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Eine umfassende Darstellung von Luthers Theologie in ihrem historischen Werden. Besonderes Gewicht liegt auf der Herausarbeitung der für Luther maßgeblichen Einflüsse, unter denen der des Augustin bei weitem am bedeutendsten war. Der Autor verfolgt die Entwicklung Luthers bis in die Spätzeit. In der systematischen Würdigung wird sowohl die Bedeutung des altkirchlichen Dogmas für Luther als auch die zentrale Stellung der Rechtfertigungslehre betont. Abschließend erörtert der Autor Luthers Stellung zu den Juden

Produktbeschreibung
Eine umfassende Darstellung von Luthers Theologie in ihrem historischen Werden. Besonderes Gewicht liegt auf der Herausarbeitung der für Luther maßgeblichen Einflüsse, unter denen der des Augustin bei weitem am bedeutendsten war. Der Autor verfolgt die Entwicklung Luthers bis in die Spätzeit. In der systematischen Würdigung wird sowohl die Bedeutung des altkirchlichen Dogmas für Luther als auch die zentrale Stellung der Rechtfertigungslehre betont. Abschließend erörtert der Autor Luthers Stellung zu den Juden
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.1996

Besonnene Reformation
Bernhard Lohse bringt Luthers Theologie in Ordnung

Mitte der fünfziger Jahre forderte der einflußreiche lutherische Dogmatiker Paul Althaus einen jungen Doktoranden auf, später einmal ein Buch über Luthers Theologie aus der Sicht des Kirchenhistorikers zu schreiben. Darin äußerte sich nicht nur frühe Anerkennung, sondern wohl auch der Wunsch, über die Grenzen der Disziplin hinaus schulbildend zu wirken. Vierzig Jahre später, nach der eigenen Emeritierung und als Summe seiner Beschäftigung mit Luther, hat Bernhard Lohse dieses Buch geschrieben. Es ist eine Lebensarbeit, nicht nur eine Luther-Studie geworden.

Lohse, von dem auch die maßgebliche Luther-Darstellung im "Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte" stammt, stellt Luthers Theologie geschichtlich und systematisch dar. Er verbindet die Arbeit des Historikers, der die Entstehung der reformatorischen Theologie im Konflikt mit Rom samt ihren Wandlungen in den innerprotestantischen Auseinandersetzungen rekonstruieren will, mit dem Interesse des Lutheraners, der den Ertrag reformatorischen Denkens würdigen möchte.

Lohse schlägt damit einen neuen Weg der Luther-Darstellung ein. Es ist ein Weg, an dem sich Abgründe auftun, so daß man die Begehbarkeit der Strecke ohne ausgewiesenen Führer nicht testen würde. Denn anders als Melanchthon oder Calvin hat Luther keine schulmäßige Dogmatik verfaßt. Seine theologische Arbeit blieb das Werk eines Entdeckers, der in Krisen und unter dem Druck von Angriffen stets aufs neue seinen glücklichen Fund zu retten wußte. Die Dynamik, mit der Luther seine reformatorische Einsicht unter veränderten Umständen umformte, um neue Proben auf die evangelische Erkenntnis zu ermöglichen, unterschied ihn von jenen Berufsdenkern, die das Messer schärfen, ohne zu schneiden. Die Gegenwartsnähe hat seine Theologie vor Abstumpfung bewahrt.

Wer ein solches Denken systematisieren will, wird externe Gesichtspunkte heranziehen müssen. Deshalb orientiert sich die systematische Theologie beim Übergang von der historischen Betrachtung zur inhaltlichen Rekonstruktion an ihrer eigenen Gegenwart. Sie zieht in Betracht, wie sich reformatorischer Glaube und protestantisches Leben heute darstellen. Anders Lohse. Sein Ziel ist eine systematische Darstellung, die im Horizont des Historischen bleibt. Die Distanz zu Luthers Texten überbrückt er deshalb durch eine Systematisierung anhand der sogenannten "Loci-Methode" der altprotestantischen Dogmatik. Von Grundlegungsfragen, die das Schriftverständnis und das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung berühren, führt seine Darstellung über Gotteslehre und Christologie bis hin zur Eschatologie, der Lehre von den letzten Dingen. So wird ein locus classicus an den anderen gereiht.

