From the celebrated author of the bestselling Lazarus Project "a dazzling collection of stories ... further cementing [Hemon's] position among the finest fiction writers working in English" (GQ). The stories of Aleksandar Hemon's Love and Obstacles are united by their narrator, a young man coming of age in Communist-but-cosmopolitan Sarajevo who will leave for the United States just as his city is torn asunder. In Hemon's hands, seemingly mundane childhood experiences become daring, dramatic adventures, while unique and wrenching circumstances become a common ground that involves us all. As cohesive and impressive as any novel, the short story collection Love and Obstacles stands with the National Book Award finalist The Lazarus Project as the best work of this MacArthur Genius Award winner's career. From the author of The Book of My Lives.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2010Was der Duschvorhang erzählt
Lakonische Geschichten der Unrast: Nach seinem Romanerfolg "Lazarus" wandert der aus Bosnien stammende Schriftsteller Aleksandar Hemon in den Fußstapfen Joseph Conrads und erzählt vom Unbehaustsein im amerikanischen Exil.
Es war eine vollkommene afrikanische Nacht, wie bei Joseph Conrad: Die Luft war teigig und reglos vor Feuchtigkeit ..." Für seinen neuen Erzählband wählt der 1964 in Sarajewo geborene Aleksandar Hemon Conrads "Herz der Finsternis" als narrativen point of departure. Nicht zufällig: Mit gut zwanzig kam Hemon 1992 als Stipendiat nach Chicago, nach Ausbruch des Bosnien-Krieges blieb er als Exilant in der windigen Stadt am Michigansee, ein translated man, dem ähnlich seinem großen aus Polen stammenden Vorbild die englische - besser die amerikanische - Sprache mehr als eine vorübergehende Zuflucht bot.
In acht Erzählungen begleiten wir Hemons literarisches Alter Ego durch zahlreiche Stationen der Unbehaustheit. Alles beginnt 1983 im Kongo, wo der sechzehnjährige Erzähler mit Conrad unterm Arm seinen Vater, einen subalternen jugoslawischen Diplomaten, besucht und fasziniert ist von einem gewissen Spinelli, einem philosophierenden Lebemann und Abenteurer. In einer anderen Geschichte wird eine Hamsterreise im Vorkriegsjugoslawien - es geht um eine aus einer weit entfernten Stadt zu erstehende Tiefkühltruhe - zum enttäuschenden Initiationserlebnis auf dem Weg ins Erwachsenwerden, und in Chicago treffen wir den Erzähler wieder, als Flüchtling, dessen Einzimmerwohnung mit zerschlissener Matratze und stockfleckigem Duschvorhang einem "Mahnmal für die Mühsal des Immigrantenlebens" gleicht.
Zwischen der alten und der neuen Welt geht es hin und her, Kindheitserinnerungen an die Zeit, als der bosnische Junge in unzähligen Spielplatzkriegen den amerikanischen Elitesoldaten mimt, und Begegnungen im Sarajewo von heute, wo sich der aus Chicago angereiste Exilschriftsteller auf Heimaturlaub im bescheidenen Wohnzimmer seiner Eltern gemeinsam mit einem Pulitzerpreisträger eine tonlose Nachrichtensendung über den Irak-Krieg anschaut. Jahre später wird er bei einer Lesung seines prominenten amerikanischen Kollegen diese Szenerie in dessen Roman wiedererkennen. Die Grenzen zwischen gestern und heute, Erzähltem und Erlebtem, Tragödie und Komödie, Sarajewo und dem Mittleren Westen lösen sich auf - während der Krieg in Bosnien tobt, versucht der Erzähler in Chicago mit dem Verkauf von Zeitschriftenabos an der Haustür sein Überleben zu sichern und wird dabei Zeuge so mancher amerikanischen Tragödie.
Aleksandar Hemons Roman "Lazarus" wurde im vergangenen Jahr auch in Deutschland begeistert aufgenommen. Wie der Roman erzählt der neue Band in brillanter Lakonik Geschichten der Unrast, des ewigen Exils, Melancholisch-Bitteres über die Aberwitzigkeit der Existenz und den Versuch, "unsere flüchtige Präsenz in der Welt" mittels der Literatur zu bestätigen und zu begreifen.
