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Gedichte können LUST entfachen und auffächern, können Objekt der Begierde und Subjekt des Begehrens sein. Gedichte werfen uns anzügliche Zeilen zu und fragen nach Anstößigem, nach der Spalte zwischen Text und Sex, nach dem Körper. Sie sind selbst Körper. Der sich reibt, der einverleibt, es mit der Sprache treibt, und mit sich selbst. Braucht LUST im Gedicht ein Du? Ist Du Ich? Ich Du? Wer begehrt wen? Und wie? Hat Lust ein Geschlecht? Fragen, denen Odile Kennel sich in ihrem Essay spielerisch nähert, dabei Sprachen, das Sprechen und das Schreiben auf ihre Körperlichkeit hin erkundet und…mehr

Produktbeschreibung
Gedichte können LUST entfachen und auffächern, können Objekt der Begierde und Subjekt des Begehrens sein. Gedichte werfen uns anzügliche Zeilen zu und fragen nach Anstößigem, nach der Spalte zwischen Text und Sex, nach dem Körper. Sie sind selbst Körper. Der sich reibt, der einverleibt, es mit der Sprache treibt, und mit sich selbst. Braucht LUST im Gedicht ein Du? Ist Du Ich? Ich Du? Wer begehrt wen? Und wie? Hat Lust ein Geschlecht? Fragen, denen Odile Kennel sich in ihrem Essay spielerisch nähert, dabei Sprachen, das Sprechen und das Schreiben auf ihre Körperlichkeit hin erkundet und Universen auf kleinstem Raum nach ihrem Lusthorizont abtastet. Denn LUST ist nicht sagbar und doch Antrieb fürs Sprechen, fürs Schreiben, fürs sich Verlieren im Text, der Annäherung ist, Ansprache, Asymptote, die nie anlangt oder als Tangente beim Anfassen landet. In ihrer Auseinandersetzung mit LUST lässt Odile Kennel Label an der lustvollen Komplexität des Gegenstands abprallen: LUST ist nie nur Eines, ist immer dazwischen - zwischen den Körpern, den Zeilen, den Sprachen. Die sich einander klangvoll begehren und hinterhersteigen. Die Laute klauben, kalauern, am Rand des Erlaubten kauern. Laut ist leise, Laut ist laut, geht unter die Haut, und wenn die Zunge Sprache ist, eröffnet die Mehrsprachigkeit eine Polyphonie erotischer Möglichkeiten. Odile Kennels Essay ist eine Landkarte der LUST, eine Topographie kultureller Konturen. Ein Essay für den Lustgewinnn im Leben, für ein lustvolles Widerstreben, für unbedingte Lust am Lesen.
Autorenporträt
Odile Kennel lebt als Lyrikerin, Romanautorin und Übersetzerin in Berlin. Sie schreibt auf Deutsch und auf Französisch und lädt gerne weitere Sprachen in ihre Texte ein. Im Gedichtband "Hors Texte" (Verlagshaus Berlin 2019) lotet sie den Raum zwischen Text und Sex aus, der sich Begehren nennt und lässt die Sprachen sich einander hinterhersteigen. Mit dem Roman "Mit Blick auf See" (dtv 2017) war sie für den Alfred-Döblin-Preis nominiert, 2021 ist sie Finalistin beim Lyrikpreis Meran. In Übersetzung erschien zuletzt von Angélica Freitas "Der Uterus ist groß wie eine Faust" (Elif Verlag 2020), für das Verlagshaus übersetzte sie "Körper: Ein Handbuch" von Ricardo Domeneck (2013). Sie ist gelegentlich als Bloggerin unterwegs https://odilekennel.blogspot.com/.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.01.2022

Raus aus dem Stahlbad der Ironie
Lea Schneider und Odile Kennel zerlegen in ihren neuen Essays über Scham und Lust alles, was der Philosophie seit der Aufklärung heilig ist
Schreiben ist mühsam, es gibt eine Menge Risiken, zumal wenn man Gedichte schreibt, als Frau, über die Liebe. Lea Schneider, bekannt als Lyrikerin und Übersetzerin berichtet davon in einem kleinen Band über die Scham, erschienen in der Edition Poeticon im Verlagshaus Berlin. Sie listet eine Menge Ratschläge auf, die sie erhielt, um dieser Tage schreibend Erfolg zu haben, einen Kanon der Konformität – auch die Postmoderne kann, konträr zu dem, wofür sie eigentlich angetreten ist, in ihrer Coolness erstarren: „Schreib nicht von dir. Sei ironisch. Sei distanziert. Spiele so lange mit der Sprache, bis sie keinen Inhalt mehr hat; keinen Inhalt, auf den man dich festlegen, der dich verraten, der dir peinlich sein könnte. Spiele so lange, bis du nur noch Sprache hast.“ Ein permanentes Spielen, das in Sprache pur ausläuft, in ein Stahlbad der Ironie. Lea Schreiber führt vor, wie man sich freimacht von diesem Panzer. Eine Eloge der Scham, ein Schreiben, das die Verletzlichkeit produktiv macht, die Abhängigkeit von anderen, die Unausweichlichkeit des Schamgefühls.
