A playful account of the author and illustrator's use of technology, psychic readings, and other measures to track the adventures of a beloved prodigal cat reveals the unexpected things they learned.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2013Katzen kann man halten, niemals besitzen
Vertrauen ins Haustier ist gut, elektronische Kontrolle ist besser? Caroline Paul versucht den Abwesenheiten ihres Katers mittels GPS-Einsatz beizukommen
Dieses Buch erzählt die Geschichte einer Obsession, wobei der Begriff Stalking die Sache besser trifft. Gestalkt wird jedoch nicht, wie es sonst üblich ist, eine Frau oder ein Mann, sondern ein Kater. Der Kater heißt Tibby, er gehört der Autorin Caroline Paul, die gemeinsam mit ihrer Partnerin Wendy MacNaughton und einer weiteren Katze namens Fibby in San Francisco lebt. Das Buch heißt "Lost Cat". Caroline Paul beschreibt Tibby darin als ein äußerst scheues Tier.
Betreten Fremde das Haus, nimmt der Kater Reißaus. Er frisst nur, wenn niemand um ihn herum ist. Spielt er im Garten, versteckt er sich bei jedem irritierenden Geräusch, als sei er in der Serengeti und nicht mitten in San Francisco. Tibby gehört offenbar zu jenen Tieren, die ihr Leben am liebsten innerhalb der Komfortzone verbringen, was für jeden Katzenbesitzer perfekt ist, weil es die uneingeschränkte Liebe des Tieres garantiert. Jedenfalls dachte dies Caroline Paul. Bis Tibby eines Tages verschwindet.
Wurde der Kater gekidnappt?, fragt sie sich. Und liegt er jetzt womöglich unter dem Seziermesser eines Tierquälers? Oder hat ihn ein Auto zu Tode gefahren? Es muss, so viel steht für Caroline Paul fest, etwas Schreckliches passiert sein, denn sie kenne, schreibt sie, ihren Kater, wie andere Menschen ihren Partner kennen, was bedeutet, dass man keine Geheimnisse voreinander hat - zumindest soweit dies innerhalb einer Tier-Mensch-Beziehung überhaupt möglich ist. Tag und Nacht läuft sie durch die Gegend, befestigt Steckbriefe an Bäumen, ruft den Namen ihres Katers, vergeblich. Dann, nach fünf Wochen, kehrt Tibby zurück. Wohlgenährt und glücklich. Sein Fell glänzt. Als wäre nichts gewesen, fädelt sich der Kater wieder in sein altes Leben ein.
Nun könnte man annehmen, dass im Moment von Tibbys Rückkehr gleichzeitig auch Caroline Pauls Seele wieder Frieden findet, aber das tut sie nicht. Wo war Tibby? Wer hat ihn gefüttert? Weshalb verschmäht er plötzlich das ihm vorgesetzte Fressen? Und warum ist er so verdammt zufrieden? Um es kurz zu machen: Die zahlreichen mit Eifersucht und einem Gefühl des Verrats gepaarten Fragen setzen Caroline Paul derart zu, dass sie zu drastischen Maßnahmen greift. Sie beginnt, ihren Kater zu überwachen.
Das ist einerseits eine witzige Vorstellung, andererseits ist es schlicht wahnsinnig. Es zeigt, wie verführerisch die vermeintlichen Versprechungen der Technik sind, wobei in Amerika die Anfälligkeit dafür freilich höher ist als hierzulande. Nehmen wir Kevin Kelly, der 2007 die Internetseite quantifiedself.com gründete, die den Ausgangspunkt einer Bewegung markiert, deren Ziel es ist, den Körper durch das Sammeln von Zahlen zu beherrschen. "Self Knowledge Through Numbers" nennt man das, Selbsterkenntnis durch Zahlen. Caroline Paul verwandelt das Self-Tracking einfach in Cat-Tracking.
Damit für den Leser die lustige Seite ihrer Manie überwiegt, reflektiert die Autorin den Irrsinn, den sie treibt, regelmäßig selbst. Zudem ließ sie ihre Lebensgefährtin, die unter anderem für die "New York Times" zeichnet, die Katzenüberwachung mit heiteren Bildern illustrieren. Eines dieser Bilder versammelt unter der Überschrift "Spy Store Notes" eine Reihe an technischen Geräten und Überwachungshilfsmitteln wie GPS-Tracker sowie ein sogenanntes Envelope X-Ray Spray, mit dessen Hilfe sich Briefe gewissermaßen durch Umschläge hindurch lesen lassen. Bei dem Versuch, Geheimnisse der Katzenwelten zu lüften, versagt das Spray naturgemäß. Caroline Paul bestellt im Internet einen "GPS-Cat Tracker" (klein, leicht, wasserfest). Sie befestigt ihn an Tibbys Halsband. Und wartet ab.