So sehr seinen Helden in der ungeliebten neuen Heimat der american way of life auf die Nerven geht - College-Football und fehlende Straßencafés, der Puritanismus und der koffeinfreie Kaffee, die Sitte, Verabredungen Wochen im Voraus treffen zu müssen, oder die Jesus-Freaks - so sehr bewundern sie die Demokratie, den amerikanischen Traum und die englische Sprache, in der eben auch Conrad, Hemingway und die Rockballaden-Dichter schrieben. Die Fremde ist kein "Stairway to Heaven", doch sie liefert ganz im Sinne Buddhas "noble Weisheiten des Leidens". Hemon macht daraus schöne Geschichten.
SABINE BERKING
Aleksandar Hemon: "Liebe und Hindernisse". Stories. Aus dem Englischen übersetzt von Rudolf Hermstein. Albrecht Knaus Verlag, München 2010. 256 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lakonische Geschichten der Unrast: Nach seinem Romanerfolg "Lazarus" wandert der aus Bosnien stammende Schriftsteller Aleksandar Hemon in den Fußstapfen Joseph Conrads und erzählt vom Unbehaustsein im amerikanischen Exil.
Es war eine vollkommene afrikanische Nacht, wie bei Joseph Conrad: Die Luft war teigig und reglos vor Feuchtigkeit ..." Für seinen neuen Erzählband wählt der 1964 in Sarajewo geborene Aleksandar Hemon Conrads "Herz der Finsternis" als narrativen point of departure. Nicht zufällig: Mit gut zwanzig kam Hemon 1992 als Stipendiat nach Chicago, nach Ausbruch des Bosnien-Krieges blieb er als Exilant in der windigen Stadt am Michigansee, ein translated man, dem ähnlich seinem großen aus Polen stammenden Vorbild die englische - besser die amerikanische - Sprache mehr als eine vorübergehende Zuflucht bot.
In acht Erzählungen begleiten wir Hemons literarisches Alter Ego durch zahlreiche Stationen der Unbehaustheit. Alles beginnt 1983 im Kongo, wo der sechzehnjährige Erzähler mit Conrad unterm Arm seinen Vater, einen subalternen jugoslawischen Diplomaten, besucht und fasziniert ist von einem gewissen Spinelli, einem philosophierenden Lebemann und Abenteurer. In einer anderen Geschichte wird eine Hamsterreise im Vorkriegsjugoslawien - es geht um eine aus einer weit entfernten Stadt zu erstehende Tiefkühltruhe - zum enttäuschenden Initiationserlebnis auf dem Weg ins Erwachsenwerden, und in Chicago treffen wir den Erzähler wieder, als Flüchtling, dessen Einzimmerwohnung mit zerschlissener Matratze und stockfleckigem Duschvorhang einem "Mahnmal für die Mühsal des Immigrantenlebens" gleicht.
Zwischen der alten und der neuen Welt geht es hin und her, Kindheitserinnerungen an die Zeit, als der bosnische Junge in unzähligen Spielplatzkriegen den amerikanischen Elitesoldaten mimt, und Begegnungen im Sarajewo von heute, wo sich der aus Chicago angereiste Exilschriftsteller auf Heimaturlaub im bescheidenen Wohnzimmer seiner Eltern gemeinsam mit einem Pulitzerpreisträger eine tonlose Nachrichtensendung über den Irak-Krieg anschaut. Jahre später wird er bei einer Lesung seines prominenten amerikanischen Kollegen diese Szenerie in dessen Roman wiedererkennen. Die Grenzen zwischen gestern und heute, Erzähltem und Erlebtem, Tragödie und Komödie, Sarajewo und dem Mittleren Westen lösen sich auf - während der Krieg in Bosnien tobt, versucht der Erzähler in Chicago mit dem Verkauf von Zeitschriftenabos an der Haustür sein Überleben zu sichern und wird dabei Zeuge so mancher amerikanischen Tragödie.
