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Bisher unbeachtete Akten in den Vatikanischen Archiven lassen erstmals detailliert erkennen, wie Luther von Rom aus wahrgenommen wurde. Volker Reinhardt zeigt in seinem bahnbrechenden Buch, wie sich daraus ein ganz neues Bild der Reformation ergibt, deren tiefere, bis heute nachwirkende Ursachen in Hass und Unverständnis zwischen "kultivierten Italienern" und "barbarischen Deutschen" liegen. Luther hegte einen flammenden Hass auf "des Teufels Sau, den Bapst". Die römischen Theologen wiederum verstanden nicht, was der grobschlächtige, unendlich eitle Mönch anderes wollte, als das Papsttum zu…mehr

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Produktbeschreibung
Bisher unbeachtete Akten in den Vatikanischen Archiven lassen erstmals detailliert erkennen, wie Luther von Rom aus wahrgenommen wurde. Volker Reinhardt zeigt in seinem bahnbrechenden Buch, wie sich daraus ein ganz neues Bild der Reformation ergibt, deren tiefere, bis heute nachwirkende Ursachen in Hass und Unverständnis zwischen "kultivierten Italienern" und "barbarischen Deutschen" liegen. Luther hegte einen flammenden Hass auf "des Teufels Sau, den Bapst". Die römischen Theologen wiederum verstanden nicht, was der grobschlächtige, unendlich eitle Mönch anderes wollte, als das Papsttum zu zerstören. Und fromme Fürsten in Deutschland hatten ihre eigenen Gründe, den wortgewaltigen Hassprediger zu unterstützen. So war der Weg zur Kirchenspaltung früh vorgezeichnet - ganz unabhängig von den theologischen Disputen, die schon damals kaum jemand verstand. Volker Reinhardt zeigt anhand bisher vernachlässigter römischer Quellen über Luther, dass die wahren Gründe für die Glaubensspaltung jenseits der Glaubensfragen liegen. Er rekonstruiert erstmals die großen, von Protestanten mythisch verklärten Begegnungen zwischen Luther und dem Papsttum aus römischer Sicht, zeigt, warum die Päpste das Geschrei im fernen Deutschland oft nicht ernst nahmen, und zeichnet ein erstaunlich neues Bild von dem Kampf der Mentalitäten und Interessen, der die Welt verändert hat.
Autorenporträt
Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg, gehört weltweit zu den besten Kennern des Renaissance- Papsttums. Bei C.H.Beck erschienen von ihm u. a. die erfolgreichen Biographien Alexander VI. Borgia (2011), Pius II. Piccolomini (2013) sowie Machiavelli oder Die Kunst der Macht (2014), für die er mit dem Golo-Mann- Preis für Geschichtsschreibung ausgezeichnet wurde.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.02.2016

