In bezwingend klaren und unmittelbar berührenden Versen treibt Perros assoziativ und geleitet vom Rhythmus der Sprache durch die Windungen seines Lebens. Vieles scheint beiläufig, nebensächlich, und vieles, was gemeinhin ein Leben ausmacht, bleibt in seiner komprimierten Beschreibung unerwähnt. Der Leser wird nach und nach in den Bann einer Autobiografie geschlagen, die nicht beschönigt oder nachbessert, sondern das Individuelle übersteigt und letztlich einfach vom Leben erzählt, von dessen Schlichtheit und würdevoller Schönheit.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit großer Freude hat Niklas Bender diesen Gedichtroman von Georges Perros aufgenommen, der jetzt endlich in deutscher Übersetzung vorliegt. Er würdigt die Leistung von Anne Weber, den in Achtsilbern gehaltenen Roman "präzise und einfühlsam" übersetzt zu haben. Obwohl der Autor auch in Frankreich nicht sonderlich bekannt ist, scheint dem Rezensenten die französische Lyrik nach 1945 ohne Perros undenkbar. Dessen Verdienst sieht er insbesondere darin, der französischen Lyrik den Alltag nahegebracht zu haben. Die Alltagsnähe, das Unaufgeregte, Unprätentiöse ist für den Rezensenten auch in "Luftschnappen war sein Beruf" spürbar: "der Weizen ist nicht blau ich weiß / aber ein Wort gibt das andere / und alles hat die Farbe des Himmels / wenn unser Auge auf neu eigestellt ist", zitiert er den Dichter. Zugleich lobt Bender die hinreißenden Bilder, in denen Perros Kindheit und Jugend beschreibt. Themen wie Arbeit, Freundschaft, Schönheit finden sich in dem Buch ebenso wie Erinnerungen, Begegnungen und Porträts von Schauspielern und Dichern. Das Fazit des Rezensenten: eine wunderbare Entdeckung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2012Im blauen Weizen, der die Beine sticht
Strandgut als Poesie: Die französische Lyrik nach 1945 verdankt Georges Perros ihre Alltagstauglichkeit. Nun liegt sein großer Gedichtroman endlich auf Deutsch vor.
Das Übersetzen von Titeln ist heikel. Aus Angst vor einem Fehlgriff, auf der Suche nach der griffigen Formel oder schlicht aus kommerziellem Kalkül wird mitunter das Original im Stich gelassen. Anne Weber kann man das nicht vorwerfen: Ihre präzise und einfühlsame Übersetzung von Georges Perros' Gedichtroman "Une vie ordinaire" (wörtlich: Ein gewöhnliches Leben) betitelt sie zwar mit "Luftschnappen war sein Beruf". Trotzdem trifft der von Weber gewählte Perros-Vers den Nagel auf den Kopf: Der Rhythmus des Luftholens ist eine elementare Regelmäßigkeit, die nicht nur dem Dichten, sondern dem menschlichen Dasein allgemein zu Grunde liegt. Und Atemnot prägt nicht nur die Biographie des zu früh geborenen - "Ach diese anderthalb Monate fehlen mir / Ich bin der Mann eines Luftzugs" - und an Kehlkopfkrebs gestorbenen Perros, sondern auch seinen Gedichtroman, der in Achtsilbern gehalten ist.
Der "octosyllabe" ist ein kurzes Versmaß, das nicht den lockeren Atem des in der Renaissance beliebten Zehnsilbers oder die dramatische Fülle des klassischen Alexandriners bietet. Perros ist ein existentieller Purist, er beschränkt sich, ringt um Luft, um Worte, so, wie er seinen Lebenskreis auf die Elementarlandschaft des bretonischen Douarnenez reduziert - in dieser Begrenzung findet er Freiheit, und Weber hat das begriffen.
