Als Katharina Finke nach der Trennung von ihrem langjährigen Freund ihren Mietvertrag kündigt, entschließt sie sich, alles loszulassen, was sie bindet. Sie verschenkt und verkauft beinahe ihren ganzen Besitz und macht das Reisen zu ihrem Alltag. Als moderne Nomadin arbeitet sie rund um den Globus, lebt aus dem Koffer und wohnt auf Ausklappsesseln und in Luxusappartements. Sie lernt, ihren Impulsen zu trauen und ihre Ängste zu erforschen; schätzt die Erfahrungen, die sie unterwegs sammelt, und das intensivere Lebensgefühl, das sie durch die Befreiung von materiellen Dingen verspürt. Sie erlebt, wie radikale Freiheit überglücklich und zutiefst einsam macht. Dies ist ein Buch darüber, was es heißt loszulassen. Und woran es sich lohnt festzuhalten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2017Am Ende brauche ich nur mich selbst
Katharina Finke besitzt nicht viel. Und damit ihr das jeder glaubt, hat die Autorin und freie Korrespondentin für ein Foto auf der Rückseite ihres Buchs, das Wenige, das sie ihr Eigen nennt, auf einer Straße hübsch um sich herum drapiert. Außerdem gibt es in ihrem Buch "Loslassen" eine Liste: Von zwei Dutzend Kleidern, Blusen, Tunikas, Pullis, Strickjacken und mehreren Paar Schuhen ist da die Rede, und auf den ersten Blick macht das einen so minimalistischen Eindruck nun doch wieder nicht. Erst gegenüber dem Durchschnittsdeutschen, der laut Finke zehntausend Dinge besitzt, wirken die Häufchen auf der Decke mickrig. Minimalismus wird für Katharina Finke zum Lebenstil - und hat damit ein Thema gefunden, mit dem sie den Schilderungen ihrer Reiseerlebnisse einen ganz eigenen Ansatz gibt. Was ihr selbst offenbar nicht unmittelbar klar war. Freunde und Kollegen, so verrät sie, haben sie zum Schreiben ihres Buches gedrängt. Bisweilen merkt man das, dann wirken Sätze seltsam steif, und man begreift, dass hier jemand schreibt, der gar nicht so gerne von sich erzählt. Zumal ihre Lebenseinstellung mit einem deutlichen Einschnitt zu tun hat: der Trennung von ihrem langjährigen Partner samt abschließender Haushaltsauflösung. Im Anschluss daran beschließt sie, ihren Besitz radikal zu minimieren - für sie eine "pragmatische Entscheidung", die mit ihrem Leben als "moderne Nomadin" wohl einhergeht. Dem materialistischer ausgerichteten Leser wächst ein Kloß im Hals, bei Finkes Schilderung, wie sie fast all ihre Kindheitserinnerungen in einen Second-Hand-Laden bringt, und er ist zugleich voller Bewunderung für die Konsequenz und Stärke dieser jungen Frau. Das Gefühl behält man bei, wenn sie den großen Prozess des Loslassens von Gewohnheiten, Sichtweisen, Orten, Besitz, Menschen und auch Erwartungen und Ängsten schildert, der sie zu ihrem nachhaltigen und freien Leben geführt hat. Dabei entgehen ihr nicht die Grenzen desselben: Das Loslassen ihres langjährigen Partners oder der Tod nahestehender Menschen während ihrer Abwesenheit zeigen ihr, dass Freiheit zugleich Einsamkeit bedeutet und sich das Nomadenleben gegenüber Daheimgebliebenen als selbstsüchtig erweisen kann. Sie ist sich ebenso bewusst, dass sie mit ihrer Entscheidung für diesen Lebensstil privilegiert ist gegenüber einem Großteil der Menschheit, der noch viel weniger besitzt - jedoch gezwungenermaßen. Es sind ihre klugen Selbstreflexionen, die fesseln und für die man langatmige Passagen über ihre Praktika rund um den Globus oder ihre Studienwahl in Kauf nimmt. Am Ende kann man von Finke nur beeindruckt sein und schaut sich mit schlechtem Gewissen in der Wohnung um, die dringend mal wieder ausgemistet werden müsste.
