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Produktdetails
  • Wittgensteiniana Bd.1
  • Verlag: Parerga Verlag
  • Seitenzahl: 310
  • Erscheinungstermin: August 2007
  • Deutsch
  • Abmessung: 22mm x 129mm x 210mm
  • Gewicht: 408g
  • ISBN-13: 9783937262376
  • ISBN-10: 3937262377
  • Artikelnr.: 20836043
Autorenporträt
Matthias Kroß, Dr. phil., geb. 1953, war nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaften und Philosophie als Publizist, Dozent in der Erwachsenenbildung und als Gymnasiallehrer tätig. Er ist seit 1995 Wissenschaftlicher Referent am Einstein Forum in Potsdam und seit 1998 Lehrbeauftragter am Institut für allgemeine Soziologie der Universität Potsdam

Michael Nedo, geboren 1940, Werkzeugmacher, Studium der Mathematik, Physik und Zoologie. Direktor des Wittgenstein Archivs in Cambridge.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2007

Hubschrauber im Kopf
Immer hoch hinaus: Ludwig Wittgenstein als Ingenieur

Wittgenstein verwendet oft Maschinenbilder. Sie scheinen zu zeigen, dass eine gegebene Konfiguration alle zukünftigen Bewegungen festlegt. Der Ingenieur aber weiß: Es kann alles ganz anders kommen.

Wäre es nach dem Wunsch seines Vaters gegangen, eines der reichsten Industriellen der k. u. k. Monarchie, hätte Ludwig Wittgenstein die Ingenieurlaufbahn eingeschlagen. Im Oktober 1906 begann er ein Maschinenbaustudium an der Berliner Technischen Hochschule Charlottenburg. Auch die Übersiedlung nach Manchester drei Semester später stand noch im Zeichen seiner technischen, näherhin aeronautischen Interessen. In diese Zeit fällt die Ausarbeitung der Idee eines neuartigen Antriebs für Hubschrauber, den Wittgenstein als Patent anmelden konnte. Dann allerdings, angestoßen nicht zuletzt durch Bertrand Russell in Cambridge, bekamen die philosophischen Neigungen zusehends das Übergewicht. Der Weg war eingeschlagen, der zuerst zur "Logisch-philosophischen Abhandlung" führte und schließlich zur Spätphilosophie, die auf eine gründliche Revision der frühen Positionen hinauslief.

Obwohl man sich da bereits auf schwierigem Gelände befindet. Denn wie tief die Zäsur eigentlich ist, die den frühen vom späten Wittgenstein trennt, darüber herrscht keine Einigkeit. Nach mehrheitlicher Lesart hat der Wittgenstein der "Abhandlung" eine metaphysische Abbildtheorie von Welt und Idealsprache entworfen, die der späte Wittgenstein der "Philosophischen Untersuchungen" restlos abräumte. Gegen wesentliche Züge dieser Lesart wendet sich in den letzten Jahren eine Interpretation, die in der "Abhandlung" bereits eine strikte Einklammerung von philosophischer Theorie ortet, welche auf die Theorieabstinenz der Spätphilosophie vorausweist. Was diese Lesart ausmacht, welche Akzente mit Blick auf den frühen wie späten Wittgenstein sich dabei verschieben, kann man in einem der Beiträge nachlesen, die ein stattlicher Sammelband über Wittgenstein versammelt. Der Autor James Conant gehört zu den profiliertesten Vertretern dieses Angriffs auf die "Standardinterpretation".

Conants Essay steht neben einer Reihe von anderen Beiträgen, die sich mit Facetten von Wittgensteins Philosophieren befassen. Dazu kommen aber auch Texte, die sein Verhältnis zur Musik beleuchten, den Architekten - des berühmten Wiener Hauses für seine Schwester - vor Augen führen und dem sonst kaum beachteten Maschinenbaustudenten Aufmerksamkeit schenken. Auf den ersten Blick hat man mit den Essays zur Berliner Technischen Hochschule und zu den Ingenieurleistungen Wittgensteins das Gebiet der philosophischen Feinheiten verlassen. Schließlich führen die Geschichte des Blattspitzenantriebs und die Erklärung des von Wittgenstein während des Zweiten Weltkriegs entwickelten Pulsmessgeräts auf das Gebiet solider technischer Praxis.

