Two sisters travel the same streets,though their lives couldn't be more different. Then one of them goes missing. In a Philadelphia neighborhood rocked by the opioid crisis, two once-inseparable sisters find themselves at odds. One, Kacey, lives on the streets in the vise of addiction. The other, Mickey, walks those same blocks on her police beat. They don't speak anymore, but Mickey never stops worrying about her sibling. Then Kacey disappears, suddenly, at the same time that a mysterious string of murders begins in Mickey's district, and Mickey becomes dangerously obsessed with finding the culprit-and her sister-before it's too late. Alternating its present-day mystery with the story of the sisters' childhood and adolescence, Long Bright River is at once heart-pounding and heart-wrenching: a gripping suspense novel that is also a moving story of sisters, addiction, and the formidable ties that persist between place, family, and fate. Story Locale: Philadelphia, PA
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2020Wo man zur Welt kommt, um zu scheitern
Zombies in der Zeitschleife: Liz Moore verknüpft in ihrem fulminanten Roman "Long Bright River" einen Kriminalfall mit der Geschichte einer kaputten Familie.
In den vergangenen drei Jahren sind in Philadelphia rund dreitausend Menschen an einer Überdosis gestorben. Vertreter des städtischen Gesundheitsamts schätzen, dass Zehntausende Einwohner süchtig nach Opioiden sind. Epizentrum der Krise ist ein Bezirk, welcher einst als Bastion der Arbeiterklasse bekannt war, inzwischen jedoch im Ruf steht, der größte Drogenmarkt der Ostküste zu sein - Kensington.
Nachdem 2017 die Rekordmarke von mehr als tausendzweihundert toten Junkies erreicht war, haben Vertreter der Stadt Initiativen gestartet, Maßnahmen ergriffen und Pläne geschmiedet, um die Misere in den Griff zu kriegen. Das magere Ergebnis: hundert Tote weniger im Folgejahr. Die Zahlen für 2019 liegen zwar noch nicht vor, aber von offizieller Seite lässt man verlauten, es sei kein großer Fortschritt zu erwarten.
Wer sich daranmacht, eine Geschichte zu erzählen, die in dieser Todeszone spielt, wandelt auf Sisyphos' Spuren. Denn in Kensington gleichen sich nicht nur die zugemüllten Brachflächen und verrammelten Fenster; auch die dort gestrandeten Fixer drehen sich irgendwann alle im selben Teufelskreis. Viele suchen einen Therapieplatz, schaffen es allerdings nicht, sich aus dem Netz deprimierender Wiederholungen freizukämpfen: Geld organisieren, Drogen beschaffen, ins Nirwana abdriften.
Die amerikanische Autorin Liz Moore, Jahrgang 1983, hat es auf sich genommen, für ihren vierten Roman "Long Bright River" in diesen Limbo zwischen Diesseits und Jenseits einzutauchen. Das Ergebnis gehört zum Besten, was die Kriminalliteratur in den vergangenen Jahren zu bieten hatte. Mickey, Anfang dreißig, arbeitet als Streifenpolizistin in Kensington. Sie hat das Zeug, nicht jedoch den Willen zur Ermittlerin, da sie während der täglichen Touren ihre kleine Schwester Kacey im Blick behalten möchte. Früher waren die beiden ein verschworenes Duo, heute reden sie nicht mehr miteinander. Kacey hat sich als Jugendliche ihre erste Überdosis gespritzt und findet seither keinen Weg aus jenem Abgrund zwischen Straßenstrich und Drogensucht, in dem sie langsam zu verschwinden droht. Dann ist sie eines Tages tatsächlich nicht mehr aufzufinden, während ein Serienkiller eine junge Prostituierte nach der anderen ermordet. Von hier an entfaltet sich die Story in zwei Richtungen: Zum einen blickt Mickey in die Vergangenheit und erzählt ihre nicht leicht zu verdauende Familiengeschichte, zum anderen schaut sie nach vorn, sucht ihre Schwester und jagt den Mörder.
