Stellen Sie sich vor, Sie schreiben als Student einen Bestseller, doch Ihr Starruhm versinkt in einem See von Verunglimpfungen, Alkohol und Drogen. Stellen Sie sich dann vor, Sie bekommen eine zweite Chance - so wie der Romanheld Bret Easton Ellis in "Lunar Park".
Zunächst glaubt man, eine Autobiographie in Händen zu halten: Autor und Protagonist Bret Easton Ellis fasst sein bisheriges Leben zusammen, er erzählt von seinen Romanen, von den Menschen, die in seinem ausschweifenden Leben eine Rolle spielten, von Beziehungen und Affären, von seiner Familie, vor allem von seinem unerträglichen Vater. An welchem Punkt sich die Fiktion mit der Realität vermischt, darüber wird in den USA heftig debattiert. Bret heiratet Jayne, eine bekannte Schauspielerin, und zieht mit ihr und den beiden Kindern in einen Vorort, um endlich ein richtiges Familienleben zu führen, weit weg von Drogen und sonstigen Verführungen. Doch das Idyll wird gestört, als seltsame Dinge geschehen: Ein Spielzeug seiner Tochter beginnt ein Eigenleben zu führen, ein junger Fan sieht aus wie Patrick Bateman aus der Verfilmung von "American Psycho", Jungen verschwinden aus der Nachbarschaft und die Farbe des Hauses blättert ab. Ist das alles nur auf Ellis' kranke Fantasie zurückzuführen, wie Jayne glaubt, oder passiert das alles wirklich? Aus dem Familienroman wird ein Horrorszenarium à la Stephen King, doch kann man das wirklich ernst nehmen?
Ein großartiges Spiel um Schein und Sein, eine bizarre Selbstspiegelung, die bewusst aufs Glatteis führen will und sich jeglicher Kategorisierung verweigert.
Zunächst glaubt man, eine Autobiographie in Händen zu halten: Autor und Protagonist Bret Easton Ellis fasst sein bisheriges Leben zusammen, er erzählt von seinen Romanen, von den Menschen, die in seinem ausschweifenden Leben eine Rolle spielten, von Beziehungen und Affären, von seiner Familie, vor allem von seinem unerträglichen Vater. An welchem Punkt sich die Fiktion mit der Realität vermischt, darüber wird in den USA heftig debattiert. Bret heiratet Jayne, eine bekannte Schauspielerin, und zieht mit ihr und den beiden Kindern in einen Vorort, um endlich ein richtiges Familienleben zu führen, weit weg von Drogen und sonstigen Verführungen. Doch das Idyll wird gestört, als seltsame Dinge geschehen: Ein Spielzeug seiner Tochter beginnt ein Eigenleben zu führen, ein junger Fan sieht aus wie Patrick Bateman aus der Verfilmung von "American Psycho", Jungen verschwinden aus der Nachbarschaft und die Farbe des Hauses blättert ab. Ist das alles nur auf Ellis' kranke Fantasie zurückzuführen, wie Jayne glaubt, oder passiert das alles wirklich? Aus dem Familienroman wird ein Horrorszenarium à la Stephen King, doch kann man das wirklich ernst nehmen?
Ein großartiges Spiel um Schein und Sein, eine bizarre Selbstspiegelung, die bewusst aufs Glatteis führen will und sich jeglicher Kategorisierung verweigert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2006American Voodoo
Geisterjagd: Bret Easton Ellis wird in "Lunar Park" familiär
Daß der Serienmörder Patrick Bateman aus Bret Easton Ellis' Skandalroman "American Psycho" im Grunde seines Herzens ein Kleinbürger war, hätte man eigentlich an seinem spießigen Musikgeschmack ablesen können. So grauenerregend wie seine Metzeleien sind seine Lieblingsmusiker: Neben Phil Collins und Whitney Houston ist das die Mainstream-Rockband "Huey Lewis and the News", deren Gesamtwerk in einem ausführlichen Exkurs hymnisch gelobt wird. Diese Feier der kommerziellen Oberflächlichkeit ist für die Popliteratur der neunziger Jahre von Nick Hornby bis Rainald Goetz und Stuckrad-Barre bekanntlich stilbildend geworden. Doch verriet die eher peinliche Vorliebe des solipsistischen Killers für Kuschelrock auch, daß seine wahren Sehnsüchte in Richtung Pärchenidylle und Familienalltag gingen - seine Gewalt war nur ein stummer Schrei nach Liebe.