Der Weg ins Inferno
Das Reformations-Jubiläum 2017 rückt näher – ist Volker Reinhardts
„Luther, der Ketzer“ das Buch der Stunde? Von Heinz Schilling
Für die einen ist der Wittenberger Reformator ein „Ketzer“ und soll es weiter bleiben, so einzelne Stimmen aus Rom. Die andern rüsten Luther wieder einmal politisch auf und stellen – natürlich nicht mehr seine nationalen Verdienste – so doch seinen „Beitrag zur Formierung der westlichen Zivilisation“ ins Zentrum, so die an junge Wissenschaftler gerichtete Preisfrage der EKD. Wen wundert es da, dass sich in beiden Kirchen die Nachdenklichen besorgt fragen, ob das aufziehende Jahr 2017 am Ende nicht eher die konfessionelle Abgrenzung als den ökumenischen Dialog stärken wird.
  Sollten auch 2017 wieder gegenwartsbezogene Identitätsbildung und politische Inpflichtnahme drohen, so hilft nur die nüchterne Bestandsaufnahme des historischen Sachverhalts. Dabei geht es zum einen um die welt- oder globalgeschichtliche Perspektive, in der zu klären ist, ob – wie protestantische Geistes- und Sozialwissenschaftler seit dem 19. Jahrhundert nicht müde werden zu betonen – mit dem 31. Oktober 1517 in der Tat die „Morgenröte der Neuzeit“ anbrach, oder ob der Aufbruch, der langfristig die Moderne hervorbrachte, zeitlich, sachlich und geografisch vielschichtiger anzusetzen ist. Zum anderen ist hinsichtlich der innerchristlichen Gegensätze zu klären, was an den vor einem halben Jahrtausend aufgebrochenen Kontroversen zeitgebunden war und was für die Gegenwart weiterhin relevant bleibt.
  Wenn uns Volker Reinhardt mit seinem Buch „Luther, der Ketzer“ neue Einblicke aus „der Geheimakte Luther“ der vatikanischen Archive verspricht, so ist die Erwartung hoch gespannt. Der Autor ist einem großen Publikum als zuverlässiger Führer durch Tiefen und Untiefen der italienischen Renaissance vertraut. Sein neues Buch fügt nun die italienisch-römischen mit den deutsch-sächsischen Szenen zu einer Simultangeschichte zusammen. Mit leichter Hand führt Reinhardt den Leser in die nordalpinen Lebenswelten des Reformators ein und kontrastiert sie mit den Strukturen Roms und seines „souveränen Pontifex“, wie Paolo Prodi den Papst genannt hat. Vatikanische Verschlusssachen der „Geheimakte Luther“ zieht er dazu freilich nicht heran. Die sind teils seit Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlicht und auch in die Darstellungen zu Luther und zur Reformation eingegangen. Jüngere Spezialstudien zu Leo X. und seiner Frankreichpolitik geben neue Einblicke in die damalige „Staatsraison“ der Kurie, sodass in Reinhardts Parallelgeschichte die eine tragische Diskrepanz aufscheint zwischen den Erwartungen des mit den römischen Verhältnissen unvertrauten Reformators und seiner Anhänger einerseits und dem geografisch wie interessenmäßig weit gespannten Denk- und Handlungshorizont der Kurie und des Medici-Papstes.
  Ähnlich das Ablass-Problem, dessen theologisch-spirituelle Grundlagen kürzlich am Deutschen Historischen Institut in Rom nochmals umfassend erörtert wurden. Das von Luther konkret monierte Ablassgeschäft schildert Reinhardt als die von den kirchenpolitischen Ambitionen des Hohenzollernprinzen Albrecht von Brandenburg organisierte „Operation Mainz“, deren Einkünfte für den Papst letztlich von „nachgeordneter Bedeutung“ gewesen seien. Konkret auf das Budget des Jahres 1517 bezogen, ist das zweifellos richtig. Doch erkannte – wie Reinhardt selbst hervorhebt – der Medici-Papst mit dem Spürsinn des abgefeimten Bankers sogleich die Brisanz von Luthers Ablasskritik. Doch kaum bereits als prinzipielle Aufkündigung des geistlichen Gehorsams. Leo sah darin als Erstes die Herausforderung des fiskalischen Systems der Kurie, das dann auch in der Tat auf ganz neue Grundlagen gestellt werden musste, weil das bereits vor Luther kritisch beurteilte Ablassgeschäft nach 1517 völlig einbrach.
  Ein „Programm eines alternativen Papsttums“ lässt sich nur im Nachhinein in die Ablassthesen hineinlesen. Vielmehr war Lutherim Vergleich zu anderen Papstkritikern der Zeit 1517 durchaus moderat. Und dass er schließlich anders als die Reformer des italienischen evangelismo nicht mehr an die Erscheinung eines „papa angelicus“, eines vom Himmel geschickten engelsgleichen Kirchenoberhaupts glauben konnte, entschied sich erst, als die Kirchenhierarchie die theologische Auseinandersetzung verweigerte.
  Die „causa Lutheri“ selbst – also der römische Prozess – ist seit den grundlegenden Darstellungen und Quelleneditionen des katholischen Kirchenhistorikers Erwin Iserloh bis ins Detail durchleuchtet. Dabei ergab sich eine Mitschuld der Kirchenhierarchie an der Glaubensspaltung, weil – wie Iserloh erstmals nachwies – Luther die Thesen nicht in einem revolutionären Gestus an die Kirchentür anhämmerte, sondern an seine kirchlichen Vorgesetzen verschickte und keine Antwort erhielt. Dieser im Kern ökumenisch motivierte Vergleich der deutschen und römischen Vorgänge wird in Reinhardts Parallelgeschichte zu einer von beiden Seiten verschuldeten Verstrickung von Geltungssucht, Machtinteressen, propagandistischer Schwarzweißmalerei, Fundamentalfeindschaft und explodierender Gewalt.
