Alberto Breccia ist einer der wichtigsten Künstler in der Geschichte der Comics mit einem kaum zu ermessenden Einfluss aufdie Zeichnergeneration der 70er und 80er Jahre. Seine Lovecraft-Adaptionen wirken, als kämen sie selbst aus einer anderenDimension. Was Breccia mit Strukturen, Collagen und expressivem Strich aufs Papier bannt, ist auch 50 Jahre nach seinerEntstehung überraschend und originell. Als Ergebnis entsteht eine geradezu hypnotische Qualität der Seiten. Die Einzelbilderwerden zu Rorschach-Flecken mit einer ungekannten Horror-Qualität.Alberto Breccia wurde 1992 für sein Lebenswerk mit dem Max und Moritz-Preis ausgezeichnet, jetzt endlich erscheinen im avant-verlag seine wichtigsten Titel.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Zeitlos findet Rezensent Ralph Trommer die erstmals in einem Band auf Deutsch erscheinenden Lovecraft-Adaptionen Alberto Breccias. Für ihn ist es Breccia am besten von allen Comic-Zeichnern gelungen, Lovecrafts Horror abzubilden. Eine gute Gelegenheit, meint er, den Zeichner und seine experimentelle Verfremdungstechnik - verschattete Blickwinkel, ausschnitthaftes Erzählen und Collagen - wiederzuentdecken. Alles wirkt dennoch wie aus einem Guss, versichert Trommer. Die von Norberto Buscaglia entworfenen Szenarien zu den Texten scheinen ihm aufs Wesentliche konzentriert, verweisen durch ihren starken Anteil am Ganzen aber dennoch auf die literarische Herkunft, so Trommer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2018Ein Vogelkopf, ein Auge
Der große Comic-Zeichner Alberto Breccia
macht die unheimliche Welt H. P. Lovecrafts sichtbar
VON FRITZ GÖTTLER
Es ist nicht tot, was ewig liegt, schrieb der wahnsinnige Araber, und jenseits aller Zeit wird selbst der Tod besiegt. Dieser Wahnsinnige ist der Dichter Abdul Alhazred, und er taucht zum ersten Mal auf in der „Stadt ohne Namen“ im Jahr 1921. Von da an wird er das Werk von H. P. Lovecraft regelmäßig heimsuchen, mit seinem Necronomicon, jenem unheilvollen Buch, das von den monströsen, unförmigen Wesen berichtet, die einst die Welt beherrschten, dann im Untergrund verschwanden, abseitig aber weiterexistieren und darauf warten, an ihre Herrschaft zurückzukehren, alles konzentriert in dem Kult um den ominösen Cthulhu. Alle drei – der Araber, sein Buch, der Kult – sind Elemente einer düsteren Mythologie, erfunden und immer weiterentwickelt von Lovecraft.
Der Schauder dieser Jenseitigkeit, dieser bedrohliche Schwebezustand prägt alle Erzählungen H. P. Lovecrafts. Abdul und sein Buch sind ihr Zentrum, schemenhaft und unzugänglich. Sie erzählen von den wenigen Menschen, die auf Exkursionen in ferne Regionen und verwinkelte Höhlen auf die Hinterlassenschaft dieser Rasse oder einige Überlebenden stoßen: groteske Objekte, unförmige Wesen, die ein schauriger Gestank umgibt. All das ist unbeschreiblich, mit nichts zu vergleichen, auf den letzten Seiten bestehen diese Erzählungen nur noch aus Ketten von Adjektiven des Unsagbaren.
Eine neue, kosmische Definition von Unheimlichkeit, ein Erzählen, das sich selber zersetzt. Die meisten Menschen enden nach diesen Begegnungen im Wahnsinn. Fünfzig Jahre nach Lovecraft hat der geniale Comic-Schöpfer Alberto Breccia versucht, das Unsagbare Lovecrafts in Bilder zu übertragen. Zwei, drei Jahre lang war er tief in diese Welt hineingetaucht.
Die Stadt ohne Namen liegt in der arabischen Wüste, ihre Gebäude sind, wie auch die Wüste selbst, von einer metallischen Leere, die nicht zum Bewohnen gemacht zu sein scheint. In ihren Gängen stößt der namenlose Held auf Holzkästen mit gläsernen Deckeln (unsere Abbildung links), sie „enthielten die mumifizierten Körper von Lebewesen, deren groteske Formen selbst die aberwitzigsten Träume des Menschen übertrafen und die sämtlichen bekannten biologischen Prinzipien widersprachen. Mit nichts ließen sie sich sinnvoll vergleichen“ (Abbildung rechts).