In seinem jüngsten, am kommenden Montag auf deutsch erscheinenden Roman "Lunar Park" nun ist Bret Easton Ellis, inzwischen einundvierzig, seiner familiären Ader nachgegangen. Das ist das Schöne an der Fiktion, die ja immer auch Probehandeln ist: wenn man unter ihrem Deckmantel folgenlos zum Killer werden kann, warum dann nicht auch zum Ehemann und Vater? Wie beides zusammenhängen kann, ist das Thema des Romans.
Bis dahin ist es aber ein langer Weg, auf dem Ellis den Leser gleich mehrfach auf falsche Fährten zu führen versucht. Die erste und nur scheinbar trivialste Falle legt er in einem Prolog von knapp fünfzig Seiten, in denen vom kometenhaften Aufstieg und tragischen Fall eines Schriftstellers namens Bret Easton Ellis erzählt wird: Der Sensationserfolg des Debüts, des dekadenten College-Romans "Unter Null" Mitte der achtziger Jahre, die Exzesse des New Yorker "Brat Packs" mit den Autorenkollegen Jay McInernay und Tama Janowitz, die endlosen Parties und Celebrity-Geschichten, die Anfeindungen für "American Psycho", die zunehmend eskalierenden Krisen und Drogengeschichten - Ellis liefert hier in irrwitzigem Tempo ein abstract seiner eigenen Karriere, das freilich so karikaturhaft überzogen ist, daß es auch einem Pressespiegel von Boulevardgeschichten entnommen sein könnte: Von der "Heroinsause" mit dem Supermodel bis zur Dinner im Weißen Haus "auf Einladung von Jeb und George Bush Jr., beide Fans von mir", rührt Ellis hier auf dünner Autobiographie-Basis einen süffigen Cocktail aus Kolportage und Glamour-Satire mit einem kräftigen Schuß Selbstironie an. "Manhattan Insider" wäre der passende Name für den Drink.
Welche genauen Mischungsverhältnisse zwischen Realität und Erfindung darin herrschen, ist fast nicht auszumachen. Denn wer weiß schon noch, mit welchem Model Ellis mal eine Affäre hatte, ob er Keanu Reeves wirklich die Frau ausgespannt hat, wann er auf welcher Lesewelttournee bewußtlos zusammengeklappt ist und so weiter. Und wer tatsächlich bei Google einmal nachsieht, ob es eine Schauspielerin namens Jayne Dennis gibt, die mit Ellis ein Kind namens Robby haben soll, stößt auf eine aufwendige, vom Verlag getürkte Fan-Homepage, die mit den Angaben des Buchs genau übereinstimmt.
Darauf kommt es natürlich gar nicht an - schon gar nicht in einer Sphäre, in der die Images die Realität sind. Dieses aus dem Fundus des postmodernen Romans geklaubte Spiel mit Sein und Schein dient Ellis ohnehin nur als federndes Sprungbrett für die Handlung, die mit einem überraschenden Damaskuserlebnis einsetzt: Ausgebrannt, drogenkrank, am Tiefpunkt der biographischen Kurve angelangt, beschließt die Romanfigur Bret Easton Ellis, ihr Koordinatensystem zu wechseln. Seine alte Liebe Jayne gibt ihm eine zweite Chance. Sie heiraten und ziehen mit seinem Sohn, den er kaum kennt, und dessen jüngerer Halbschwester in eine Luxusvilla in Suburbia: "In der Vorstadt war ich relaxt. Alles war anders: der Tagesablauf, der soziale Status, das Mißtrauen anderen gegenüber. Sie war ein Zufluchtsort für die nicht ganz so Konkurrenzfähigen; sie war die Regionalliga." Man muß sich Dionysos als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Allerdings nur für knapp drei Monate, und damit wären wir bei der zweiten Falle. Denn es sind nur scheinbar die merkwürdigen Geschehnisse im Haus, die mysteriösen Geräusche und Kratzspuren, das Verschwinden von Kindern oder Mails aus dem Nichts, die die neue Familienidylle bedrohen. Der Wechsel ins Genre des Horrorthrillers wird selbst ironisch unterlaufen: Tatsächlich war der Neuanfang des Starschriftstellers nur eine Selbsttäuschung. Als groteskes Abziehbild seiner selbst spielt Ellis weiter jeunesse dorée, kippt Wodka wie Bateman einst "Evian naturelle", stellt am lokalen College seinen Creative-writing-Studentinnen nach und arbeitet an einem Roman in bekannter Manier (Arbeitstitel: "Teenage Pussy").