  Für den vom römischen Ketzerurteil eher beflügelten Erfolg Luthers war nicht zuletzt der protestantische Vorsprung in der Bildpropaganda verantwortlich – eine Ironie der Geschichte, wurde hier doch das Renaissancepapstum auf seinem ureigensten Gebiet der bildhaften Repräsentation von einer Gegenkultur geschlagen, die angesichts ihrer Wortzentrierung dennoch immer wieder als sinnenfeindlich und bilderfremd charakterisiert wird.
  Für die protestantische Seite seiner Parallelgeschichte kann sich Reinhardt auf die Weimarer Gesamtausgabe der Lutherschriften stützen. Für den mit Luther wenig Vertrauten ist indes der Ariadnefaden der Forschungsliteratur unverzichtbar, um nicht Einzelaussagen aus dem Kontext zu reißen oder falsch zu gewichten. Das gilt insbesondere für die quellenkritisch problematischen Tischreden. Was Luther – nicht selten als launische Momenteinfälle – sagte, lässt sich selten eindeutig bestimmen. Nur die Heroenseligkeit des 19. Jahrhunderts konnte sich hier dem Reformator am nächsten wähnen. Die von Reinhardt erfreulich ausführlich und mit „römischen Augen“ behandelten Ablassthesen sind quellenkritisch ähnlich heikel, ist man doch nur zu geneigt, sie aus den dramatischen Folgen heraus zu lesen und Luther bereits für 1517 einen umstürzend revolutionären Geist zu bescheinigen. Theologiegeschichtlich ist aber unbestritten, dass Luthers reformatorischer Durchbruch erst mit den drei großen Reformschriften des Jahres 1520 stattfand.
  Im Resultat bietet „Luther, der Ketzer“ ein bedrückendes Panorama beidseitigen Fehlverhaltens und bewusst herbeigeführter Konfrontation, die Europa auf Generationen hin in ein dem islamischen Fundamentalismus unserer Tage vergleichbares Inferno von Gewalt, Blut und Tränen versinken ließ. Das alles ist überzeugend dargestellt und entspricht (leider) der historischen Realität. Indes, dass der „Blick zurück in eine konfliktträchtige Vergangenheit“, wie er hier geworfen wird, zugleich die Voraussetzung dafür bietet, „sich heute zwischen den Kirchen und Nationen zu verständigen“, muss bezweifelt werden. Das zeigt das als „clash of cultures“ qualifizierte Fazit, das der Autor selbst im Blick auf die entscheidenden Streitpunkte zwischen den Konfessionen zieht: Luthers sola-gratia-Rechtfertigung wird hier mit der einer ganz anderen Konfessionskultur angehörenden Prädestinationslehre gleichgesetzt. Darauf aufbauend kommt Reinhardt zu dem überraschenden Schluss, Luthers Ringen um den Wert des Individuums jenseits seiner Leistungsfähigkeit könne heutige Menschen nicht mehr ansprechen.
  Ähnlich irritierend ist der Vorwurf, das „heutige Luthertum“ habe die reformatorische Rechtfertigungslehre aufgegeben und sich „ohne es zu wollen (und vielleicht sogar oft ohne es zu wissen)“ den „katholischen Vorstellungen . . . von der Werkgerechtigkeit stillschweigend angenähert“.
  Am Erscheinungsbild der evangelischen Kirche ist sicher einiges zu kritisieren, auch und gerade hinsichtlich ihres ökumenischen „Programms“ für 2017. Ihr pauschal den Verrat der Lutherschen Gnadenlehre vorzuwerfen, ist aber absurd. Es steht zudem in Widerspruch zu Reinhardts eigener Beobachtung, dass damals auch Rom-treue Theologen der Gnadenlehre anhingen, diese folglich nicht per se kirchentrennend ist. Die Bemühungen beider Seiten, an vorreformatorische Gemeinsamkeiten anzuknüpfen und in zentralen Glaubensfragen zu einer gemeinsamen Erklärung zu kommen, als Verrat zu werten, ist frivol, vor allem aber unhistorisch.
  Auch und gerade die eher kirchenferne Öffentlichkeit wird nicht darum herum kommen, sich 2017 nicht nur mit dem von Reinhardt trefflich vorgeführten „Konfliktträchtigen“ der Vergangenheit auseinanderzusetzen, sondern auch und vor allem mit dem unvertrauten Kern religiöser Welterfahrung und Weltdeutung, um den damals gerungen wurde. Beschränkt man sich auf Reinhardts Konfliktpanorama, ist den fundamentalen Religionskritikern recht zu geben, für die alles Religiöse von Übel ist. Ist man aber bereit, wie unlängst von Johann Hinrich Claussen in der SZ empfohlen, die „ferne Stimme“ Luthers und seiner Zeitgenossen zu hören, tritt hinter allen Schwächen und Verfehlungen das geistig-intellektuelle und existenzielle Ringen um die Grundlagen humaner Existenz hervor, das gerade heute wieder die Menschen– christlich gesprochen – in der Seele berührt, weil sie wie die Menschen im frühen 16. Jahrhundert einer sich umstürzend ändernden Welt ausgesetzt sind.
Der Historiker Heinz Schilling lehrte zuletzt an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Luther-Biografie „Rebell in einer Zeit des Umbruchs“ erschien im Jahr 2012.  
Hat sich wirklich das heutige
Luthertum stillschweigend
katholischen Lehren angenähert?
Der Widersacher Luthers: Leo X., geboren als Giovanni de’ Medici 1475 in Florenz, Papst von 1513 bis zu seinem Tod 1521, nach einer Zeichnung von Sebastiano del Piombo.
Foto: SZ-Photo
  