„Scham ist ansteckend. Scham klebt an Dingen und Menschen. Scham läuft über: über den Rand des Körpers, der Sätze. Scham trieft in andere Sätze, in andere Bereiche hinein. Scham, ist sie einmal da, breitet sich aus. Macht Flecken. Blut, Rotz, Schleim, Sperma, Speichel: Scham hängt an Körperflüssigkeiten. Und wie diese verhält sie sich auch.“ Produktiv gemacht sei die Scham, die weibliche zumal, im Werk der Künstlerin Tracey Emin: „Sie versenkt sich in jene spezifisch weibliche Scham, bedürftig zu wirken, zu nerven, zu viel Aufmerksamkeit zu fordern, zu anhänglich zu sein, sich zu schnell zu verlieben, zu viel zu zeigen, zu emotional zu sein.“
„Poetisiert euch“ ist die Devise der Edition, in der soeben auch die Reflexionen von Odile Kennel zur Lust erschienen sind – zwei Frauen, die Lyrik schreiben, in verschiedenen Sprachen arbeiten, und doch die Grenzen zwischen ihnen überschreiten. Sie widmen sich der Reflexion der beiden Begriffe – aber Ausgangspunkt sind immer die Emotionen und die Körper, ihre Sprache und ihre Arbeit. Auch Unerschrockenheit gegenüber den Gefahren des Kalauers eint Schneider und Kennel. Plötzlich schaltet sich in den Diskurs bei Odile Kennel die Unlust selbst ein, „mault: Du kriegst die Lust nicht ohne mich. liegt im Weg, ah und oha, da liegen auch Freud und Lacan, le désir est la passion du signifiant, und schon vergnügen sie sich zu dritt auf dem Papier. Geht doch!, Unlust, sage ich, ça roule, ça roucoule, und schon rollen sie über den Boden, rollen aus dem Text.“
Schneider und Kennel zerlegen alles, was der Philosophie seit der Aufklärung heilig war, feste Begriffe wie Subjekt, Individuum und Unabhängigkeit, oder das Verlangen, souverän, autonom, rational zu sein. Der bewährten Rationalität ist immer ein Gerüst von Macht und Herrschaft eingezogen, die Kreativität der Scham dagegen geht aus von Verletzlichkeit, kalkuliert das Risiko ein zu leiden oder auch der Gewalt zum Opfer zu fallen. Ein Mechanismus des Masochismus, aber auch die Öffnung auf die Liebe hin. „Wir können unsere Scham nicht loswerden, ohne dabei auch unsere Menschlichkeit zu verlieren.“ Scham als Geschenk, das bedeutet Öffnung. Eine politische Aktivität: „Scham signalisiert, wo Gefährdung beginnt, wo sich Ausschlüsse ereignen, wo die Grenzen unseres Mitgefühls und unserer Vorstellungskraft verlaufen – wo also zu ändern, neu zu denken, umzuverteilen ist.“
Etwa zur Hälfte von Odile Kennels Buch zur Lust wird das Gespinst der Reflexionen, das Gewoge von Rede und Widerrede zerfetzt. Plötzlich ist Baubo da, und mit ihr kommt die Hoffnung auf Befreiung. Baubo, die in der griechischen Mythologie Demeter begleitet auf deren verzweifelter Suche nach ihrer Tochter Persephone, sieht nur ein Mittel, um diese Verzweiflung zu beenden. Sie wirft ihr Kleid hoch und zeigt ihre Klitoris, ihre Scham, „zeigt ihre ungezügelte, umzüngelte, züngelnde Lust, Baubo schickt Klitpics. / und gleich zeigt man auf sie, macht sie zügig mundtot, schneidet ihr die Lippen ab, die Zunge, den Zorn, die Klitoris / interdite devant tant d’interdit / sprachlos vor soviel Gewalt / dire l’inter-dit, ich schnapp mir die Sprache, spreche aus, was sprechend unterbricht, sich mein Zeigen verbittet / mir mein Zeigen verbietet / auftritt die Scham“.
FRITZ GÖTTLER
Odile Kennel: Lust.
Lea Schneider: Scham. Edition Poeticon
Nr. 15 und 16.
Verlagshaus Berlin 2021.
Je 47 Seiten, 7 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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