Den Auftakt des Hauptteils bildet die schlicht grandiose Schilderung einer Halloween-Party, die zum Mißvergnügen der Böses ahnenden Jayne in ein aberwitziges Bacchanal ausartet. Von schreiender Komik sind die Szenen, wenn Ellis mit seinem alten, zufällig hereinschneienden Kumpel McInerney ein paar Nasen auf die alten Zeiten (Stichwort: "Bolivianisches Marschierpulver") nimmt, während ringsherum erst langsam die wahren Ausmaße der Orgie erkennbar werden. ",Die Ehe ist toll', sagte ich und öffnete mein Tütchen erneut. ,Unbegrenzter Sex. Spaß. Und, ach ja, niemals allein. Ich glaube, ich beherrsche die Materie jetzt aus dem Effeff.'"
Doch wird der Witz, der aus der Konfrontation von Vaterrolle und Chauvi-Routine entsteht, rasch wieder unterbunden: Konfrontiert mit einem verstörten Kind, das vor Angst nicht schlafen kann, ist ein zugekokster Womanizer plötzlich eine lächerliche Figur. Ellis-Fans wird das enttäuschen: Obwohl man seine Drogen-, Sex- und Gewaltorgien nie für bare Münze nahm, war der hedonistische Kältekult seiner Figuren doch immer auch Rollenmodell - jedenfalls in dem Sinne, wie für kleine Jungs Old Shatterhand ein taffer Typ ist. Die Frage, wie Pop als Lebensstil mit Familienanschluß vereinbar sein könnte, wird von Ellis leider nicht weiter vertieft.
Tatsächlich ist mit der Wahl des filmisch vorbelasteten Halloween-Topos bereits eine weitere Vorentscheidung gefallen - die gegen einen durchweg satirischen Roman nämlich: Die Bedrohung durch dunkle Mächte funktioniert als Antrieb der Handlung nur dann, wenn überhaupt ernstgemeinte family values da sind, die zu verteidigen sich lohnt. Die Welt, in der der "American Psycho" wütete, war selbst so oberflächlich und hohl, daß es gar keinen Wert gegeben hatte, in dessen Namen man ihm hätte entgegentreten können. Auch in diesem Buch teilt Ellis konsumkritische Seitenhiebe aus; Markenklamotten, High-Tech-Spielzeug und Medikamenten-Cocktails der Kinder werden so detailreich beschrieben wie die Yuppie-Anzüge früherer Bücher - Kinder am Rande des Nervenzusammenbruchs. Doch so kaputt die amerikanische bürgerliche Familie auch ist, sie bleibt doch ein Ideal, dessen Kraft der Erzähler in einem schmerzhaften Prozeß erfährt. Vom Saulus zum Paulus wird man eben meist doch nicht über Nacht.
Das Horrorgenre wird auf recht originelle Weise variiert, da der pater familias hier die Seinen nicht vor äußeren Gefahren schützen muß, sondern selbst die Bedrohung ist. Und das gleich doppelt: Sein Alkoholismus läßt ihn als unzurechnungsfähig erscheinen; er ist ein Fremder im eigenen Haus, dem weder die Polizei noch die eigene Frau glaubt. Zugleich entstammen die Monster - ein animiertes Stofftier; ein leibhaftig gewordener Patrick Bateman - seiner schriftstellerischen Phantasie. Die verdrängte Vergangenheit holt Ellis ein; vor allem legt sich der Schatten des toten Vaters über alles - eines verhaßten, genußsüchtigen Despoten, der angeblich für die Bateman-Figur Modell gestanden hat. Letztlich ist der verantwortungslose Zynismus des Ellisschen Personals selbst des Pudels Kern, aus dem dann diverse Manifestationen des Bösen (heulender Wind, Damönen, Schleim et aliter) entspringen.