Doch die Frage liegt nahe, ob man Wittgensteins Vertrautheit mit der Konstruktion von Maschinen auch in seinen philosophischen Texten findet. Man kann etwa auf die vielen Maschinenbilder verweisen, auf die man dort stößt: vom bloß scheinbaren Zug im Sprachspiel als leerlaufendes Rad, das gar nicht zur Maschine gehört, bis zur Behandlung falscher Vorstellungen vom Kausalnexus als Mechanismus, der zwei Maschinenteile verbindet, oder des wollenden Subjekts als Motor ohne zu überwindenden Trägheitswiderstand.

Von der Maschine kommt man aber auf kurzem Weg auch zur Klassischen Mechanik und ihren Grundlagen - und damit gleich wieder auf philosophisch tiefes Terrain. Dass Wittgenstein Heinrich Hertz' "Prinzipien der Mechanik" bewunderte und sie als vorbildliche Fundierungsarbeit ansah, an der seine "Abhandlung" Maß nahm, ist bekannt. Noch für die "Untersuchungen" hatte er erwogen, ein Zitat von Hertz voranzustellen: "Sind diese schmerzenden Widersprüche entfernt, so ist nicht die Frage nach dem Wesen beantwortet, aber der nicht mehr gequälte Geist hört auf, die für ihn unberechtigte Frage zu stellen." Man könnte es ohne weiteres für eine Äußerung von Wittgenstein selbst halten.

Gerd Graßhoff möchte die Rolle von Hertz aber nun noch deutlich höher angesetzt wissen: Die einfachen Gegenstände, aus welchen sich die Tatsachen zusammensetzen, deren Gesamtheit nach dem berühmten Auftakt der "Abhandlung" die Welt ist, sollen sich von den Massenpunkten herleiten, die bei Hertz die Bausteine der mechanisch beschriebenen Welt abgeben. Graßhoff hangelt sich dafür an einer Indizienkette entlang. Sie beginnt bei einer Tagebucheintragung Wittgensteins aus dem Jahr 1930 und führt zurück auf sein Studium in Berlin. Dort nämlich, in den Vorlesungen des Privatdozenten Joseph Petzoldt über Grundbegriffe der Mechanik, vermutet der Autor den Ursprung von Wittgensteins Kenntnissen über merkwürdige Fragen der Art, ob ein einsamer Massenpunkt im Raum überhaupt vorstellbar beziehungsweise physikalisch beschreibbar sei. Dass dies unmöglich ist und deshalb ein Symbolismus der Beschreibung gefunden werden muss, in dem eine solche Frage gar nicht auftritt, stellt sich für Graßhoff dann als philosophische Initialzündung Wittgensteins im Jahr 1914 heraus.

Man muss nicht befürchten, dass der notorisch schwierige und gleichzeitig so weit über die philosophische Profession hinaus bekannte Text der "Abhandlung" damit geknackt ist. Nähme man ihn als Maschine zur Produktion von Interpretationsversuchen, man dürfte ihn unter die gelungenen Ingenieurleistungen Wittgensteins reihen.

HELMUT MAYER

Günter Abel, Matthias Kroß, Michael Nedo (Hrsg.): "Ludwig Wittgenstein". Ingenieur - Philosoph - Künstler. Parerga Verlag, Berlin 2007. 310 S., Abb., br., 29,80 [Euro].

Gerd Graßhoff (Hrsg.): "Wittgenstein's World of Mechanics". Including Transcripts of Lectures by Wittgenstein's Teacher Joseph Petzoldt and Related Texts on Mechanics. Springer Verlag, Wien 2006. 220 S., geb., 64,90 [Euro].

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