Gedichte können LUST entfachen und auffächern, können Objekt der Begierde und Subjekt des Begehrens sein. Gedichte werfen uns anzügliche Zeilen zu und fragen nach Anstößigem, nach der Spalte zwischen Text und Sex, nach dem Körper. Sie sind selbst Körper. Der sich reibt, der einverleibt, es mit der Sprache treibt, und mit sich selbst. Braucht LUST im Gedicht ein Du? Ist Du Ich? Ich Du? Wer begehrt wen? Und wie? Hat Lust ein Geschlecht? Fragen, denen Odile Kennel sich in ihrem Essay spielerisch nähert, dabei Sprachen, das Sprechen und das Schreiben auf ihre Körperlichkeit hin erkundet und Universen auf kleinstem Raum nach ihrem Lusthorizont abtastet. Denn LUST ist nicht sagbar und doch Antrieb fürs Sprechen, fürs Schreiben, fürs sich Verlieren im Text, der Annäherung ist, Ansprache, Asymptote, die nie anlangt oder als Tangente beim Anfassen landet. In ihrer Auseinandersetzung mit LUST lässt Odile Kennel Label an der lustvollen Komplexität des Gegenstands abprallen: LUST ist nie nur Eines, ist immer dazwischen - zwischen den Körpern, den Zeilen, den Sprachen. Die sich einander klangvoll begehren und hinterhersteigen. Die Laute klauben, kalauern, am Rand des Erlaubten kauern. Laut ist leise, Laut ist laut, geht unter die Haut, und wenn die Zunge Sprache ist, eröffnet die Mehrsprachigkeit eine Polyphonie erotischer Möglichkeiten. Odile Kennels Essay ist eine Landkarte der LUST, eine Topographie kultureller Konturen. Ein Essay für den Lustgewinnn im Leben, für ein lustvolles Widerstreben, für unbedingte Lust am Lesen.