Aus dieser Grundidee hätte sich ein interessanter Plot entwickeln lassen, wenn Ellis nicht die Handlung so unnötig verkompliziert hätte. Während ein Serienmörder - streng nach dem Drehbuch "American Psycho" - sein Unwesen treibt, macht sich der Erzähler wegen der verschwindenden Jungen Sorgen um seinen merkwürdig verschlossenen Sohn. Darüber hinaus gibt es ständig rätselhafte Botschaften aus dem Jenseits, das von lauter Quasselstrippen bevölkert sein muß. Aber ob ein Spuk jeweils der Familie wirklich an den Kragen oder nur auf gespenstisch-unkonventionelle Weise etwas Nützliches mitteilen will, ist nicht leicht auseinanderzuhalten. Irgendwie läuft die Lösung dann zugleich auf das Ellissche Gesamtwerk und seinen mächtigen Vaterkomplex zu. Der zwischen beidem bestehende Zusammenhang ist allerdings zu weit hergeholt, um hier aufgedröselt zu werden. Nur soviel: Auf die Idee, seinen verhaßten Erzeuger als irren, mädchengrillenden Massenmörder zu porträtieren und hinterher Schuldgefühle zu empfinden, weil man sich vor dessen Tod nicht mehr in Ruhe unterhalten hat, muß man erst einmal kommen!
Die größere Schwäche des Buchs liegt jedoch in seinem Stil, einer wabernden, effekthaschenden Suspense-Rhetorik, die den Leser für noch begriffstutziger als den ohnehin schon schwerfälligen Helden hält (aber der ist immerhin stoned): Ständig will Ellis vornehmlich an Kapitelschlüssen durch Retardationen und Auslassungen eine Spannung halten, die gar nicht mehr besteht: "Und als ich seinen Namen immer wieder wiederholte, wurde mir klar, was es war." Absatz. "Eine Warnung." Oder: "Ein Grauen überlief mich immer wieder. Denn jetzt konnte alles passieren." Oder: "Ich sah nicht, was hinter mir war." Statt Angst zu erzeugen, wird sie nur behauptet.
Der eher putzige Exorzismus, dem das Geisterhaus schließlich unterzogen wird, ist das Pendant jener selbstquälerischen Teufelsaustreibung, die Ellis hier an seinem eigenen Schreiben vornimmt. Doch mit dem Bösen und Verantwortungslosen wird auch jener Reiz endgültig vertrieben, den der unbarmherzige Blick und sein lakonischer Ton einst ausübten. Auch wenn am Ende der Familientraum zerbricht - er war für den realen Ellis, kinderlos und homosexuell, wohl sowieso nur ein Gedankenspiel -, kommt es doch zu einer Art höheren Versöhnung mit dem toten Vater und dem verlorenen Sohn.
Neben seinem Vater ist "Lunar Park" seinem mit dreißig Jahren verstorbenen Lebensgefährten gewidmet. "American Psycho" machte einst in der Literaturtheorie Epoche als Urtyp einer neuen "transgressive fiction". Überschritten wurden hier viele Grenzen - die zwischen Körper und Text, Lust und Schmerz, Haute cuisine und Kannibalismus - und nicht zuletzt die des guten Geschmacks. Das Thema von "Lunar Park" ist eine andere Art von Transgression - auf vielen, viel zu vielen Umwegen erzählt das Buch von der Kraft einer Bindung über den Tod hinaus.
Bret Easton Ellis: "Lunar Park". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2006. 458 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geisterjagd: Bret Easton Ellis wird in "Lunar Park" familiär
Daß der Serienmörder Patrick Bateman aus Bret Easton Ellis' Skandalroman "American Psycho" im Grunde seines Herzens ein Kleinbürger war, hätte man eigentlich an seinem spießigen Musikgeschmack ablesen können. So grauenerregend wie seine Metzeleien sind seine Lieblingsmusiker: Neben Phil Collins und Whitney Houston ist das die Mainstream-Rockband "Huey Lewis and the News", deren Gesamtwerk in einem ausführlichen Exkurs hymnisch gelobt wird. Diese Feier der kommerziellen Oberflächlichkeit ist für die Popliteratur der neunziger Jahre von Nick Hornby bis Rainald Goetz und Stuckrad-Barre bekanntlich stilbildend geworden. Doch verriet die eher peinliche Vorliebe des solipsistischen Killers für Kuschelrock auch, daß seine wahren Sehnsüchte in Richtung Pärchenidylle und Familienalltag gingen - seine Gewalt war nur ein stummer Schrei nach Liebe.
