In diesem Buch wird die Soziale Marktwirtschaft erstmals aus der Sicht ihres Begründers, Ludwig Erhard, beschrieben. Das Buch führt in das politisch-ethische Denken ein, das Erhards Sozialer Marktwirtschaft zugrunde liegt, und zeigt, wie unzureichend die gegenwärtige Politik bedacht und begründet ist. Grundlage von Erhards politischer Konzeption waren das Leitbild einer würdevollen, selbstbewussten Lebensführung, die von Bevormundungen und Gängelungen frei ist. Aus diesem Leitbild waren wirtschafts- und sozialpolitische Grundziele abgeleitet, die Erhard erreicht hat: Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit durch "Wohlstand für alle" und eigenverantwortliche Vorsorge sowie Stabilität und schuldenfreie öffentliche Haushalte.Die Politiken der vergangenen Jahre sind von Erhards Konzeption abgewichen und können weder Wohlstand für alle noch soziale Gerechtigkeit, weder Stabilität noch eine solide Finanzpolitik garantieren.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2015Erhards geheimes Erbe
Der Meister und die Tradition der Historischen Schule
An Büchern über Ludwig Erhard herrscht kein Mangel. Nun legt mit Horst Friedrich Wünsche ein Insider ein Buch vor, das interessant und provozierend geschrieben ist, dessen Hauptthese sich aber kaum halten lässt: Wünsche, ehemals wissenschaftlicher Mitarbeiter des früheren Wirtschaftsministers und Bundeskanzlers und exquisiter Kenner des schriftlichen Nachlasses Erhards, sieht die wirtschaftspolitische Konzeption seines Helden bis heute unverstanden. Darüber mag man reden. Aber er versucht auch, Erhards ökonomisches Denken und Wirken in die Tradition der deutschen Historischen Schule einzureihen und eine erhebliche Distanz Erhards zum Ordoliberalismus zu konstatieren. Dieser Versuch will nicht recht überzeugen.
Denn damit dieses kühne Unterfangen gelingt, muss Wünsche zwei Hürden nehmen: Erstens muss er den Nachweis führen, dass die häufig als "Kathedersozialisten" gescholtenen Vertreter der Historischen Schule in Wirklichkeit Vertreter einer freiheitlichen Wirtschafts- und Sozialordnung waren. Da liegt Wünsche im Trend der Zeit. Die moderne Forschung betrachtet die Historische Schule heute eher als eine Art historische Institutionenlehre. Der Frankfurter Dogmenhistoriker Bertram Schefold meint, "dass die grundsätzliche Intention der Historischen Schule, die Nationalökonomie in eine wirkliche Sozialwissenschaft zu verwandeln, in der historische, kulturelle und institutionelle Aspekte ihren Platz haben, berechtigt ist und eine neue Aufmerksamkeit verdient." Die Forschung hat auch gezeigt, dass die Historische Schule und der Ordoliberalismus keineswegs nur Antipoden, sondern miteinander verbunden sind.
Den Nachweis, dass sich Erhard über seine akademischen Lehrer der Historischen Schule annäherte, kann Wünsche mangels handfester Quellen allerdings bestenfalls indirekt herleiten, und an dieser Stelle wirkt das Buch besonders bemüht. Erhard hatte nicht mit Begeisterung Wirtschaft studiert, die Handelshochschule Nürnberg war keine erstrangige wissenschaftliche Adresse, und Erhard besaß trotz einer in Frankfurt bei Franz Oppenheimer geschriebenen Dissertation keine ausgeprägten wissenschaftlichen Neigungen. Es existieren auch kaum schriftlichen Belege für den konkreten Einfluss der sieben akademischen Lehrer Erhards, die Wünsche ausführlich präsentiert: Wilhelm Rieger, Karl Theodor von Eheberg, Adolf Günther, Franz Oppenheimer, Andreas Voigt, Fritz Schmidt und Wilhelm Vershofen.
Erhard hat sich später anerkennend über seinen verehrten Doktorvater Oppenheimer geäußert. Oppenheimer war Anhänger eines liberalen Sozialismus und der Genossenschaftsbewegung, jedoch hielt er nicht viel von der Historischen Schule. Andererseits hätte Erhard vielleicht am ehesten über seinen wirtschaftspolitischen Mitstreiter Alfred Müller-Armack Zugang zu den Gedanken der Historischen Schule erhalten können, aber Wünsche ist in seinem Buch auffallend bemüht, jeden prägenden Einfluss Müller-Armacks auf Erhard zu bestreiten.