  
  
  
  
Volker Reinhardt: Luther, der Ketzer. Rom und die Reformation. C. H. Beck Verlag, München 2016.
352 Seiten, 24,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensent Stephan Speicher stellt zwei neue Bücher über Luther vor: Volker Leppins "Die fremde Reformation" und Volker Reinhardts "Luther, der Ketzer". Auch wenn er Reinhardt den Vorzug geben mag, kann er doch beide Bücher als Ergänzung empfehlen. Denn Leppin schildert die Reformation eher als Kultur- denn als Religionsgeschichte. Eine wesentliche Rolle spielt dabei das Verhältnis der Deutschen zu den italienischen Geistlichen, erklärt Speicher. Die Italiener hielten die Deutschen für Barbaren, die Deutschen hatten einen Minderwertigkeitskomplex, hielten sich dafür aber moralisch für überlegen. Wie Leppin das erzählt, fand der Rezensent offenbar anregend, Volker Reinhardts Buch, das die theologische Entwicklung der Reformation nachzeichnet findet er allerdings "feiner gearbeitet". Laut Reinhardt war Luther stark von spätmittelalterlichen Theologen geprägt, die bereits den Grundstein für die Ideen der Reformation legten, indem sie - anders als die Kirche mit ihren theologischen Haarspaltereien - das Verhältnis des Einzelnen zu Gott betonten. Dass die Katholische Kirche nach den Konzilen in Konstanz und Basel an den eigenen Vorrechte festhalten musste, findet Speicher verständlich. Dass es darüber zu einem "geistigen Bürgerkrieg" kam, war vielleicht unvermeidlich, so der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2016

Ein Gespenst namens Protestantismus

Reformatoren-Zwerge und ein Schrumpfgermane: Drei neue Bücher über Martin Luther werfen die Frage auf, warum 2017 eigentlich gefeiert wird.

Die heute bekannteste zeitgenössische Luther-Darstellung ist die massenhaft reproduzierte Skulptur Otmar Hörls - ein Verkaufsschlager, lieferbar in den Farben Kobaltblau, Moosgrün, Purpurrot, Schwarz und Bronze, hergestellt in der Materialität unserer Wegwerfzivilisation: Kunststoff. Das dem knapp einen Meter großen Luther-Zwerg zugrundeliegende "Urbild" ist jene Monumentalstatue J. G. Schadows, die seit 1821 den Marktplatz Wittenbergs beherrscht. Die bunte und billige Reproduktion eines nationalistischen Heros des neunzehnten Jahrhunderts - das Luther-Bild unserer Zeit. In Hörls Strategie, ein überkommenes Geschichtsbild zugleich zu konterkarieren und zu reproduzieren, zeigt sich ein symptomatischer Zug unserer Gegenwart.

