Caitlin's life changes from the moment she sees Lucas walking across the causeway one hot summer's day. He is the strangest, most beautiful boy she has ever seen - and when she meets him, her world becomes alive. But to others, he quickly becomes an object of jealousy, prejudice and hatred. Caitlin tries to make sense of the injustice that lurks at every unexpected twist and turn, until she realises she must do what she knows is right in her heart.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2005Heute wütend, morgen traurig
Wie man eine Geschichte weint: "Lucas" von Kevin Brooks
Wütend und traurig zu sein, ist das Vorrecht derer, die sich auf dem richtigen Weg befinden. Und dabei um ihre Mission wissen. Deshalb ist der Doppelschlag eine häufig gebrauchte Waffe von Lokalpolitikern, Kirchentagsrednern und Sozialarbeitern. Wären die Gefühle in ihren extremsten Amplituden doch für Heranwachsende reserviert. Würde niemand sonst wütend und traurig zugleich sein, man könnte damit zurechtkommen wie mit anderen Ausschlägen der Pubertät.
Vielleicht würde man sogar so souverän reagieren wie Caitlins Vater, ein Autor von Jugendbüchern, der viel raucht und beständig Whiskey trinkt, und der nach dem Tod seiner Frau, den er meint, verursacht zu haben, melancholisch geworden ist: grundtraurig und nur noch ganz selten richtig wütend. Am Ende dieses fulminanten Romans, auf dessen vierhundertfünfzig Seiten alle erdenklichen Spielarten der Wut und Traurigkeit einer Fünfzehnjährigen durchdekliniert werden, setzt er sich auf das Bett seiner Tochter, und erklärt ihr, was es auf sich hat mit der Trauer und dem Schmerz, ihrer Überwindung und dem, was einem bleibt, und wie das Leben dann doch immer weitergeht.
Es ist der Epilog der Geschichte eines Sommers, die Caitlin aufgeschrieben hat - wie es ihr Vater riet. Sie hat sich diese Geschichte von der Seele "geweint". So heißt es im Prolog, und so steht es noch einmal am Schluß. Es ist der einzige Einwand, den man gegen diesen Roman vorbringen kann: Daß er alles, was er sagt, so oft wiederholt, bis jede Banalität wie ein Glaubensgrundsatz daherkommt, als noch nie zuvor gedachter Gedanke: "Je mehr du lügst, desto leichter wird es." "Niemand ist unschuldig." "Es gibt immer einen Ausweg. Es kommt nur darauf an, ihn zu finden."
Solche Kalenderblattsprüche werden von den Personen des Buchs zumeist mit einem kategorischen "Yep" kommentiert. Mehr gibt es dazu wohl auch nicht zu sagen. So sprechen sie eben, die Jugendlichen von heute. Oder vielmehr: So stellt sich ein Autor seine jungen Leser vor. Gewiß nicht falsch ist es, dahinter stilistisches Kalkül zu vermuten. Schließlich wendet sich der Roman an ein Publikum, dem naturgemäß die literarischen Vergleichsmöglichkeiten fehlen, das noch nicht die Wirkung jedes pathetischen Satzes abschätzen kann, der wie ein Hochseilartist über dem Abgrund balanciert. Das Buch zielt auf Leser, die auch nicht wissen, wie es ist, wenn ein Satz strauchelt und fällt und die Worte auseinanderfliegen.
"Es ist immer schwer, jemanden zu verlieren. Da bleibt ein Loch in deinem Herzen, das nie verheilt." Das ist der Schlüsselsatz des Buchs. Es spricht Lucas, die Titelfigur. Ein Sechzehnjähriger, der aus dem Nirgendwo auf der Insel vor der englischen Küste erscheint, auf der Caitlin mit ihrem Vater lebt, und der die Menschen berührt, die ihm begegnen. In den einen erregt er bodenlosen Haß, weil er so fremd ist in allem, was er sagt und tut, andere sind von ihm auf Anhieb fasziniert. Caitlin verliebt sich in Lucas. Für sie ist es das allererste Mal, ein Naturereignis. Es ist das Gefühl eines neuen Lebensabschnitts - daß er begonnen hat, erkennt man frühestens mittendrin.
Caitlin weiß und versteht nichts von dem, was um sie herum vorgeht. Sie registriert und schreibt es auf. Unter dieser dramaturgischen Voraussetzung nimmt der Roman seinen Verlauf. Tatsächlich ist es eine Folge von Pirouetten. Sie schrauben sich immer höher in der Beschreibung einer Erlöserfigur, die hinab auf die Erde gekommen ist, um Gutes zu tun - und von Ungerechten gerichtet wird.
Beständig lächelt Lucas unergründlich. Er lebt als Eremit im Wald, in seiner Gegenwart schweigen die Tiere, und fast ist es, als könne er über das Wasser gehen. Brooks nimmt es leichthändig, ja lässig auf mit dem Elementarsten des Geschichtenerzählens. Tatsächlich ist die Virtuosität, mit der er es immer dann stürmen, donnern und wie aus Kübeln schütten läßt, wenn sich die Handlung dramatisch zuspitzt, ein ebenso unwiderstehlicher Verführer zum Weiterlesen wie Brooks' Eleganz beim Wirbeln mit den Klischees. So vergißt man unterwegs schnell, daß sich die Struktur dieses Romans dem Systembaukasten verdankt, seine Konfliktkonstellationen ungezählte Male durchgespielt sind. Das Lesevergnügen trägt bis zur letzten Seite - nicht nur während der wütenden und traurigen Zeit der Pubertät.