Laufend stellt Moore ihr Gespür für Rhythmus und Sprachökonomie unter Beweis. Betritt Mickey ein ungeheiztes, verlassenes Haus, reicht eine gegen jede Intuition gebürstete Randbemerkung, um den Leser zu beunruhigen: "Kälte in geschlossenen Räumen ist meiner Meinung nach noch schneidender als die Kälte im Freien." Wenn sie anschließend Schritt für Schritt die Zimmer erkundet, entsteht der Eindruck, man verfolge Schnitt für Schnitt eine Filmsequenz.
Sie baut mehrere Sätze hintereinander gleich auf, wobei die daraus entstehende Monotonie signalisiert, dass bald der unweigerliche Kippmoment folgt: "In einem Badezimmer fehlen Klo und Wanne: Es sind nur noch zwei gähnende Löcher im Boden vorhanden. In einem Schlafzimmer sehe ich ein altes Sofa, einen Haufen Zeitschriften und gebrauchte Kondome herumliegen. In einem anderem liegt eine Matratze auf dem Boden, und an der Wand hängt eine Schiefertafel mit einer Kinderzeichnung."
Überhaupt die Kinder. Sie nehmen im Plot breiten Raum ein, sowohl konkret - Mickeys Verhältnis zu ihrem kleinen Sohn wird ausführlich geschildert - als auch metaphorisch: Nachdem der Roman mit einer Toten eingesetzt hat ("An dem Gleis entlang der Gurney Street liegt eine Leiche"), endet er mit der Geburt eines Babys ("Es öffnet den Mund. Es trinkt"). Gleichwohl beschreibt Moore damit keinen Bogen von furchtbarem Leid zu strahlender Hoffnung, denn das Neugeborene ist das Kind einer Heroinabhängigen.
Erst stößt es Klagelaute aus, dann kreischt es vor Schmerzen und erhält aus einer Pipette Medizin gegen die Entzugserscheinungen. Eine janusköpfige Szene, die uns daran erinnert, dass man in Kensington auf die Welt kommt, um zu scheitern. Wer sich wie Mickey dagegen auflehnt und tagein, tagaus den immer gleichen Kampf gegen Mörder und korrupte Kollegen kämpft, endet auf verlorenem Posten: "Mir fällt absolut niemand ein, den ich anrufen könnte, und schlagartig wird mir bewusst, wie unsäglich allein ich bin."
Dazu trägt entscheidend bei, dass sich die Figuren zum großen Teil an Nicht-Orten aufhalten. Mit diesem Begriff bezeichnet der französische Ethnologe Marc Augé Räume, die kaum zum Verweilen einladen, sondern als Durchgangsstationen fungieren. Es fehlt ihnen an Profil und Identität, sie sind anonym und lösen beim Besucher das Gefühl aus, zu vereinsamen. Verlassene Häuser, in denen sich Junkies einen Schuss setzen, das Polizeiauto, dessen Insassen sich während des Dienstes ausgeliefert sind, oder die McDonald's-Filiale, wo Mickeys Sohn seinen Geburtstag feiert: Moore versteht es vorzüglich, mit Hilfe des Schauplatzes die Stimmung herunterzuregeln. Schon nach wenigen Seiten mag der Leser Aristoteles' berühmtem Diktum nicht mehr beipflichten, wonach wir uns über den Zustand des Barbarentums erheben, sobald wir in der Stadt leben.
Die von Moore erzählte Geschichte spielt an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, sie ist bevölkert von bestimmten Figuren, die bestimmten Beschäftigungen nachgehen. Und doch wirkt das Geschehen wie eine perfekt komponierte Allegorie. Einmal sagt Kacey, Drogensucht fühle sich an wie eine Zeitschleife. Was sie verschweigt, ist, dass sie erst dann wirklich in Unendlichkeit aufgehoben sein wird, wenn sie stirbt. Für Mickey ist ihre Schwester längst eine Art Zombie: "Es fällt mir im Grunde sogar schwer, mir Kacey nicht tot vorzustellen." So handelt der Roman im Kern von dem verzweifelten Versuch, das erlöschende Lebenslicht einer wandelnden Toten wieder anzufachen.
