Ludwig Erhards "Soziale Marktwirtschaft " – darum geht es in der aktuellen Reformdebatte
Die außergewöhnliche Lebensgeschichte des Ludwig Erhard (1897-1977) in einer fesselnden neuen Darstellung. Als "Vater des deutschen Wirtschaftswunders" gefeiert, ist er doch ein großer Unbekannter geblieben. Ludwig Erhard war stets ein unabhängiger Geist, der sich von niemandem vereinnahmen ließ. Auch als Politiker blieb er unbequem. Gerade heute ist vom Begründer der Sozialen Marktwirtschaft, der den Deutschen Freiheit und Wohlstand brachte, viel zu lernen.
Die erste große Erhard-Biografie seit Jahren schildert die "durch und durch unorthodoxe Laufbahn" (Klaus Hildebrand) dieses Visionärs und Ausnahmepolitikers. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend blieb der 1897 in Fürth geborene Erhard ein Leben lang den liberalen Grundsätzen seines Elternhauses treu und ließ sich nie von den totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts verführen. Schon im Frühjahr 1944 entwarf der promovierte Wirtschaftswissenschaftler unter großer Gefahr eine Denkschrift, in der er wirtschaftspolitische Maßnahmen für die Zeit nach der deutschen Niederlage vorschlug. Darin findet sich in Grundzügen skizziert, was nach 1945 zur Anwendung kam.
Alfred C. Mierzejewski zeigt in seiner analytisch brillanten, auf umfangreichem Quellenmaterial beruhenden Lebens- und Wirkungsgeschichte Erhards, dass dessen Bedeutung für die Geschichte der Bundesrepublik gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Obwohl er als Wirtschaftsminister mit der Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft zum "Vater des deutschen Wirtschaftswunders" wurde, ist er als Kanzler tragisch gescheitert. Doch Erhards Ideen, sein Kampf für freien Welthandel und die Eigenverantwortung des Bürgers, gegen Kartelle und das Ausufern des modernen Wohlfahrtsstaates sind überraschend aktuell.
Die außergewöhnliche Lebensgeschichte des Ludwig Erhard (1897-1977) in einer fesselnden neuen Darstellung. Als "Vater des deutschen Wirtschaftswunders" gefeiert, ist er doch ein großer Unbekannter geblieben. Ludwig Erhard war stets ein unabhängiger Geist, der sich von niemandem vereinnahmen ließ. Auch als Politiker blieb er unbequem. Gerade heute ist vom Begründer der Sozialen Marktwirtschaft, der den Deutschen Freiheit und Wohlstand brachte, viel zu lernen.
Die erste große Erhard-Biografie seit Jahren schildert die "durch und durch unorthodoxe Laufbahn" (Klaus Hildebrand) dieses Visionärs und Ausnahmepolitikers. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend blieb der 1897 in Fürth geborene Erhard ein Leben lang den liberalen Grundsätzen seines Elternhauses treu und ließ sich nie von den totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts verführen. Schon im Frühjahr 1944 entwarf der promovierte Wirtschaftswissenschaftler unter großer Gefahr eine Denkschrift, in der er wirtschaftspolitische Maßnahmen für die Zeit nach der deutschen Niederlage vorschlug. Darin findet sich in Grundzügen skizziert, was nach 1945 zur Anwendung kam.
Alfred C. Mierzejewski zeigt in seiner analytisch brillanten, auf umfangreichem Quellenmaterial beruhenden Lebens- und Wirkungsgeschichte Erhards, dass dessen Bedeutung für die Geschichte der Bundesrepublik gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Obwohl er als Wirtschaftsminister mit der Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft zum "Vater des deutschen Wirtschaftswunders" wurde, ist er als Kanzler tragisch gescheitert. Doch Erhards Ideen, sein Kampf für freien Welthandel und die Eigenverantwortung des Bürgers, gegen Kartelle und das Ausufern des modernen Wohlfahrtsstaates sind überraschend aktuell.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004Der noble Unpolitische
Ludwig Erhards Leben und Leistung / Von Klaus Hildebrand
Daß Ludwig Erhard als erster Wirtschaftsminister der Bundesrepublik wie kaum einer seiner Nachfolger im Amt Erfolg gehabt hat, liegt ebenso auf der Hand, wie die Tatsache gar nicht übersehen werden kann, daß er als Bundeskanzler gescheitert ist. Gewiß, auch seine unverkennbaren Leistungen als Regierungschef sind inzwischen durchaus gewürdigt worden: die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel im Jahr 1965, die "Auflockerung unserer Ostpolitik" (Ludwig Erhard), die Note der Bundesregierung zur Abrüstung und Sicherung des Friedens, jene sogenannte "Friedensnote" vom 25. März 1966, und der neue politische Stil, mit dem sich die liberale Bonner Demokratie von nun an nach innen und außen dargestellt hat. Gleichwohl, alle diese Aktivposten vermögen über den Mißerfolg seiner Kanzlerschaft insgesamt nicht hinwegzutäuschen. Ebensowenig haben jedoch Darstellungen, die Erhards unbestreitbare Erfolge an der Spitze des Wirtschaftsministeriums grundsätzlich in Zweifel gezogen, seine aktive Rolle im Zusammenhang mit dem "Wirtschaftswunder" auf nahezu Unwesentliches relativiert und seine Karriere im Grunde als ein nicht enden wollendes Versagen beschrieben haben, keine Akzeptanz im Rahmen der Wissenschaft und Öffentlichkeit gefunden.