Diesen Zug kann man auch an einigen Neuerscheinungen wahrnehmen - ein erstes Rauschen der heraufziehenden Reformationsjubiläumspublizistik. Jedes dieser Bücher macht sich Luthers Bekanntheit zunutze und führt seinen Namen im Haupt- oder Untertitel; keines dieser Bücher erkennt ihm und der mit ihm verbundenen Reformation Größe im Sinn originaler historischer Prägekraft oder bleibender Bedeutsamkeit zu. "Luther der Ketzer - Rom und die Reformation", vorgelegt von Volker Reinhardt, dem in Fribourg lehrenden profunden Kenner Italiens und des Papsttums um 1500, erzählt die Geschichte des Wittenberger Reformators aus der Perspektive Roms, also der im Auftrag und Umkreis des Papstes tätigen Skribenten, Nuntien, Kurtisanen.

Auf anschauliche Weise führt Reinhardt vor Augen, wie wenig die römischen Akteure von Luther verstanden, wie tief sie in Ressentiments gegenüber den germanischen Barbaren befangen waren, wie blasiert-befremdet sie der Luther-Begeisterung nördlich der Alpen gegenüberstanden und wie unfähig und -willig sie waren, die religiöse Inbrunst, die ihnen hier entgegenschlug, auf theologisch ernsthafte Weise zu parieren.

Mit diesem durchaus originellen ultramontanen Blick aber ist die Grenze des Buches erreicht, denn im Grunde teilt der eloquente Stilist Reinhardt das Befremden seiner Quellen; was an Luthers Sicht des Christentums zu faszinieren vermochte, warum Menschen vor einem halben Jahrtausend bei der Lektüre seiner Texte elektrisiert waren, weshalb Lebensgeschichten infolge der Begegnung mit seiner Botschaft einen neuen Verlauf nahmen - Mönche und Nonnen ihre Klöster verließen, Priester heirateten, Stifter ihre Bilder und Altäre abbrechen ließen -, von all dem erfährt der Leser nichts.

Ärgerlich, ja hart am Limit der Seriosität, ist die reißerische Werbebanderole: "Geheimakte Luther. Vatikanische Quellen decken auf, was in der Reformation wirklich geschah". Nicht ein einziges Aktenpartikelchen aus den reichen römischen Archiven bringt der Rom-Kenner Reinhardt neu bei! Was er auswertet und -schreibt, sind die seit 1892 publizierten Nuntiaturberichte und die von Th. Brieger und P. Kalkoff seit 1884 veröffentlichten Depeschen, in denen Alexander und andere Emissäre in die Ewige Stadt berichteten. Dass ein Autor italienische Quellen auswerten kann, ist fein - aber "Geheimakte Luther"?! Die gab es eben nicht, und das ist Teil jener Tristesse, die das Thema "Rom und die Reformation" umgibt.

Verfremdung und Enthüllung verspricht auch ein zweiter Titel: "Die fremde Reformation - Luthers mystische Wurzeln". Sein Verfasser, Volker Leppin, evangelischer Kirchenhistoriker, fasst hier monographisch kompakt zusammen, was ihn seit längerem umtreibt: die tiefe und nachhaltige Prägung Luthers durch die mystische Theologie Johannes Taulers und einiger Nachfolger. Unermüdlich zeigt er Parallelen zwischen Frömmigkeitstraditionen des späten Mittelalters und dem theologischen Werden des Wittenberger Reformators auf; entscheidende intellektuelle Weichenstellungen wie die Konzentration auf das Gotteswort, die Freiheit eines Christenmenschen, das Priestertum aller Gläubigen, die Sakramentenlehre sind nichts anderes als "Transformationen" - so der von Leppin als Alternative zu der auf "Umbruch" abonnierten Reformationsterminologie eingebrachte Schlüsselbegriff - mystischer Traditionsbestände.

Leppins Luther wird zugunsten der ihm vorangegangenen Frömmigkeitstradition geschrumpft. Konzeptionell unbefriedigend, eine Folge der methodischen Engführung auf Frömmigkeits- und Theologiegeschichte, bleibt, dass die Rekonstruktion des theologischen Werdens Luthers schon gleich "die Reformation" sein soll. Leppin kämpft unablässig gegen das offenbar namen- und gesichtslose Gespenst "des Protestantismus", der sich der Erkenntnis seiner Prägung durch "das Mittelalter" entzieht und die fälligen Konsequenzen für die Ökumene, die Angebetete des tragischen Tübinger Ritters, verweigert. Keine Angst, Jubiläumsfreude kommt so nicht auf!

