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15 Kundenbewertungen

Die neue große Liebesgeschichte von Colm Tóibín, dem Autor des Welterfolges "Brooklyn"
Ein Mann und eine Frau treffen sich nach fast zwanzig Jahren wieder - und stehen noch einmal vor der Entscheidung ihres Lebens. Eilis lebt in Long Island mit ihren Kindern und Tony, für den sie ihre Jugendliebe Jim in Irland zurückließ. Als sie erfährt, dass Tony sein uneheliches Kind in der gemeinsamen Familie aufziehen will, bricht sie in ihre Heimat auf. Dort holen sie ihre alten Gefühle ein. Mit atemberaubender Intensität und psychologischer Klarsicht erzählt Tóibín von dem Versteckspiel, das sich…mehr

Produktbeschreibung
Die neue große Liebesgeschichte von Colm Tóibín, dem Autor des Welterfolges "Brooklyn"

Ein Mann und eine Frau treffen sich nach fast zwanzig Jahren wieder - und stehen noch einmal vor der Entscheidung ihres Lebens. Eilis lebt in Long Island mit ihren Kindern und Tony, für den sie ihre Jugendliebe Jim in Irland zurückließ. Als sie erfährt, dass Tony sein uneheliches Kind in der gemeinsamen Familie aufziehen will, bricht sie in ihre Heimat auf. Dort holen sie ihre alten Gefühle ein. Mit atemberaubender Intensität und psychologischer Klarsicht erzählt Tóibín von dem Versteckspiel, das sich zwischen den ehemaligen Liebenden entspinnt. Der neue Roman des Autors von "Brooklyn" ist ein Meisterwerk der Erkundung widersprüchlichster Gefühle: mitreißend, aufwühlend, unwiderstehlich.
Autorenporträt
Colm Tóibín, 1955 in Enniscorthy geboren, ist einer der wichtigsten irischen Autoren der Gegenwart. Bereits sein erster Roman Der Süden (1994) wurde von der Kritik enthusiastisch gefeiert. Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem IMPAC-Preis und dem David Cohen Prize for Literature. Bei Hanser erschienen der Henry-James-Roman Porträt des Meisters in mittleren Jahren (2005), Mütter und Söhne (Erzählungen, 2009), Brooklyn (2010), Marias Testament (Roman, 2014), Liebe und Tod (Hanser-Box, 2014), Nora Webster (Roman, 2016), Haus der Namen (Roman, 2020) und zuletzt Der Zauberer (Roman, 2021), für den er den Rathbones Folio Prize 2022 erhielt. Er wurde für 2022-2024 zum Laureate for Irish Fiction ernannt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Komplett glücklich wird Rezensentin Marie Schmidt nicht mit Colm Tóibíns Roman, aber sie liest die Fortsetzung von "Brooklyn", einem älteren Buch des Autors, insgesamt doch gerne. Im Zentrum steht wieder Eilis, eine Irin, die in die USA gezogen ist und dort in eine italoamerikanische Familie eingeheiratet hat. Jetzt jedoch kehrt sie wieder in das irische Nest Enniscorthy zurück, wo ihre Mutter lebt. Aber auch Jim, ein Mann, mit dem Eilis eine unerfüllte Liebesvergangenheit verbindet, die nun wieder auflebt, erzählt Schmidt: Allerdings als Liebesdreieck, in das auch Eilis' Freundin Nancy involviert ist. Als Leser wissen wir, beschreibt die Rezensentin, stets mehr als die teils eher wortkargen Figuren, die selbst oftmals über die Gefühlsverwirrungen ihrer Nächsten im Unklaren bleiben. Die Gefühle entfalten sich Schmidt zufolge nicht so eindringlich wie in anderen Büchern des Autors, die Erzählung erscheint ihr etwas zu routiniert, auch das Cover der deutschen Ausgabe gefällt ihr nicht. Als Erzählung über eine plötzlich wieder offene Zukunft in der Mitte des Lebens gefällt der Rezensentin Tóibíns Buch allerdings schon.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2024

Die Liebe, zwanzig Jahre später

Zurück nach Irland: Colm Tóibín setzt seinen Roman "Brooklyn" fort und gibt dabei einer betrogenen Ehefrau eine zweite Chance.