Diese vorwaltende Tendenz der Urteilsbildung wird auch durch die Biographie aus der Feder des amerikanischen Historikers Alfred Mierzejewski unterstrichen. Sachkundig verfolgt er die durch und durch unorthodoxe Laufbahn des 1897 in Franken Geborenen: Von den bescheidenen Anfängen im Milieu der elterlichen Weißwarenhandlung führte sie bis an die Regierungsspitze der Bundesrepublik. Der Schulbesuch in Fürth und die Kaufmannslehre in Nürnberg, der Soldatendienst im Ersten Weltkrieg, aus dem Erhard schwer verwundet zurückkehrte, und das wirtschaftswissenschaftliche Studium in Nürnberg und Frankfurt am Main, wo er bei Franz Oppenheimer 1925 promoviert wurde, die langjährige Tätigkeit im "Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware" in Nürnberg, die im Auftrag der deutschen Zivilverwaltung übernommene Betreuung der lothringischen Glasindustrie im Zweiten Weltkrieg und die Gründung des von der Reichsgruppe Industrie finanzierten "Instituts für Industrieforschung" markieren maßgebliche Stationen eines bis dahin eher politikfernen Werdegangs.
Mit einer Denkschrift, die Erhard im März 1944 unter dem Titel "Kriegsfinanzierung und Schuldenkonsolidierung" fertiggestellt und Carl Friedrich Goerdeler, einem der maßgeblichen Repräsentanten des deutschen Widerstandes gegen Hitler, unmittelbar vor dem 20. Juli zugänglich gemacht hat, brachte er Gedanken zu Papier, deren wirtschaftspolitische Orientierung für seinen eigenen Weg in den Jahren und Jahrzehnten nach 1945 kaum zu unterschätzende Bedeutung erlangt hat. Nach einem kurzen Intermezzo als bayerischer Wirtschaftsminister wurde er im Oktober 1947 zum Leiter der "Sonderstelle Geld und Kredit" bei der Verwaltung für Finanzen der britisch-amerikanischen Bizone bestellt und im März 1948 zum "Direktor der Verwaltung für Wirtschaft" des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, also praktisch zum Wirtschaftsminister der englischen und amerikanischen Besatzungsonen gewählt. Das Leitsätzegesetz vom 18. Juni und die Währungsreform vom 20. Juni 1948, die damit einhergehende Aufhebung der Zwangsbewirtschaftung und die Freigabe der Preise, von Erhard maßgeblich vorangebracht, eröffneten eine ganz neue Phase deutscher Wirtschaftspolitik. Als Direktkandidat der CDU in Ulm stieß er, ohne der Partei förmlich beizutreten, zur Union und wurde 1949 in Konrad Adenauers erstem Kabinett Wirtschaftsminister. Und weil die Ära Adenauer von da an durchgehend auch eine Ära Erhard gewesen ist, hat er schließlich, allen erbitterten Widerständen nicht zuletzt von seiten des Patriarchen im Palais Schaumburg zum Trotz, 1963 die Nachfolge Adenauers als Bundeskanzler angetreten.