In seinem jüngsten, am kommenden Montag auf deutsch erscheinenden Roman "Lunar Park" nun ist Bret Easton Ellis, inzwischen einundvierzig, seiner familiären Ader nachgegangen. Das ist das Schöne an der Fiktion, die ja immer auch Probehandeln ist: wenn man unter ihrem Deckmantel folgenlos zum Killer werden kann, warum dann nicht auch zum Ehemann und Vater? Wie beides zusammenhängen kann, ist das Thema des Romans.
Bis dahin ist es aber ein langer Weg, auf dem Ellis den Leser gleich mehrfach auf falsche Fährten zu führen versucht. Die erste und nur scheinbar trivialste Falle legt er in einem Prolog von knapp fünfzig Seiten, in denen vom kometenhaften Aufstieg und tragischen Fall eines Schriftstellers namens Bret Easton Ellis erzählt wird: Der Sensationserfolg des Debüts, des dekadenten College-Romans "Unter Null" Mitte der achtziger Jahre, die Exzesse des New Yorker "Brat Packs" mit den Autorenkollegen Jay McInernay und Tama Janowitz, die endlosen Parties und Celebrity-Geschichten, die Anfeindungen für "American Psycho", die zunehmend eskalierenden Krisen und Drogengeschichten - Ellis liefert hier in irrwitzigem Tempo ein abstract seiner eigenen Karriere, das freilich so karikaturhaft überzogen ist, daß es auch einem Pressespiegel von Boulevardgeschichten entnommen sein könnte: Von der "Heroinsause" mit dem Supermodel bis zur Dinner im Weißen Haus "auf Einladung von Jeb und George Bush Jr., beide Fans von mir", rührt Ellis hier auf dünner Autobiographie-Basis einen süffigen Cocktail aus Kolportage und Glamour-Satire mit einem kräftigen Schuß Selbstironie an. "Manhattan Insider" wäre der passende Name für den Drink.
Welche genauen Mischungsverhältnisse zwischen Realität und Erfindung darin herrschen, ist fast nicht auszumachen. Denn wer weiß schon noch, mit welchem Model Ellis mal eine Affäre hatte, ob er Keanu Reeves wirklich die Frau ausgespannt hat, wann er auf welcher Lesewelttournee bewußtlos zusammengeklappt ist und so weiter. Und wer tatsächlich bei Google einmal nachsieht, ob es eine Schauspielerin namens Jayne Dennis gibt, die mit Ellis ein Kind namens Robby haben soll, stößt auf eine aufwendige, vom Verlag getürkte Fan-Homepage, die mit den Angaben des Buchs genau übereinstimmt.
Darauf kommt es natürlich gar nicht an - schon gar nicht in einer Sphäre, in der die Images die Realität sind. Dieses aus dem Fundus des postmodernen Romans geklaubte Spiel mit Sein und Schein dient Ellis ohnehin nur als federndes Sprungbrett für die Handlung, die mit einem überraschenden Damaskuserlebnis einsetzt: Ausgebrannt, drogenkrank, am Tiefpunkt der biographischen Kurve angelangt, beschließt die Romanfigur Bret Easton Ellis, ihr Koordinatensystem zu wechseln. Seine alte Liebe Jayne gibt ihm eine zweite Chance. Sie heiraten und ziehen mit seinem Sohn, den er kaum kennt, und dessen jüngerer Halbschwester in eine Luxusvilla in Suburbia: "In der Vorstadt war ich relaxt. Alles war anders: der Tagesablauf, der soziale Status, das Mißtrauen anderen gegenüber. Sie war ein Zufluchtsort für die nicht ganz so Konkurrenzfähigen; sie war die Regionalliga." Man muß sich Dionysos als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Allerdings nur für knapp drei Monate, und damit wären wir bei der zweiten Falle. Denn es sind nur scheinbar die merkwürdigen Geschehnisse im Haus, die mysteriösen Geräusche und Kratzspuren, das Verschwinden von Kindern oder Mails aus dem Nichts, die die neue Familienidylle bedrohen. Der Wechsel ins Genre des Horrorthrillers wird selbst ironisch unterlaufen: Tatsächlich war der Neuanfang des Starschriftstellers nur eine Selbsttäuschung. Als groteskes Abziehbild seiner selbst spielt Ellis weiter jeunesse dorée, kippt Wodka wie Bateman einst "Evian naturelle", stellt am lokalen College seinen Creative-writing-Studentinnen nach und arbeitet an einem Roman in bekannter Manier (Arbeitstitel: "Teenage Pussy").
