Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.08.2016Kleiner Clown
im Baum
Wie so viele Kinder wünscht sich die Heldin dieses originellen Bilderbuchs ein Haustier. Drei ihrer Lieblingstiere werden vorgestellt, ein Vogel, ein Kaninchen und ein dressierter Seehund. Aber ihre viel beschäftigte Mutter schmettert sie alle ab. Großartig, wie der Illustrator Chris Appelhans, der auch als Comic- und Animationszeichner arbeitet, diesen Dialog in Szene setzt. Die Körpersprache des kleinen Mädchens drückt Respekt und Distanz zu dieser Mutter aus, aber immer noch Hoffnung und Vorfreude, die gewünschten Tiere allerdings lassen schon die Köpfe hängen, sie wissen, was folgt. Und dann die kühle Mutter, die kurz ihre Arbeit am Schreibtisch unterbricht, um zu sagen: „Du kannst jedes Tier der Welt haben, solange es nicht ausgeführt, gebadet oder gefüttert werden muss.“
Doch sie hat ihre kleine Tochter unterschätzt, so schnell gibt diese nicht auf. In der Schulbibliothek bekommt sie Hilfe von „Mrs Kinklebaum “, und im Band zwei des Tierlexikons findet sie tatsächlich ein Tier, das die mütterlichen Bedingungen erfüllt: ein Faultier. Es kommt in einer Kiste per Kurier und sieht aus „wie ein kleiner Clown“. Seine glückliche, neue Besitzerin nennt ihr Haustier „Lucky“ und hängt es in einen Baum im Garten.
In wunderbar aussagekräftigen Bilderfolgen erzählt der Illustrator nun, wie das kleine Mädchen bei Tag, bei Nacht oder mit Schirm im Regen wartet, „bis er aufwachte“, und wie es ihm dann Spiele beizubringen versucht. Immer gewinnt das Mädchen, nur wenn sie „Denkmäler spielten, war Lucky richtig gut“. Doch dann taucht die fiese Mary auf und gibt mit ihren tollen Haustieren an. Und schon fällt ein Schatten auf das Glück der kleinen Faultier-Besitzerin. Sie meint, beweisen zu müssen, dass auch Lucky viele Tricks beherrscht, und kündigt ein „Großes Faultier-Spektakel“ an. Verbissen übt sie nun mit ihrem Lucky. Als der große Tag der Vorführung kommt, verkleidet sie sich als Zirkusdirektorin und tanzt um Lucky herum, der sie leider im Stich lässt. Nur einen einzigen Trick beherrscht er, nämlich: „Totstellen“. Die Mutter serviert Limonade und Gebäck, und Mary rauscht ab mit dem Satz: „Du kannst dir nicht einfach ein Haustier ausdenken, das gar keins ist.“ Oh doch, das kann sie, unsere hinreißende kleine Heldin! Mit wenigen Strichen zaubert der Illustrator ein poetisches Schlussbild in sanften braun-rosa Tönen, das wunderschön die innige Beziehung des Mädchens zu seinem ganz besonderen Haustier zeigt und dem Betrachter den Zauber der Entschleunigung vor Augen führt. „Du bist goldrichtig, Lucky“, sagte ich. Und das war er – ganz, ganz lange.“ (ab 4 Jahre)
HILDE ELISABETH MENZEL
Jenny Offill: Lucky! Mit Illustrationen von Chris Appelhans. Aus dem Englischen von Sophie Birkenstädt. Aladin 2016. 40 Seiten, 13,40 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
im Baum
Wie so viele Kinder wünscht sich die Heldin dieses originellen Bilderbuchs ein Haustier. Drei ihrer Lieblingstiere werden vorgestellt, ein Vogel, ein Kaninchen und ein dressierter Seehund. Aber ihre viel beschäftigte Mutter schmettert sie alle ab. Großartig, wie der Illustrator Chris Appelhans, der auch als Comic- und Animationszeichner arbeitet, diesen Dialog in Szene setzt. Die Körpersprache des kleinen Mädchens drückt Respekt und Distanz zu dieser Mutter aus, aber immer noch Hoffnung und Vorfreude, die gewünschten Tiere allerdings lassen schon die Köpfe hängen, sie wissen, was folgt. Und dann die kühle Mutter, die kurz ihre Arbeit am Schreibtisch unterbricht, um zu sagen: „Du kannst jedes Tier der Welt haben, solange es nicht ausgeführt, gebadet oder gefüttert werden muss.“
Doch sie hat ihre kleine Tochter unterschätzt, so schnell gibt diese nicht auf. In der Schulbibliothek bekommt sie Hilfe von „Mrs Kinklebaum “, und im Band zwei des Tierlexikons findet sie tatsächlich ein Tier, das die mütterlichen Bedingungen erfüllt: ein Faultier. Es kommt in einer Kiste per Kurier und sieht aus „wie ein kleiner Clown“. Seine glückliche, neue Besitzerin nennt ihr Haustier „Lucky“ und hängt es in einen Baum im Garten.