Aleksandar Hemons Roman "Lazarus" wurde im vergangenen Jahr auch in Deutschland begeistert aufgenommen. Wie der Roman erzählt der neue Band in brillanter Lakonik Geschichten der Unrast, des ewigen Exils, Melancholisch-Bitteres über die Aberwitzigkeit der Existenz und den Versuch, "unsere flüchtige Präsenz in der Welt" mittels der Literatur zu bestätigen und zu begreifen.
So sehr seinen Helden in der ungeliebten neuen Heimat der american way of life auf die Nerven geht - College-Football und fehlende Straßencafés, der Puritanismus und der koffeinfreie Kaffee, die Sitte, Verabredungen Wochen im Voraus treffen zu müssen, oder die Jesus-Freaks - so sehr bewundern sie die Demokratie, den amerikanischen Traum und die englische Sprache, in der eben auch Conrad, Hemingway und die Rockballaden-Dichter schrieben. Die Fremde ist kein "Stairway to Heaven", doch sie liefert ganz im Sinne Buddhas "noble Weisheiten des Leidens". Hemon macht daraus schöne Geschichten.
SABINE BERKING
Aleksandar Hemon: "Liebe und Hindernisse". Stories. Aus dem Englischen übersetzt von Rudolf Hermstein. Albrecht Knaus Verlag, München 2010. 256 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.10.2010Wegwerfen, verschenken und mitnehmen
Aleksandar Hemon wühlt in der doppelbödigen Rumpelkammer seiner bosnischen Herkunft
„Meine Geschichte ist langweilig“, bekennt ein literarisches Alter Ego Aleksandar Hemons in der Erzählung „Der Dirigent“: „Ich war nicht in Sarajevo, als der Krieg begann.“ Das gilt auch für den 1964 dort geborenen Autor selbst, und obwohl er seit bald zwanzig Jahren in den USA lebt, scheint diese versäumte Erfahrung noch immer die Achse zu bilden, um die sein Werk kreist. Nach „Nowhere Man“ (2000), dem Erzählungsband „Die Sache mit Bruno“ (2003) und dem Roman „Lazarus“ (2009) bewegen sich auch die Geschichten seines jüngsten Bandes im Rahmen der eigenen, frei gestalteten Vorgeschichte: Kindheit und Jugend in Sarajevo als Sohn eines subalternen Diplomaten, was auch einen Abstecher nach Afrika mit sich bringt; dann die Übersiedlung nach Amerika, wo sich der erfolglose Junglyriker zum Prosaautor auswächst, der keinen Vergleich fürchtet.
Doch je enger und länger Aleksandar Hemon seine eigene Biographie umkreist, desto mehr wird sie zum Kunstprodukt, das auch die eigenen Ambitionen ironisiert. Der jugendliche Held der Geschichte „Alles“ bringt von einer Reise statt der erhofften Liebeserfahrungen nur die bestellte Tiefkühltruhe heim – und ein Gedicht, das Hemons Erzählungsband seinen Titel gibt: „Wände sind zwischen der Welt und mir / und ich muss durch sie hindurch“, lauten dessen erste Zeilen, die zeigen, dass aller Anfang schwer ist.
In der ersten Erzählung „Stairway to Heaven, die ironisch nach den Sternen der Literaturgeschichte greift, wird der sechzehnjährige Ich-Erzähler von einem zwergenhaften Cicerone durch die Diplomaten- und Eingeborenenghettos von Kinshasa geführt und bekommt eine Erkenntnis mit auf den Weg: „Diese Menschen hätten im Gegensatz zu uns keine abstrakte Vorstellung vom Bösen, sagte Spinelli. Für sie sei es schwarze Magie, die von einem bestimmten Menschen ausgehe; um sich von dem bösen Zauber zu befreien, beseitige man einfach den Typ.“ In einer anderen Geschichte berichtet der Erzähler einer angehenden Filmemacherin, wie er als Kind dieses Prinzip beinahe umgesetzt hätte. „Ein amerikanischer Elitesoldat“ habe er sein wollen und mit seiner Bande versucht, einen verwilderten Garten gegen einen Bautrupp zu verteidigen. Nach und nach sei der Konflikt eskaliert, und nur durch ihr Ungeschick hätten Neubau und Nachtwächter ihren Brandanschlag überlebt.
