Menschliche Fähigkeiten und Möglichkeiten bedingungslos wahrzunehmen und auszunutzen, oder die Grenzen des Lebens anzuerkennen und religiös einzuordnen, bleibt ein grundsätzlicher Gegensatz in der Lebensgestaltung, der immer neu bedacht und ausgehandelt werden muss.Die Lebenszeit von Faust, soweit sie sich aus wenigen Quellen erschließen lässt, verläuft gleichzeitig mit der Lebenszeit Martin Luthers. In der "Historie von Doktor Johann Faust, dem weitbeschrienen Zauberer und Schwarzkünstler" hat ein unbekannter Verfasser zusammengetragen, was man wusste, und was erzählt wurde über Faust. Gedacht als Warnung vor einem verfehlten Leben war es auch eine Erzählung über den Reiz, menschliche Möglichkeiten bis an ihre Grenzen abzuschreiten und, wenn möglich mit Hilfe des Teufels, über sie hinauszugehen. Die Historie ist der Beginn für den Faust-Mythos, der bis heute literarische und kulturelle Bedeutung hat. Die unterschiedlichen Gestaltungen zeigen die Kraft, die dieser Mythos entfaltet hat. Umgekehrt haben die Gedanken Martin Luthers bis heute ihre geschichtliche Wirkung. Er hat die Abhängigkeit und die Angewiesenheit des Menschen unterstrichen und die Anstrengung des Willens dem höheren Willen Gottes untergeordnet. "Luther und Faust" können Überschriften für Lebenskonzepte in der Weite anthropologischer Möglichkeiten sein. Sie müssen sich nicht ausschließen und können die Dynamik von Lebenseinstellungen verdeutlichen.Die Ausgestaltungen des Faust-Mythos bieten den Stoff, der zu theologischen Aussagen Luthers in Beziehung gesetzt werden kann. Größeren Raum nehmen dabei Goethes Faust und der Doktor Faustus von Thomas Mann ein.