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Sie hieß eigentlich Ludovica, nannte sich selbst Lulu, und führte die Ehenamen Jordis und Des Bordes. Bekannter ist sie als Lulu Brentano. Im Freien Deutschen Hochstift/Frankfurter Goethehaus, in der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin und in weiteren Archiven liegen Autographen, geschrieben vom 10. Lebensjahr (1797) bis wenige Wochen vor ihrem Tod (1854). Sie dokumentieren eine Lebensgeschichte, die ihr Bruder Clemens als »curios« bezeichnete. Bankiersgattin mit Kontakten in die allerhöchsten Kreise, gute Bekannte der Brüder Grimm, mit 25 Jahren Todessehnsucht, als Witwe erfolgreiche…mehr

Produktbeschreibung
Sie hieß eigentlich Ludovica, nannte sich selbst Lulu, und führte die Ehenamen Jordis und Des Bordes. Bekannter ist sie als Lulu Brentano. Im Freien Deutschen Hochstift/Frankfurter Goethehaus, in der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin und in weiteren Archiven liegen Autographen, geschrieben vom 10. Lebensjahr (1797) bis wenige Wochen vor ihrem Tod (1854). Sie dokumentieren eine Lebensgeschichte, die ihr Bruder Clemens als »curios« bezeichnete. Bankiersgattin mit Kontakten in die allerhöchsten Kreise, gute Bekannte der Brüder Grimm, mit 25 Jahren Todessehnsucht, als Witwe erfolgreiche Unternehmerin in Paris, von Eichendorff hoch gelobte Schriftstellerin bilden einige Merkmale ihres bislang wenig beachteten, von Brüchen begleiteten Lebensweges. In ihr vereinigen sich erfolgreicher Brentanoscher Kaufmannsgeist und musisches Talent der Mutter La Roche, Schutz und Halt suchende Verbindung zu den Geschwistern und zur eigenen Familie, aber auch auf der Religion ruhendes soziales Engagement zu einer interessanten Persönlichkeit. Walter Scharwies hat ihre großenteils unveröffentlichten Briefe übertragen.
Autorenporträt
Walter Scharwies, Regierungsdirektor a. D. und ehem. Bürgermeister, veröffentlichte Bücher und Aufsätze zur Geschichte des Raumes Alzenau/Aschaffenburg. Er ist ferner Beiträger zu den Bänden Die Brentanos - Eine romantische Familie und Romantik an Rhein und Main. Seine Forschungen beschäftigen sich mit den Persönlichkeiten auf dem vor den Toren Frankfurts gelegenen Schloss Wasserlos. Lulu Brentano zählt zu den prominenten Schlossherrschaften.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2021

Geld, Geist und Gebiet

Eher Geschäftsfrau als Dichterin: Lulu Brentano ist neben ihren Geschwistern Bettine und Clemens lange unbeachtet geblieben. Zu Unrecht. Ein Buch stellt sie vor.

Von Florian Balke

Sie sind nicht die deutschen Mitford-Schwestern, die Brentanos. Dazu fehlen Faschismus, Kommunismus und ein paar geistreich leichte Bücher. Aber ein bisschen was haben sie schon von den sechs Töchtern des zweiten Barons Redesdale, die Kinder des erfolgreichen Frankfurter Kaufmanns Peter Anton Brentano: Intelligenz, Klatschsucht, die eine oder andere Verstiegenheit, in ihrem Fall gern religiöser Natur, ein paar belebende ideologische Unterschiede, ein stetes Auf und Ab der Beziehungen, vor allem aber den festen Willen zum eigenen Lebensweg.

Da ist Clemens, der frühromantische Liedersammler, der nach einem Schwenk zur Frömmigkeit in die Leiden der stigmatisierten Nonne Anna Katharina Emmerick jahrelang so verschossen ist wie Unity in Hitler. Da ist aber auch seine Schwester Lulu, die mit einer unglücklichen und einer glücklichen Ehe etwas von Nancy hat. Als reiche Bankiersgattin mit mehreren Häusern in Frankfurt und einem Schloss auf dem Lande erinnert sie aber auch an Deborah, die den Herzog von Devonshire heiratet, Chatsworth wieder auf Vordermann bringt und Geflügel züchtet. Lulu hatte sich ihr Schloss allerdings selbst gekauft.

Wie Bettine, die literarisch ungleich begabtere Schwester, wagt Lulu sich erst im Alter und als Witwe an veröffentlichte Texte. Aber sie tut es. Dass sie die schon als Jugendliche viel erfinderischere und durch und durch unkonventionelle Bettine mit ihren ungewöhnlichen literarischen Formen als geradezu genial empfindet, sich selbst aber als "hausbacken" bezeichnet, ist nicht ganz falsch, aber auch zu bescheiden. Lulus 1853 erschienene "Geistliche Lieder" fallen wie beim alt gewordenen Clemens überaus fromm aus, haben aber mehr als nur Geläufigkeit. Sie besäßen etwas von den schönsten geistlichen Liedern von Novalis, schreibt Joseph von Eichendorff im Entwurf zu einer nicht erschienenen Rezension, in der er Lulu keiner Geringeren als Annette von Droste-Hülshoff zur Seite stellt: "Das Ganze macht etwa den Eindruck eines schönen, heiteren Sonntagmorgens, wo die stille Luft den Glockenklang herüberweht und Feld und Wald zu Gottes Lobe rauschen."

