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Der Weg Brasiliens in die Demokratie ist fest mit dem Namen Luiz Inácio Lula da Silva verbunden. Aus einfachsten Verhältnissen stammend, gehörte der Gewerkschafter zu den Gründern der Arbeiterpartei PT und zu den Mitautoren der demokratischen Verfassung, er wurde zur Ikone der Linken. Der Weg zum Präsidentenamt war lang und von Rückschlägen und Skandalen gesäumt - vier Anläufe brauchte Lula bis zum Ziel. Während seiner Amtszeit erlebte Brasilien eine wirtschaftliche Blüte, seine Politik half Millionen Menschen aus bitterster Armut.Doch die PT erschütterte das Land auch mit Skandalen -…mehr

Produktbeschreibung
Der Weg Brasiliens in die Demokratie ist fest mit dem Namen Luiz Inácio Lula da Silva verbunden. Aus einfachsten Verhältnissen stammend, gehörte der Gewerkschafter zu den Gründern der Arbeiterpartei PT und zu den Mitautoren der demokratischen Verfassung, er wurde zur Ikone der Linken. Der Weg zum Präsidentenamt war lang und von Rückschlägen und Skandalen gesäumt - vier Anläufe brauchte Lula bis zum Ziel. Während seiner Amtszeit erlebte Brasilien eine wirtschaftliche Blüte, seine Politik half Millionen Menschen aus bitterster Armut.Doch die PT erschütterte das Land auch mit Skandalen - Korruption und schwarze Kassen zerstörten nachhaltig Hoffnungen und Vertrauen. Lula wurde verurteilt, seine Nachfolgerin des Amtes enthoben, ein Rechtsextremer Präsident. Seit März 2021 ist der Ex-Präsident wieder auf freiem Fuß und entschlossen, Jair Bolsonaro aus dem Amt zu verdrängen. Bei der Präsidentschaftswahl im Oktober 2022 könnte es zum großen Showdown kommen.Werden Lula und die PT aus den Fehlern der Vergangenheit lernen? Der Brasilienkenner Andreas Nöthen zeichnet den politischen Werdegang des Ausnahmepolitikers, und damit auch die jüngere Geschichte Brasiliens, nach.
Autorenporträt
Andreas Nöthen, Jahrgang 1973, Studium der Anglistik und Geographie in Bonn und Manchester, 2016 bis 2019 Aufenthalt mit seiner Familie in Rio de Janeiro, freiberuflicher Korrespondent für zahlreiche Medien, darunter dpa und die österreichische APA, die Wochenzeitung Jüdische Allgemeine und Fachmagazine, Journalist in Frankfurt am Main. 2020 erschien von ihm "Bulldozer Bolsonaro. Wie ein Populist Brasilien ruiniert" (Ch. Links Verlag).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2022

(K)ein Kandidat wie alle anderen
Ist der Brasilianer Lula die Erlösung von dem Bösen (Bolsonaro) - oder nur ein Populist von links?

Luiz Inácio Lula da Silva lebt von seiner Rhetorik. Seine Worte blühen auf, wenn die Massen vor ihm stehen. Als die Korruptionsurteile gegen den brasilianischen Politiker im vergangenen Jahr aufgehoben wurden, suchte er den Ort São Bernardo do Campo auf, wo er einst sein Handwerk als Metallfacharbeiter lernte und später seine politische Karriere begann. Ein Stück Fleisch und ein Bier, das müsse sich endlich wieder jeder Arbeiter leisten können, sagte er im März 2021 an seine Anhänger gerichtet. Das kam beim Publikum an, auch wenn er diese Forderung in abgewandelter Form schon häufig erhoben hat. Schon damals war klar, was später offiziell werden sollte: Er will Präsident werden, wieder einmal. Anfang Mai dieses Jahres machte er seine lange erwartete Kandidatur dann öffentlich. Regieren, schrieb er auf Twitter voller Pathos, sei ein Akt der Liebe.

