Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2010Erkenne die Möglichkeiten
Lähmende Brutalität der Enttäuschung: In seinem neuen Roman "Liebe und Sommer" zeigt sich William Trevor erneut als großer Beschwörer melancholischer Stimmungen.
Von Mara Delius
Es ist ein Juniabend Ende der fünfziger Jahre in einer Welt, in der Frauen in geblümten Kleidern ihre Einkäufe erledigen, in efeuumrankten Häuschen das Essen vorbereiten und warten, bis ihre Männer zurückkommen, müde und sonnenverbrannt vom Feld oder betrunken und schlechtlaunig, der Tweedanzug verkrumpelt, weil beim Hunderennen wieder der Falsche gewonnen hat. Jeder wartet, die einen auf bessere Ernte oder den nächsten Whisky, die anderen darauf, dass etwas passiert, was sie aus der Eintönigkeit erlöst. In Rathmoye ist nicht viel los.
Wenn ein Buch auf Szenen baut, in denen Paare engumschlungen Lavendelwiesen verlassen, während Dorfpriester Missionsbroschüren verteilen, Handlungsreisende misstrauisch Netzgardinen beiseiteschieben und Schafe auf üppigen Weiden grasen, wenn dieses Buch dann noch ein irisches ist, das "Liebe und Sommer" heißt, dann will man vermuten, es sei der literarische Abdruck des Bilds vom Iren, der mit Grashalm zwischen den Zähnen über holprige Kopfsteinpflaster zur Beichte radelt: weite Natur, enger Katholizismus, das Ganze parfümiert mit dem schweren Duft irgendeines Skandals.
William Trevors neuer Roman zeichnet so eine Welt. Dass er trotzdem nichts Postkartiges oder Butterreklamehaftes hat, liegt an der Macht, die der Autor den Dingen in ihr zuschreibt. Sein Roman ist, abstrakt betrachtet, Dingprosa, konkret, eine Liebesgeschichte, in der die Staffelung der Szenen, dem Licht, dem Wetter, der Landschaft, so viel sagt wie die Handlung selbst, die die kurze Affäre eines Sommers zwischen Ellie und Florian schildert, in der irischen Provinz.
Es ist ein Juniabend wie jeder andere, als Ellie über die staubige Landstraße zurück nach Hause läuft, um auf den wortkargen Dillahan zu warten, der sie vielleicht nicht liebt, aber für sie sorgt. Als Ehefrau hat sie sich inzwischen an alles gewöhnt, bis auf das gemeinsame Bett. Ellie denkt an die Hände des jungen Mannes, der im Dorf Fotos gemacht hatte und von dem die Leute sagten, er lebe seit kurzem allein auf dem verwitterten Landsitz. Unstet sei er, dieser Florian, ein Künstler wohl, der durch die Gegend zieht, er höre Schubert und lese Fitzgerald, und wozu überhaupt dieses Fotografieren, er wisse wohl nicht, was er eigentlich suche hier in Rathmoye. Es kommt, wie es kommen muss, doch beide spüren, dass Liebe und Leidenschaft kippen werden und nichts bleiben wird als die träge Enge, der sie entkommen wollten, die nur noch schaler sein wird, wenn auch diese Erfahrung hinter ihnen liegen wird: "Die Weisheit der Zeit würde sie beide strafen."
Der 1928 geborene Trevor, ein Ire, der seit sechzig Jahren in England lebt, fünfmal für den Booker-Preis nominiert wurde und dreimal den Whitbread-Preis gewonnen hat, gilt der englischen Kritik als ein "Meister der Andeutung und leisen Töne". In "Liebe und Sommer" treffen diese Floskeln nicht: Trevor entwirft Szenen, kleidet sie aus und lässt dabei die Details der Affäre von Ellie und Florian in der Schwebe, nur um auf einmal in harten, klaren Sätzen wie mit einem Paukenschlag alles vorher Angedeutete auf einen Punkt zu richten, nämlich den, welche Hoffnungen der Einzelne haben kann auf das Glück, wie sie enttäuscht werden von anderen, und wie aus einem Zustand voller leichter Erwartungen einer voll schwerer Gewissheit werden kann: "Er brauchte sich nicht zu beeilen. Er lebte allein. Dinge enden." Das Leben wird weitergehen, genauso wie es tagein, tagaus in der Lokalzeitung steht: "Ein Autofahrer war unter Verdacht der Trunkenheit festgenommen worden. Bei Toomyvara war man auf Erzvorkommen gestoßen. Mutterschafe erzielten Spitzenpreise."
