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»Ich liebe mein Buch, aber ich kann es nicht empfehlen.« Silvia Bovenschen
Ein sonderbares Haus. Die alte Alma schreibt und zetert, ihre Nichte Agnes ist erschöpft, der kleine Max erforscht die Wunderwelt des Dachbodens, in den der große Mr. Odino einzieht. Im Keller tobt Herr von Bärentrost. Max, Alma und Mr. Odino reisen nach Mispelheim. Sie besuchen eine abendliche Gala, ein Panoptikum, einen Mummenschanz - und ihnen blüht ein Flammenwunder. Silvia Bovenschen zelebriert eine Walpurgisnacht. In aufblitzenden Szenen verwirbelt sie ramponierte Mythen, urtümliche Gespenstergeschichten und…mehr

Produktbeschreibung
»Ich liebe mein Buch, aber ich kann es nicht empfehlen.« Silvia Bovenschen

Ein sonderbares Haus. Die alte Alma schreibt und zetert, ihre Nichte Agnes ist erschöpft, der kleine Max erforscht die Wunderwelt des Dachbodens, in den der große Mr. Odino einzieht. Im Keller tobt Herr von Bärentrost. Max, Alma und Mr. Odino reisen nach Mispelheim. Sie besuchen eine abendliche Gala, ein Panoptikum, einen Mummenschanz - und ihnen blüht ein Flammenwunder.
Silvia Bovenschen zelebriert eine Walpurgisnacht. In aufblitzenden Szenen verwirbelt sie ramponierte Mythen, urtümliche Gespenstergeschichten und Zukunftsängste. Ein Hexentanz in den Kulissen der Zeiten und der Legenden - und wir erkennen darin den Spuk unserer Gegenwart.
Autorenporträt
Silvia Bovenschen, geboren 1946, gestorben am 25. Oktober 2017, lebte als Autorin, Literaturwissenschaftlerin und Essayistin zuletzt in Berlin. 2000 wurde sie mit dem Roswitha-Preis der Stadt Bad Gandersheim und dem Johann-Heinrich-Merck-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet, 2007 erhielt sie den Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik und 2012 den Schillerpreis der Stadt Mannheim. Unter anderem erschienen 'Schlimmer machen, schlimmer lachen' (1998), 'Über-Empfindlichkeit. Spielformen der Idiosynkrasie' (2000), 'Älter werden' (2006), 'Verschwunden' (2007), 'Wer Weiß Was' (2009), 'Wie geht es Georg Laub?' (2011), 'Nur Mut' (2013), 'Sarahs Gesetz' (2015) und zuletzt der Roman 'Lug und Trug und Rat und Streben' (2018). Literaturpreise: Roswitha-Preis der Stadt Bad Gandersheim (2000) Johann-Heinrich-Merck-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (2000) Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik für ihr schriftstellerisches Gesamtwerk (2007) Schillerpreis der Stadt Mannheim (2012)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2018

Endlich kann alles gesagt werden

Die Welt der Silvia Bovenschen ist eine Wandelbühne, der letzte Roman der im Herbst verstorbenen Literaturwissenschaftlerin ihr Vermächtnis: "Lug & Trug & Rat & Streben".

Das Elaborierte und das Populäre, das Hohe und das Niedere, kurz: "Die Welt, ein Geschwür am Arsch eines Riesen". Silvia Bovenschen, die im vergangenen Herbst nach langer Krankheit verstorbene Literaturwissenschaftlerin, hat ihren Fans einen letzten Roman hinterlassen. Den eigenen Tod seit Jahren vor Augen, darf man ihr dabei einen schelmischen Willen zum Antivermächtnis unterstellen. Denn nichts anderes ist dieser Vaudeville-Roman. "Lug & Trug & Rat & Streben": Dass da keine Beilegung lebenspraktischer Verworrenheiten zu erwarten ist, liegt auf der Hand. Denn seitdem Silvia Bovenschen vor etwa zehn Jahren von der Gattung des Essays (ihr gelang ein Bestseller über das Altern!) unter großem Beifall in die schöne Literatur gewechselt ist, waren ihre Figuren von der Rolle gefallene Professoren oder Privatgelehrte. Im Roman konnte endlich alles gesagt werden, was jenseits des gebildeten Diskurses denkbar war. In allen Tonlagen, zu allen Themen, wozu gattungsgeschichtlich auch die Liebe zählt.

Abermals befinden wir uns in einem klassischen Bovenschen-Kosmos. Eine knarzige Villa. Ihre die Zumutungen des Unterhaltungszeitalters mit Schrulligkeit parierenden Bewohner. Eine alte Liebeskiste, die den gut eingeschworenen Lebenskreis aufstört und an den Rand der Funktionsfähigkeit bringt. Eine Bewohnerin der besagten Villa ist Alma Lupinski, mit der Aktualisierung eines mittelalterlichen Textes befasst. Schaltet sie mal den Fernseher ein, packt sie das nackte Grauen. In Sachen Sterbehilfe zum Beispiel: "Diese bigotten Volksvertreter, aufgebläht, selbstgerecht hocken sie im Stresskomfort ihrer verstrahlten Sonderzonen. Unpolitische Politiker, Äonen entfernt von der Verzweiflung des Einzelnen, ohne Demut vor den Qualen jedweder Kreatur, ohne Einsicht in die traurige Endlichkeit des Daseins."