Was soll Erhard in der Historischen Schule gesucht haben? Eine ethisch verpflichtete Sozialwissenschaft, der ökonomische Gewinnmaximierung um jeden Preis fern steht, die aber das Freiheitsrecht des Individuums hochhält, antwortet Wünsche: "Im Gegensatz zur modernen Nationalökonomie ging es der Historischen Schule vorzugsweise um die sozialen Konsequenzen des Wirtschaftens und in politischer Hinsicht um die Frage, wie sich der soziale Frieden in prosperierenden und sich wandelnden Gesellschaften erreichen und wahren lässt." Erhard selbst schrieb einmal: "Nicht die freie Marktwirtschaft des liberalistischen Freibeutertums einer vergangenen Ära, auch nicht das ,freie Spiel der Kräfte' und dergleichen Phrasen, mit denen man hausieren geht, sondern die sozial verpflichtete Marktwirtschaft, die das einzelne Individuum wieder zur Geltung kommen lässt, die den Wert der Persönlichkeit obenan stellt und der Leistung den verdienten Ertrag zugute kommen lässt, das ist die Marktwirtschaft moderner Prägung."
Erhard war kein Laissez-faire-Liberaler, aber Wünsches Bemühen, seinen Helden von den deutschen Ordoliberalen abzugrenzen, die er als weltfremde Außenseiter schildert, wirkt ebenfalls sehr bemüht. Sie hätten Anerkennung gesucht, indem sie sich ohne innere Überzeugung, aber dafür aus Geltungssucht an Erhards Popularität anhängten: "Als Wissenschaftler hatte Erhard zu keinem Einzigen dieser Neoliberalen irgendwelche nennenswerten Kontakte", schreibt Wünsche. Keiner der vermeintlichen neoliberalen Freunde haben sich "jemals in fundierter Weise mit den Grundzügen der Sozialen Marktwirtschaft befasst oder sich wirklich nachhaltig zur Sozialen Marktwirtschaft bekannt". Walter Euckens "Grundsätze der Wirtschaftspolitik" habe Erhard als "scholastische Schrift" bezeichnet und es völlig aufgeschlossen, dass Erhards Soziale Marktwirtschaft jemals mit Euckens Wettbewerbstheorie verwechselt werden könnte. Wahr ist allerdings auch, dass der Politiker Erhard Ende der vierziger Jahre mit liberalen Ökonomen in Kontakt stand, so wie ebenfalls nicht bestritten werden kann, dass sich Erhard lobend über sozialphilosophische Schriften des Ordoliberalen Wilhelm Röpke geäußert hat.
Weniger kontrovers ist Wünsches Forderung, unsere Zeit möge sich ernsthafter mit der Sozialen Marktwirtschaft befassen. Welche politischen Folgerungen ließen sich daraus gewinnen? Wünsche schreibt: "Für Erhard folgte aus Adam Smiths Darstellung der egoistischen und sozialen Doppelnatur von Menschen eine politische Daueraufgabe, die sich schwer lösen lässt: Die Politik muss die Mitte wahren. Sie darf die tatkräftigen egoistischen Motive nicht schwächen, muss aber rücksichtsloses, ausschließlich egoistisch-materialistisches Denken und Handeln begrenzen." Die Soziale Marktwirtschaft als ein fruchtbares Forschungsprogramm fern jeder Heldenverehrung wäre eine Ambition, die auch im 21. Jahrhundert fraglos einen Sinn besäße.
GERALD BRAUNBERGER
Horst Friedrich Wünsche: Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft. Lau Verlag. Reinbek 2015. 460 Seiten. 34 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Meister und die Tradition der Historischen Schule
An Büchern über Ludwig Erhard herrscht kein Mangel. Nun legt mit Horst Friedrich Wünsche ein Insider ein Buch vor, das interessant und provozierend geschrieben ist, dessen Hauptthese sich aber kaum halten lässt: Wünsche, ehemals wissenschaftlicher Mitarbeiter des früheren Wirtschaftsministers und Bundeskanzlers und exquisiter Kenner des schriftlichen Nachlasses Erhards, sieht die wirtschaftspolitische Konzeption seines Helden bis heute unverstanden. Darüber mag man reden. Aber er versucht auch, Erhards ökonomisches Denken und Wirken in die Tradition der deutschen Historischen Schule einzureihen und eine erhebliche Distanz Erhards zum Ordoliberalismus zu konstatieren. Dieser Versuch will nicht recht überzeugen.
Denn damit dieses kühne Unterfangen gelingt, muss Wünsche zwei Hürden nehmen: Erstens muss er den Nachweis führen, dass die häufig als "Kathedersozialisten" gescholtenen Vertreter der Historischen Schule in Wirklichkeit Vertreter einer freiheitlichen Wirtschafts- und Sozialordnung waren. Da liegt Wünsche im Trend der Zeit. Die moderne Forschung betrachtet die Historische Schule heute eher als eine Art historische Institutionenlehre. Der Frankfurter Dogmenhistoriker Bertram Schefold meint, "dass die grundsätzliche Intention der Historischen Schule, die Nationalökonomie in eine wirkliche Sozialwissenschaft zu verwandeln, in der historische, kulturelle und institutionelle Aspekte ihren Platz haben, berechtigt ist und eine neue Aufmerksamkeit verdient." Die Forschung hat auch gezeigt, dass die Historische Schule und der Ordoliberalismus keineswegs nur Antipoden, sondern miteinander verbunden sind.