Eines Sommertages steht ein Fremder vor dem Haus, in dem Eilis mit ihrem Mann Tony und den beiden Kindern wohnt. Der Fremde erzählt von der Schwangerschaft seiner Frau, das Kind sei aber nicht von ihm gezeugt, sondern von Tony. Nach der Geburt werde er deshalb zurückkommen und den Säugling vor Eilis' Haustür legen. Fürs Erste verschwindet er, lässt allerdings durchblicken, dass er über Tonys Leben Bescheid weiß: "Ihr Mann scheint ein großer Plauderer zu sein", sagt er zu Eilis. "Er hat meiner Frau lang und breit von Ihnen erzählt."

So rasant wie Colm Tóibíns neuer Roman "Long Island" einsetzt, so sehr das jähe Aufeinandertreffen der beiden von ihren Partnern betrogenen Menschen wenigstens für Eilis alles verändert, so leicht könnte man diese beiläufige Bemerkung des gehörnten Ehemanns über den schwatzhaften Ehebrecher überlesen. Dabei ist sie der erste Hinweis auf ein Thema, das den Roman prägt wie kein zweites. Es geht ums Sprechen und ums Schweigen, ums Vertuschen und ums Aufdecken und um die Mittel, die dafür eingesetzt werden. Kaum zufällig fällt die Romanhandlung in die Zeit der Watergate-Affäre, auf die einmal kurz angespielt wird. Vom Belauschen, von Lügen und Ausflüchten verstehen jedenfalls auch die Romanfiguren etwas.

Im Licht der gesamten Handlung erscheint die Eingangsszene als leichthändig erzählte, überlegen komponierte Ouvertüre zu einem Roman, der die längst in New York heimische Mittvierzigerin Eilis zurück nach Irland führt, an den küstennahen Ort Enniscorthy, von dem sie als junge Frau aufgebrochen war und in dem ihre bald achtzigjährige Mutter lebt. Wie sehr sie dort von Gerede umgeben ist, wie viel dort gesagt wird und dass sie das Wesentliche erst erfährt, als es eigentlich schon zu spät dafür ist, überlagert am Ende jede andere Erfahrung dieser Reise.

In New York wohnen Eilis und Tony mit ihren Kindern Larry und Rosella Tür an Tür mit zwei von Tonys Geschwistern samt deren Familien und den Eltern. Es ist Tonys Mutter Francesca, die sich zu Beginn des Romans ahnungslos gibt, als der Fremde von Haus zu Haus geht und nach Eilis fragt, obwohl die Patriarchin längst nicht nur über den Ehebruch ihres Sohnes und die Folgen Bescheid weiß, sondern auch schon geplant hat, was mit dem Kind nach der Geburt geschehen wird. Es ist diese unter Lächeln und Fürsorge verborgene Kontrolle, der Eilis Richtung Irland entflieht - ob und wann sie nach New York zurückkehren wird, lässt sie offen.

Auch dass sie zwanzig Jahre zuvor bei einem Besuch in Enniscorthy heftig mit dem Pubbesitzer Jim Farrell geflirtet hatte, erfährt ihre Familie nicht, so wie auch Jim damals nicht wusste, dass Eilis in New York bereits mit dem italienischstämmigen Tony verheiratet war - diesen Sommer und Eilis' jähe Abreise zurück nach New York beschreibt Tóibín in seinem Roman "Brooklyn" von 2009. Er hat Spuren hinterlassen, in allen Beteiligten, vor allem aber in Jim, der es mit Eilis sehr ernst meinte und kein Wort von ihr zu hören bekam, warum sie ihn Knall auf Fall verließ.