Die naheliegende Frage, ob dieses Verfahren die Struktur von Luthers Theologie erhellen kann, wird mit Lohses Gegenfrage: "Würde Luther nicht, falls er wie Melanchthon oder Calvin eine Dogmatik verfaßt hätte, in der Anordnung des Stoffes vermutlich ähnlich wie diese vorgegangen sein?" freilich nur rhetorisch beantwortet: durch ein Zureden am Abgrund, doch ruhig den Weg zu nehmen, der bisher als unpassierbar galt.

Hat man sich auf dieses Verfahren allerdings einmal eingelassen, so erhält man eine solide und lehrreiche Darstellung der Theologie Luthers. Allerdings auch eine, die alle Extravaganzen scheut. Ob es um den Einfluß des Erfurter Humanismus, um die Rolle Ockhams oder die Frömmigkeit Bernhards von Clairvaux geht, ob die Nähe zur Mystik diskutiert wird - stets bleibt Lohses Luther der selbständige Denker, den wir nicht aus vielfältigen Einflüssen erklären können, sondern aus seinem Lebensthema verstehen müssen.

Dem entspricht es, daß Lohse die reformatorische Wende früh ansetzt. Trotz aller unleugbaren späteren Fortschritte fällt der entscheidende Durchbruch für ihn in das Jahr 1514. Die Beobachtung, daß sich Luther in diesen frühen Jahren die Rechtfertigung als demütige Anerkennung des Urteils Gottes vorstellt, der man die fröhliche Heilsgewißheit und die Freiheit eines Christenmenschen durchaus noch nicht ansehen kann, reicht nach Lohse nicht für eine Charakterisierung dieser Phase als einer halbreformatorischen "humilitas"-Theologie aus. Die Gründe, die Ernst Bizer mit diesem Begriff für eine Spätdatierung der reformatorischen Wende anführte, erscheinen Lohse "überspitzt".

Auch die ganz andere Latenzperiode, die Erik H. Erikson dem jungen Mann Luther und seinen Identitätskrisen attestiert hat, ist eine Sache, mit der Lohse wenig anzufangen weiß. Als glatte Fehldeutung schließlich erscheint die Überzeugung Feuerbachs, mit seiner religionskritischen Projektionsthese nur nachzuzeichnen, was in einigen exponierten Sätzen Luthers bereits angelegt sei. Der umstrittene Luther, der zwischen Neuzeit und Mittelalter irritierend schillert, tritt in Lohses Darstellung in den Hintergrund. Der immanenten Würdigung bleibt nur wenig fremd und unzugänglich.

In einem abschließenden Exkurs behandelt Lohse Luthers Haltung zu den Juden. Die Stellung dieses Abschnittes soll markieren, daß in ihm "eher eine Randfrage der Theologie" Luthers zur Diskussion stehe. Bernhard Lohse behandelt Luthers einschlägige Äußerungen dennoch im Rahmen seiner Gesamtdarstellung, da "nach den furchtbaren Judenverfolgungen des 20. Jahrhunderts auch in den christlichen Kirchen selbstkritisch nach den Ursachen und den geistigen Wegbereitern des furchtbaren Antisemitismus gefragt werden" soll.

Die Unausweichlichkeit dieser Frage würde freilich deutlicher, wenn die faktische Rolle der Äußerungen Luthers im deutschen Antisemitismus oder auch die Gründe der Verdrängung des Holocaust in der lutherischen Nachkriegstheologie in die Analyse eingingen. Dies unterbleibt zugunsten eines Plädoyers für eine "unvoreingenommene" Betrachtung Luthers. Voreingenommenheit abzuarbeiten ist das unaufgebbare Recht des Historikers und ein Ziel, das am besten durch eine konsequent historische Betrachtung erreicht wird. Wenn aber die Erinnerung an den Judenhaß eines Erasmus angeführt wird, um die "Zeitgebundenheit" Luthers zu betonen, so spricht weniger der Historiker als der Luther-Apologet. Daß Luthers Aufruf, Synagogen und jüdische Häuser in Brand zu stecken, nur Anregungen aufgreife, die von anderer Seite längst gemacht wurden, und daß es den Ketzern seiner Zeit noch härter erging, sind beruhigend gemeinte Auskünfte, denen man keinen Erfolg wünschen mag. Vielleicht werden sie aber den ein oder anderen Luther-Forscher provozieren, später einmal ein Buch zu schreiben, das auch im Zentrum der Theologie, etwa an Luthers Verständnis des Gesetzes, die Haltung zu den Juden fraglicher werden läßt. MICHAEL MOXTER

Bernhard Lohse: "Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang". Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1995. 378 S., kt., 78,- DM.

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