Man könnte dies, wie auch die spannungsreiche Atmosphäre in einem bosnischen Zugabteil, die Hemon in „Alles“ beschreibt, als Vorgeplänkel des Bürgerkriegs sehen, als Vorahnungen einer latenten Gewalt, nach deren Ausbruch man keine Gefangenen machen wird. Und man darf vermuten, dass Hemons Karriere als Autor aus Sarajevo von solchen Kurzschlüssen profitiert hat.
Bevor sich der Erzähler gegenüber seiner Interviewerin als einstiger Möchtegern-Soldat darstellt, hat er jedoch erzählt, wie er als Schüler den Tafeldienst geliebt habe. Das Auswaschen des Schwamms habe ihm erlaubt, während des Unterrichts durch die leeren Gänge zu gehen, wo hinter geschlossenen Türen das „Gemurmel fügsamer Kinder“ erklang: „Besonders freute mich ihre Ahnungslosigkeit. Niemand wusste, dass ich da draußen stand, mein eigener Herr war und zuhörte. Sie konnten mich nicht sehen, aber ich konnte alles hören. Sie waren drinnen, und ich war draußen.“
Das ist ein kafkaeskes Bild für die Rolle des Autors als privilegierter Außenseiter zwischen den Türen, hinter denen sich das Leben der anderen abspielt. Und darin liegt auch die Selbstironie eines Schriftstellers, der beim Ausbruch des Bürgerkriegs gerade „draußen“ war und nun zum Protagonisten eines Filmprojektes geworden ist „über mein Leben und meine Entwurzelung, über meinen Verlust und meine Verwandlung, meine komplizierten Identifikationen“.
„Meine sämtlichen Identitäten stehen Ihnen zur Verfügung“, sagt er „gewitzt“ und offenbart doch nur seine Naivität. Bald nämlich muss er feststellen, dass nicht nur er an verschlossenen Türen gelauscht hat. Denn die Filmemacherin hat auch seine Eltern befragt und so Dinge erfahren, die er selbst nie geahnt hatte. Das schmerzt. War er doch der Überzeugung „der einzige professionelle Geschichtenerzähler in unserer Familie“ zu sein.
Ganz nebenbei stellt die bosnische Identitätsforscherin auch ihre eigene Rolle in Frage. Als sie nach dem Krieg wieder in Sarajevo gewesen sei, habe sie die Wohnung ihrer Eltern ausräumen müssen und drei Haufen gemacht – Sachen zum Verschenken, zum Wegwerfen und zum Mitnehmen: „Die New Yorker Sachen passten in einen einzigen Koffer. Als ich wieder zu Hause war, hab ich den Koffer in eine Rumpelkammer gestellt. Bis jetzt habe ich ihn noch nicht aufgemacht.“ Identität ist etwas anderes, und nach dieser Einsicht könnte sie eigentlich die Kamera einpacken, doch Hemons Alter Ego lässt sich hier nicht stoppen, wühlt hartnäckig in der Rumpelkammer eigener Erinnerungen und schwingt sich zu der pathetischen Behauptung auf: „Ja, aber für uns war der Krieg etwas Erhebendes, die hochgradig gefährdete Freiheit, die absolute Gerechtigkeit unserer Sache – wir haben das alles geliebt.“
Man muss noch einmal betonen, dass es hier um die Verteidigung eines Spielplatzes geht, dessen Heroen im Alltag „brave Kinder“ sind. Biographie wird zur Parodie auch auf das aktuelle Identitäts-Business. Als Kind, als Autor und als Darsteller seiner selbst erscheint der Erzähler in eine Erzählung verstrickt, die er für sein Leben hält, während seine Interviewerin von seiner Leistung als darstellender Künstler noch nicht recht überzeugt ist. Ob er nicht noch etwas in „diesem Kaugummi-Amerikanisch“ sagen könne, das er sich als Kind ausgedacht habe? Und es wäre nett, wenn er in dem Film Amerikanisch und Bosnisch spräche. Natürlich tut ihr der Erzähler den Gefallen, und so endet die Erzählung in einem grotesken Kauderwelsch.
