Natürlich ist es eine Männerphantasie, die sich dem Theater da öffnet und die auf tragische Weise ums Leben kommt. Doch entblößt sie nicht nur männliche Schwächen wie die der Begierde, des Verlangens, der Selbstaufgabe, dem Machtanspruch. Das Stück fasziniert vor allem, weil ihm kein fester
moralischer Boden eingezogen ist. Der wird zumeist von außen erst hineingelesen. Durch alles weht die…mehrNatürlich ist es eine Männerphantasie, die sich dem Theater da öffnet und die auf tragische Weise ums Leben kommt. Doch entblößt sie nicht nur männliche Schwächen wie die der Begierde, des Verlangens, der Selbstaufgabe, dem Machtanspruch. Das Stück fasziniert vor allem, weil ihm kein fester moralischer Boden eingezogen ist. Der wird zumeist von außen erst hineingelesen. Durch alles weht die Sehnsucht nach grenzenloser Freiheit. Doch selbst die Revolution erfüllt sie einem nicht. Lulu tobt sich aus, wird eingefangen, zerbricht die Ketten und wird zerstört und vernichtet. Und so bleibt einem nach allen Wirren, die Erkenntnis, dass alles seinen Preis besitzt, dass wir ihn unter Umständen zu zahlen bereit sind. Taucht da nicht eine zutiefst moralische Keule auf? Bei schwächeren Autoren sicher. Wedekind jedoch läßt uns gebannt daran teilhaben, wie weit unsere Grenze gesteckt sind, wenn wir das Leben als Spiel auffassen, wie sehr wir unser eigenes Leben bestimmen können, auch wenn wir der Vorstellung, der Befriedigung anderer dienen. Lulu bleibt über ihren Tod hinaus das Sinnbild jeglicher Verführung, in der wir all das sehen wollen, was wir uns für uns wünschen. Lulu ist aber auch die Geschlagene, Erniedrigte, Gefangene, und jene, die die Männer in den Wahnsinn, in den Mord treibt. Wer mag so viel Schillerndes von sich behaupten können? Wedekind hat ihr eine Heimat geschenkt: die Bühne.