Wie ein Leitmotiv betont Mierzejewski das Eintreten Erhards für den "dritten Weg" einer Sozialen Marktwirtschaft, die sich vom liberalen Nachtwächterstaat ebenso weit entfernt zu halten versucht hat wie vom sozialistischen Kollektivismus. Solange die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland florierte, fand seine Parole "Wohlstand für alle" viel, nicht zuletzt wählerwirksame Resonanz; als das "Wirtschaftswunder" ins Schlingern geriet und der Kanzler den üppig gewachsenen Sozialstaat neu an die ökonomische Entwicklung anzubinden plante, scheiterte er mit seiner Vision von der "Formierten Gesellschaft". Insgesamt zeichnet sein Biograph Erhard mit einem Wort Eugen Gerstenmaiers als einen "Realisten . . . anderer Art", als einen in die Politik verschlagenen Wissenschaftler, den die Idee der Freiheit so nachhaltig faszinierte, wie ihn der Besitz der Macht so sichtbar anödete.
Zeitlebens war und blieb Erhard ein nobler Unpolitischer, der Deutschland mit seiner optimistischen Losung von der Sozialen Marktwirtschaft mächtig in die Moderne gestoßen hat. Aller Enttäuschungen und Demütigungen ungeachtet war er durchgehend von der durch nichts zu beirrenden Gewißheit getragen, daß eine säkulare Idee, einmal in die Welt gesetzt und zum Glück der Menschen praktiziert, trotz aller ihre Existenz beeinträchtigenden Rückschläge, eben nicht ein für allemal vergehen könne, sondern vielmehr weiter wirke.
Alfred C. Mierzejewski: "Ludwig Erhard". A Biography. The University of North Carolina Press, Chapel Hill/London 2004. 278 S., 33,50 Pfund.
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Ludwig Erhards Leben und Leistung / Von Klaus Hildebrand
Daß Ludwig Erhard als erster Wirtschaftsminister der Bundesrepublik wie kaum einer seiner Nachfolger im Amt Erfolg gehabt hat, liegt ebenso auf der Hand, wie die Tatsache gar nicht übersehen werden kann, daß er als Bundeskanzler gescheitert ist. Gewiß, auch seine unverkennbaren Leistungen als Regierungschef sind inzwischen durchaus gewürdigt worden: die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel im Jahr 1965, die "Auflockerung unserer Ostpolitik" (Ludwig Erhard), die Note der Bundesregierung zur Abrüstung und Sicherung des Friedens, jene sogenannte "Friedensnote" vom 25. März 1966, und der neue politische Stil, mit dem sich die liberale Bonner Demokratie von nun an nach innen und außen dargestellt hat. Gleichwohl, alle diese Aktivposten vermögen über den Mißerfolg seiner Kanzlerschaft insgesamt nicht hinwegzutäuschen. Ebensowenig haben jedoch Darstellungen, die Erhards unbestreitbare Erfolge an der Spitze des Wirtschaftsministeriums grundsätzlich in Zweifel gezogen, seine aktive Rolle im Zusammenhang mit dem "Wirtschaftswunder" auf nahezu Unwesentliches relativiert und seine Karriere im Grunde als ein nicht enden wollendes Versagen beschrieben haben, keine Akzeptanz im Rahmen der Wissenschaft und Öffentlichkeit gefunden.
Diese vorwaltende Tendenz der Urteilsbildung wird auch durch die Biographie aus der Feder des amerikanischen Historikers Alfred Mierzejewski unterstrichen. Sachkundig verfolgt er die durch und durch unorthodoxe Laufbahn des 1897 in Franken Geborenen: Von den bescheidenen Anfängen im Milieu der elterlichen Weißwarenhandlung führte sie bis an die Regierungsspitze der Bundesrepublik. Der Schulbesuch in Fürth und die Kaufmannslehre in Nürnberg, der Soldatendienst im Ersten Weltkrieg, aus dem Erhard schwer verwundet zurückkehrte, und das wirtschaftswissenschaftliche Studium in Nürnberg und Frankfurt am Main, wo er bei Franz Oppenheimer 1925 promoviert wurde, die langjährige Tätigkeit im "Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware" in Nürnberg, die im Auftrag der deutschen Zivilverwaltung übernommene Betreuung der lothringischen Glasindustrie im Zweiten Weltkrieg und die Gründung des von der Reichsgruppe Industrie finanzierten "Instituts für Industrieforschung" markieren maßgebliche Stationen eines bis dahin eher politikfernen Werdegangs.
