Produktdetails
- Verlag: Penguin
- ISBN-13: 9780140264074
- Artikelnr.: 06683308
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Das Beste, was man sagen kann zu diesem Buch, ist, dass es dann doch erscheinen konnte - wenn auch mit Verspätung; wenn auch, zunächst, nur in einem Verlag, der sich eigentlich auf Pornographie spezialisiert hatte. Heute wäre das vermutlich gar nicht so selbstverständlich, weil nämlich, angesichts der allgemeinen Sorge um die Unbeflecktheit unserer Kinder, wohl auch der Einwand, dass da ein fiktionaler Vierzigjähriger sich in eine noch fiktionalere Zwölfjährige verliebt, weshalb eigentlich keinem Kind und auch sonst niemandem ein Schaden entsteht, als irrelevant zurückgewiesen würde. Damals galten Humbert Humberts Lust und Lolitas Verdorbenheit als subversiv - und die Geschichte des erwachsenen Mannes, der sich ruiniert für die verbotene Liebe zu einem Kind, die las man gerne als Metapher dafür, dass die wahre, die unbedingte Liebe erstens ein Skandal sei und zweitens unerfüllbar. Und zugleich war dieses Kind, irgendwie, ein Bild für das junge und doch schon so verdorbene Amerika, welches Humbert Humbert, der alte Europäer, zwar berühren, aber niemals verstehen konnte.
Das ist natürlich, einerseits, ein Blödsinn - schon weil Humbert Humbert, der hier ja seine eigene Geschichte erzählt, sich selbst dauernd ins Wort fällt, seine eigene Rede dauernd ironisiert, kommentiert, relativiert - so penetrant, dass man fast auf jeder Seite, weil die Geschichte dann ja doch einen Sog und eine Spannung hat, den Erzähler anbrüllen möchte: Halt die Klappe, Humbert Humbert! Und andererseits ist genau das der Punkt: Nicht um die Körper geht es hier, nur um die Worte, das macht ja schon der Anfang klar. "Lolita, Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden. Meine Sünde, meine Seele. Lo-li-ta: die Zungenspitze macht drei Sprünge den Gaumen hinab und tippt bei Drei gegen die Zähne. Lo.Li.Ta." Bla. Bla.Bla.
"Lolita", das ist die Geschichte, wie der alternde Russe Vladimir Nabokov sich in die englische Sprache verliebte. Und wie er ihr Gewalt antat. Nabokov macht mit der englischen Sprache, was Humbert Humbert mit seinen Schlafanzughosen tut, an jenem Sonntagvormittag, an dem Lolitas Mutter in der Kirche ist und die Kleine dem erregten Mann gestattet, sich an ihren Schenkeln zu reiben. Es sei ja gar nichts passiert, sagt Humbert Humbert zu sich selber, das Kind sei unschuldig wie zuvor. Es ist auch der Sprache kein dauerhafter Schaden entstanden; aber solange "Lolita" dauert, sehen wir einem schmutzigen Mann dabei zu, wie er Adjektive ergießt, sich an die Metaphern heranmacht, wie er sich an der englischen Sprache reibt - und wenn sie stöhnt, hält er das für Lust, obwohl es doch nur Laute des Schmerzes sind. "Der Zauberer hatte Milch, Sirup, schäumenden Champagner in die neue weiße Handtasche einer jungen Dame geschüttet; und siehe da, die Tasche war unbeschädigt. So hatte ich eins-zwei-drei meinen gemeinen, glühenden, sündigen Traum aufgebaut; und Lolita war noch immer unversehrt - und ich desgleichen." Wer das für große Prosa hält (oder gar für Zauberei), bekommt zur Belohnung den Inhalt der weißen Handtasche über seinen glühenden Traum gekippt.
Das Beste an "Lolita" sind die Verfilmungen. Da spricht Humbert Humbert nur, wenn er etwas zu sagen hat. Und hält ansonsten den Mund. Da hat Lolita einen Körper. Und vielleicht sogar eine Seele.
CLAUDIUS SEIDL
Vladimir Nabokov: "Lolita". Rowohlt, 9,95 Euro
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Der philologische Spürsinn, mit dem Dieter E. Zimmer die Rekonstruktion dieses von Hollywood weitgehend abgelehnten Scripts gelungen ist, grenzt an ein kleines editorisches Wunder ... Wir werden mit einer neuen Version von Lolita beschenkt, die uns einen anderen Weg durch das Labyrinth der Lüste weist. Die Zeit
Ein literarisch äußerst filigranes und hoch komplexes Psychogramm eines Mannes, der seinen Trieben ausgeliefert ist. RBB Kulturradio