Manchmal könnte man meinen, Trevor ruhe sich aus auf seinen Beschreibungen der Monotonie. Aber in der äußeren Ruhe liegt keine Betulichkeit, sondern die lähmende Brutalität der Enttäuschung. Trevors Prosa erzeugt nicht die geballte Energie, die noch die vitalistische Literatur eines D. H. Lawrence hatte, und auch nicht die mahlende Ängstlichkeit, die aus der Verklemmtheit in Werken wie Ian McEwans "Am Strand" spricht. Trevor schafft Figuren, die Wartende sind: Auch wenn Ellie sich wünscht, dass ihre Erlebnisse und Gefühle für immer eine Spur in ihr hinterlassen, "ein Zucken, ein Zittern, einen Teil ihrer Wut", was bleibt, ist nur "eine Stille, der sie sich zugehörig fühlte".
Man kann "Liebe und Sommer" für trivial halten, für die übliche Geschichte über das Enttäuschtwerden, umrankt von blumiger Irenromantik, aber das hieße, die Kunst Trevors völlig zu unterschätzen: aus der Einfachheit eine Klarheit über die Existenz zu ziehen, durch schlichte Bilder, die vielleicht nicht viel mehr sagen, als dass es um das Suchen und um das Sehen von Möglichkeiten geht, genau wie auf den Bildern, die der Fotograf Florian von seiner Umgebung macht, ohne recht zu wissen, warum. Trevors Prosa verstrickt sich bei diesen Szenerien manchmal in sich selbst, und die Klarheit bekommt eine überspannte Umständlichkeit, wie es oft geschieht bei Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche: "Ein Hauch von Eleganz wurde von der bequemen Schlotterigkeit seines Anzugs Lügen gestraft." Doch trotz solcher holpriger Stellen ergibt sich am Ende des Buches aus den fast impressionistisch getüpfelten Szenen eine Gesamtaufnahme über Erwartungen, die selten die eigenen sind, sondern meist die von anderen.
In der Luft hängt die Kälte des Herbstmorgens, das Meer vor der Küste ist still, das Tuckern der Motoren das einzige Geräusch: Florian verlässt Ellie. "Er starrt so lange, bis kein Land mehr in Sicht ist und nur noch das Sonnenlicht auf den Wellen tanzt. Du weißt, woran du dich erinnnern wirst, denkt er." Selbst wenn die Flucht gelingt, ist es unmöglich, vor sich selbst zu fliehen und vor der eigenen Enttäuschung. Dass diese Einsicht weder banal noch lehrmeisterhaft klingt, sondern sich als einfache Tatsache offenbart, das ist das Verdienst der Trevorschen Dingprosa mit ihren staubigen Straßen, den Feldern, dem Wind und der Sonne.
William Trevor: "Liebe und Sommer". Roman. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Verlag Hoffman und Campe, Hamburg 2009. 224 S., geb., 20,- [Euro].
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Lähmende Brutalität der Enttäuschung: In seinem neuen Roman "Liebe und Sommer" zeigt sich William Trevor erneut als großer Beschwörer melancholischer Stimmungen.
Von Mara Delius
Es ist ein Juniabend Ende der fünfziger Jahre in einer Welt, in der Frauen in geblümten Kleidern ihre Einkäufe erledigen, in efeuumrankten Häuschen das Essen vorbereiten und warten, bis ihre Männer zurückkommen, müde und sonnenverbrannt vom Feld oder betrunken und schlechtlaunig, der Tweedanzug verkrumpelt, weil beim Hunderennen wieder der Falsche gewonnen hat. Jeder wartet, die einen auf bessere Ernte oder den nächsten Whisky, die anderen darauf, dass etwas passiert, was sie aus der Eintönigkeit erlöst. In Rathmoye ist nicht viel los.
Wenn ein Buch auf Szenen baut, in denen Paare engumschlungen Lavendelwiesen verlassen, während Dorfpriester Missionsbroschüren verteilen, Handlungsreisende misstrauisch Netzgardinen beiseiteschieben und Schafe auf üppigen Weiden grasen, wenn dieses Buch dann noch ein irisches ist, das "Liebe und Sommer" heißt, dann will man vermuten, es sei der literarische Abdruck des Bilds vom Iren, der mit Grashalm zwischen den Zähnen über holprige Kopfsteinpflaster zur Beichte radelt: weite Natur, enger Katholizismus, das Ganze parfümiert mit dem schweren Duft irgendeines Skandals.
William Trevors neuer Roman zeichnet so eine Welt. Dass er trotzdem nichts Postkartiges oder Butterreklamehaftes hat, liegt an der Macht, die der Autor den Dingen in ihr zuschreibt. Sein Roman ist, abstrakt betrachtet, Dingprosa, konkret, eine Liebesgeschichte, in der die Staffelung der Szenen, dem Licht, dem Wetter, der Landschaft, so viel sagt wie die Handlung selbst, die die kurze Affäre eines Sommers zwischen Ellie und Florian schildert, in der irischen Provinz.