Später hat Lovecraft – er lebte in Providence, Rhode Island – dann die Schauplätze seiner erzählerischen Exkursionen nach Neuengland verlegt, Innsmouth oder Dunwich, ganz akkurat, mit fast fotorealistischer Genauigkeit hat er die (Klein-)Bürgerlichkeit seiner Schauplätze skizziert, die aus dem 19. Jahrhundert zu stammen scheint, die Bibliotheken und die Blockhäuser, einmal sieht man sogar durchs Fenster ein Handelsschiff.
Abseits dieser Normalität gibt es Dörfer, in denen nichts im Lot zu sein scheint, fern jeder Idylle, die Linien verlassen den Kurs der Konturen und gewinnen ein Eigenleben, die Gesichter der Menschen lösen sich in Flecken und Punkte auf. Die Begegnungen mit dem Monströsen sind Eruptionen der Unförmigkeit, der Unkenntlichkeit. Eine grobe Collagentechnik, fleckige große Flächen, in die Zacken und Fetzen hineinragen, in denen kleine Motive auftauchen, ein Vogelkopf, ein Auge.
Die Dimensionen sind erschreckend, die Bilder versuchen die Ränder des Buches zu sprengen. Breccia macht die geheimen Impulse von Lovecrafts Erzählungen sichtbar, das Schaudern vor der Mechanisierung und Technisierung der modernen Gesellschaft, vor den Energieschüben, die diese freisetzen wird. Bei Breccia, der 1919 in Montevideo geboren wurde und noch als Kind mit den Eltern nach Buenos Aires zog, kommen Erinnerungen an den Terror des argentinischen Militärregimes dazu. Er war ein Freund von Hugo Pratt, hat eine schöne Comic-Biografie von Che Guevara geschaffen und gemeinsam mit Hector Oesterheld den legendären Comic El Eternauta. Er starb 1993 in Buenos Aires.
Im letzten Bild der letzten Geschichte flieht der Held in einem alten Ford aus einem Chaos, das ihn zu verschlingen droht: „Manchmal graut es mir bei dem Gedanken daran, was mir die nächsten Jahre bringen werden, in denen nicht einmal der Tod als Befreiung dienen kann.“
Alberto Breccia: Lovecraft. Adaption der Cthulhu-Texte von Norberto Buscaglia. Aus dem Spanischen von André Höchemer. Mit einem Nachwort von Latino Imperato. Avant-Verlag, Berlin 2018. 128 Seiten, 29 Euro.
Die Begegnungen mit
dem Monströsen sind
Eruptionen der Unförmigkeit
Für Jahre ist Alberto Breccia in die Welt H. P. Lovecrafts eingetaucht: Hier findet der namenlose Held die Holzkästen mit gläsernen Deckeln (li.) und ihren Inhalt (re.).
Fotos: Avant-Verlag
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Der große Comic-Zeichner Alberto Breccia
macht die unheimliche Welt H. P. Lovecrafts sichtbar
VON FRITZ GÖTTLER
Es ist nicht tot, was ewig liegt, schrieb der wahnsinnige Araber, und jenseits aller Zeit wird selbst der Tod besiegt. Dieser Wahnsinnige ist der Dichter Abdul Alhazred, und er taucht zum ersten Mal auf in der „Stadt ohne Namen“ im Jahr 1921. Von da an wird er das Werk von H. P. Lovecraft regelmäßig heimsuchen, mit seinem Necronomicon, jenem unheilvollen Buch, das von den monströsen, unförmigen Wesen berichtet, die einst die Welt beherrschten, dann im Untergrund verschwanden, abseitig aber weiterexistieren und darauf warten, an ihre Herrschaft zurückzukehren, alles konzentriert in dem Kult um den ominösen Cthulhu. Alle drei – der Araber, sein Buch, der Kult – sind Elemente einer düsteren Mythologie, erfunden und immer weiterentwickelt von Lovecraft.