Den Nachweis, dass sich Erhard über seine akademischen Lehrer der Historischen Schule annäherte, kann Wünsche mangels handfester Quellen allerdings bestenfalls indirekt herleiten, und an dieser Stelle wirkt das Buch besonders bemüht. Erhard hatte nicht mit Begeisterung Wirtschaft studiert, die Handelshochschule Nürnberg war keine erstrangige wissenschaftliche Adresse, und Erhard besaß trotz einer in Frankfurt bei Franz Oppenheimer geschriebenen Dissertation keine ausgeprägten wissenschaftlichen Neigungen. Es existieren auch kaum schriftlichen Belege für den konkreten Einfluss der sieben akademischen Lehrer Erhards, die Wünsche ausführlich präsentiert: Wilhelm Rieger, Karl Theodor von Eheberg, Adolf Günther, Franz Oppenheimer, Andreas Voigt, Fritz Schmidt und Wilhelm Vershofen.
Erhard hat sich später anerkennend über seinen verehrten Doktorvater Oppenheimer geäußert. Oppenheimer war Anhänger eines liberalen Sozialismus und der Genossenschaftsbewegung, jedoch hielt er nicht viel von der Historischen Schule. Andererseits hätte Erhard vielleicht am ehesten über seinen wirtschaftspolitischen Mitstreiter Alfred Müller-Armack Zugang zu den Gedanken der Historischen Schule erhalten können, aber Wünsche ist in seinem Buch auffallend bemüht, jeden prägenden Einfluss Müller-Armacks auf Erhard zu bestreiten.
Was soll Erhard in der Historischen Schule gesucht haben? Eine ethisch verpflichtete Sozialwissenschaft, der ökonomische Gewinnmaximierung um jeden Preis fern steht, die aber das Freiheitsrecht des Individuums hochhält, antwortet Wünsche: "Im Gegensatz zur modernen Nationalökonomie ging es der Historischen Schule vorzugsweise um die sozialen Konsequenzen des Wirtschaftens und in politischer Hinsicht um die Frage, wie sich der soziale Frieden in prosperierenden und sich wandelnden Gesellschaften erreichen und wahren lässt." Erhard selbst schrieb einmal: "Nicht die freie Marktwirtschaft des liberalistischen Freibeutertums einer vergangenen Ära, auch nicht das ,freie Spiel der Kräfte' und dergleichen Phrasen, mit denen man hausieren geht, sondern die sozial verpflichtete Marktwirtschaft, die das einzelne Individuum wieder zur Geltung kommen lässt, die den Wert der Persönlichkeit obenan stellt und der Leistung den verdienten Ertrag zugute kommen lässt, das ist die Marktwirtschaft moderner Prägung."
Erhard war kein Laissez-faire-Liberaler, aber Wünsches Bemühen, seinen Helden von den deutschen Ordoliberalen abzugrenzen, die er als weltfremde Außenseiter schildert, wirkt ebenfalls sehr bemüht. Sie hätten Anerkennung gesucht, indem sie sich ohne innere Überzeugung, aber dafür aus Geltungssucht an Erhards Popularität anhängten: "Als Wissenschaftler hatte Erhard zu keinem Einzigen dieser Neoliberalen irgendwelche nennenswerten Kontakte", schreibt Wünsche. Keiner der vermeintlichen neoliberalen Freunde haben sich "jemals in fundierter Weise mit den Grundzügen der Sozialen Marktwirtschaft befasst oder sich wirklich nachhaltig zur Sozialen Marktwirtschaft bekannt". Walter Euckens "Grundsätze der Wirtschaftspolitik" habe Erhard als "scholastische Schrift" bezeichnet und es völlig aufgeschlossen, dass Erhards Soziale Marktwirtschaft jemals mit Euckens Wettbewerbstheorie verwechselt werden könnte. Wahr ist allerdings auch, dass der Politiker Erhard Ende der vierziger Jahre mit liberalen Ökonomen in Kontakt stand, so wie ebenfalls nicht bestritten werden kann, dass sich Erhard lobend über sozialphilosophische Schriften des Ordoliberalen Wilhelm Röpke geäußert hat.
Weniger kontrovers ist Wünsches Forderung, unsere Zeit möge sich ernsthafter mit der Sozialen Marktwirtschaft befassen. Welche politischen Folgerungen ließen sich daraus gewinnen? Wünsche schreibt: "Für Erhard folgte aus Adam Smiths Darstellung der egoistischen und sozialen Doppelnatur von Menschen eine politische Daueraufgabe, die sich schwer lösen lässt: Die Politik muss die Mitte wahren. Sie darf die tatkräftigen egoistischen Motive nicht schwächen, muss aber rücksichtsloses, ausschließlich egoistisch-materialistisches Denken und Handeln begrenzen." Die Soziale Marktwirtschaft als ein fruchtbares Forschungsprogramm fern jeder Heldenverehrung wäre eine Ambition, die auch im 21. Jahrhundert fraglos einen Sinn besäße.
GERALD BRAUNBERGER
Horst Friedrich Wünsche: Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft. Lau Verlag. Reinbek 2015. 460 Seiten. 34 Euro
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