Es ist schon sein sechster Anlauf auf das Präsidentenamt. Die ersten drei Male unterlag der Linkspolitiker seinen Kontrahenten. Anfang des Jahrtausends gelang ihm dann der Einzug in den Präsidentenpalast, im Amt bestätigt wurde er vier Jahre später, regiert hat er das größte Land Lateinamerikas von 2003 bis 2011. Der damalige Rohstoffboom kam ihm während seiner Regierungsjahre zugute. Jetzt ist Lula, wie er kurz genannt wird, 76 Jahre alt und will Brasilien noch einmal in die Zukunft führen.

Dabei inszeniert sich Lula als Gegengewicht zum aktuellen, rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro, etwa indem er sich früh für Corona-Impfungen aussprach, die Bolsonaro verteufelt hat. Der Wahlkampf gegen den Amtsinhaber dürfte gefährlich werden, das lassen Drohungen vermuten. Eine kugelsichere Weste lehnt Lula ab, obwohl er die Massen um sich scharen möchte. "Es gibt Leute, die glauben, man müsse keinen Wahlkampf auf der Straße mehr machen, ihn nur noch in den sozialen Netzwerken führen. Soll das machen, wer will. Ich werde durch ganz Brasilien reisen und mit dem brasilianischen Volk sprechen", sagte er kürzlich. Auch das war ein Seitenhieb in Richtung Bolsonaro, dem nachgesagt wird, er habe vor allem durch seinen digitalen Wahlkampf mit allerhand Fake News die vergangene Wahl gewonnen.

Wenige Monate vor dem Showdown zwischen Lula und Bolsonaro hat der deutsche Journalist Andreas Nöthen eine Biographie über Lula, der im Oktober als Favorit in die Wahl geht, veröffentlicht. Erst vor zwei Jahren hatte der Autor mit "Bulldozer Bolsonaro - Wie ein Populist Brasilien ruiniert" schon den aktuellen Präsidenten porträtiert und sowohl dessen ungewöhnlichen Lebensweg als auch ein Stück brasilianische Geschichte auf gelungene Art beschrieben. Gelingt ihm das mit dessen Kontrahent nun auch?

Leider nicht so sehr, und das fängt schon bei einer Leitfrage an, die der Autor zu Beginn stellt: "Gibt es so etwas wie gute Korruption?" Wohl kaum. Das ist so in etwa auch das Fazit, das Nöthen am Ende des Buches zieht.

Eine Biographie über Lula, das klingt auch ohne Leitfrage interessant, lässt sich über dessen Leben und politische Karriere doch einiges berichten, zumal jetzt, da er bald ein weiteres Mal an der Spitze Brasiliens stehen könnte. Wer also ist Lula: die Erlösung von dem Bösen (Bolsonaro) - oder nur ein Populist von links?

So wirklich nah kommt man Lula auf den 256 Seiten nicht. Auch wenn es ein guter Ansatz ist, nicht nur etwas über den Lebensweg, sondern auch etwas drum herum über die brasilianische Politik zu erfahren, so stellt sich doch bald der Eindruck ein, dass zu viele Seitenaspekte, zu viele Personen erwähnt werden und die Erzählung der Person Lula dadurch meist oberflächlich bleibt.

Lula, das beschreibt Nöthen dennoch gut, ist ein Stück personengewordene brasilianische Geschichte. Im armen Nordosten des Landes geboren, verschlug es seine Familie in den Fünfzigerjahren auf der Suche nach Arbeit in den Süden, wie so viele Brasilianer zu jener Zeit. Lula musste schon früh arbeiten, um zum Wohle der Familie beizutragen, mit schmerzhaften Folgen: Als Jugendlicher habe er in einer Schraubenfabrik einen Finger verloren, schreibt Nöthen. Das Gewerkschaftsleben prägte seine jungen Erwachsenenjahre und ließ ihn in der linken Partei PT, bei deren Gründung er dabei war, schnell aufsteigen. Nöthen legt dar, wie Lula sich dabei zunehmend von seiner Partei abhob und selbst "zur Marke" wurde, sodass er von Wahl zu Wahl mehr Brasilianer für sich gewann, die eigentlich seine Partei nicht wählten. Von den radikalen Kräften in der Partei, die eine reine Lehre propagierten, löste er sich zunehmend. Mit Pragmatismus und Netzwerken gelangte er zum Ziel.