Nie kommt der Bosnier so authentisch rüber wie da, wo er den Amerikaner zu mimen versucht. Und nie schreibt Aleksandar Hemon doppelbödiger als dort, wo er ganz einfach nach dem Leben zu schreiben scheint.
ULRICH BARON
ALEKSANDAR HEMON: Liebe und Hindernisse. Stories. Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein. Knaus Verlag, München 2010. 255 Seiten, 17,95 Euro.
„Meine sämtlichen Identitäten
stehen Ihnen zur Verfügung“
Lebt seit bald zwanzig Jahren in den USA: Aleksandar Hemon. Foto: laif
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Aleksandar Hemon wühlt in der doppelbödigen Rumpelkammer seiner bosnischen Herkunft
„Meine Geschichte ist langweilig“, bekennt ein literarisches Alter Ego Aleksandar Hemons in der Erzählung „Der Dirigent“: „Ich war nicht in Sarajevo, als der Krieg begann.“ Das gilt auch für den 1964 dort geborenen Autor selbst, und obwohl er seit bald zwanzig Jahren in den USA lebt, scheint diese versäumte Erfahrung noch immer die Achse zu bilden, um die sein Werk kreist. Nach „Nowhere Man“ (2000), dem Erzählungsband „Die Sache mit Bruno“ (2003) und dem Roman „Lazarus“ (2009) bewegen sich auch die Geschichten seines jüngsten Bandes im Rahmen der eigenen, frei gestalteten Vorgeschichte: Kindheit und Jugend in Sarajevo als Sohn eines subalternen Diplomaten, was auch einen Abstecher nach Afrika mit sich bringt; dann die Übersiedlung nach Amerika, wo sich der erfolglose Junglyriker zum Prosaautor auswächst, der keinen Vergleich fürchtet.
Doch je enger und länger Aleksandar Hemon seine eigene Biographie umkreist, desto mehr wird sie zum Kunstprodukt, das auch die eigenen Ambitionen ironisiert. Der jugendliche Held der Geschichte „Alles“ bringt von einer Reise statt der erhofften Liebeserfahrungen nur die bestellte Tiefkühltruhe heim – und ein Gedicht, das Hemons Erzählungsband seinen Titel gibt: „Wände sind zwischen der Welt und mir / und ich muss durch sie hindurch“, lauten dessen erste Zeilen, die zeigen, dass aller Anfang schwer ist.
In der ersten Erzählung „Stairway to Heaven, die ironisch nach den Sternen der Literaturgeschichte greift, wird der sechzehnjährige Ich-Erzähler von einem zwergenhaften Cicerone durch die Diplomaten- und Eingeborenenghettos von Kinshasa geführt und bekommt eine Erkenntnis mit auf den Weg: „Diese Menschen hätten im Gegensatz zu uns keine abstrakte Vorstellung vom Bösen, sagte Spinelli. Für sie sei es schwarze Magie, die von einem bestimmten Menschen ausgehe; um sich von dem bösen Zauber zu befreien, beseitige man einfach den Typ.“ In einer anderen Geschichte berichtet der Erzähler einer angehenden Filmemacherin, wie er als Kind dieses Prinzip beinahe umgesetzt hätte. „Ein amerikanischer Elitesoldat“ habe er sein wollen und mit seiner Bande versucht, einen verwilderten Garten gegen einen Bautrupp zu verteidigen. Nach und nach sei der Konflikt eskaliert, und nur durch ihr Ungeschick hätten Neubau und Nachtwächter ihren Brandanschlag überlebt.
Man könnte dies, wie auch die spannungsreiche Atmosphäre in einem bosnischen Zugabteil, die Hemon in „Alles“ beschreibt, als Vorgeplänkel des Bürgerkriegs sehen, als Vorahnungen einer latenten Gewalt, nach deren Ausbruch man keine Gefangenen machen wird. Und man darf vermuten, dass Hemons Karriere als Autor aus Sarajevo von solchen Kurzschlüssen profitiert hat.
