Austen" lauten die Überschriften der vier Kapitel. Sie machen deutlich, welche Autoren und welche Werke dieser weibliche "Club der toten Dichter" durchnahm, um durch ihre Lektüre die Macht der Veränderung zu erfahren, die Literatur durchaus anregen und bewirken kann. In den freien, (fast) tabulosen Gesellschaften des Westens kann man sich nur schwer vorstellen, was es in Iran bedeutet, über literarische Werke zu diskutieren, die freimütig von sexueller Hörigkeit, von weiblicher sexueller Selbstbestimmung, von gesellschaftlicher Emanzipation in einem nichtreligiösen Kontext insgesamt handeln, aber auch von der Unfreiheit der Männer, die in nur scheinbar Überlegenheit und Macht verleihende Muster der Gesellschaft und ihrer Moral eingefügt sind. Auch sie sind verkrüppelt, sind Opfer von Mechanismen, die sie nicht durchschauen, aber als Herrschaftsinstrumente behalten wollen. Als Nabokovs "Lolita" vor fünfzig Jahren im Westen erschien, sorgte der Roman auch für einen Skandal, erschütterte allerdings nicht die Gesellschaft. Doch die Mullahs müssen solcherart Literatur buchstäblich fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Sie taten es auch bei Salman Rushdies "Satanischen Versen".
Dabei ist der Ausgangspunkt zunächst durchaus unterschiedlich. Für westliches Empfinden war und ist Lolita ja zu jung, ihr Liebhaber Humbert Humbert zu alt. In Iran hingegen dürfen Mädchen, die noch jünger sind (neun Jahre), theoretisch mit Männern verheiratet werden, die noch weitaus älter sind als Nabokovs Protagonist Humbert Humbert. Die Lektüre von "Lolita" in Teheran greift deshalb neben der sexuellen Hörigkeit stärker das Element der sexuellen wie gesamtpersönlichen Verfügbarkeit der Frau, des Mädchens, durch den Mann auf und überträgt das Muster auf die eigene, islamische Gesellschaft mit ihren rigiden Einschränkungen, die freilich die Frauen noch viel stärker treffen. Es ist das Generalthema der gegenwärtigen islamischen Gesellschaften, an deren Verhalten gegenüber Frauen man in Zukunft ablesen können wird, wie sie überhaupt zu Veränderungen stehen. Insofern kommt diesem Buch eine Schlüsselrolle zu.
Autoren und ihre Helden - Scott Fitzgerald und Gatsby, Flaubert und Madame Bovary, die schriftstellerische Karriere einer Jane Austen - führen zu einem intimen Literaturseminar, das auch die Rolle solcher Werke für iranische Begriffe gänzlich ideologiefern sieht, als Gestaltung der Wirklichkeit und ihrer Möglichkeiten auf Freiheit hin durch Kunst, die Magie des Wortes, anders freilich, als es die Zensoren an der Universität wollen. Sie verachten die Realität und sehen Kunst als "Magd der Revolution". Der Dichter muß aufrüsten im Kampf gegen die "Feinde" der wahren Religion und gegen die "Zersetzung" der Gesellschaft. Literatur, die nicht die "Sittlichkeit der Mullahs" hebt - und sei es um den Preis der Realitätsverweigerung und Heuchelei -, ist für sie keine. So zeigt Azar Nafisis Buch einen alten Konflikt mit totalitären Ideologien, der in Europa überwunden ist, aber im Islam von heute an manchen Stellen als überaus virulent gelten muß.
Azar Nafisi: "Lolita lesen in Teheran". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Maja Ueberle-Pfaff. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 424 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gefährliche Lektüre: Azar Nafisi liest "Lolita" in Teheran / Von Wolfgang Günter Lerch
Der vor einigen Jahren verstorbene iranische Schriftsteller Huschang Golschiri klagte einmal darüber, wie schwierig es sei, den Mullahs klarzumachen, daß ein in der Literatur, in einem Roman oder einer Erzählung dargestellter Ehebruch kein wirklicher Ehebruch sei und auch nicht "für diesen werbe oder ihn entschuldige". Dies war zu einer Zeit, da lackierte Fingernägel oder rosa Söckchen fast schon als Staatsverbrechen galten und die jungen Frauen, die sie zeigten, mit Übergriffen von Fanatikern des Regimes rechnen mußten. Golschiri kannte schon die Zensur unter dem Schah, die primär eine politische war; dann lernte er die Zensur unter Ajatollah Chomeini und seinem Nachfolger kennen, die religiös-fundamentalistisch inspiriert war und erst nach 1997, dem Amtsantritt des Staatspräsidenten Chatami, gelockert wurde. Über die gegenwärtigen Zustände unter dem Ultra-Staatspräsidenten Ahmadineschad ist schwer Auskunft zu bekommen.
In jenem Jahr 1997 verließ Azar Nafisi endgültig ihre iranische Heimat. Lange Zeit hatte sie an der Teheraner Universität Literatur gelehrt, persische Klassiker und westliche Autoren. Als sie sich weigerte, den Tschador zu tragen, wurde sie entlassen. Doch heimlich unterrichtete sie weiter. Sieben ihrer Studentinnen kamen, gewissermaßen "wie Diebe in der Nacht", in ihrer Wohnung zusammen, um sich mit ihrer Hilfe weiterhin in die Lektüre westlicher Klassiker zu vertiefen - in einer Atmosphäre, die manchmal, so jedenfalls vermittelt es "Lolita lesen in Teheran", auch etwas von einem höheren Kaffeekränzchen an sich haben mochte. Ein Zirkel von Verschwörerinnen war es jedenfalls nicht, obschon die Hizbullahs und die Moschee-Komitees dies gewiß so interpretiert hätten und zur Verharmlosung kein Anlaß besteht.
