Chunxiu ist noch ein kleines Mädchen, als ihre Mutter es gut mit ihr meint. Sie soll es einmal besser haben, sie soll die Möglichkeit haben, einen wohlhabenden Ehemann zu bekommen. Ein gutes und sicheres Leben soll sie haben und niemals sich bei schwerer Feldarbeit abmühen müssen! Es wird eine Menge
Geld kosten und Chunxiu wird viele Tränen weinen müssen, aber dafür mit einem wundervollen Leben…mehrChunxiu ist noch ein kleines Mädchen, als ihre Mutter es gut mit ihr meint. Sie soll es einmal besser haben, sie soll die Möglichkeit haben, einen wohlhabenden Ehemann zu bekommen. Ein gutes und sicheres Leben soll sie haben und niemals sich bei schwerer Feldarbeit abmühen müssen! Es wird eine Menge Geld kosten und Chunxiu wird viele Tränen weinen müssen, aber dafür mit einem wundervollen Leben belohnt werden...
Ende der 1950er Jahre bekommt der damals 4jährige Autor dieses Buchs ein neues Kindermädchen. Chunxiu heißt sie, ist eine alte Frau und schwere Arbeit gewöhnt, obwohl sie nur mit Mühen und langsam laufen kann. Mit viel Liebe kümmert sie sich um den Kleinen und seine Schwester - und sie erzählt den Kindern die Geschichte ihres Lebens. Der Autor, der bekannt und ausgezeichnet wurde für seine in drei Bänden erschienene autobiografische Graphic Novel "Ein Leben in China" möchte mit diesem Buch an Chunxiu und ihr Schicksal erinnern.
Gebundene Füße galten in China fast 1000 Jahre lang als Schönheitsideal. Kleine Füße sollten dem Mädchen eine gute Zukunft und ein Leben im Wohlstand sichern. Quer durch alle Schichten ließen Mütter ihren Töchtern die Füße binden, so wie sie es selbst durch ihre Mütter erfahren hatten. Nur die ärmsten Bauern konnten sich nicht anschließen, da die Mädchen dort ihre Füße bei der Feldarbeit brauchten. Nach dem Binden konnte das Mädchen/die Frau nie mehr weite Strecken gehen und litt lebenslang unter Schmerzen. Das Haus wurde nur noch selten verlassen, wer reich war, ließ sich in einer Sänfte tragen. Das Schönheitsideal wurde so gleichzeitig zum Zeichen des Wohlstands, denn ganz offenbar hatte die Frau es ja nicht nötig, arbeiten zu gehen! Und praktischerweise musste man sich auch um die Moral eines Mädchens oder einer Frau keine Sorgen mehr machen, die kaum in der Lage war, das Haus zu verlassen. Die im "Idealfall" nur zehn Zentimeter langen Füße (ungefähr Schuhgröße 17) galten als ungemein erotisch, es hieß, dass Männer bei der Wahl einer Frau als erstes darauf achteten, ob ihre Füße klein waren. Auch im Buch schwärmen Männer von der unglaublichen Anziehungskraft der "kleinen Lotusse" und ihrem angeblichen Wohlgeruch. Mir persönlich erschließt sich nicht, was an völlig verkrüppelten Füßen, die sich immer wieder entzündeten, erotisch sein soll. Und was den Wohlgeruch angeht: Die Bandagen wurden parfümiert, um faulige Gerüche zu überdecken. Der Vollständigkeit halber: Zu den Folgen der gebrochenen und eingeschnürten Klumpfüße gehörten eingewachsene und entzündete Fußnägel, eitrig infizierte Knochensplitter, verfaulte Haut und abgestorbene Zehen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lehnten immer mehr gesellschaftliche Bewegungen das Füßebinden ab, ab 1911 verbot die Republik China die Praxis, die sich mit abnehmender Tendenz trotzdem noch lange hielt und erst 1949 unter Mao Zedung endgültig verboten wurde. Plötzlich galten die zuvor bewunderten Frauen als Huren, wurden geächtet und manchmal gezwungen, ihre Füße wieder aufbrechen zu lassen.
Heute leben immer noch ältere Frauen mit gebundenen Füßen in China. Die letzte Fabrik, die Spezialschuhe für abgebundene Füße herstellte, schloss 1988.
Der Leser dieser Graphic Novel erlebt in eindringlichen Bildern die wesentlichen Stationen von Chunxius Leben mit.
Ich finde es höchst beeindruckend, wie Li Kunwu mit dieser Geschichte an das Schicksal seines Kindermädchens erinnert und damit gleichzeitig das Leiden unzähliger Mädchen und Frauen uns, die wir weitab leben, drastisch vor Augen führt. Die Dialoge wirken authentisch, die durchgehend schwarzweißen Zeichnungen sind von großer Intensität und vermitteln einen guten Einblick in die chinesische Kultur, in diese für uns so fremde Welt. Gleichzeitig zeigt die Novel den politischen und gesellschaftlichen Wandel im China des 20. Jahrhunderts.