Georges Perros, 1923 als Georges Poulot in Paris geboren, durchläuft eine erfolgreiche Karriere als Schauspieler, die ihn bis in die stehende Truppe der Comédie-Française bringt. Den ersten Beruf gibt er jedoch auf, um sich dem Schreiben zu widmen; in den fünfziger Jahren arbeitet er als Literaturkritiker für die "Nouvelle Revue Française". Doch auch in der Hauptstadt hält es ihn nicht: 1959 lässt er sich mit Tania, seiner späteren Frau, in der Bretagne nieder; er nimmt das bretonische Pseudonym Perros an. Er schlägt sich durch, unterrichtet an der Universität Brest. Bekannt wird er mit den drei Bänden der "Papiers collés" (von 1960 an), den "Poèmes bleus" (1962) und eben mit seinem Gedichtroman "Une vie ordinaire" (1967). 1978 stirbt Perros nach Verlust der Stimme und zweijährigem Leiden.
Auch in Frankreich ist Perros dem breiten Publikum unbekannt. Dennoch kann man sich die französische Lyrik nach 1945 schwer ohne ihn denken: Wie Jacques Réda steht Perros für die Hinwendung zum Alltäglichen, für die poetische Akzeptanz des scheinbar Banalen. Anders als Réda hält er zwar an der Versform fest, aber die Reime fallen selten, kunstlos, wie zufällig: "Mein Vers ist Hase ist Schildkröte / Hier Frettchen dort Schnecke / er läuft und rutscht oft aus / denn Leben ist Bananenschale / und gelangt vorwärts nach / eignem schlendernden Belieben / Auch tritt er auf Minen / und explodiert armes Kind." Es ist gerade das Unprätentiöse, das Strandguthafte seiner Dichtung, was Perros eine treue Leserschaft sichert, besonders in der eigensinnigen Bretagne. Manchmal bekennt sie überraschend Flagge: 2011 hat der Rocker Miossec ein Album mit "Chansons ordinaires" veröffentlicht, in dem man über den Refrain "juste une vie ordinaire" stolpert - ein bretonischer Barde blinzelt dem anderen zu.
"Luftschnappen war sein Beruf" bietet deutschen Lesern endlich die Gelegenheit, Perros zu entdecken. Der Dichter wirft sein Angebot beiläufig hin: "Und bedrückt euch meine Sprache / wenngleich fliehend und geschwind / nichts leichter als das so werft / dieses Buch nur in den Wind." Davon sei dringend abgeraten - zu schön sind die Bilder, mit denen Perros Kindheit und Jugend beschreibt, dann Freundschaften evoziert und schließlich in der Wahlheimat zu sich kommt. Die unregelmäßig langen Abschnitte des Gedichtromans sind einerseits allgemeinen Themen wie Arbeit, Freundschaft, Schönheit, Glaube und Tod gewidmet, andererseits reihen sie konkrete Erinnerungen aneinander, etwa zu dem Motorrad oder drängenden Trinkgelüsten. Eine Kindheitserinnerung: "Ich mochte es mich im Wind zu spüren / im blauen Weizen der die Beine sticht / der Weizen ist nicht blau ich weiß / aber ein Wort gibt das andere / und alles hat die Farbe des Himmels / wenn unser Auge auf neu eingestellt ist." Die Farbe Blau wird nicht zufällig genannt: Es ist das berühmte "azur" Mallarmés, das von Perros auf seine Elementardimension zurückgeführt wird. Wie in den "Poèmes bleus" oder in dem posthum erschienen Band "J'habite près de mon silence" (2006) steht Blau nicht nur für ein ideal gesetztes Wort, es ist eng mit der Landschaft, mit Himmel und Meer verbunden; Jean-Michel Maulpoix hat es Perros in "Eine Geschichte vom Blau" (1992) nachgetan.
Neben Naturkräften und Worten sind es die Menschen, die Perros umtreiben, ja heimsuchen. Am Anfang werden zahlreiche Begegnungen beschrieben, Schauspieler und Dichter porträtiert: Paul Valéry, Pierre Jean Jouve, Jean Paulhan, Henri Pichette und Gérard Philipe etwa; mit manchen hat Perros über die Jahre intensiven Kontakt, reiche Briefwechsel zeugen davon. Dann erfährt sein Freundes- und Bekanntenkreis offensichtlich eine radikale Ausdünnung: "Bin eingeraucht wie eine Pfeife / nicht vom Tabak sondern von / der Einsamkeit von der ich alle / Freuden alle Qualen kenne." Enttäuschung und Einsamkeit sind wiederkehrende Themen, der düstere Ton erinnert mitunter an die Moralistik: "Natürlich / egoistisch aber es scheint so als / sei uns der Mensch Enttäuschung / der den wir in uns tragen ebenso / wie der Mensch der anderen." Die Einsicht in Täuschung und Selbsttäuschung des Menschen, gefasst in einer dichten Sentenz - La Rochefoucauld ist nicht fern.
