Es ist Liebe auf den ersten Blick, als Annette Dittert 2008 als Korrespondentin der ARD in London ihre Zelte aufschlägt. Nach vielen Jahren beruflichen Nomadentums weiß sie sofort: Hier will ich bleiben. Während ihrer vielen Jahre in der britischen Hauptstadt hat sie im Fernsehen nicht nur über Politik, Kultur und Königshaus berichtet, sondern auch immer wieder über die Eigenarten der Engländer im Allgemeinen und der Londoner im Speziellen. In ihrem Buch erzählt sie sehr persönlich über das Leben in dieser wunderbaren Stadt: über die Leidenschaft zu ihrem Hausboot namens Emilia, über das Prinzip des englischen Sich-Durchwurschtelns, über Straßenkünstler, gentrifzierte Stadtteile, den Bären Paddington und natürlich den Brexit, der das Lebensgefühl in der Metropole auch für sie ganz persönlich verändert hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2018Reizende Trotzreaktionen
Gibt es etwas Neues über London? Die rote Telefonzelle auf dem Titel, der Klappentext zum Thema pulsierende Metropole und liebenswerte Schrulligkeit ihrer Bürger versprechen Erwartbares, aber durch das Buch führt keiner der alten Trampelpfade. Die langjährige ARD-Korrespondentin Annette Dittert, die seit 2008 auf einem Kanalboot in Little Venice lebt, tigert zwar durch Londons verborgene Winkel, aber es geht ihr nicht um Geheimtipps, sondern um besondere Menschen; etwa einen alten Boxer im Eastend, der die Verbrecherbrüder Kray noch kannte und der keine an einen Interviewpartner gestellten Ansprüche erfüllt - was die Begegnung umso berührender macht. Vor allem aber geht es der Autorin um ihre geliebte Wahlheimat und die Frage, warum "das humane, liberale und vernünftige Land" im Juni 2016 wider besseres Wissen den Brexit gewählt hat. Dazu reist sie nach Hull, nach Derbyshire und in den Lake Distrikt, wo reizende Menschen zu Trotzreaktionen neigen, die offenbar einem geheimen Hang zu Abenteuer und Anarchie geschuldet sind. Es sind Gespräche - mit einem hartleibigen alten Baron, einem schwulen Paar, einer gewitzten Domina, einem Schafbauern -, aus denen die Autorin klüger, aber nur selten amused hervorgeht. Die Irrationalität, verlogene Nostalgie und Geschichtsvergessenheit der Engländer erscheinen ihr nicht mehr als "niedlicher Spleen". Den Rest erfüllt der Brand des Grenfell Towers, der wie ein Fanal für die Kälte, Gier und das schmutzige Geld steht, die London regieren. Bisher sind es die Londoner selbst, ihre Courage, ihr Charme, ihre Mitmenschlichkeit und die Hoffnung, dass die bessere Hälfte des Landes auf Dauer obsiegen möge, die Dittert daran hindern, ihre Koffer zu packen und "die schönste und aufregendste Stadt der Welt" zu verlassen. Das klingt verflixt nach berühmten letzten Worten.
letz
"London Calling - Als Deusche auf der Brexit-Insel" von Annette Dittert. Hoffmann und Campe, Hamburg 2017. 272 Seiten. Gebunden, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gibt es etwas Neues über London? Die rote Telefonzelle auf dem Titel, der Klappentext zum Thema pulsierende Metropole und liebenswerte Schrulligkeit ihrer Bürger versprechen Erwartbares, aber durch das Buch führt keiner der alten Trampelpfade. Die langjährige ARD-Korrespondentin Annette Dittert, die seit 2008 auf einem Kanalboot in Little Venice lebt, tigert zwar durch Londons verborgene Winkel, aber es geht ihr nicht um Geheimtipps, sondern um besondere Menschen; etwa einen alten Boxer im Eastend, der die Verbrecherbrüder Kray noch kannte und der keine an einen Interviewpartner gestellten Ansprüche erfüllt - was die Begegnung umso berührender macht. Vor allem aber geht es der Autorin um ihre geliebte Wahlheimat und die Frage, warum "das humane, liberale und vernünftige Land" im Juni 2016 wider besseres Wissen den Brexit gewählt hat. Dazu reist sie nach Hull, nach Derbyshire und in den Lake Distrikt, wo reizende Menschen zu Trotzreaktionen neigen, die offenbar einem geheimen Hang zu Abenteuer und Anarchie geschuldet sind. Es sind Gespräche - mit einem hartleibigen alten Baron, einem schwulen Paar, einer gewitzten Domina, einem Schafbauern -, aus denen die Autorin klüger, aber nur selten amused hervorgeht. Die Irrationalität, verlogene Nostalgie und Geschichtsvergessenheit der Engländer erscheinen ihr nicht mehr als "niedlicher Spleen". Den Rest erfüllt der Brand des Grenfell Towers, der wie ein Fanal für die Kälte, Gier und das schmutzige Geld steht, die London regieren. Bisher sind es die Londoner selbst, ihre Courage, ihr Charme, ihre Mitmenschlichkeit und die Hoffnung, dass die bessere Hälfte des Landes auf Dauer obsiegen möge, die Dittert daran hindern, ihre Koffer zu packen und "die schönste und aufregendste Stadt der Welt" zu verlassen. Das klingt verflixt nach berühmten letzten Worten.
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"London Calling - Als Deusche auf der Brexit-Insel" von Annette Dittert. Hoffmann und Campe, Hamburg 2017. 272 Seiten. Gebunden, 20 Euro.
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»Wunderbares Buch, lesenswert nicht nur für den Anglophilen.« Walter Janson SWR lesenswert, 26.10.2017