KAI SPANKE
Liz Moore: "Long Bright River". Roman.
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
C. H. Beck Verlag,
München 2020.
414 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zombies in der Zeitschleife: Liz Moore verknüpft in ihrem fulminanten Roman "Long Bright River" einen Kriminalfall mit der Geschichte einer kaputten Familie.
In den vergangenen drei Jahren sind in Philadelphia rund dreitausend Menschen an einer Überdosis gestorben. Vertreter des städtischen Gesundheitsamts schätzen, dass Zehntausende Einwohner süchtig nach Opioiden sind. Epizentrum der Krise ist ein Bezirk, welcher einst als Bastion der Arbeiterklasse bekannt war, inzwischen jedoch im Ruf steht, der größte Drogenmarkt der Ostküste zu sein - Kensington.
Nachdem 2017 die Rekordmarke von mehr als tausendzweihundert toten Junkies erreicht war, haben Vertreter der Stadt Initiativen gestartet, Maßnahmen ergriffen und Pläne geschmiedet, um die Misere in den Griff zu kriegen. Das magere Ergebnis: hundert Tote weniger im Folgejahr. Die Zahlen für 2019 liegen zwar noch nicht vor, aber von offizieller Seite lässt man verlauten, es sei kein großer Fortschritt zu erwarten.
Wer sich daranmacht, eine Geschichte zu erzählen, die in dieser Todeszone spielt, wandelt auf Sisyphos' Spuren. Denn in Kensington gleichen sich nicht nur die zugemüllten Brachflächen und verrammelten Fenster; auch die dort gestrandeten Fixer drehen sich irgendwann alle im selben Teufelskreis. Viele suchen einen Therapieplatz, schaffen es allerdings nicht, sich aus dem Netz deprimierender Wiederholungen freizukämpfen: Geld organisieren, Drogen beschaffen, ins Nirwana abdriften.
Die amerikanische Autorin Liz Moore, Jahrgang 1983, hat es auf sich genommen, für ihren vierten Roman "Long Bright River" in diesen Limbo zwischen Diesseits und Jenseits einzutauchen. Das Ergebnis gehört zum Besten, was die Kriminalliteratur in den vergangenen Jahren zu bieten hatte. Mickey, Anfang dreißig, arbeitet als Streifenpolizistin in Kensington. Sie hat das Zeug, nicht jedoch den Willen zur Ermittlerin, da sie während der täglichen Touren ihre kleine Schwester Kacey im Blick behalten möchte. Früher waren die beiden ein verschworenes Duo, heute reden sie nicht mehr miteinander. Kacey hat sich als Jugendliche ihre erste Überdosis gespritzt und findet seither keinen Weg aus jenem Abgrund zwischen Straßenstrich und Drogensucht, in dem sie langsam zu verschwinden droht. Dann ist sie eines Tages tatsächlich nicht mehr aufzufinden, während ein Serienkiller eine junge Prostituierte nach der anderen ermordet. Von hier an entfaltet sich die Story in zwei Richtungen: Zum einen blickt Mickey in die Vergangenheit und erzählt ihre nicht leicht zu verdauende Familiengeschichte, zum anderen schaut sie nach vorn, sucht ihre Schwester und jagt den Mörder.
Laufend stellt Moore ihr Gespür für Rhythmus und Sprachökonomie unter Beweis. Betritt Mickey ein ungeheiztes, verlassenes Haus, reicht eine gegen jede Intuition gebürstete Randbemerkung, um den Leser zu beunruhigen: "Kälte in geschlossenen Räumen ist meiner Meinung nach noch schneidender als die Kälte im Freien." Wenn sie anschließend Schritt für Schritt die Zimmer erkundet, entsteht der Eindruck, man verfolge Schnitt für Schnitt eine Filmsequenz.