Nun ist sie wieder da. Nur dass die Konstellation - betrogene Ehefrau fährt enttäuscht an den idyllischen Ort ihrer Kindheit und trifft ihre damals tragisch verpasste Jugendliebe wieder -, die unendlich vielen Unterhaltungsromanen zugrunde liegt, hier mit herber Würde durchgespielt wird, gerade weil sie Raum lässt für ganz andere Fragen. Jim ist auf seine träge Art heimlich mit Nancy zusammen, einst Eilis' beste Freundin, Witwe und Betreiberin des örtlichen Fish-&-Chips-Imbisses. Eilis weiß nichts davon, und als ihre Kinder ihr hinterherreisen, bringen ihre arglosen Indiskretionen die Handlung weiter voran, während sich der allseits beliebte Jim im Verborgenen mit beiden Frauen trifft und noch die nötigste Entscheidung über seine Zukunft anderen überlässt - so lange, bis schließlich wiederum Nancy das Aufdecken als Strategie einsetzt, sich selbst einen Verlobungsring an den Finger steckt und, danach gefragt, bereitwillig von ihrer nun nicht mehr heimlichen Liaison spricht, um Fakten zu schaffen.

"Das sähe dir nicht ähnlich, wem auch immer was auch immer zu erzählen", sagt dagegen Eilis zu Jim. Wo das Plaudern so leicht und das ernsthafte Sprechen so schwer ist, da ist die Hürde besonders hoch, wenn es um die Liebe geht. "Darf ich dich fragen, ob du mich liebst?", sagt der vorsichtige Jim. Eilis' Antwort "Deswegen bin ich doch hier" reicht ihm nicht, verständlicherweise, denn als sie vor zwanzig Jahren das letzte Mal "hier" war, endete das Beisammensein auf eine Weise, die in der schieren Anwesenheit noch keinen Liebesbeweis garantiert. "Kannst du es sagen?", beharrt er, aber aussprechen mag sie es immer noch nicht. "Ja, kann ich", antwortet sie stattdessen. Näher kommt sie in diesem Buch einer Liebeserklärung nicht. Immerhin verspricht sie ihm, diesmal keine "kalten Füße zu bekommen". Es ist Jim, der schließlich dasteht wie Buridans Esel.

"Die bekommen hier alles mit", seufzt Eilis' New Yorker Schwägerin Lena einmal. In Enniscorthy ist es nicht anders. Doch obwohl sie es eigentlich besser wissen müssten, glauben alle immer, sie könnten irgendetwas vor ihrer Umgebung verborgen halten, was zugleich heißt, dass alle großen Auftritte, bei denen irgendetwas bekannt gegeben wird, etwas leicht Lächerliches haben. "Es war komisch, Nancy zuzuhören", sagt Eilis' Mutter, nachdem Nancy ihre Tour durch die Gemeinde zur Verkündigung ihres Verlöbnisses beendet hatte, zu ihrer Tochter. "Natürlich wusste ich über sie und Jim längst Bescheid." Natürlich, wie eigentlich alle. Nur Eilis eben nicht.

Unter all diesen Strategen auf dem Schlachtfeld von gezielten Informationen und Desinformationen erweist sich der Autor als der größte und effizienteste. Er lässt seine Figuren auf- und abtreten, ohne ihre Geheimnisse preiszugeben (besonders die Liebesszenen sind von seltener Diskretion) und stellt zugleich das Netz ihrer Kommunikation mit größter Genauigkeit dar. Man folgt ihm gern und akzeptiert, dass der Zauber dieser Geschichte aus ihren Leerstellen erwächst. Mag sein, dass der bald siebzigjährige Colm Tóibín hier die Summe seiner Erfahrungen zieht. TILMAN SPRECKELSEN

Colm Tóibín: "Long Island". Roman.

Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini. Hanser Verlag, München 2024.

