Das Buch scheint in doppelter Hinsicht eine Spezialstudie zu sein: vom Thema her, der Blickrichtung auf die Seelsorge, wie auch vom Quellenmaterial her, der Beschränkung auf die Briefe. Diese Einschätzung wäre jedoch falsch. In beider Hinsicht richtet Gerhard Ebeling seine Darstellung auf die 'ganze' Theologie Luthers aus. Luther war ein intensiver Briefschrieber, von 1507 an dokumentiert bis vier Tage vor seinem Tode. Bei chronologisch fortlaufender Lektüre zieht so sein ganzes Leben gleichsam im Tonfall seiner eigenen Stimme am Leser vorüber. Intensiv - aber nicht nur der Quantität nach. Meist knapp und dicht geschrieben, den Adressaten wie auch sich selbst einbeziehend, von Herzen kommend auf das Gewissen zielend; der jeweiligen Lebenssituation sich stellend, im Großen oder Kleinen, so jedoch, wie sie sich vor Gott darstellt. Deshalb sind diese Briefe durchzogen vom biblischen Zeugnis, von Fürbitte und Gebet, vom Ernst des Lebens - doch nicht ohne Humor. Theologie und Leben greifen hier so ineinander, wie es dem Wesen von Theologie entspricht. Seelsorge meint somit nicht ein Randphänomen, sondern vielmehr das, worauf die Sache der Theologie ausgerichtet ist - als Hilfe zum Leben und Sterben. Nicht obwohl, sondern weil die Briefe so eng in die Lebenswirklichkeit verflochten sind, können sie zur Quelle einer unspekulativen Theologie werden. Insofern geht es hier um Luthers Theologie im Ganzen, nicht als System, sondern als Vollzug in Varianten charakteristischen Lebenssituationen.