Mit einer Denkschrift, die Erhard im März 1944 unter dem Titel "Kriegsfinanzierung und Schuldenkonsolidierung" fertiggestellt und Carl Friedrich Goerdeler, einem der maßgeblichen Repräsentanten des deutschen Widerstandes gegen Hitler, unmittelbar vor dem 20. Juli zugänglich gemacht hat, brachte er Gedanken zu Papier, deren wirtschaftspolitische Orientierung für seinen eigenen Weg in den Jahren und Jahrzehnten nach 1945 kaum zu unterschätzende Bedeutung erlangt hat. Nach einem kurzen Intermezzo als bayerischer Wirtschaftsminister wurde er im Oktober 1947 zum Leiter der "Sonderstelle Geld und Kredit" bei der Verwaltung für Finanzen der britisch-amerikanischen Bizone bestellt und im März 1948 zum "Direktor der Verwaltung für Wirtschaft" des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, also praktisch zum Wirtschaftsminister der englischen und amerikanischen Besatzungsonen gewählt. Das Leitsätzegesetz vom 18. Juni und die Währungsreform vom 20. Juni 1948, die damit einhergehende Aufhebung der Zwangsbewirtschaftung und die Freigabe der Preise, von Erhard maßgeblich vorangebracht, eröffneten eine ganz neue Phase deutscher Wirtschaftspolitik. Als Direktkandidat der CDU in Ulm stieß er, ohne der Partei förmlich beizutreten, zur Union und wurde 1949 in Konrad Adenauers erstem Kabinett Wirtschaftsminister. Und weil die Ära Adenauer von da an durchgehend auch eine Ära Erhard gewesen ist, hat er schließlich, allen erbitterten Widerständen nicht zuletzt von seiten des Patriarchen im Palais Schaumburg zum Trotz, 1963 die Nachfolge Adenauers als Bundeskanzler angetreten.
Wie ein Leitmotiv betont Mierzejewski das Eintreten Erhards für den "dritten Weg" einer Sozialen Marktwirtschaft, die sich vom liberalen Nachtwächterstaat ebenso weit entfernt zu halten versucht hat wie vom sozialistischen Kollektivismus. Solange die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland florierte, fand seine Parole "Wohlstand für alle" viel, nicht zuletzt wählerwirksame Resonanz; als das "Wirtschaftswunder" ins Schlingern geriet und der Kanzler den üppig gewachsenen Sozialstaat neu an die ökonomische Entwicklung anzubinden plante, scheiterte er mit seiner Vision von der "Formierten Gesellschaft". Insgesamt zeichnet sein Biograph Erhard mit einem Wort Eugen Gerstenmaiers als einen "Realisten . . . anderer Art", als einen in die Politik verschlagenen Wissenschaftler, den die Idee der Freiheit so nachhaltig faszinierte, wie ihn der Besitz der Macht so sichtbar anödete.
Zeitlebens war und blieb Erhard ein nobler Unpolitischer, der Deutschland mit seiner optimistischen Losung von der Sozialen Marktwirtschaft mächtig in die Moderne gestoßen hat. Aller Enttäuschungen und Demütigungen ungeachtet war er durchgehend von der durch nichts zu beirrenden Gewißheit getragen, daß eine säkulare Idee, einmal in die Welt gesetzt und zum Glück der Menschen praktiziert, trotz aller ihre Existenz beeinträchtigenden Rückschläge, eben nicht ein für allemal vergehen könne, sondern vielmehr weiter wirke.
Alfred C. Mierzejewski: "Ludwig Erhard". A Biography. The University of North Carolina Press, Chapel Hill/London 2004. 278 S., 33,50 Pfund.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nikolaus Piper drängt sich der Verdacht auf, dass ein gewisser Abstand zum Gegenstand einer Biografie nur gut tun kann. Denn obwohl schon viel über Ludwig Ehrhard und das deutsche "Wirtschaftswunder" geschrieben worden ist, erhofft sich der Rezensent von dieser Biografie des amerikanischen Autors Alfred C. Mierzejewski "mehr Klarheit". Piper findet die "sympathiegetragene Distanz", die der Biograf dabei an den Tag legt, hilfreich, Erhards lebensgeschichtlichen und politischen Weg aus "kritischer" Sicht zu schildern. Der Autor stellt den Politiker vor allem als ein "in der Wolle gefärbten Liberalen" dar, der dennoch - aus "pragmatischen Gründen" - bei der CDU landete, erklärt der Rezensent. Am Ende "scheiterte" Erhard nicht nur an den antiliberalen Kräften seiner Partei, sondern vor allem "an sich selbst", wie Mierzejewski in seiner Biografie nachweist, fasst Piper zusammen, der diese Lebensbeschreibung als "die wichtigste Veröffentlichung zur Wirtschaftsgeschichte" der BRD bejubelt, die "seit Jahren" geschrieben worden ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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