ANDREAS OBST
Kevin Brooks: "Lucas". Aus dem Englischen übersetzt von Uwe-Michael Gutzschhahn. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 448 S., br., 12,- [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie man eine Geschichte weint: "Lucas" von Kevin Brooks
Wütend und traurig zu sein, ist das Vorrecht derer, die sich auf dem richtigen Weg befinden. Und dabei um ihre Mission wissen. Deshalb ist der Doppelschlag eine häufig gebrauchte Waffe von Lokalpolitikern, Kirchentagsrednern und Sozialarbeitern. Wären die Gefühle in ihren extremsten Amplituden doch für Heranwachsende reserviert. Würde niemand sonst wütend und traurig zugleich sein, man könnte damit zurechtkommen wie mit anderen Ausschlägen der Pubertät.
Vielleicht würde man sogar so souverän reagieren wie Caitlins Vater, ein Autor von Jugendbüchern, der viel raucht und beständig Whiskey trinkt, und der nach dem Tod seiner Frau, den er meint, verursacht zu haben, melancholisch geworden ist: grundtraurig und nur noch ganz selten richtig wütend. Am Ende dieses fulminanten Romans, auf dessen vierhundertfünfzig Seiten alle erdenklichen Spielarten der Wut und Traurigkeit einer Fünfzehnjährigen durchdekliniert werden, setzt er sich auf das Bett seiner Tochter, und erklärt ihr, was es auf sich hat mit der Trauer und dem Schmerz, ihrer Überwindung und dem, was einem bleibt, und wie das Leben dann doch immer weitergeht.
Es ist der Epilog der Geschichte eines Sommers, die Caitlin aufgeschrieben hat - wie es ihr Vater riet. Sie hat sich diese Geschichte von der Seele "geweint". So heißt es im Prolog, und so steht es noch einmal am Schluß. Es ist der einzige Einwand, den man gegen diesen Roman vorbringen kann: Daß er alles, was er sagt, so oft wiederholt, bis jede Banalität wie ein Glaubensgrundsatz daherkommt, als noch nie zuvor gedachter Gedanke: "Je mehr du lügst, desto leichter wird es." "Niemand ist unschuldig." "Es gibt immer einen Ausweg. Es kommt nur darauf an, ihn zu finden."
Solche Kalenderblattsprüche werden von den Personen des Buchs zumeist mit einem kategorischen "Yep" kommentiert. Mehr gibt es dazu wohl auch nicht zu sagen. So sprechen sie eben, die Jugendlichen von heute. Oder vielmehr: So stellt sich ein Autor seine jungen Leser vor. Gewiß nicht falsch ist es, dahinter stilistisches Kalkül zu vermuten. Schließlich wendet sich der Roman an ein Publikum, dem naturgemäß die literarischen Vergleichsmöglichkeiten fehlen, das noch nicht die Wirkung jedes pathetischen Satzes abschätzen kann, der wie ein Hochseilartist über dem Abgrund balanciert. Das Buch zielt auf Leser, die auch nicht wissen, wie es ist, wenn ein Satz strauchelt und fällt und die Worte auseinanderfliegen.
"Es ist immer schwer, jemanden zu verlieren. Da bleibt ein Loch in deinem Herzen, das nie verheilt." Das ist der Schlüsselsatz des Buchs. Es spricht Lucas, die Titelfigur. Ein Sechzehnjähriger, der aus dem Nirgendwo auf der Insel vor der englischen Küste erscheint, auf der Caitlin mit ihrem Vater lebt, und der die Menschen berührt, die ihm begegnen. In den einen erregt er bodenlosen Haß, weil er so fremd ist in allem, was er sagt und tut, andere sind von ihm auf Anhieb fasziniert. Caitlin verliebt sich in Lucas. Für sie ist es das allererste Mal, ein Naturereignis. Es ist das Gefühl eines neuen Lebensabschnitts - daß er begonnen hat, erkennt man frühestens mittendrin.
Caitlin weiß und versteht nichts von dem, was um sie herum vorgeht. Sie registriert und schreibt es auf. Unter dieser dramaturgischen Voraussetzung nimmt der Roman seinen Verlauf. Tatsächlich ist es eine Folge von Pirouetten. Sie schrauben sich immer höher in der Beschreibung einer Erlöserfigur, die hinab auf die Erde gekommen ist, um Gutes zu tun - und von Ungerechten gerichtet wird.
Beständig lächelt Lucas unergründlich. Er lebt als Eremit im Wald, in seiner Gegenwart schweigen die Tiere, und fast ist es, als könne er über das Wasser gehen. Brooks nimmt es leichthändig, ja lässig auf mit dem Elementarsten des Geschichtenerzählens. Tatsächlich ist die Virtuosität, mit der er es immer dann stürmen, donnern und wie aus Kübeln schütten läßt, wenn sich die Handlung dramatisch zuspitzt, ein ebenso unwiderstehlicher Verführer zum Weiterlesen wie Brooks' Eleganz beim Wirbeln mit den Klischees. So vergißt man unterwegs schnell, daß sich die Struktur dieses Romans dem Systembaukasten verdankt, seine Konfliktkonstellationen ungezählte Male durchgespielt sind. Das Lesevergnügen trägt bis zur letzten Seite - nicht nur während der wütenden und traurigen Zeit der Pubertät.
ANDREAS OBST
Kevin Brooks: "Lucas". Aus dem Englischen übersetzt von Uwe-Michael Gutzschhahn. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 448 S., br., 12,- [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main