Bevor sich der Erzähler gegenüber seiner Interviewerin als einstiger Möchtegern-Soldat darstellt, hat er jedoch erzählt, wie er als Schüler den Tafeldienst geliebt habe. Das Auswaschen des Schwamms habe ihm erlaubt, während des Unterrichts durch die leeren Gänge zu gehen, wo hinter geschlossenen Türen das „Gemurmel fügsamer Kinder“ erklang: „Besonders freute mich ihre Ahnungslosigkeit. Niemand wusste, dass ich da draußen stand, mein eigener Herr war und zuhörte. Sie konnten mich nicht sehen, aber ich konnte alles hören. Sie waren drinnen, und ich war draußen.“
Das ist ein kafkaeskes Bild für die Rolle des Autors als privilegierter Außenseiter zwischen den Türen, hinter denen sich das Leben der anderen abspielt. Und darin liegt auch die Selbstironie eines Schriftstellers, der beim Ausbruch des Bürgerkriegs gerade „draußen“ war und nun zum Protagonisten eines Filmprojektes geworden ist „über mein Leben und meine Entwurzelung, über meinen Verlust und meine Verwandlung, meine komplizierten Identifikationen“.
„Meine sämtlichen Identitäten stehen Ihnen zur Verfügung“, sagt er „gewitzt“ und offenbart doch nur seine Naivität. Bald nämlich muss er feststellen, dass nicht nur er an verschlossenen Türen gelauscht hat. Denn die Filmemacherin hat auch seine Eltern befragt und so Dinge erfahren, die er selbst nie geahnt hatte. Das schmerzt. War er doch der Überzeugung „der einzige professionelle Geschichtenerzähler in unserer Familie“ zu sein.
Ganz nebenbei stellt die bosnische Identitätsforscherin auch ihre eigene Rolle in Frage. Als sie nach dem Krieg wieder in Sarajevo gewesen sei, habe sie die Wohnung ihrer Eltern ausräumen müssen und drei Haufen gemacht – Sachen zum Verschenken, zum Wegwerfen und zum Mitnehmen: „Die New Yorker Sachen passten in einen einzigen Koffer. Als ich wieder zu Hause war, hab ich den Koffer in eine Rumpelkammer gestellt. Bis jetzt habe ich ihn noch nicht aufgemacht.“ Identität ist etwas anderes, und nach dieser Einsicht könnte sie eigentlich die Kamera einpacken, doch Hemons Alter Ego lässt sich hier nicht stoppen, wühlt hartnäckig in der Rumpelkammer eigener Erinnerungen und schwingt sich zu der pathetischen Behauptung auf: „Ja, aber für uns war der Krieg etwas Erhebendes, die hochgradig gefährdete Freiheit, die absolute Gerechtigkeit unserer Sache – wir haben das alles geliebt.“
Man muss noch einmal betonen, dass es hier um die Verteidigung eines Spielplatzes geht, dessen Heroen im Alltag „brave Kinder“ sind. Biographie wird zur Parodie auch auf das aktuelle Identitäts-Business. Als Kind, als Autor und als Darsteller seiner selbst erscheint der Erzähler in eine Erzählung verstrickt, die er für sein Leben hält, während seine Interviewerin von seiner Leistung als darstellender Künstler noch nicht recht überzeugt ist. Ob er nicht noch etwas in „diesem Kaugummi-Amerikanisch“ sagen könne, das er sich als Kind ausgedacht habe? Und es wäre nett, wenn er in dem Film Amerikanisch und Bosnisch spräche. Natürlich tut ihr der Erzähler den Gefallen, und so endet die Erzählung in einem grotesken Kauderwelsch.
Nie kommt der Bosnier so authentisch rüber wie da, wo er den Amerikaner zu mimen versucht. Und nie schreibt Aleksandar Hemon doppelbödiger als dort, wo er ganz einfach nach dem Leben zu schreiben scheint.
ULRICH BARON
ALEKSANDAR HEMON: Liebe und Hindernisse. Stories. Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein. Knaus Verlag, München 2010. 255 Seiten, 17,95 Euro.
„Meine sämtlichen Identitäten
stehen Ihnen zur Verfügung“
Lebt seit bald zwanzig Jahren in den USA: Aleksandar Hemon. Foto: laif
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If there is a more inspired writer of fiction than Aleksandar Hemon currently at work in English, I haven't read him. Startlingly fresh and original . . . Read and rejoice GQ