Nicht übel für eine Bankiersgattin. Von Gotteslob ist nicht die Rede, als Lulu am Kasseler Hof Jérôme Bonapartes, des Königs von Westfalen, sowie im Paris Napoleons und der Restauration das internationalste und urbanste Leben sämtlicher Brentano-Geschwister führt. Was daran liegt, dass sie den Mann geheiratet hat, der ihr gefällt, den 1781 geborenen Frankfurter Geschäftsmann Carl David Jordis. "Jordis heist er, wenn er küst so beist er", schreibt Lulu zusammen mit einer Freundin an ihre Schwester Gunda. Am 22. Juli 1805 ehelicht sie ihn im Frankfurter Kaiserdom, dem die Brentanos in den vorangegangenen Jahren viel Geld gestiftet haben.

Da ist sie gerade 18 Jahre alt. Zur Welt gekommen ist Maria Ludovica Catharina Brentano am 9. Januar 1787 im kriegszerstörten Haus zum Goldenen Kopf der Familie an der Großen Sandgasse in Frankfurt. Zeitlebens feiert sie ihren Geburtstag am 10. Januar. Zusammen mit Bettine und ihrer Schwester Meline lebt sie als Vollwaise unter der Vormundschaft ihres Halbbruders Franz im Haus ihrer Großmutter Sophie von La Roche an der Offenbacher Domstraße, wie Bettine, Gunda und Meline wird sie im Ursulinenkloster in Fritzlar erzogen.

In Kassel ist ihr Mann nach 1807 der wichtigste Finanzier von "König Lustig", Lulu empfängt in ihrem Salon derweil die Brüder Grimm und wird eine ihrer Märchen-Zuträgerinnen. Schon da ist die Ehe unglücklich. Jordis bewirte die Franzosen mit "kriechender Höflichkeit", schreibt Wilhelm Grimm 1810 an Clemens: "Die Lullu sitzt in einem roten Sammetpelz neben dem Feuer, packt mit der Kluft einen Grafen, der etwas eingeschlummert, an der Nase, erhält sich mit Witz, und scheint ebensowohl eine Verachtung als einen Reiz für dieses Leben zu empfinden. Gewiß aber ist sie unglücklich und dauert mich sehr."

Von 1812 an wohnt das Paar in Paris, dort erträgt Lulu jahrelange Untreue, lebt von ihrem Mann getrennt und ist zeitweise zutiefst unglücklich. Wie interessant Leben und Person dieses Brentano-Kinds trotz seiner Niedergeschlagenheit sind, zeigt ein Buch, das Walter Scharwies, der ehemalige Bürgermeister von Lulus Alterswohnsitz Alzenau, nach jahrelangen Forschungen vorgelegt hat. Vor Kurzem ist ""Lulu Brentano" im Verlag Waldemar Kramer erschienen, am 5. September stellt Scharwies es in Alzenau vor.

In Bibliotheken von Mainz und Frankfurt bis München und Berlin hat er die Briefe Lulus, ihrer Freunde und Verwandten gelesen und an ihnen offensichtlich viel Vergnügen gehabt, das sich auch dem Leser mitteilt. Denn wie die künstlerischer angelegten Brentanos hat auch diese Kaufmannstochter etwas zu erzählen, ist voller Neugier auf Welt, Mitmenschen und sich selbst, schreibt unverstellt und ungeschützt. "Ich habe den Eindruck, sie offenbart sich ganz bewusst", sagt Scharwies. Unter den alles in allem 20 Geschwistern, von denen 14 überlebten, repräsentiert Lulu den Familiengeist für ihn besonders einprägsam. Hier der kaufmännische Geist, dort das musische Talent: "Sie ist ein Querschnitt der Brentano-Familie."

Scharwies erschließt mit seinem Buch einen weiteren Ort der in den vergangenen Jahren immer zusammenhängender wahrnehmbaren Brentano-Landschaft innerhalb der Rhein-Main-Region. Sie reicht vom Osteinschen Park bei Rüdesheim, den Clemens besuchte, bewunderte und beschrieb, über das Brentano-Haus in Oestrich-Winkel und Frankfurt mit den reichen Familienbeständen des demnächst zu besichtigenden Romantikmuseums bis zum Hof Trages in Freigericht und nach Aschaffenburg, wo Clemens und Christian wohnten. 1844 erwirbt sie das aus dem 18. Jahrhundert stammende Schloss Wasserlos bei Alzenau und modernisiert das angeschlossene Hofgut. Heute ist es ein Krankenhaus, bis auf das um 1920 veränderte Dach sieht es außen fast noch so aus wie zu ihrer Zeit.

