Ernst Lustig hat mehr als ein Problem: Mit seiner Schillerbiographie geht es nicht voran, seine Geliebte hat ihm den Laufpass gegeben, mit der Welt der schrillen Werbung will er nichts mehr zu tun haben. Steffen Menschings Roman ist eine tragikomische Robinsonade voller Sprachwitz und überraschender Wendungen. Ernst Lustig, 44 Jahre alt, geschieden, arbeitsloser Literaturwissenschaftler, steckt in einer tiefschwarzen Krise. Er fragt sich, ob sie durch die junge Geliebte oder eher durch seine alten Vorurteile verursacht wird. Hinter den ungewöhnlichen PR-Methoden seines Verlages wittert Lustig Trivialisierung. Weil er mit dieser Welt nichts mehr zu tun haben will, schließt er sich in seiner Arbeitswohnung ein, mit dem Vorsatz, sie nicht eher zu verlassen, bis er sein ins Stocken geratenes Schiller-Buch vollendet hat. Doch wie lange reichen die Essensvorräte? Wer leert den Briefkasten? Was tun, wenn jemand an der Tür klingelt? Freunde schicken E-Mails und fordern Erklärungen über sein Verschwinden. Um seine Abwesenheit zu begründen, erfindet der überzeugte Anti-Tourist seine erste Auslandsreise. Ein Einfall, der zunächst Entlastung bringt, bis die Freunde ausführliche Berichte über das Reiseland anfordern. Lustig muss sich etwas einfallen lassen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.2007Irreführung
Sauer macht lustig: Steffen Menschings abstruser Roman
Der Schriftsteller Steffen Mensching, 1958 in Ost-Berlin geboren, hatte gegenüber seinen älteren Kollegen in der DDR einen Vorteil: Er war zu jung, als dass er sein Gewerbe noch unter dem stalinistischen Druck des Ulbricht-Regimes hätte ausüben müssen. Nicht, dass unter Honecker künstlerische Freiheit geherrscht hätte; aber etwas mehr Chancen, den eigenen Charakter zu entwickeln, gab es doch. Und bevor der eigenwillige Prosa- und Gedichteschreiber sich ernsthaften Ärger zuziehen konnte, war die DDR dahin.
Sein jüngster Roman "Lustigs Flucht" ist also ein Produkt von anderthalb Jahrzehnten Leben im vereinten Deutschland. Natürlich gibt es im Text immer wieder mal Rückgriffe auf die Zeit vor der Wende, aber sie spielen keine prägende Rolle für das Tun und Denken des Romanhelden; sie reichern nur ein bisschen an, was er über sich sagt. Überhaupt ist, was Herr Lustig uns mitteilt, nur wenig von politischem Geschehen abhängig; ihm geht es vor allem um das, was ihm privat widerfährt und was er unter dem Einfluss seiner Erlebnisse so anstellt.
Steffen Mensching hat die Zentralfigur seines Romans um zwei Jahre jünger gemacht, als er selbst ist, ihr aber im Großen und Ganzen eigene Eindrücke und Bestrebungen zugeteilt. Schon als Kind hat der Held eine historische Studie Schillers gelesen und sich seither für klassische Literatur interessiert. Dies zum Ärger des Vaters, eines überzeugten Eisenbahners, der seine Leidenschaft für das Verkehrsmittel gerne an den Sohn weitergereicht hätte. Des Sohnes Flucht aus dem braven Kleinbürgertum ist vor allem ein Protest gegen den Alten, dem er unter anderem verübelt, ihn per Namensgebung zum Scherzkeks gemacht zu haben. Als Ernst Lustig wandert der Romanheld durch die Welt, zum Erstaunen, oft zur Belustigung seiner Mitmenschen.
Wenn er schon so heißen muss, dann zieht er eben die Konsequenzen daraus und lebt auch sonst im Widerspruch. Ernst Lustig quittiert Ehe und Hochschulposten und zieht sich ins Nichts zurück. Das heißt, er versteckt sich in der vorübergehend verlassenen Wohnung eines Bekannten und versucht, eine Schiller-Biographie zu schreiben. Doch bloß mit der Devise "nein" lässt sich die Welt nicht erobern.
Lustigs Geliebte sagt ihm adieu, mit der Schreiberei klappt es nicht so recht, seine Einfälle und Erfindungskräfte werden für unliterarische Torheiten aufgebraucht. Um vollkommen in Ruhe gelassen zu werden, hat Lustig nämlich aller Welt erzählt, er werde für längere Zeit nach Vietnam reisen. Nun muss sein Gehirn mit aller Macht daran arbeiten, Bekannte, Kollegen und die drei Lustig-Schwestern mittels erlogener Nachrichten in die Irre zu führen. Seine Arbeitswohnung wird zum Gefängnis, er zittert, wenn jemand klingelt, und wagt sich nicht nach draußen, um Lebensmittel einzukaufen.