kari
"Loslassen - Wie ich die Welt entdeckte und verzichten lernte" von Katharina Finke. Malik Verlag, München 2017. 224 Seiten. Broschiert, 15 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Katharina Finke besitzt nicht viel. Und damit ihr das jeder glaubt, hat die Autorin und freie Korrespondentin für ein Foto auf der Rückseite ihres Buchs, das Wenige, das sie ihr Eigen nennt, auf einer Straße hübsch um sich herum drapiert. Außerdem gibt es in ihrem Buch "Loslassen" eine Liste: Von zwei Dutzend Kleidern, Blusen, Tunikas, Pullis, Strickjacken und mehreren Paar Schuhen ist da die Rede, und auf den ersten Blick macht das einen so minimalistischen Eindruck nun doch wieder nicht. Erst gegenüber dem Durchschnittsdeutschen, der laut Finke zehntausend Dinge besitzt, wirken die Häufchen auf der Decke mickrig. Minimalismus wird für Katharina Finke zum Lebenstil - und hat damit ein Thema gefunden, mit dem sie den Schilderungen ihrer Reiseerlebnisse einen ganz eigenen Ansatz gibt. Was ihr selbst offenbar nicht unmittelbar klar war. Freunde und Kollegen, so verrät sie, haben sie zum Schreiben ihres Buches gedrängt. Bisweilen merkt man das, dann wirken Sätze seltsam steif, und man begreift, dass hier jemand schreibt, der gar nicht so gerne von sich erzählt. Zumal ihre Lebenseinstellung mit einem deutlichen Einschnitt zu tun hat: der Trennung von ihrem langjährigen Partner samt abschließender Haushaltsauflösung. Im Anschluss daran beschließt sie, ihren Besitz radikal zu minimieren - für sie eine "pragmatische Entscheidung", die mit ihrem Leben als "moderne Nomadin" wohl einhergeht. Dem materialistischer ausgerichteten Leser wächst ein Kloß im Hals, bei Finkes Schilderung, wie sie fast all ihre Kindheitserinnerungen in einen Second-Hand-Laden bringt, und er ist zugleich voller Bewunderung für die Konsequenz und Stärke dieser jungen Frau. Das Gefühl behält man bei, wenn sie den großen Prozess des Loslassens von Gewohnheiten, Sichtweisen, Orten, Besitz, Menschen und auch Erwartungen und Ängsten schildert, der sie zu ihrem nachhaltigen und freien Leben geführt hat. Dabei entgehen ihr nicht die Grenzen desselben: Das Loslassen ihres langjährigen Partners oder der Tod nahestehender Menschen während ihrer Abwesenheit zeigen ihr, dass Freiheit zugleich Einsamkeit bedeutet und sich das Nomadenleben gegenüber Daheimgebliebenen als selbstsüchtig erweisen kann. Sie ist sich ebenso bewusst, dass sie mit ihrer Entscheidung für diesen Lebensstil privilegiert ist gegenüber einem Großteil der Menschheit, der noch viel weniger besitzt - jedoch gezwungenermaßen. Es sind ihre klugen Selbstreflexionen, die fesseln und für die man langatmige Passagen über ihre Praktika rund um den Globus oder ihre Studienwahl in Kauf nimmt. Am Ende kann man von Finke nur beeindruckt sein und schaut sich mit schlechtem Gewissen in der Wohnung um, die dringend mal wieder ausgemistet werden müsste.
kari
"Loslassen - Wie ich die Welt entdeckte und verzichten lernte" von Katharina Finke. Malik Verlag, München 2017. 224 Seiten. Broschiert, 15 Euro.
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»Trotzdem ein lesenswertes Buch, das zum Nachdenken anregt. Denn das soll ihr erst einmal einer nachmachen, mehrere Jahre aus zwei Koffern zu leben.« So! Die Frankenpost zum Sonntag 20181027