320 S., geb., 26,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Colm Tóibín schreibt erschütternde kleine Sätze, beiläufige Sätze mit verheerender Wirkung. Das ist eine so große Kunst, dass man beim Lesen manchmal fast lachen möchte, weil es so gut ist." Tobias Rüther, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.05.24

"Ein subtiler, glänzend austarierter Roman, wie man ihn sich alle Tage wünscht und doch nur alle Jahre bekommt. Colm Tóibín ist, es lässt sich nicht anders sagen, ein Virtuose, wenn es darum geht, Gefühlsabgründe auszuloten und die Sympathien der Leser nicht zu schnell in eine Richtung zu lenken." Rainer Moritz, Neue Zürcher Zeitung, 05.06.24

"Er beschreibt so fesselnd, dass man bereits auf den ersten Seiten eigentlich von den Büchern nicht mehr loskommt." Sylvie Weber, Vorsitzende der Jury des Würth-Preises für Europäische Literatur, 04.06.24

"Colm Tóibíns Roman fasziniert im Detailreichtum seiner Figurenbeschreibung." Tilman Urbach, SWR lesenswert, 19.05.24

"Der Fortsetzungsroman erweist sich als perfektes seitenverkehrtes Gegenstück zu 'Brooklyn', liefert vielfältige Motivationen nach, bietet psychologische Finesse und raffinierte Plot-Verwicklungen und fügt beide Teile zu einem brillanten zweiflügeligen Doppelroman zusammen. Erst mit seinem Komplementärband ist das Werk vollendet." Sigrid Löffler, Falter, 22/24

"Tóibin wird immer wieder dafür gelobt, wie gut und einfühlsam er Menschen beschreiben kann. Das ist ihm auch in 'Long Island' wieder meisterlich gelungen." Maren Ahring, NDR Kultur, 17.05.24

"Einen gelungenen zweiten Teil seiner Romanserie hat Colm Tóibín vorgelegt. Spannend und tiefgründig bis zur letzten Seite." Theresa Hübner, WDR 5, 11.05.24

"Man folgt dem Autor gern und akzeptiert, dass der Zauber dieser Geschichte aus ihren Leerstellen erwächst. Mag sein, dass der bald siebzigjährige Colm Tóibín hier die Summe seiner Erfahrungen zieht." Tilman Spreckelsen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.05.24

"Als Erweiterung des Enniscorthy-Komplexes ist 'Long Island' ein Gewinn." Marie Schmidt, Süddeutsche Zeitung, 10.06.24.
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.06.2024