Man kann das schmale Buch "Lost Cat" auf verschiedene Arten lesen: zum Beispiel als Liebeserklärung an eine Katze. Oder als Desillusionierungsgeschichte (der Katzencharakter ist tiefgründiger, als man annahm). Oder als Protokoll einer verzweifelten Suche nach Wahrheiten. Oder auch als mahnendes Lehrstück über eine technikversessene Gesellschaft, die einmal mehr schmerzlich erkennen muss, dass Technik ebenso gut in die Irre wie auf den richtigen Pfad führen kann.
Caroline Paul erliegt der Erkenntnisillusion. Zwölf Stunden ist Tibby fort. Wieder zurück, nimmt Caroline Paul dem Kater sofort seinen Tracker ab und schiebt den Chip in den Computer. Von dem, was gleich auf dem Bildschirm erscheinen wird, erwartet die Autorin die Beantwortung all ihrer Fragen. Endlich würde sie wissen, wo und vor allem mit wem Tibby seine Zeit außer Haus verbringt. Als handele es sich nicht um ein Tier, sondern um eine Partnerin, die sie betrügt. Doch was sieht sie in Wahrheit? Sie sieht ein undurchschaubares Linienwirrwarr, ohne Anfang, ohne Ende. Es dokumentiert die Bewegungen eines Tiers, die keiner für den Menschen erkennbaren Logik folgen.
Erstaunlich ist der Schluss, den Caroline Paul zieht: Die Technik hat versagt. Eine Katzen-Kamera soll es nun richten. Der Leser ahnt, dass auch dieser Versuch direkt in die Technik-Falle führt. Am Ende beantworten Caroline Pauls drängendste Fragen die Menschen aus ihrer Nachbarschaft. Man könnte diese Wendung für Kitsch halten, aber das ist sie nur auf den ersten Blick.
Jede Suche sei eine Reise, schreibt Caroline Paul, und jede Reise sei eine Geschichte. Und jede Geschichte habe eine Moral. "Eine lautet: Du kannst niemals deine Katze kennen. Tatsächlich kannst du niemals jemanden so gut kennen, wie du ihn gerne kennen würdest. Aber das ist okay, Liebe ist besser." Mit dieser Aussage könnte das Buch nun enden. Doch der entscheidende Satz kommt noch: "Vertrauen ist gut, aber es gibt immer GPS."
MELANIE MÜHL
Caroline Paul: "Lost Cat". A True Story Of Love, Desperation, And GPS Technology.
Mit Zeichnungen von Wendy MacNaughton. Bloomsbury, London 2013. 163 S., geb., 15,10 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vertrauen ins Haustier ist gut, elektronische Kontrolle ist besser? Caroline Paul versucht den Abwesenheiten ihres Katers mittels GPS-Einsatz beizukommen
Dieses Buch erzählt die Geschichte einer Obsession, wobei der Begriff Stalking die Sache besser trifft. Gestalkt wird jedoch nicht, wie es sonst üblich ist, eine Frau oder ein Mann, sondern ein Kater. Der Kater heißt Tibby, er gehört der Autorin Caroline Paul, die gemeinsam mit ihrer Partnerin Wendy MacNaughton und einer weiteren Katze namens Fibby in San Francisco lebt. Das Buch heißt "Lost Cat". Caroline Paul beschreibt Tibby darin als ein äußerst scheues Tier.
Betreten Fremde das Haus, nimmt der Kater Reißaus. Er frisst nur, wenn niemand um ihn herum ist. Spielt er im Garten, versteckt er sich bei jedem irritierenden Geräusch, als sei er in der Serengeti und nicht mitten in San Francisco. Tibby gehört offenbar zu jenen Tieren, die ihr Leben am liebsten innerhalb der Komfortzone verbringen, was für jeden Katzenbesitzer perfekt ist, weil es die uneingeschränkte Liebe des Tieres garantiert. Jedenfalls dachte dies Caroline Paul. Bis Tibby eines Tages verschwindet.
Wurde der Kater gekidnappt?, fragt sie sich. Und liegt er jetzt womöglich unter dem Seziermesser eines Tierquälers? Oder hat ihn ein Auto zu Tode gefahren? Es muss, so viel steht für Caroline Paul fest, etwas Schreckliches passiert sein, denn sie kenne, schreibt sie, ihren Kater, wie andere Menschen ihren Partner kennen, was bedeutet, dass man keine Geheimnisse voreinander hat - zumindest soweit dies innerhalb einer Tier-Mensch-Beziehung überhaupt möglich ist. Tag und Nacht läuft sie durch die Gegend, befestigt Steckbriefe an Bäumen, ruft den Namen ihres Katers, vergeblich. Dann, nach fünf Wochen, kehrt Tibby zurück. Wohlgenährt und glücklich. Sein Fell glänzt. Als wäre nichts gewesen, fädelt sich der Kater wieder in sein altes Leben ein.