"Lulu wird am Sonntag erwartet", schreibt Bettine am 7. September 1821: "Sie hat sich in Paris eine neue Toilette machen lassen, um unter ihren Schwestern recht herrlich zu erscheinen, sie bringt auch ein angenommenes Launenkindchen mit, das an Toilette höchst ausgezeichnet sein soll, da wird denn mein legitimes ziemlich abstechen." Das Kind ist die damals vier Jahre alte Meline, von Lulu in einem Waisenhaus adoptiert und später ihre Erbin. Ein eigener Weg.

Das gilt erst recht für den "Liebhaber", den Bettine 1824 erstmals erwähnt. Es handelt sich um einen Geschäftspartner von Lulus ungetreuem Ehemann, den Bankier Peter Rozier Des Bordes. 1827 gelingt es Lulu, ihre Ehe aufheben zu lassen, sie heiratet Des Bordes, der sich erfolgreich auf Bau und Unterhalt von Straßen und Brücken verlegt hat, im folgenden Jahr in seiner Heimat Brüssel. Nach seinem Tod 1831 führt sie seine Geschäfte fort und kehrt nach Frankfurt zurück, baut sich ein Palais an der Neuen Mainzer Straße und hat ein Anwesen in Rödelheim, wodurch sie Untertanin des Großherzogs von Hessen-Darmstadt ist, der sie und Meline 1838 in den Freiherrenstand erhebt.

Am 18. Mai 1848 wohnt sie in der Paulskirche der konstituierenden Sitzung der Nationalversammlung bei. "Gestern war ich in der Eroffnung des Parlaments, man will so etwas doch in der Nähe gesehen haben", schreibt sie mit gemischten Gefühlen: "Es war viel erhebendes darin nehmlich das beständige tumultuarische Erheben für und gegen die Vorschläge übrigens keine Ruhe keine Würde."

Am 19. November 1854 stirbt Lulu, begraben ist sie auf dem Aschaffenburger Altstadtfriedhof. Vom kleinen Tempelchen ihres Wasserloser Parks reicht der Blick noch immer bis zu Taunus und Feldberg. Und noch immer stehen dort, wo sie den Wald roden ließ, Weinstöcke.

Walter Scharwies, "Lulu Brentano - Eine ,curiose' Lebensgeschichte erzählt in Briefen", 272 S., zahlreiche farbige Abb., Wiesbaden 2021, 20 Euro. Am 5. September stellt der Autor das Buch in Alzenau vor. Treffpunkt ist um 15 Uhr die Lulu-Stele an der Hahnenkammstraße, danach geht es in den Park von Schloss Wasserlos. Karten sind im Vorverkauf bei der Alzenauer Buchhandlung Lesekatze erhältlich.

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Näher wird man der Familie Brentano kaum kommen. Scharwies moderiert die Briefzitate zurückhaltend, gelegentlich auch humorvoll und verknüpft sie geschickt mit Ergebnissen aus der Forschung. Entstanden ist ein unterhaltsamer, reich illustrierter Text, der eine spannende Grundlage bildet für Literaturwissenschaft, Romantik-, Biografie- und Heimatforschung. Schönere Heimat All diese Nuancen eines vielseitigen Charakters, der in mehrfacher und bedeutender Weise mit seiner Zeit verbunden war, lassen sich nun nachlesen in der von Walter Scharwies verfassten Biographie in Briefen, die in gleich vielerlei Hinsicht eine Lücke schließt. Sie erzählt die Lebensgeschichte Lulus nicht nur in ihren eigenen Briefen, sondern auch in solchen ihrer berühmten Angehörigen und Zeitgenossen. Auf diese Weise ergibt sich das Bild eines Netzwerks der Familienmitglieder und Freunde der Brentanos, was so noch nicht zu lesen war. Mit seiner Pionierarbeit eröffnet Scharwies jedoch auch eine Perspektive auf eine Edition des Briefnetzwerks der Brentano-Schwestern im Dienst der Erforschung einer Konstellation, deren Zeugnisse damit der Wissenschaft und nicht zuletzt dem Lesevergnügen endlich zugänglich würden. Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde Wir erleben sie in ihren Lebenszeugnissen als energische und erfolgreiche Geschäftsfrau. Doch gibt es daneben auch jene zunehmend religiöse Einfärbung ihrer Äußerungen in späteren Jahren, die sich bisweilen in kurioser Weise mit ihrem Geschäftssinn verbindet. All diese Nuancen eines vielseitigen Charakters, der in mehrfacher und bedeutender Weise mit seiner Zeit verbunden war, lassen sich nun nachlesen in der von Walter Scharnier verfassten Biografie in Briefen. Brüder Grimm Journal…mehr