Die zweite Liebe
Das Auswanderungsdrama „Brooklyn“ ist wahrscheinlich der berühmteste Roman
des irischen Schriftstellers Colm Tóibín. Jetzt hat er eine späte Fortsetzung geschrieben.
VON MARIE SCHMIDT
Als sie nach zwanzig Jahren aus Amerika zurückkommt ins Städtchen Enniscorthy in Südirland, kauft sie ihrer Mutter einen Kühlschrank, einen Herd und eine Waschmaschine. Riesenhaft wirken die Geräte in deren kleiner Küche. Wer soll den Strom dafür zahlen, fragt die Mutter, und auf einmal versteht Eilis Lacey, dass sie gar kein Bedürfnis nach einem Kühlschrank hat: „So hatte sie häufig Anlass loszuziehen, um Lebensmittel einzukaufen, wovon sie einiges bei Hayes in der Court Street bekam und anderes in Miss Connors Laden gegenüber, oder ein Stück weiter bei Martin Doyle, dem Schlachter, oder bei Billy Kervick am Market Square.“
So viel Kleinstadtleben gibt es nicht, dort, wo von Irland aus gesehen die weite Welt ist. In der Sackgasse in Lindenhurst, Long Island, wo die Auswanderin Eilis als irische Außenseiterin inmitten der italienischen Großfamilie lebt, in die sie eingeheiratet hat: „Es ist keine Stadt, ja nicht mal ein Dorf wie die Dörfer bei uns.“ Mit dieser Anekdote misst Colm Tóibín, der aus eben jenem Enniscorthy stammende Weltautor, die Distanz, die Fremdheit aus, die in den Siebzigerjahren noch zwischen Irland und den USA liegt.
„Long Island“ heißt seine Fortsetzung des früheren Romans „Brooklyn“ von 2009, seines wahrscheinlich populärsten Buches, spätestens seit es ideal verfilmt worden ist mit einem Drehbuch von Nick Hornby. Vollkommen zu passen schien vor allem das Gesicht der Schauspielerin Saoirse Ronan zur Figur Eilis Lacey, ihre porzellankühle Berührbarkeit und die Tapferkeit, mit der sie alleine aufbricht aus der Arbeitslosigkeit im Irland der Fünfziger.
Wie Tóibín die Überfahrt auf dem Schiff schilderte von Liverpool nach Ellis Island, dem Immigranten-Drehkreuz, dessen Name in dem der Hauptfigur immer widerzuhallen scheint, oder ein Weihnachten unter den alten Iren, die in Amerika „die Tunnel und die Brücken und die Highways gebaut“ haben und über die Jahre jede Verbindung zu ihrem Land verloren haben, das waren mustergültige Szenen der Auswanderung in die Vereinigten Staaten.
Zurück kommt Eilis Lacey nun mit dem Flugzeug und dann nimmt Tóibín die Geschichte, die in „Brooklyn“ liegen geblieben ist, unversehens wieder auf. Es war eine doppelte Liebesgeschichte: In Amerika liebte Eilis den jungen italienischen Klempner Tony und hat ihn heimlich geheiratet. Nach dem Tod ihrer Schwester fuhr sie noch einmal für wenige Wochen nach Irland, bekam dort deren Job und traf einen Freund ihrer besten Freundin Nancy, der sie heiraten wollte, Jim Farrell. Auf einmal schienen beide Leben möglich. Und erst auf den allerletzten Seiten von „Brooklyn“ ließ Tóibín seine Heldin sich entscheiden. Ohne viel Argumentieren und Hadern schlicht ihrer Wege gehen, wie es die Art seiner wortkargen Irinnen ist. Für eine Liebe, die einen lebenslang nicht loslässt, gerade weil sie nicht gelebt worden ist, gibt es auf Englisch einen eigenen, unübersetzbaren Ausdruck: „The one who got away“. Der oder die eine, die einem entgangen ist. Mit dem Beiklang, dass diese Person die Richtige fürs Leben hätte sein müssen. Eine falsche Abzweigung, eine Trägheit des Herzens, eine fade Intervention des Zufalls, und das eigentliche Leben ist für immer verpasst. Wirklich, ganz sicher für immer? Colm Tóibín versucht in „Long Island“ das Schicksal erzählerisch zu erweichen. Dazu löst er die Perspektive von Eilis, der er in „Brooklyn“ einzig folgte. Das genügte auch, denn die Geheimnisse, die Distanzen, die alle Sehnsüchte zurücklegen mussten, waren allein ihre. Nur sie wusste, dass sie als verheiratete Frau nach Irland zurückgekommen war und mit einer verpassten Gelegenheit wieder nach Amerika fuhr.