Dabei wurde schon früh ersichtlich, dass dieses Netzwerken nicht immer ganz sauber ablief und seine Partei im Vergleich zur Konkurrenz gar nicht so anders Politik betrieb. Sie bediente sich aus schwarzen Kassen und - erst einmal in Regierungsverantwortung - schmierte andere Abgeordnete, um Mehrheiten zu erreichen. Das führte zu einer "Entzauberung" der PT, wie Nöthen festhält, Lula aber schwebte weiter über den Dingen und blieb vom Schaden unberührt. "Die PT 'verfettete' allmählich", schreibt der Autor. "Einige Spitzenfunktionäre trennten sich von ihren Frauen und tauschten sie gegen jüngere aus. Bei Geschäftsessen in Restaurants entschied man sich plötzlich gerne für die teure Flasche Rotwein anstelle des Bieres." Und es sollte noch schlimmer kommen: Nach Lulas zwei Amtszeiten wurde der größte Korruptionsskandal, der Lava Jato, bekannt, der noch einmal belegte, wie Politiker geschmiert wurden. Vor allem Politiker der PT gingen ins Gefängnis. Soll Lula von alldem wirklich nichts mitbekommen haben?

Zunächst musste auch Lula selbst in Haft, seine Verurteilungen wurden aber annulliert, da das entsprechende Gericht nicht zuständig gewesen sein soll. Ein Beigeschmack bleibt, aber der Weg für Lula an die Spitze des Staates ist wieder frei. In einem "Time"-Interview erklärte Lula kürzlich, er wolle als Präsident weiter auf Extraktivismus (im Amazonas-Gebiet) setzen, Öl werde auch in Zukunft noch eine wichtige Rolle spielen. Für den Ukrainekrieg machte er in dem Gespräch nicht nur Russlands Machthaber Wladimir Putin, sondern auch die Vereinigten Staaten und die EU verantwortlich. Man hätte klarmachen müssen, dass die Ukraine nicht Teil der NATO wird, "das hätte das Problem gelöst". Über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sagte er: "Dieser Typ ist genauso verantwortlich für den Krieg wie Putin." Selenskyj habe den Krieg gewollt, andernfalls hätte er sich an den Verhandlungstisch gesetzt.

All diese Aussagen könnten auch von Bolsonaro stammen. Das "Time"-Interview erschien zwar nach der Lula-Biographie Nöthens, dennoch hätte diese noch mehr die Unterschiede und Parallelen zwischen Lula und Bolsonaro herausarbeiten können, um zu verstehen, was einen nach der Wahl im Herbst erwarten könnte - und ob wirklich ein Kurswechsel ansteht. TIM NIENDORF

Andreas Nöthen: Luiz Inácio Lula da Silva. Eine politische Biografie.

Mandelbaum Verlag, Wien 2022. 256 S., 20,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Tim Niendorf kommt nicht wirklich klar mit Andreas Nöthens Biografie über Brasiliens linke Politikerhoffnung Lula da Silva. Was genau nun der große Unterschied zwischen ihm und Bolsonaro ist (und wo die Parallelen liegen), vermag Nöthen nicht befriedigend herauszuarbeiten, kritisiert Niendorf. Korrupt und populistisch ist die Linke auch, weiß er. Spannend wäre für Niendorf gewesen, da Silva etwas stärker auf den Zahn zu fühlen, doch der Autor verliert sich zu sehr in brasilianischer Politik und ihren Akteuren, erklärt er.

© Perlentaucher Medien GmbH