Aus dem Spanischen übersetzt von Luis Ruby.»Jedes Stück Mauer in dieser Stadt trägt, wie eine Haut, die Spuren meiner Geschichte.«»Geboren bin ich - neunzig Jahre nachdem Urquizas Truppen auf den Ländereien von Gorostiaga gerastet hatten - am Morgen des 28. Januar 1942. Am Ufer der Laguna del Tigre. An diesem Tag - zur selben Stunde - notierte Pavese in sein Turiner Tagebuch - kann es sein, dass er um die Lagune wusste, um den Todeskampf meiner Mutter, die unter den Sternen verblutete, um mich zerbrechliches Wesen auf den Brettern des Milchwagens? - Sich an etwas zu erinnern bedeutet, es - jetzt erst - zum ersten Mal zu sehen. Die Erinnerung ist ein lichtes Gebären.«Geschildert werden drei Tage im März 2002: Der Erzähler Federico Souza kehrt nach etlichen Jahren der Abwesenheit in seine Heimatstadt zurück, weil ein alter Freund der Familie, Pajarito Lernú, unter ungeklärten Umständen gestorben ist - und ihm eine Kuh hinterlassen hat.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Franz Haas schwelgt in dem fein verästelten Roman von Hernán Ronsino. Die Geschichte eines Heimkehrers auf den Spuren eines verstorbenen Dichterfreundes und der Geschichte seiner ländlichen Heimat in Argentinien vermag ihm der Autor in bester lateinamerikanischer Tradition zu erzählen. Gespickt mit Anspielungen auf Lokalgeschichte, poetischen Bildern und Hinweisen auf die Großen der lateinamerikanischen Literatur, bietet der Text für Haas auch ein eindringliches Bild vom gegenwärtigen wirtschaftlichen Niedergang Argentiniens.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.07.2016KURZKRITIK
Kuh-Handel
Hernán Ronsinos neuer Roman
der Erinnerungen – „Lumbre“
Gerechtigkeit gibt es nur als Zufallsprodukt in „Lumbre“, dem neuen Roman des Argentiniers Hernán Ronsino. Stand am Ende seines spröden, klugen Kurzromans „Letzter Zug nach Buenos Aires“ (SZ 7/2012) noch die Aufklärung eines Verbrechens, weht sein Erzählen diesmal ziellos durch Zeit und Raum. Ein Anruf reißt Drehbuchautor Federico Souza aus seinem Alltag in Buenos Aires. Pajarito Lernú, der sympathisch verschrobene alte Freund der Familie, Einzelgänger und Poet mit Psychiatrieerfahrung, wurde tot in einem Straßengraben seiner Heimatstadt Chivilcoy gefunden. Und: Er hat Souza eine gestohlene Kuh vermacht. Der Erzähler reist zurück in eine Welt der schmerzlichen und der wehmütigen Erinnerungen, der schrägen Geschichten, mit denen die Alten versuchen, ihre Deutungshoheit in der abgehängtenIndustriestadt zu behaupten: Die über den Fast-Radprofi Luna, den sein Rekordversuch im Langzeitfahren fast das Leben kostete, die über ihre kleinen Rollen im großen Kinofilm „Die Schatten der Vergangenheit“, der den politischen Mord am Dichter Carlos Ortiz 1910 behandelte.
Immer wieder flackern Momente der Gewalt auf, oft nur als Andeutung: aus der Zeit der Militärdiktatur, der des Kolonialismus – aus einer Geschichte, die oft nicht oder kaum aufgearbeitet ist. Zu vieles gilt hier als normal, Jugendliche etwa, die vor aller Augen Ausländer attackieren oder nachts zum Spaß einen Gleichaltrigen sadistisch quälen. In der flirrenden Hitze menschenleerer Straßen verschwimmen die Erinnerungen, Ronsino verwebt Erzähltes und Verschwiegenes, Albtraum und Erlebtes, ohne, und das macht sein Schreiben so charakteristisch, dass dabei ein verlässliches Muster, eine erlösende Pointe entsteht.
CORNELIA FIEDLER
Hernán Ronsino: Lumbre. Aus dem Spanischen von Luis Ruby. bilgerverlag, Zürich 2016. 340 Seiten, 25,80 Euro.
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Kuh-Handel
Hernán Ronsinos neuer Roman
der Erinnerungen – „Lumbre“
Gerechtigkeit gibt es nur als Zufallsprodukt in „Lumbre“, dem neuen Roman des Argentiniers Hernán Ronsino. Stand am Ende seines spröden, klugen Kurzromans „Letzter Zug nach Buenos Aires“ (SZ 7/2012) noch die Aufklärung eines Verbrechens, weht sein Erzählen diesmal ziellos durch Zeit und Raum. Ein Anruf reißt Drehbuchautor Federico Souza aus seinem Alltag in Buenos Aires. Pajarito Lernú, der sympathisch verschrobene alte Freund der Familie, Einzelgänger und Poet mit Psychiatrieerfahrung, wurde tot in einem Straßengraben seiner Heimatstadt Chivilcoy gefunden. Und: Er hat Souza eine gestohlene Kuh vermacht. Der Erzähler reist zurück in eine Welt der schmerzlichen und der wehmütigen Erinnerungen, der schrägen Geschichten, mit denen die Alten versuchen, ihre Deutungshoheit in der abgehängtenIndustriestadt zu behaupten: Die über den Fast-Radprofi Luna, den sein Rekordversuch im Langzeitfahren fast das Leben kostete, die über ihre kleinen Rollen im großen Kinofilm „Die Schatten der Vergangenheit“, der den politischen Mord am Dichter Carlos Ortiz 1910 behandelte.
Immer wieder flackern Momente der Gewalt auf, oft nur als Andeutung: aus der Zeit der Militärdiktatur, der des Kolonialismus – aus einer Geschichte, die oft nicht oder kaum aufgearbeitet ist. Zu vieles gilt hier als normal, Jugendliche etwa, die vor aller Augen Ausländer attackieren oder nachts zum Spaß einen Gleichaltrigen sadistisch quälen. In der flirrenden Hitze menschenleerer Straßen verschwimmen die Erinnerungen, Ronsino verwebt Erzähltes und Verschwiegenes, Albtraum und Erlebtes, ohne, und das macht sein Schreiben so charakteristisch, dass dabei ein verlässliches Muster, eine erlösende Pointe entsteht.
CORNELIA FIEDLER
Hernán Ronsino: Lumbre. Aus dem Spanischen von Luis Ruby. bilgerverlag, Zürich 2016. 340 Seiten, 25,80 Euro.
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