Doch Bedrückung und Atemnot behalten selten die Oberhand: Den Gedichtroman durchzieht vor allem eine tiefe Freiheitsliebe. Es bleibt nur die Trauer über den früh Hingeschiedenen, die Perros selbst zu lindern versteht: "Denn sterben / bringt unsere Tugenden zur Geltung / wie Salatpflänzchen und Rüben / nachdem der Leib zwischen Kräutern / und Moos aus dem Spiel ausgestiegen." Perros-Leser muss man sich als glückliche Gärtner denken.
NIKLAS BENDER
Georges Perros: "Luftschnappen war sein Beruf". Gedichtroman.
Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Anne Weber. Matthes & Seitz, Berlin 2012. 162 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Strandgut als Poesie: Die französische Lyrik nach 1945 verdankt Georges Perros ihre Alltagstauglichkeit. Nun liegt sein großer Gedichtroman endlich auf Deutsch vor.
Das Übersetzen von Titeln ist heikel. Aus Angst vor einem Fehlgriff, auf der Suche nach der griffigen Formel oder schlicht aus kommerziellem Kalkül wird mitunter das Original im Stich gelassen. Anne Weber kann man das nicht vorwerfen: Ihre präzise und einfühlsame Übersetzung von Georges Perros' Gedichtroman "Une vie ordinaire" (wörtlich: Ein gewöhnliches Leben) betitelt sie zwar mit "Luftschnappen war sein Beruf". Trotzdem trifft der von Weber gewählte Perros-Vers den Nagel auf den Kopf: Der Rhythmus des Luftholens ist eine elementare Regelmäßigkeit, die nicht nur dem Dichten, sondern dem menschlichen Dasein allgemein zu Grunde liegt. Und Atemnot prägt nicht nur die Biographie des zu früh geborenen - "Ach diese anderthalb Monate fehlen mir / Ich bin der Mann eines Luftzugs" - und an Kehlkopfkrebs gestorbenen Perros, sondern auch seinen Gedichtroman, der in Achtsilbern gehalten ist.
Der "octosyllabe" ist ein kurzes Versmaß, das nicht den lockeren Atem des in der Renaissance beliebten Zehnsilbers oder die dramatische Fülle des klassischen Alexandriners bietet. Perros ist ein existentieller Purist, er beschränkt sich, ringt um Luft, um Worte, so, wie er seinen Lebenskreis auf die Elementarlandschaft des bretonischen Douarnenez reduziert - in dieser Begrenzung findet er Freiheit, und Weber hat das begriffen.
Georges Perros, 1923 als Georges Poulot in Paris geboren, durchläuft eine erfolgreiche Karriere als Schauspieler, die ihn bis in die stehende Truppe der Comédie-Française bringt. Den ersten Beruf gibt er jedoch auf, um sich dem Schreiben zu widmen; in den fünfziger Jahren arbeitet er als Literaturkritiker für die "Nouvelle Revue Française". Doch auch in der Hauptstadt hält es ihn nicht: 1959 lässt er sich mit Tania, seiner späteren Frau, in der Bretagne nieder; er nimmt das bretonische Pseudonym Perros an. Er schlägt sich durch, unterrichtet an der Universität Brest. Bekannt wird er mit den drei Bänden der "Papiers collés" (von 1960 an), den "Poèmes bleus" (1962) und eben mit seinem Gedichtroman "Une vie ordinaire" (1967). 1978 stirbt Perros nach Verlust der Stimme und zweijährigem Leiden.