In Amerika stand "Reading Lolita in Tehran. A Memoir in Books" viele Wochen lang ganz oben auf der Bestsellerliste. Nicht zu Unrecht, wenn man abrechnet, daß solcherlei Literatur seit Betty Mahmoodys Bestseller "Nicht ohne meine Tochter" gerne oben auf diesen Listen steht. Doch der Vergleich täte dem Buch unrecht. Es ist ein vieldimensionales Werk über Identität und Befreiung durch die Begegnung mit großer (westlicher) Literatur. Keine der Studentinnen, die sich immer donnerstags bei Azar Nafisi trafen, konnte oder wollte mit ihrer Identität als Iranerin brechen, sowenig wie ihre Dozentin. Gleichwohl leben inzwischen bis auf zwei alle im Ausland, vornehmlich im angelsächsischen.
"Lolita", "Gatsby", "James", "Austen" lauten die Überschriften der vier Kapitel. Sie machen deutlich, welche Autoren und welche Werke dieser weibliche "Club der toten Dichter" durchnahm, um durch ihre Lektüre die Macht der Veränderung zu erfahren, die Literatur durchaus anregen und bewirken kann. In den freien, (fast) tabulosen Gesellschaften des Westens kann man sich nur schwer vorstellen, was es in Iran bedeutet, über literarische Werke zu diskutieren, die freimütig von sexueller Hörigkeit, von weiblicher sexueller Selbstbestimmung, von gesellschaftlicher Emanzipation in einem nichtreligiösen Kontext insgesamt handeln, aber auch von der Unfreiheit der Männer, die in nur scheinbar Überlegenheit und Macht verleihende Muster der Gesellschaft und ihrer Moral eingefügt sind. Auch sie sind verkrüppelt, sind Opfer von Mechanismen, die sie nicht durchschauen, aber als Herrschaftsinstrumente behalten wollen. Als Nabokovs "Lolita" vor fünfzig Jahren im Westen erschien, sorgte der Roman auch für einen Skandal, erschütterte allerdings nicht die Gesellschaft. Doch die Mullahs müssen solcherart Literatur buchstäblich fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Sie taten es auch bei Salman Rushdies "Satanischen Versen".
Dabei ist der Ausgangspunkt zunächst durchaus unterschiedlich. Für westliches Empfinden war und ist Lolita ja zu jung, ihr Liebhaber Humbert Humbert zu alt. In Iran hingegen dürfen Mädchen, die noch jünger sind (neun Jahre), theoretisch mit Männern verheiratet werden, die noch weitaus älter sind als Nabokovs Protagonist Humbert Humbert. Die Lektüre von "Lolita" in Teheran greift deshalb neben der sexuellen Hörigkeit stärker das Element der sexuellen wie gesamtpersönlichen Verfügbarkeit der Frau, des Mädchens, durch den Mann auf und überträgt das Muster auf die eigene, islamische Gesellschaft mit ihren rigiden Einschränkungen, die freilich die Frauen noch viel stärker treffen. Es ist das Generalthema der gegenwärtigen islamischen Gesellschaften, an deren Verhalten gegenüber Frauen man in Zukunft ablesen können wird, wie sie überhaupt zu Veränderungen stehen. Insofern kommt diesem Buch eine Schlüsselrolle zu.
Autoren und ihre Helden - Scott Fitzgerald und Gatsby, Flaubert und Madame Bovary, die schriftstellerische Karriere einer Jane Austen - führen zu einem intimen Literaturseminar, das auch die Rolle solcher Werke für iranische Begriffe gänzlich ideologiefern sieht, als Gestaltung der Wirklichkeit und ihrer Möglichkeiten auf Freiheit hin durch Kunst, die Magie des Wortes, anders freilich, als es die Zensoren an der Universität wollen. Sie verachten die Realität und sehen Kunst als "Magd der Revolution". Der Dichter muß aufrüsten im Kampf gegen die "Feinde" der wahren Religion und gegen die "Zersetzung" der Gesellschaft. Literatur, die nicht die "Sittlichkeit der Mullahs" hebt - und sei es um den Preis der Realitätsverweigerung und Heuchelei -, ist für sie keine. So zeigt Azar Nafisis Buch einen alten Konflikt mit totalitären Ideologien, der in Europa überwunden ist, aber im Islam von heute an manchen Stellen als überaus virulent gelten muß.
Azar Nafisi: "Lolita lesen in Teheran". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Maja Ueberle-Pfaff. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 424 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Ob Literatur eine subversive Kraft hat und in einem ideologisierten Staat etwas bewirken kann, fragt sich Katajun Amirpur nach der Lektüre von Azar Nafisis Bericht über ihren geheimen Lesezirkel in Teheran. Und sie beantwortet diese Fragen ebenso wie die iranische Professorin für Englische Literatur mit "ja". Das veranlasst die Rezensentin dazu, über die verbotene Literatur im Iran zu referieren und über die Schwierigkeit, sie trotzdem öffentlich zu lesen und zu diskutieren. Nafisi tat ebendies, und als Ergebnis präsentiert sie in ihrem Buch, wie Literatur auf sieben unterschiedliche Frauen wirkt. Die Rezensentin lobt die "einfühlsame" Art, mit der sich die Autorin den Lebensgeschichten der Studentinnen nähert und die "magische Kraft der Bücher" einfängt. Beeindruckt liest sie auch von dem Leben während und nach der Islamischen Revolution, über Städtekrieg, Besetzung und vor allem die Schicksale vieler unschuldig verhafteter junger Frauen. Und ist begeistert davon, dass Literatur diesen Menschen "eine neue Welt" zu eröffnen vermag.
© Perlentaucher Medien GmbH
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