In wunderbar aussagekräftigen Bilderfolgen erzählt der Illustrator nun, wie das kleine Mädchen bei Tag, bei Nacht oder mit Schirm im Regen wartet, „bis er aufwachte“, und wie es ihm dann Spiele beizubringen versucht. Immer gewinnt das Mädchen, nur wenn sie „Denkmäler spielten, war Lucky richtig gut“. Doch dann taucht die fiese Mary auf und gibt mit ihren tollen Haustieren an. Und schon fällt ein Schatten auf das Glück der kleinen Faultier-Besitzerin. Sie meint, beweisen zu müssen, dass auch Lucky viele Tricks beherrscht, und kündigt ein „Großes Faultier-Spektakel“ an. Verbissen übt sie nun mit ihrem Lucky. Als der große Tag der Vorführung kommt, verkleidet sie sich als Zirkusdirektorin und tanzt um Lucky herum, der sie leider im Stich lässt. Nur einen einzigen Trick beherrscht er, nämlich: „Totstellen“. Die Mutter serviert Limonade und Gebäck, und Mary rauscht ab mit dem Satz: „Du kannst dir nicht einfach ein Haustier ausdenken, das gar keins ist.“ Oh doch, das kann sie, unsere hinreißende kleine Heldin! Mit wenigen Strichen zaubert der Illustrator ein poetisches Schlussbild in sanften braun-rosa Tönen, das wunderschön die innige Beziehung des Mädchens zu seinem ganz besonderen Haustier zeigt und dem Betrachter den Zauber der Entschleunigung vor Augen führt. „Du bist goldrichtig, Lucky“, sagte ich. Und das war er – ganz, ganz lange.“ (ab 4 Jahre)
HILDE ELISABETH MENZEL
Jenny Offill: Lucky! Mit Illustrationen von Chris Appelhans. Aus dem Englischen von Sophie Birkenstädt. Aladin 2016. 40 Seiten, 13,40 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ganz hingerissen ist Hilde Elisabeth Menzel von der kleinen Heldin und ihrem ungewöhnlichen Haustier, einem Faultier. "Wunderbar aussagekräftig" findet sie die Bilderfolgen des Illustrators Chris Appelhans, in denen das Mädchen mit ihrem "Lucky" spielt und auch noch versucht, ihm Tricks beizubringen. Dass das ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen bleiben muss, tut dem Spaß am Buch offenbar keinen Abbruch. Am Ende steht laut Menzel ein "poetisches Schlussbild in sanften braun-rosa Tönen" sowie die Erkenntnis, dass das Faultier seiner Besitzerin die Vorzüge der Entschleunigung nahegebracht hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Ganz hingerissen ist Hilde Elisabeth Menzel von der kleinen Heldin und ihrem ungewöhnlichen Haustier, einem Faultier. "Wunderbar aussagekräftig" findet sie die Bilderfolgen des Illustrators Chris Appelhans, in denen das Mädchen mit ihrem "Lucky" spielt und auch noch versucht, ihm Tricks beizubringen. Dass das ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen bleiben muss, tut dem Spaß am Buch offenbar keinen Abbruch. Am Ende steht laut Menzel ein "poetisches Schlussbild in sanften braun-rosa Tönen" sowie die Erkenntnis, dass das Faultier seiner Besitzerin die Vorzüge der Entschleunigung nahegebracht hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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