Es ist ein Juniabend wie jeder andere, als Ellie über die staubige Landstraße zurück nach Hause läuft, um auf den wortkargen Dillahan zu warten, der sie vielleicht nicht liebt, aber für sie sorgt. Als Ehefrau hat sie sich inzwischen an alles gewöhnt, bis auf das gemeinsame Bett. Ellie denkt an die Hände des jungen Mannes, der im Dorf Fotos gemacht hatte und von dem die Leute sagten, er lebe seit kurzem allein auf dem verwitterten Landsitz. Unstet sei er, dieser Florian, ein Künstler wohl, der durch die Gegend zieht, er höre Schubert und lese Fitzgerald, und wozu überhaupt dieses Fotografieren, er wisse wohl nicht, was er eigentlich suche hier in Rathmoye. Es kommt, wie es kommen muss, doch beide spüren, dass Liebe und Leidenschaft kippen werden und nichts bleiben wird als die träge Enge, der sie entkommen wollten, die nur noch schaler sein wird, wenn auch diese Erfahrung hinter ihnen liegen wird: "Die Weisheit der Zeit würde sie beide strafen."
Der 1928 geborene Trevor, ein Ire, der seit sechzig Jahren in England lebt, fünfmal für den Booker-Preis nominiert wurde und dreimal den Whitbread-Preis gewonnen hat, gilt der englischen Kritik als ein "Meister der Andeutung und leisen Töne". In "Liebe und Sommer" treffen diese Floskeln nicht: Trevor entwirft Szenen, kleidet sie aus und lässt dabei die Details der Affäre von Ellie und Florian in der Schwebe, nur um auf einmal in harten, klaren Sätzen wie mit einem Paukenschlag alles vorher Angedeutete auf einen Punkt zu richten, nämlich den, welche Hoffnungen der Einzelne haben kann auf das Glück, wie sie enttäuscht werden von anderen, und wie aus einem Zustand voller leichter Erwartungen einer voll schwerer Gewissheit werden kann: "Er brauchte sich nicht zu beeilen. Er lebte allein. Dinge enden." Das Leben wird weitergehen, genauso wie es tagein, tagaus in der Lokalzeitung steht: "Ein Autofahrer war unter Verdacht der Trunkenheit festgenommen worden. Bei Toomyvara war man auf Erzvorkommen gestoßen. Mutterschafe erzielten Spitzenpreise."
Manchmal könnte man meinen, Trevor ruhe sich aus auf seinen Beschreibungen der Monotonie. Aber in der äußeren Ruhe liegt keine Betulichkeit, sondern die lähmende Brutalität der Enttäuschung. Trevors Prosa erzeugt nicht die geballte Energie, die noch die vitalistische Literatur eines D. H. Lawrence hatte, und auch nicht die mahlende Ängstlichkeit, die aus der Verklemmtheit in Werken wie Ian McEwans "Am Strand" spricht. Trevor schafft Figuren, die Wartende sind: Auch wenn Ellie sich wünscht, dass ihre Erlebnisse und Gefühle für immer eine Spur in ihr hinterlassen, "ein Zucken, ein Zittern, einen Teil ihrer Wut", was bleibt, ist nur "eine Stille, der sie sich zugehörig fühlte".
Man kann "Liebe und Sommer" für trivial halten, für die übliche Geschichte über das Enttäuschtwerden, umrankt von blumiger Irenromantik, aber das hieße, die Kunst Trevors völlig zu unterschätzen: aus der Einfachheit eine Klarheit über die Existenz zu ziehen, durch schlichte Bilder, die vielleicht nicht viel mehr sagen, als dass es um das Suchen und um das Sehen von Möglichkeiten geht, genau wie auf den Bildern, die der Fotograf Florian von seiner Umgebung macht, ohne recht zu wissen, warum. Trevors Prosa verstrickt sich bei diesen Szenerien manchmal in sich selbst, und die Klarheit bekommt eine überspannte Umständlichkeit, wie es oft geschieht bei Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche: "Ein Hauch von Eleganz wurde von der bequemen Schlotterigkeit seines Anzugs Lügen gestraft." Doch trotz solcher holpriger Stellen ergibt sich am Ende des Buches aus den fast impressionistisch getüpfelten Szenen eine Gesamtaufnahme über Erwartungen, die selten die eigenen sind, sondern meist die von anderen.
In der Luft hängt die Kälte des Herbstmorgens, das Meer vor der Küste ist still, das Tuckern der Motoren das einzige Geräusch: Florian verlässt Ellie. "Er starrt so lange, bis kein Land mehr in Sicht ist und nur noch das Sonnenlicht auf den Wellen tanzt. Du weißt, woran du dich erinnnern wirst, denkt er." Selbst wenn die Flucht gelingt, ist es unmöglich, vor sich selbst zu fliehen und vor der eigenen Enttäuschung. Dass diese Einsicht weder banal noch lehrmeisterhaft klingt, sondern sich als einfache Tatsache offenbart, das ist das Verdienst der Trevorschen Dingprosa mit ihren staubigen Straßen, den Feldern, dem Wind und der Sonne.
William Trevor: "Liebe und Sommer". Roman. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Verlag Hoffman und Campe, Hamburg 2009. 224 S., geb., 20,- [Euro].
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