Den Auftakt des Hauptteils bildet die schlicht grandiose Schilderung einer Halloween-Party, die zum Mißvergnügen der Böses ahnenden Jayne in ein aberwitziges Bacchanal ausartet. Von schreiender Komik sind die Szenen, wenn Ellis mit seinem alten, zufällig hereinschneienden Kumpel McInerney ein paar Nasen auf die alten Zeiten (Stichwort: "Bolivianisches Marschierpulver") nimmt, während ringsherum erst langsam die wahren Ausmaße der Orgie erkennbar werden. ",Die Ehe ist toll', sagte ich und öffnete mein Tütchen erneut. ,Unbegrenzter Sex. Spaß. Und, ach ja, niemals allein. Ich glaube, ich beherrsche die Materie jetzt aus dem Effeff.'"
Doch wird der Witz, der aus der Konfrontation von Vaterrolle und Chauvi-Routine entsteht, rasch wieder unterbunden: Konfrontiert mit einem verstörten Kind, das vor Angst nicht schlafen kann, ist ein zugekokster Womanizer plötzlich eine lächerliche Figur. Ellis-Fans wird das enttäuschen: Obwohl man seine Drogen-, Sex- und Gewaltorgien nie für bare Münze nahm, war der hedonistische Kältekult seiner Figuren doch immer auch Rollenmodell - jedenfalls in dem Sinne, wie für kleine Jungs Old Shatterhand ein taffer Typ ist. Die Frage, wie Pop als Lebensstil mit Familienanschluß vereinbar sein könnte, wird von Ellis leider nicht weiter vertieft.
Tatsächlich ist mit der Wahl des filmisch vorbelasteten Halloween-Topos bereits eine weitere Vorentscheidung gefallen - die gegen einen durchweg satirischen Roman nämlich: Die Bedrohung durch dunkle Mächte funktioniert als Antrieb der Handlung nur dann, wenn überhaupt ernstgemeinte family values da sind, die zu verteidigen sich lohnt. Die Welt, in der der "American Psycho" wütete, war selbst so oberflächlich und hohl, daß es gar keinen Wert gegeben hatte, in dessen Namen man ihm hätte entgegentreten können. Auch in diesem Buch teilt Ellis konsumkritische Seitenhiebe aus; Markenklamotten, High-Tech-Spielzeug und Medikamenten-Cocktails der Kinder werden so detailreich beschrieben wie die Yuppie-Anzüge früherer Bücher - Kinder am Rande des Nervenzusammenbruchs. Doch so kaputt die amerikanische bürgerliche Familie auch ist, sie bleibt doch ein Ideal, dessen Kraft der Erzähler in einem schmerzhaften Prozeß erfährt. Vom Saulus zum Paulus wird man eben meist doch nicht über Nacht.
Das Horrorgenre wird auf recht originelle Weise variiert, da der pater familias hier die Seinen nicht vor äußeren Gefahren schützen muß, sondern selbst die Bedrohung ist. Und das gleich doppelt: Sein Alkoholismus läßt ihn als unzurechnungsfähig erscheinen; er ist ein Fremder im eigenen Haus, dem weder die Polizei noch die eigene Frau glaubt. Zugleich entstammen die Monster - ein animiertes Stofftier; ein leibhaftig gewordener Patrick Bateman - seiner schriftstellerischen Phantasie. Die verdrängte Vergangenheit holt Ellis ein; vor allem legt sich der Schatten des toten Vaters über alles - eines verhaßten, genußsüchtigen Despoten, der angeblich für die Bateman-Figur Modell gestanden hat. Letztlich ist der verantwortungslose Zynismus des Ellisschen Personals selbst des Pudels Kern, aus dem dann diverse Manifestationen des Bösen (heulender Wind, Damönen, Schleim et aliter) entspringen.
