Es ist ein erschreckendes Bild, das die Östereicherin Gudrun Lerchbaum in ihrem Politthriller „Lügenland“ vor den Augen des Lesers ausbreitet. Im Gegensatz zu den Dystopien, die viele ihrer Autorenkollegen entwickeln, verzichtet sie aber darauf, die Handlung in einer fiktiven Umgebung zu
inszenieren, sondern wählt ihr Heimatland als passenden Hintergrund aus. Passend, weil dort Rechtspopulismus…mehrEs ist ein erschreckendes Bild, das die Östereicherin Gudrun Lerchbaum in ihrem Politthriller „Lügenland“ vor den Augen des Lesers ausbreitet. Im Gegensatz zu den Dystopien, die viele ihrer Autorenkollegen entwickeln, verzichtet sie aber darauf, die Handlung in einer fiktiven Umgebung zu inszenieren, sondern wählt ihr Heimatland als passenden Hintergrund aus. Passend, weil dort Rechtspopulismus eine gewisse Tradition hat. Passend, weil die Politik im Zuge der Flüchtlingskrise ihr hässliches Gesicht gezeigt und auf Abschottung gedrängt hat. Passend, wenn man sich das Chaos um die Bundespräsidentenwahl anschaut, deren wahrscheinliches Ergebnis man gar nicht vorstellen mag.
„Lügenland“ spielt in der nahen Zukunft. Die Alpenrepublik ist zu einem diktatorischen Überwachungsstaat geworden, der von Rechtspopulisten regiert wird. Alles natürlich zum Wohl des Volkes, dem man Sicherheit durch Kontrolle suggeriert, und dies überall und rund um die Uhr. Das Volk fügt sich, zumindest diejenigen, die unter diesen Verhältnissen aufgewachsen sind. Wie Mattea, die gehorsame Soldatin, die im Begriff ist, zu heiraten. Um Liebe soll es in dieser arrangierten Ehe nicht gehen, vielmehr um die Zeugung und Aufzucht treuer Untertanen.
Glücklicherweise ergeben sich manchmal Chancen für Veränderungen, die man so nicht erwartet. Für Mattea ist es der Tod ihrer Freundin, den sie verursacht hat. Aus Furcht vor den Konsequenzen ergreift sie die Flucht, wird „wertlos“, weil sie nicht mehr von Nutzen für das Regime ist. Sie ist quasi eine „Vogelfreie“, denn alles, worauf sie ihr bisheriges Leben gegründet hat, soll für sie plötzlich keine Bedeutung mehr haben. Nicht weil sie es so möchte, sondern weil die Institutionen dies nach ihrem Regelverstoß es so entschieden haben. Fliehen um der Bestrafung zu entgehen, scheint ihre einzige Option. Aber selbst das ist nahezu unmöglich, da sie einer Terroristin bis aufs Haar gleicht. Doch dieser Umstand bedeutet gleichermaßen Glück im Unglück, denn deren Gesinnungsfreunde erweisen sich als Retter in der Not, sind sie doch überzeugt davon, die verschollene Mitstreiterin im revolutionären Kampf vor sich zu haben. Solidarität und Hilfe von Menschen, die ihr ein Leben lang als Feinde präsentiert wurden – es scheint, ob für Mattea der ideale Zeitpunkt gekommen wäre, um alte Strukturen zu hinterfragen…
Österreich als Orwellscher Überwachungsstaat und eine junge Frau, deren Wertesystem in Schwanken gerät, nachdem sie sich auf der „falschen“ Seite wiederfindet – es ist ja nicht so, dass solche Verhältnisse komplett aus der Luft gegriffen sind. Nun gut, vielleicht ist der eine oder andere Aspekt sogar bereits in Europa zu finden, man denke nur an die allgegenwärtigen Kameras in den Hauptstädten. Oder die Terrorhysterie in den Vereinigten Staaten, mit der jede Schweinerei von staatlicher Seite zu rechtfertigen ist. Oder Nordkoreas Kim Jong Un, dessen Bildnis auch niemand entkommen kann, auch wenn es (noch) nicht als Hologramm durch die Städte flackert.
Gudrun Lerchbaum schildert diese Verhältnisse der schönen neuen österreichischen Welt erschreckend anschaulich. Gleichzeitig zeigt sie aber auch die Zerrissenheit der Menschen, die in und mit einem solchen System leben und plötzlich anfangen, dessen Werte zu hinterfragen. Beeindruckend und erschreckend, routiniert geschrieben und thematisch mit George Orwells „1984“ und Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ vergleichbar. Lesen!