Auch in Frankreich ist Perros dem breiten Publikum unbekannt. Dennoch kann man sich die französische Lyrik nach 1945 schwer ohne ihn denken: Wie Jacques Réda steht Perros für die Hinwendung zum Alltäglichen, für die poetische Akzeptanz des scheinbar Banalen. Anders als Réda hält er zwar an der Versform fest, aber die Reime fallen selten, kunstlos, wie zufällig: "Mein Vers ist Hase ist Schildkröte / Hier Frettchen dort Schnecke / er läuft und rutscht oft aus / denn Leben ist Bananenschale / und gelangt vorwärts nach / eignem schlendernden Belieben / Auch tritt er auf Minen / und explodiert armes Kind." Es ist gerade das Unprätentiöse, das Strandguthafte seiner Dichtung, was Perros eine treue Leserschaft sichert, besonders in der eigensinnigen Bretagne. Manchmal bekennt sie überraschend Flagge: 2011 hat der Rocker Miossec ein Album mit "Chansons ordinaires" veröffentlicht, in dem man über den Refrain "juste une vie ordinaire" stolpert - ein bretonischer Barde blinzelt dem anderen zu.
"Luftschnappen war sein Beruf" bietet deutschen Lesern endlich die Gelegenheit, Perros zu entdecken. Der Dichter wirft sein Angebot beiläufig hin: "Und bedrückt euch meine Sprache / wenngleich fliehend und geschwind / nichts leichter als das so werft / dieses Buch nur in den Wind." Davon sei dringend abgeraten - zu schön sind die Bilder, mit denen Perros Kindheit und Jugend beschreibt, dann Freundschaften evoziert und schließlich in der Wahlheimat zu sich kommt. Die unregelmäßig langen Abschnitte des Gedichtromans sind einerseits allgemeinen Themen wie Arbeit, Freundschaft, Schönheit, Glaube und Tod gewidmet, andererseits reihen sie konkrete Erinnerungen aneinander, etwa zu dem Motorrad oder drängenden Trinkgelüsten. Eine Kindheitserinnerung: "Ich mochte es mich im Wind zu spüren / im blauen Weizen der die Beine sticht / der Weizen ist nicht blau ich weiß / aber ein Wort gibt das andere / und alles hat die Farbe des Himmels / wenn unser Auge auf neu eingestellt ist." Die Farbe Blau wird nicht zufällig genannt: Es ist das berühmte "azur" Mallarmés, das von Perros auf seine Elementardimension zurückgeführt wird. Wie in den "Poèmes bleus" oder in dem posthum erschienen Band "J'habite près de mon silence" (2006) steht Blau nicht nur für ein ideal gesetztes Wort, es ist eng mit der Landschaft, mit Himmel und Meer verbunden; Jean-Michel Maulpoix hat es Perros in "Eine Geschichte vom Blau" (1992) nachgetan.
Neben Naturkräften und Worten sind es die Menschen, die Perros umtreiben, ja heimsuchen. Am Anfang werden zahlreiche Begegnungen beschrieben, Schauspieler und Dichter porträtiert: Paul Valéry, Pierre Jean Jouve, Jean Paulhan, Henri Pichette und Gérard Philipe etwa; mit manchen hat Perros über die Jahre intensiven Kontakt, reiche Briefwechsel zeugen davon. Dann erfährt sein Freundes- und Bekanntenkreis offensichtlich eine radikale Ausdünnung: "Bin eingeraucht wie eine Pfeife / nicht vom Tabak sondern von / der Einsamkeit von der ich alle / Freuden alle Qualen kenne." Enttäuschung und Einsamkeit sind wiederkehrende Themen, der düstere Ton erinnert mitunter an die Moralistik: "Natürlich / egoistisch aber es scheint so als / sei uns der Mensch Enttäuschung / der den wir in uns tragen ebenso / wie der Mensch der anderen." Die Einsicht in Täuschung und Selbsttäuschung des Menschen, gefasst in einer dichten Sentenz - La Rochefoucauld ist nicht fern.
Doch Bedrückung und Atemnot behalten selten die Oberhand: Den Gedichtroman durchzieht vor allem eine tiefe Freiheitsliebe. Es bleibt nur die Trauer über den früh Hingeschiedenen, die Perros selbst zu lindern versteht: "Denn sterben / bringt unsere Tugenden zur Geltung / wie Salatpflänzchen und Rüben / nachdem der Leib zwischen Kräutern / und Moos aus dem Spiel ausgestiegen." Perros-Leser muss man sich als glückliche Gärtner denken.
NIKLAS BENDER
Georges Perros: "Luftschnappen war sein Beruf". Gedichtroman.
Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Anne Weber. Matthes & Seitz, Berlin 2012. 162 S., geb., 22,90 [Euro].
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