Aus dieser Grundidee hätte sich ein interessanter Plot entwickeln lassen, wenn Ellis nicht die Handlung so unnötig verkompliziert hätte. Während ein Serienmörder - streng nach dem Drehbuch "American Psycho" - sein Unwesen treibt, macht sich der Erzähler wegen der verschwindenden Jungen Sorgen um seinen merkwürdig verschlossenen Sohn. Darüber hinaus gibt es ständig rätselhafte Botschaften aus dem Jenseits, das von lauter Quasselstrippen bevölkert sein muß. Aber ob ein Spuk jeweils der Familie wirklich an den Kragen oder nur auf gespenstisch-unkonventionelle Weise etwas Nützliches mitteilen will, ist nicht leicht auseinanderzuhalten. Irgendwie läuft die Lösung dann zugleich auf das Ellissche Gesamtwerk und seinen mächtigen Vaterkomplex zu. Der zwischen beidem bestehende Zusammenhang ist allerdings zu weit hergeholt, um hier aufgedröselt zu werden. Nur soviel: Auf die Idee, seinen verhaßten Erzeuger als irren, mädchengrillenden Massenmörder zu porträtieren und hinterher Schuldgefühle zu empfinden, weil man sich vor dessen Tod nicht mehr in Ruhe unterhalten hat, muß man erst einmal kommen!
Die größere Schwäche des Buchs liegt jedoch in seinem Stil, einer wabernden, effekthaschenden Suspense-Rhetorik, die den Leser für noch begriffstutziger als den ohnehin schon schwerfälligen Helden hält (aber der ist immerhin stoned): Ständig will Ellis vornehmlich an Kapitelschlüssen durch Retardationen und Auslassungen eine Spannung halten, die gar nicht mehr besteht: "Und als ich seinen Namen immer wieder wiederholte, wurde mir klar, was es war." Absatz. "Eine Warnung." Oder: "Ein Grauen überlief mich immer wieder. Denn jetzt konnte alles passieren." Oder: "Ich sah nicht, was hinter mir war." Statt Angst zu erzeugen, wird sie nur behauptet.
Der eher putzige Exorzismus, dem das Geisterhaus schließlich unterzogen wird, ist das Pendant jener selbstquälerischen Teufelsaustreibung, die Ellis hier an seinem eigenen Schreiben vornimmt. Doch mit dem Bösen und Verantwortungslosen wird auch jener Reiz endgültig vertrieben, den der unbarmherzige Blick und sein lakonischer Ton einst ausübten. Auch wenn am Ende der Familientraum zerbricht - er war für den realen Ellis, kinderlos und homosexuell, wohl sowieso nur ein Gedankenspiel -, kommt es doch zu einer Art höheren Versöhnung mit dem toten Vater und dem verlorenen Sohn.
Neben seinem Vater ist "Lunar Park" seinem mit dreißig Jahren verstorbenen Lebensgefährten gewidmet. "American Psycho" machte einst in der Literaturtheorie Epoche als Urtyp einer neuen "transgressive fiction". Überschritten wurden hier viele Grenzen - die zwischen Körper und Text, Lust und Schmerz, Haute cuisine und Kannibalismus - und nicht zuletzt die des guten Geschmacks. Das Thema von "Lunar Park" ist eine andere Art von Transgression - auf vielen, viel zu vielen Umwegen erzählt das Buch von der Kraft einer Bindung über den Tod hinaus.
Bret Easton Ellis: "Lunar Park". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2006. 458 S., geb., 22,90 [Euro].
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"Ganz gleich, wie entsetzlich die geschilderten Ereignisse auch erscheinen mögen, eines dürfen Sie als Leser nie vergessen, wenn Sie das Buch in Händen halten: Alles beruht auf Tatsachen, jedes einzelne Wort ist wahr.Was mich am meisten quält? Da niemand wusste, was in diesem Haus vor sich ging, hatte auch niemand Angst um uns." Bret Easton Ellis, Lunar Park
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der Rezensent Ijoma Mangold ist gehörig genervt von Bret Easton Ellis' neuem Roman, der sich um eine Hauptfigur namens Bret Easton Ellis dreht, die mit dem Autor einiges an Eigenschaften und biografischer Geschichte teilt: "Dieser Gespenster-Trip mag dem Autor helfen, dem Leser nicht." Den Anfang des Buches, dass den Koks- und Champagner-Vollrausch der Zeit der frühen Erfolge des Autors behandelt, findet der Rezensent noch unterhaltsam, doch leider endet dieser Teil der Geschichte bereits nach gut 50 Seiten. Danach driftet der Autor nach Mangolds Meinung bedauerlicherweise in Stephen-King-Gefilde ab - und das dient nicht mal der Unterhaltung des Lesers: "Es soll nun ein dämonischer Thriller werden - aber nicht, damit es den Leser gruselt (das tut es nie), sondern damit die Versäumnisse und Verschuldungen der eigenen Vergangenheit die drastischste Manifestation annehmen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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