Sie baut mehrere Sätze hintereinander gleich auf, wobei die daraus entstehende Monotonie signalisiert, dass bald der unweigerliche Kippmoment folgt: "In einem Badezimmer fehlen Klo und Wanne: Es sind nur noch zwei gähnende Löcher im Boden vorhanden. In einem Schlafzimmer sehe ich ein altes Sofa, einen Haufen Zeitschriften und gebrauchte Kondome herumliegen. In einem anderem liegt eine Matratze auf dem Boden, und an der Wand hängt eine Schiefertafel mit einer Kinderzeichnung."
Überhaupt die Kinder. Sie nehmen im Plot breiten Raum ein, sowohl konkret - Mickeys Verhältnis zu ihrem kleinen Sohn wird ausführlich geschildert - als auch metaphorisch: Nachdem der Roman mit einer Toten eingesetzt hat ("An dem Gleis entlang der Gurney Street liegt eine Leiche"), endet er mit der Geburt eines Babys ("Es öffnet den Mund. Es trinkt"). Gleichwohl beschreibt Moore damit keinen Bogen von furchtbarem Leid zu strahlender Hoffnung, denn das Neugeborene ist das Kind einer Heroinabhängigen.
Erst stößt es Klagelaute aus, dann kreischt es vor Schmerzen und erhält aus einer Pipette Medizin gegen die Entzugserscheinungen. Eine janusköpfige Szene, die uns daran erinnert, dass man in Kensington auf die Welt kommt, um zu scheitern. Wer sich wie Mickey dagegen auflehnt und tagein, tagaus den immer gleichen Kampf gegen Mörder und korrupte Kollegen kämpft, endet auf verlorenem Posten: "Mir fällt absolut niemand ein, den ich anrufen könnte, und schlagartig wird mir bewusst, wie unsäglich allein ich bin."
Dazu trägt entscheidend bei, dass sich die Figuren zum großen Teil an Nicht-Orten aufhalten. Mit diesem Begriff bezeichnet der französische Ethnologe Marc Augé Räume, die kaum zum Verweilen einladen, sondern als Durchgangsstationen fungieren. Es fehlt ihnen an Profil und Identität, sie sind anonym und lösen beim Besucher das Gefühl aus, zu vereinsamen. Verlassene Häuser, in denen sich Junkies einen Schuss setzen, das Polizeiauto, dessen Insassen sich während des Dienstes ausgeliefert sind, oder die McDonald's-Filiale, wo Mickeys Sohn seinen Geburtstag feiert: Moore versteht es vorzüglich, mit Hilfe des Schauplatzes die Stimmung herunterzuregeln. Schon nach wenigen Seiten mag der Leser Aristoteles' berühmtem Diktum nicht mehr beipflichten, wonach wir uns über den Zustand des Barbarentums erheben, sobald wir in der Stadt leben.
Die von Moore erzählte Geschichte spielt an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, sie ist bevölkert von bestimmten Figuren, die bestimmten Beschäftigungen nachgehen. Und doch wirkt das Geschehen wie eine perfekt komponierte Allegorie. Einmal sagt Kacey, Drogensucht fühle sich an wie eine Zeitschleife. Was sie verschweigt, ist, dass sie erst dann wirklich in Unendlichkeit aufgehoben sein wird, wenn sie stirbt. Für Mickey ist ihre Schwester längst eine Art Zombie: "Es fällt mir im Grunde sogar schwer, mir Kacey nicht tot vorzustellen." So handelt der Roman im Kern von dem verzweifelten Versuch, das erlöschende Lebenslicht einer wandelnden Toten wieder anzufachen.
KAI SPANKE
Liz Moore: "Long Bright River". Roman.
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
C. H. Beck Verlag,
München 2020.
414 S., geb., 24,- [Euro].
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