"Wer's nicht glaubt, wird dran glauben." Bazon Brock
Bazon Brock zieht Bilanz: Wie sieht die Zukunft der Europäer angesichts der Totalglobalisierung aus? Seine These: Wir haben viel zu lernen, um demnächst Millionen chinesischer Touristen als interessantes Ferienerlebnis dienen zu können. Europas Errungenschaften wie Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat, Säkularisierung, Würde des Einzelnen und Freiheit von Wissenschaft und Kunst werden künftig kaum eine Rolle spielen. Müssen wir sogar fürchten, aus der Geschichte zu verschwinden?
Brock empfiehlt gegen den Schrecken dieser Einsicht eine kleine Einübung ins etruskische Lächeln, das Einverständnis mit dem eigenen Schicksal signalisiert. Wem das nicht reicht, muss sich behaupten lernen - aber nicht aus dem Allmachtsgefühl technischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Überlegenheit, sondern aus der Ohnmachtserfahrung der Europäer als kleine gefährdete Art im Menschenzoo.
Bazon Brock zieht Bilanz: Wie sieht die Zukunft der Europäer angesichts der Totalglobalisierung aus? Seine These: Wir haben viel zu lernen, um demnächst Millionen chinesischer Touristen als interessantes Ferienerlebnis dienen zu können. Europas Errungenschaften wie Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat, Säkularisierung, Würde des Einzelnen und Freiheit von Wissenschaft und Kunst werden künftig kaum eine Rolle spielen. Müssen wir sogar fürchten, aus der Geschichte zu verschwinden?
Brock empfiehlt gegen den Schrecken dieser Einsicht eine kleine Einübung ins etruskische Lächeln, das Einverständnis mit dem eigenen Schicksal signalisiert. Wem das nicht reicht, muss sich behaupten lernen - aber nicht aus dem Allmachtsgefühl technischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Überlegenheit, sondern aus der Ohnmachtserfahrung der Europäer als kleine gefährdete Art im Menschenzoo.
Bazon Brock will die Welt durch Neutralisierung der Kulturkämpfe zum friedlichen Museum machen und übersieht dabei etwas.
Von Lorenz Jäger
Hier gilt's der Kunst - aber damit ist noch nichts gesagt. Bazon Brock ist ein politischer Ästhetiker besonderer Prägung. Es gibt ja Kunst, die nichts anderes will als sich selbst, und es gibt die Kunst, die sich in den Dienst eine Religion oder einer Ideologie stellt. Bazon Brock ist auch als Theoretiker der Kunst vor allem ein Stratege. In den sechziger Jahren hatte er mit der Affirmation experimentiert. Aber diese Bejahung war gleichzeitig nicht sie selbst, sondern Überlebenstechnik, wie er sie einmal in der wunderbaren Anekdote vom Piraten-Käpt'n Drake erzählte: Drake hatte Gefangene gemacht, jeder musste seinen Namen sagen und wurde sogleich enthauptet. Bis der Kapitän an einen kam, der auf die Frage nach seinem Namen die schlagfertig-lakonische Antwort gab: "Drake". Betreten schauten sich die Piraten an, und da war es plötzlich vorbei mit dem Massaker.
Handle so, dass keine Großkünstler sich totalitär gebärden können.
Brock ist ein wahres Füllhorn der Anekdoten und ein Virtuose ihrer Verkettung. Von Helmut Kohls legendärem "Aussitzen" ist es nicht weit zur japanischen Meditation des "Za-Zen"; Etrusker, Schweizer, Augustinus, Kierkegaard und Pascal werden aufgeboten, um der Kunst beizukommen - der Reichtum seiner kulturübergreifenden Assoziationen ist so leicht nicht zu schlagen.
Zwischen großer, imperial gewalttätiger Politik und den Selbstüberschätzungen der Kunstavantgarden bewegt sich die Darstellung. Das eine ist nicht ohne das andere zu denken. Der Leser wird zum Zeugen hübscher Parallelromane: hier Cosima und Richard Wagner, dort Königin Viktoria und Disraeli, der der verehrten Monarchin ein indisches Kaisertum verschafft; das Schwabing des genialischen Winkel-Georgianers Ludwig Derleth und der kollektive Traum der Deutschen. Und immer wieder der Krieg. Brock, Jahrgang 1936, war ein Kriegskind.
Aus dieser Erfahrung ist seine Kunststrategie zu verstehen: Handle so, dass nie wieder maßlose Großkünstler und totalitäre Ideologen, "gnadenlose Konkurrenten Gottes", aus der Normalität ausbrechen können. Die Schweiz wird ganz ernsthaft als Weltmodell gepriesen (und hier stocken wir schon, denn für welthistorische Untaten war das Land sicher zu klein, aber verdient hat es an ihnen durchaus, und allzu sehr darf das Land mit seinem moralischen Bonus nicht renommieren). Man kann, um Brocks Anliegen zu verstehen, auf Carl Schmitt zurückgreifen: Der Völkerrechtler hatte vor einem "Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen" gewarnt - aber gerade in dieser Formel fasst sich Brocks Musealisierungs-Manifest sehr gut zusammen. Scharf kritisiert er die verbreitete Rede von der wünschbaren und angeblich notwendigen "Radikalität" der Künstler: "Die Vermeidung von Deklarationen der Zustimmung oder Ablehnung erzeugt allgemein den Eindruck von Unbestimmtheit. Dies ist die Voraussetzung für opportune Anpassung als Camouflage wie für die produktive Steigerung von Vieldeutigkeit und Vielwertigkeit, von Ambivalenz und Ambiguität." Mit den Träumen von der realen oder auch nur virtuellen Herrschaft des Westens über die Welt ist es aus, Europa wird zum Park der Zivilisation für Chinesen, Inder, Araber und Russen: "Macht Euch fit, um als Museum der Welt ansehenswürdig zu werden."
Die Forderung ist anthropologisch unzumutbar, und Brocks eigenes Modell führt sich ad absurdum. Es ist nämlich das des türkischen Laizismus von Kemal Atatürk, der die Hagia Sophia per Dekret musealisierte: "Weder christlicher noch moslemischer Triumph, sondern zivilisatorischer; weder Glaubensfestung der einen noch der anderen religiösen Gewissheit, sondern Repräsentation der universalen Menschheit sollte dieser Kultbau sein - so verfügte Atatürk und gab in der Tat damit das bis dato bedeutendste Beispiel für die denkbare Beherrschung der Religions- und Kulturkriege." Was Brock hier übersieht, sind die Zwangsmittel, die jede Musealisierungsstrategie ihrerseits gebrauchen muss, im Falle von Atatürk war es die bis heute andauernde staatliche Aufsicht über die Religion. Die "zivilisatorische Großtat" des Herrschers nimmt sich sehr zweideutig aus, wenn man sie näher betrachtet. Menschen sind nicht neutralisierbar, sie haben eine Seele.
Bazon Brock: "Lustmarsch durchs Theoriegelände - Musealisiert Euch!" Dumont Verlag, Köln 2008. 384 S., Abb., br., 24,90 [Euro].
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