Nun könnte man annehmen, dass im Moment von Tibbys Rückkehr gleichzeitig auch Caroline Pauls Seele wieder Frieden findet, aber das tut sie nicht. Wo war Tibby? Wer hat ihn gefüttert? Weshalb verschmäht er plötzlich das ihm vorgesetzte Fressen? Und warum ist er so verdammt zufrieden? Um es kurz zu machen: Die zahlreichen mit Eifersucht und einem Gefühl des Verrats gepaarten Fragen setzen Caroline Paul derart zu, dass sie zu drastischen Maßnahmen greift. Sie beginnt, ihren Kater zu überwachen.
Das ist einerseits eine witzige Vorstellung, andererseits ist es schlicht wahnsinnig. Es zeigt, wie verführerisch die vermeintlichen Versprechungen der Technik sind, wobei in Amerika die Anfälligkeit dafür freilich höher ist als hierzulande. Nehmen wir Kevin Kelly, der 2007 die Internetseite quantifiedself.com gründete, die den Ausgangspunkt einer Bewegung markiert, deren Ziel es ist, den Körper durch das Sammeln von Zahlen zu beherrschen. "Self Knowledge Through Numbers" nennt man das, Selbsterkenntnis durch Zahlen. Caroline Paul verwandelt das Self-Tracking einfach in Cat-Tracking.
Damit für den Leser die lustige Seite ihrer Manie überwiegt, reflektiert die Autorin den Irrsinn, den sie treibt, regelmäßig selbst. Zudem ließ sie ihre Lebensgefährtin, die unter anderem für die "New York Times" zeichnet, die Katzenüberwachung mit heiteren Bildern illustrieren. Eines dieser Bilder versammelt unter der Überschrift "Spy Store Notes" eine Reihe an technischen Geräten und Überwachungshilfsmitteln wie GPS-Tracker sowie ein sogenanntes Envelope X-Ray Spray, mit dessen Hilfe sich Briefe gewissermaßen durch Umschläge hindurch lesen lassen. Bei dem Versuch, Geheimnisse der Katzenwelten zu lüften, versagt das Spray naturgemäß. Caroline Paul bestellt im Internet einen "GPS-Cat Tracker" (klein, leicht, wasserfest). Sie befestigt ihn an Tibbys Halsband. Und wartet ab.
Man kann das schmale Buch "Lost Cat" auf verschiedene Arten lesen: zum Beispiel als Liebeserklärung an eine Katze. Oder als Desillusionierungsgeschichte (der Katzencharakter ist tiefgründiger, als man annahm). Oder als Protokoll einer verzweifelten Suche nach Wahrheiten. Oder auch als mahnendes Lehrstück über eine technikversessene Gesellschaft, die einmal mehr schmerzlich erkennen muss, dass Technik ebenso gut in die Irre wie auf den richtigen Pfad führen kann.
Caroline Paul erliegt der Erkenntnisillusion. Zwölf Stunden ist Tibby fort. Wieder zurück, nimmt Caroline Paul dem Kater sofort seinen Tracker ab und schiebt den Chip in den Computer. Von dem, was gleich auf dem Bildschirm erscheinen wird, erwartet die Autorin die Beantwortung all ihrer Fragen. Endlich würde sie wissen, wo und vor allem mit wem Tibby seine Zeit außer Haus verbringt. Als handele es sich nicht um ein Tier, sondern um eine Partnerin, die sie betrügt. Doch was sieht sie in Wahrheit? Sie sieht ein undurchschaubares Linienwirrwarr, ohne Anfang, ohne Ende. Es dokumentiert die Bewegungen eines Tiers, die keiner für den Menschen erkennbaren Logik folgen.
Erstaunlich ist der Schluss, den Caroline Paul zieht: Die Technik hat versagt. Eine Katzen-Kamera soll es nun richten. Der Leser ahnt, dass auch dieser Versuch direkt in die Technik-Falle führt. Am Ende beantworten Caroline Pauls drängendste Fragen die Menschen aus ihrer Nachbarschaft. Man könnte diese Wendung für Kitsch halten, aber das ist sie nur auf den ersten Blick.
Jede Suche sei eine Reise, schreibt Caroline Paul, und jede Reise sei eine Geschichte. Und jede Geschichte habe eine Moral. "Eine lautet: Du kannst niemals deine Katze kennen. Tatsächlich kannst du niemals jemanden so gut kennen, wie du ihn gerne kennen würdest. Aber das ist okay, Liebe ist besser." Mit dieser Aussage könnte das Buch nun enden. Doch der entscheidende Satz kommt noch: "Vertrauen ist gut, aber es gibt immer GPS."
MELANIE MÜHL
Caroline Paul: "Lost Cat". A True Story Of Love, Desperation, And GPS Technology.
Mit Zeichnungen von Wendy MacNaughton. Bloomsbury, London 2013. 163 S., geb., 15,10 [Euro].
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