Dass diese Gefahr auch bei "Der deutsche Glaubenskrieg. Martin Luther, der Papst und die Folgen" von Tillman Bendikowski, einem Neuzeit-Historiker und Journalisten, nicht besteht, ist klar. Bendikowski zeigt die deutsche Geschichte im Bann tiefer religiöser Verwerfungen, die unendliches Leid - kulminierend im Dreißigjährigen Krieg - über die Deutschen gebracht, im Kulturkampf fröhliche Urständ gefeiert habe und in der "neuen Konjunktur" der Religion in unserer Gegenwart bedrohlich zurückkehre. Luther und die Reformation - der Anfang einer Unheilsgeschichte, deren lange Schatten bis zu den "Privilegien" der Amtskirchen unserer Tage reichten, die in der "deutschen Religionspolitik" "etwa dem Islam gegenüber" noch immer "bessergestellt" würden.

Das Alarmierend-Bemerkenswerte dieses Buches besteht in dreierlei: in der völligen Ignoranz gegenüber religiös induzierten Konflikten vor Luther, deren Kenntnis eine Voraussetzung für die in der Reformation auftretenden Konfliktlagen wäre; in der Fixierung auf die deutsche Geschichte, das heißt der Unkenntnis der etwa in Frankreich tobenden Religionskriege; schließlich im Unwillen oder in der Unfähigkeit, den mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 beziehungsweise dem Westfälischen Frieden von 1648 mit großem Erfolg eingeschlagenen Weg der Pazifizierung der Religionsfrage mittels ihrer staatlichen Verrechtlichung angemessen zu würdigen.

Das deutsche Staatskirchenrecht, in der Tat die Blut-und-Tränen-Saat eines mörderischen Religionskonflikts, repräsentiert ein Modell der Entschärfung religiöser Gewaltpotentiale durch staatlich verbürgte und durchgesetzte Toleranz - um des förderlichen Interesses an der Religion willen. Ein Modell, das von protestantischen Juristen propagiert und von evangelischen Theologen bereits verteidigt wurde, als Katholiken noch darüber stritten, ob man mit Ketzern überhaupt Frieden schließen dürfe!

Der 31. Oktober 2017 wird in der Bundesrepublik Deutschland als außerordentlicher Feiertag begangen werden. Die hier besprochenen Bücher liefern keinen Grund, dies zu tun. Doch einen solchen Grund gibt es: Die Antwort unserer Rechtskultur auf die Gretchenfrage lautet nicht, dass die Religion überwunden oder ignoriert werden kann und soll; der Königsweg der Moderne ist der der Zivilisierung der Religion mit den Mitteln des staatlichen Rechts.

Die Legitimität dieses Weges hat übrigens kein Theologe des sechzehnten Jahrhunderts nachdrücklicher verfochten als Luther; die weltliche Gewalt habe nicht zum Glauben zu erziehen, sondern dem Bösen zu wehren und den äußeren Frieden zu sichern. Neben vielem anderen war Luther ein genialer Publizist, ein virtuoser Sprachkünstler, ein Kämpfer für den Sinn und die Freiheit des Glaubens. Jenseits des abstoßenden Heroismus des neunzehnten Jahrhunderts kommt ihm historische Größe zu; zum Schrumpfgermanen taugt er nicht.

THOMAS KAUFMANN

Volker Reinhardt: "Luther der Ketzer". Rom und die Reformation.

Verlag C. H. Beck, München 2016. 352 S., Abb., geb., 24,95 [Euro].

Volker Leppin: "Die fremde Reformation". Luthers mystische Wurzeln.

Verlag C. H. Beck, München 2016. 247 S., Abb., geb., 21,95 [Euro].

Tillmann Bendikowski: "Der deutsche Glaubenskrieg". Martin Luther, der Papst und die Folgen.

C. Bertelsmann Verlag, München 2016. 384 S., geb., 24,99 [Euro].

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"Spannende- besser spannungsreich- ist die Luthers Leben abarbeitende und in glänzendem Stil verfasste Biographie."
Christopher Spehr, Zeitzeichen, August 2016

"Mit leichter Hand führt Reinhardt den Leser in die nordalpinen Lebenswelten des Reformators ein und kontrastiert sie mit den Strukturen Roms und seines 'souveränen Pontifex."
Heinz Schilling, Süddeutsche Zeitung, 11. Februar 2016