Was Jim Farrell, den sie da verließ, seitdem erlebt hat, erfahren wir jetzt aber auch aus der Mitsicht der Erzählstimme. Und wissen deshalb, dass Eilis wirklich „the one who got away“ für ihn war. Dass er es erst verwunden hat, als er ihrer inzwischen verwitweten Freundin Nancy näher gekommen ist. Diese beiden sind jetzt heimlich verlobt, eine sachliche Romanze: „Kein Erröten, kein Lächeln oder verwunderter Blick.“ Aber eine Romanze eben doch.
Und auch Nancys Perspektive kennt der Erzähler. Der sozialen Sicherheit ihrer Ehe verlustig gegangen, die Kinder erwachsen, wirkt sie beinahe eingeschüchtert von der Möglichkeit, auf ein neues Leben hoffen zu dürfen. Als es in Gefahr gerät, verteidigt sie sich umso löwenhafter. Nancy ist die Parallelfigur zu Nora Webster aus Tóibíns gleichnamigem Roman von 2014, die ebenfalls in Enniscorty lebt und als Randfigur in „Long Island“ und „Brooklyn“ auftritt. Eine Reihe von leise quälenden Kondolenzbesuchen der Frauen aller drei Romane verbindet die Bücher elegant miteinander.
Diesmal also knotet Tóibín Eilis, Jim und Nancy immer enger zusammen zu einem Liebesdreieck, von dem zunächst keiner ahnt, weil Gefühle verschwiegen werden, Zusammenleben ritualisiert ist in der Welt von Enniscorty. Nur der Erzähler und die Leser wissen von dem Konflikt, der sich da aufbaut. Diese überlegene Perspektive, dieser Wissensvorsprung wirkt schon fast ungewohnt im zeitgenössischen Erzählen, das so häufig autobiografisch, erfahrungsnah angelegt ist.
Lesend beginnt man die Verletzungen und Enttäuschungen vorwegzunehmen, die in der Figurenkonstellation angelegt sind und sich ins Muster früherer Kränkungen fügen werden. Zu Hause in Long Island stand vor Eilis’ Tür auf einmal ein Fremder, der mitteilte, ihr Mann Tony habe mit seiner Frau ein Kind gezeugt. Und dessen Großfamilie, besonders die Schwiegermutter Francesca, will das Kuckucksei aufnehmen. Eilis ist vor diesem Verrat geflohen, nach Hause, wo sie zuvor Jahrzehnte nicht war. Jetzt könnte ihr, auch wenn so etwas unter den schicksalsergebenen Leuten von Enniscorthy nicht ausgesprochen würde, die frühe Entscheidung für Amerika und gegen Jim Farrell erst richtig falsch vorkommen. Und sie besieht sich das Leben, das ihr entgangen ist.
Als Erweiterung des Enniscorthy-Komplexes ist „Long Island“ ein Gewinn, aber es ist womöglich nicht Colm Tóibíns gefühlsstärkster Roman. Ein wenig ungeduldig in den früheren Plot gezurrt, mit routinierter Neugier durchgezogen wirkt die Erzählung. Und den Schutzumschlag der deutschen Ausgabe muss man schnell weglegen, vor allem wenn man Saoirse Ronans unterdrücktes Lächeln in der „Brooklyn“-Verfilmung mochte. Warum eine unbekannte Frau auf dem Cover von „Long Island“ Zahnpasta-weiße Zähne zeigt, die deutlich zu jung für die handelnden Frauen im Buch ist, weiß der Himmel oder vielleicht der Vertrieb des Hanser-Verlags.
Dass es vom Leben schon gezeichnete Menschen mittleren Alters sind, deren Entscheidungen noch einmal völlig offen und formbar vor ihnen liegen, erwärmt doch eigentlich erst für diesen Roman. Und wie die Sehnsucht darin immer wieder den Rückweg antritt. „Wenn eines Morgens in deiner Autowerkstatt auf Long Island das Telefon klingelte, und ich wär’s, und ich wäre in New York, oder sogar noch näher, und ich wäre gekommen, um dich zu sehen, was würdest du tun?“, ist die Schicksalsfrage dieses Buches. Die Antwort schwebt wahrscheinlich auf halbem Wege zwischen der alten und neuen Welt, irgendwo über Spitzbergen.
Eine falsche Abzweigung
und das wahre Leben ist
für immer verpasst
Heute schon fast
ungewohnt: ein
allwissender Erzähler
Die Wahrheit liegt auf
halbem Wege zwischen
alter und neuer Welt
Genau das richtige Gesicht für die Verfilmung von Tóibíns Roman „Brooklyn“: Darin verließ Eilis Lacey, gespielt von Saoirse Ronan, das südirische Enniscorthy. In der Fortsetzung kehrt sie jetzt zurück.
Foto: Imago images
Colm Tóibín:
Long Island.
Roman. Aus dem
Englischen von Giovanni und Ditte Bandini.
Carl Hanser Verlag,
München 2024.
320 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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