Der Schauder dieser Jenseitigkeit, dieser bedrohliche Schwebezustand prägt alle Erzählungen H. P. Lovecrafts. Abdul und sein Buch sind ihr Zentrum, schemenhaft und unzugänglich. Sie erzählen von den wenigen Menschen, die auf Exkursionen in ferne Regionen und verwinkelte Höhlen auf die Hinterlassenschaft dieser Rasse oder einige Überlebenden stoßen: groteske Objekte, unförmige Wesen, die ein schauriger Gestank umgibt. All das ist unbeschreiblich, mit nichts zu vergleichen, auf den letzten Seiten bestehen diese Erzählungen nur noch aus Ketten von Adjektiven des Unsagbaren.
Eine neue, kosmische Definition von Unheimlichkeit, ein Erzählen, das sich selber zersetzt. Die meisten Menschen enden nach diesen Begegnungen im Wahnsinn. Fünfzig Jahre nach Lovecraft hat der geniale Comic-Schöpfer Alberto Breccia versucht, das Unsagbare Lovecrafts in Bilder zu übertragen. Zwei, drei Jahre lang war er tief in diese Welt hineingetaucht.
Die Stadt ohne Namen liegt in der arabischen Wüste, ihre Gebäude sind, wie auch die Wüste selbst, von einer metallischen Leere, die nicht zum Bewohnen gemacht zu sein scheint. In ihren Gängen stößt der namenlose Held auf Holzkästen mit gläsernen Deckeln (unsere Abbildung links), sie „enthielten die mumifizierten Körper von Lebewesen, deren groteske Formen selbst die aberwitzigsten Träume des Menschen übertrafen und die sämtlichen bekannten biologischen Prinzipien widersprachen. Mit nichts ließen sie sich sinnvoll vergleichen“ (Abbildung rechts).
Später hat Lovecraft – er lebte in Providence, Rhode Island – dann die Schauplätze seiner erzählerischen Exkursionen nach Neuengland verlegt, Innsmouth oder Dunwich, ganz akkurat, mit fast fotorealistischer Genauigkeit hat er die (Klein-)Bürgerlichkeit seiner Schauplätze skizziert, die aus dem 19. Jahrhundert zu stammen scheint, die Bibliotheken und die Blockhäuser, einmal sieht man sogar durchs Fenster ein Handelsschiff.
Abseits dieser Normalität gibt es Dörfer, in denen nichts im Lot zu sein scheint, fern jeder Idylle, die Linien verlassen den Kurs der Konturen und gewinnen ein Eigenleben, die Gesichter der Menschen lösen sich in Flecken und Punkte auf. Die Begegnungen mit dem Monströsen sind Eruptionen der Unförmigkeit, der Unkenntlichkeit. Eine grobe Collagentechnik, fleckige große Flächen, in die Zacken und Fetzen hineinragen, in denen kleine Motive auftauchen, ein Vogelkopf, ein Auge.
Die Dimensionen sind erschreckend, die Bilder versuchen die Ränder des Buches zu sprengen. Breccia macht die geheimen Impulse von Lovecrafts Erzählungen sichtbar, das Schaudern vor der Mechanisierung und Technisierung der modernen Gesellschaft, vor den Energieschüben, die diese freisetzen wird. Bei Breccia, der 1919 in Montevideo geboren wurde und noch als Kind mit den Eltern nach Buenos Aires zog, kommen Erinnerungen an den Terror des argentinischen Militärregimes dazu. Er war ein Freund von Hugo Pratt, hat eine schöne Comic-Biografie von Che Guevara geschaffen und gemeinsam mit Hector Oesterheld den legendären Comic El Eternauta. Er starb 1993 in Buenos Aires.
Im letzten Bild der letzten Geschichte flieht der Held in einem alten Ford aus einem Chaos, das ihn zu verschlingen droht: „Manchmal graut es mir bei dem Gedanken daran, was mir die nächsten Jahre bringen werden, in denen nicht einmal der Tod als Befreiung dienen kann.“
Alberto Breccia: Lovecraft. Adaption der Cthulhu-Texte von Norberto Buscaglia. Aus dem Spanischen von André Höchemer. Mit einem Nachwort von Latino Imperato. Avant-Verlag, Berlin 2018. 128 Seiten, 29 Euro.
Die Begegnungen mit
dem Monströsen sind
Eruptionen der Unförmigkeit
Für Jahre ist Alberto Breccia in die Welt H. P. Lovecrafts eingetaucht: Hier findet der namenlose Held die Holzkästen mit gläsernen Deckeln (li.) und ihren Inhalt (re.).
Fotos: Avant-Verlag
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