Eine Etage tiefer wohnt Agnes Lupinski, Almas Nichte, die zwischen Heirat und Fluchtreflex in einem emotionalen Locked-in-Syndrom gefangen ist und für Alma Einkäufe tätigt. Im Souterrain haust der Bruder des verschollenen Ehemanns von Alma. Er schreibt Notizbücher voll mit Sentenzen zum Status der Menschheit. Ein Bericht über die Rückkehr des Wolfs animiert ihn zu folgendem Skript: "Die Menge ist eine Vegetarierin, die hat Angst um ihre Schafe. Sie entwirft einen Plan zur Abschaffung der Tiere, die Tiere essen. Die Schweine haben eine Eingabe gemacht: Sie können zur Not auf das Fleisch verzichten. Ein besonderes Zuchtschaf stirbt auf der Flucht in die freie Natur, weil es nicht geschoren wurde. Es erstickt in seiner Wolle." Voilà, Monsieur Bärentrost, der Misanthrop aus dem Souterrain.

Des Weiteren tritt auf - die Welt ist bei Silvia Bovenschen eine Wandelbühne - der zwölfjährige Max, Almas Enkel. Ein kluger Junge, der mit der kauzigen Oma umzugehen weiß und ihr die richtigen Fragen über Zeit, Geld und Wölfe stellt, ohne allzu verständliche Antworten zu erwarten. Treu nach dem Prinzip: Kindermund tut Weisheit kund. Doch Alma weiß natürlich um die Fallstricke dieser Textgattung. Deshalb lässt sie Max zwar gewähren, gibt aber gleichzeitig eine Warnmeldung heraus: "Das mit der Kinderwahrheit ist doch auch wieder so ein Kitsch."

Und so funktioniert das ganze Buch. Es ist hemmungslos sentimental, geht aber mit dieser Sentimentalität ebenso hemmungslos ins Gericht. Etwa, wenn Mister Odino, ein alter Lover von Alma, die Dachwohnung mietet und sich so ins Leben seiner Ex einschleicht. Er ist so etwas wie ein Ritter in einer Zeitkapsel. Damals war man noch jung und dynamisch, und Erotik war wohl auch im Spiel. Und woran ist man dann gescheitert? "Er wollte den linear gedachten Zeitstrom zurück in eine zyklische Form zwingen, in der Hoffnung, dass die Schule von Athen wieder vorbeikommen würde."

Auf dem Dachboden der Villa finden sich Perückensammlungen, Tierpräparate, Prothesen, was man halt so hat. Aber Max, der Dachbodenforscher, verliert im Laufe des Romans das Interesse an dem Gerümpel. Die Erkundung versandet. Wie so manches im Leben. Ist das hier nun also angewandte Entzauberung? Oder der Kampf gegen die Kitschfalle herbstzeitlicher Erinnerungskapriolen? Ist das Silvia Bovenschens Vermächtnis? Dass alles durchaus dramatisch, aber nur halb so wild ist? Dass es keine Antworten, nur Fragen gibt? Keine Geheimnisse, nur dunkle Gänge? Denn nur der Roman neigt ja zur frivolen Sinneinheit. Und so ist auch Mister Odino ein Zeit-Geist, der kommt und geht, mehr oder weniger unverrichteter Dinge. Genau wie drei allegorische Figuren namens "Der Greis", "Der Junge" und "Die gute Tante", die in kursivierter Schrift alle paar Kapitel ein kleines Kabinettstück im großen Literaturtheater aufführen.

Einmal unternehmen Max, Alma und Mister Odino eine wundersame Reise nach Mispelheim. Dort begegnen ihnen achtbeinige Pferde und hektisch applaudierende Frösche. Alles wimmelt von Schauspielern. Ein Affenzirkus durch und durch. Man frage bitte nicht, was das Ganze soll. Silvia Bovenschen hätte nicht gewollt, dass man sich das fragt. "Wahrscheinlich ist das alles nichts als Wahn und leerer Dunst", sagt Mister Odino einmal. Lustig ist es seltsamerweise trotzdem. Ein fröhlicher Synkretismus, eine Aufforderung zur Untererfüllung. Denn Silvia Bovenschen hat viele Jahre über den Tod nachgedacht. Das titelgebende "Streben" ist nur einen Buchstabendreher entfernt von seinem Gegenteil, dem "Sterben". Silvia Bovenschen ist gestorben, aber möglicherweise strebte sie auch bloß nach Mispelheim in die Arme von Mister Odino, der ja der Chefgott der Germanen gewesen sein soll. Und vielleicht auch der Germanistinnen.

KATHARINA TEUTSCH

Silvia Bovenschen: "Lug & Trug & Rat & Streben". Roman.

Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2018. 208 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Die Welt der Silvia Bovenschen ist eine Wandelbühne, der letzte Roman [...] ihr Vermächtnis. Katharina Teutsch Frankfurter Allgemeine Zeitung 20180308