Es kommt dann noch viel dicker, Pleiten, Pech, Pannen und anderes. Aber was lernen wir aus alledem? Eigentlich nichts. Wenn wir dem Helden dennoch über die ganze Strecke folgen können, dann liegt das weniger an den abstrusen Einfällen als am munteren Stil. Steffen Mensching weiß mit Sprache umzugehen; das macht es leicht, Ernst Lustigs Irrsinn zu verarbeiten, darüber zu lächeln und den ersten Satz des Buchs zu vergessen: "Wäre mein Leben ein Roman, ich würde ihn nicht lesen."
SABINE BRANDT
Steffen Mensching: "Lustigs Flucht". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2005. 328 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sauer macht lustig: Steffen Menschings abstruser Roman
Der Schriftsteller Steffen Mensching, 1958 in Ost-Berlin geboren, hatte gegenüber seinen älteren Kollegen in der DDR einen Vorteil: Er war zu jung, als dass er sein Gewerbe noch unter dem stalinistischen Druck des Ulbricht-Regimes hätte ausüben müssen. Nicht, dass unter Honecker künstlerische Freiheit geherrscht hätte; aber etwas mehr Chancen, den eigenen Charakter zu entwickeln, gab es doch. Und bevor der eigenwillige Prosa- und Gedichteschreiber sich ernsthaften Ärger zuziehen konnte, war die DDR dahin.
Sein jüngster Roman "Lustigs Flucht" ist also ein Produkt von anderthalb Jahrzehnten Leben im vereinten Deutschland. Natürlich gibt es im Text immer wieder mal Rückgriffe auf die Zeit vor der Wende, aber sie spielen keine prägende Rolle für das Tun und Denken des Romanhelden; sie reichern nur ein bisschen an, was er über sich sagt. Überhaupt ist, was Herr Lustig uns mitteilt, nur wenig von politischem Geschehen abhängig; ihm geht es vor allem um das, was ihm privat widerfährt und was er unter dem Einfluss seiner Erlebnisse so anstellt.
Steffen Mensching hat die Zentralfigur seines Romans um zwei Jahre jünger gemacht, als er selbst ist, ihr aber im Großen und Ganzen eigene Eindrücke und Bestrebungen zugeteilt. Schon als Kind hat der Held eine historische Studie Schillers gelesen und sich seither für klassische Literatur interessiert. Dies zum Ärger des Vaters, eines überzeugten Eisenbahners, der seine Leidenschaft für das Verkehrsmittel gerne an den Sohn weitergereicht hätte. Des Sohnes Flucht aus dem braven Kleinbürgertum ist vor allem ein Protest gegen den Alten, dem er unter anderem verübelt, ihn per Namensgebung zum Scherzkeks gemacht zu haben. Als Ernst Lustig wandert der Romanheld durch die Welt, zum Erstaunen, oft zur Belustigung seiner Mitmenschen.
Wenn er schon so heißen muss, dann zieht er eben die Konsequenzen daraus und lebt auch sonst im Widerspruch. Ernst Lustig quittiert Ehe und Hochschulposten und zieht sich ins Nichts zurück. Das heißt, er versteckt sich in der vorübergehend verlassenen Wohnung eines Bekannten und versucht, eine Schiller-Biographie zu schreiben. Doch bloß mit der Devise "nein" lässt sich die Welt nicht erobern.
Lustigs Geliebte sagt ihm adieu, mit der Schreiberei klappt es nicht so recht, seine Einfälle und Erfindungskräfte werden für unliterarische Torheiten aufgebraucht. Um vollkommen in Ruhe gelassen zu werden, hat Lustig nämlich aller Welt erzählt, er werde für längere Zeit nach Vietnam reisen. Nun muss sein Gehirn mit aller Macht daran arbeiten, Bekannte, Kollegen und die drei Lustig-Schwestern mittels erlogener Nachrichten in die Irre zu führen. Seine Arbeitswohnung wird zum Gefängnis, er zittert, wenn jemand klingelt, und wagt sich nicht nach draußen, um Lebensmittel einzukaufen.
Es kommt dann noch viel dicker, Pleiten, Pech, Pannen und anderes. Aber was lernen wir aus alledem? Eigentlich nichts. Wenn wir dem Helden dennoch über die ganze Strecke folgen können, dann liegt das weniger an den abstrusen Einfällen als am munteren Stil. Steffen Mensching weiß mit Sprache umzugehen; das macht es leicht, Ernst Lustigs Irrsinn zu verarbeiten, darüber zu lächeln und den ersten Satz des Buchs zu vergessen: "Wäre mein Leben ein Roman, ich würde ihn nicht lesen."
SABINE BRANDT
Steffen Mensching: "Lustigs Flucht". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2005. 328 S., geb., 18,90 [Euro].
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"Mensching ist beim Erzählen ein Meister der Einfügungen. Und so nimmt er die Leser immer wieder mit auf die faszinierende Reise durch die viele Zeilen langen Sätze, die sich wie ein Wunder am Ende perfekt zusammenfügen - wie übrigens auch die abstrusen Erlebnisse des Ernst Lustig." (Oranienburger Generalanzeiger)