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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2011

Fest in Hitlers Räderwerk installiert
Die wirtschaftliche Eingliederung Luxemburgs in die deutsche Kriegswirtschaft

Gemessen an den Dimensionen der vom nationalsozialistischen Deutschland besetzten Landmassen, erscheint Luxemburg als kleiner Fleck auf der Landkarte. Aus der Sicht von Betroffenen spielte es freilich keine Rolle, ob man als Opfer der deutschen Besatzung in Frankreich, der Sowjetunion oder im "kleinen" Luxemburg lebte. In jedem Fall gilt es, die Erfahrungen mit der Fremdherrschaft nicht nur kollektiv im Gedächtnis zu haben, sondern auch zum Gegenstand wissenschaftlicher Geschichtsschreibung zu machen. Dieser Aufgabe hat sich der Luxemburger Historiker Emile Krier seit den 1970er Jahren unterzogen und verschiedene kleinere Studien vorgelegt. Ein Werk zum Wirtschaftsleben unter deutscher Besatzung war in Arbeit, als er 2002 unerwartet starb. Er hinterließ eine das Thema erschöpfende Materialsammlung und erste Textpassagen. Unter Vermittlung des niederländischen Historikers Ger van Roon wurde schließlich an Hans-Erich Volkmann der Wunsch herangetragen, das vorliegende Material auszuwerten und eine Publikation zu erstellen.

Von wenigen Ergänzungen abgesehen, musste Volkmann nicht über Kriers Aktenfundus hinausgehen. Das Werk trägt allerdings ganz und gar Volkmanns Handschrift und hat den Charakter eines Handbuchs zur wirtschaftlichen Eingliederung Luxemburgs in die deutsche Kriegswirtschaft aus der Sicht sowohl der Besatzer als auch der Besetzten. Der Untertitel soll zum Ausdruck bringen, dass der Autor den Akzent auf die Politik legt. Es geht ihm um die Interdependenz von Politik, Kriegführung und Besatzungsherrschaft. Seine Aufmerksamkeit gilt aber auch dem "Wandel der volkswirtschaftlichen Verhältnisse unter den Bedingungen des militärischen Konfliktes".

Die dem Untersuchungsgegenstand historisch vorgelagerte Problematik ist dadurch bestimmt, dass das 1815 geschaffene moderne Luxemburg stets im Einflussbereich seiner übermächtigen Nachbarn stand und aufgrund von deren "territorialer, vor allem aber ökonomischer Begierde Objekt der Fremdsteuerung" war. Bis zum Ersten Weltkrieg waren es der Deutsche Bund beziehungsweise das Deutsche Reich, die Luxemburg durch wirtschaftliche Verzahnung an sich banden. Als deutsche Truppen mit Kriegsbeginn 1914 in Luxemburg einmarschierten, kam das Land zum ersten Mal im 20. Jahrhundert unter die deutsche Besatzungsherrschaft. Nach dem Krieg kappte Luxemburg seine Verbindungen zum deutschen Wirtschaftsraum, aber nur, um sich in die Abhängigkeit von Frankreich und Belgien zu begeben. Die Neuauflage deutscher Hegemonialpolitik und der 1939 ausgelöste Krieg ließen Luxemburg zum "Spielball nationalsozialistischer Politik" werden. All das wurde mit dem Etikett Europapolitik versehen. Europäisch war in der Tat die in der Nachkriegszeit gefundene Lösung, als die luxemburgische Industrie zusammen mit derjenigen der früheren Hegemonialmächte in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl aufging.

Wie gut das "Mosaiksteinchen" Luxemburg in das "europapolitische Puzzle des NS-Regimes passte", zeigt Volkmann anhand der Entwicklung von der "Quasi-Annexion" 1940, als das Rohstoff- und Industriepotential Luxemburgs geeignet war, früh auftretende rüstungsökonomische Engpässe abzufedern, zur "De-facto-Annexion", die mit der Bestallung von Gustav Simon, - Gauleiter von Koblenz-Trier/Moselland - zum Chef der Zivilverwaltung in Luxemburg ihren Anfang nahm. Durch Erlass Hitlers vom 2. August 1940 hatte Simon den Auftrag, "das ehemalige deutsche Reichsland Luxemburg dem Deutschtum wiederzugewinnen". Hier wird deutlich, dass das Okkupationsregime nicht nur wirtschaftlichen Interessen folgte, sondern dass ihm auch ein "rassenideologisches, sprich volkstumspolitisches Moment" innewohnte.

Der Hauptteil gilt dem Zugriff auf die luxemburgische Wirtschaft. Volkmann versteht es, verschiedene Faktoren in ihrer Verschränktheit vor Augen zu führen, beginnend mit Veränderungen in der Kriegslage und weltpolitischen Weichenstellungen über Konsequenzen, die auf Partei-, Staats- und Unternehmensebene gezogen wurden, bis hin zu Einstellungen und Lagebeurteilungen vor Ort. Im Einzelnen werden wirtschaftsadministrative Eingliederungsmaßnahmen, die Liquidation beziehungsweise Arisierung jüdischen Besitzes, die Umstrukturierung des Bankensektors und des Versicherungswesens, die Organisation des zunehmend angespannten Arbeitsmarkts (ab 1943 unter Einschluss auch von Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen), die Indienstnahme der Schwerindustrie für die deutsche Kriegswirtschaft und zuletzt die Bedeutung der Forst- und Agrarwirtschaft dargestellt. Neben der Erfassung von sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Daten kommt es dem Autor darauf an, Entscheidungsprozesse im Spannungsfeld von Reichsführung, Gaupartikularismus und Privatwirtschaft darzustellen und daraus resultierende Interessenkonflikte zu rekonstruieren. Auf eine Formel gebracht, handelte es sich darum, "dass die deutsche Wirtschaftselite einen festen Bestandteil der Okkupationsmacht in Luxemburg darstellte".

Abschließend bemüht sich Volkmann bilanzierend um eine Art von Historisierung der Besatzungszeit Luxemburgs. Auf der einen Seite finden sich Töne von Betroffenheit und Mitgefühl: "Das den Luxemburgern an Hab und Gut, an Leib und Leben zugefügte Unrecht verlangt uns ehrerbietiges Mitempfinden ab." Daneben steht die Beobachtung, dass Luxemburg zwar Opfer deutscher Gewalt und Ausbeutung war, die "Masse der Luxemburger" aber "fest im kriegswirtschaftlichen Räderwerk installiert" war. Dabei sind Zurückhaltung gegenüber der Besatzungsmacht und auch Widerstand feststellbar. So beteiligte sich die einheimische Bevölkerung nur in relativ geringem Umfang am Erwerb jüdischen Besitzes zu Schleuderpreisen. Auf Gegenwehr traf auch die in Luxemburg 1942 eingeführte Wehrpflicht, der sich etwa ein Drittel der Einberufenen entzog und gegen die es zu kurzen punktuellen Arbeitsniederlegungen (aber keinem Generalstreik) kam. Für eine Gesamtbeurteilung entscheidend sei es allerdings, dass sich die Bevölkerung "nur zu einem geringen Teil obstruktiv gegenüber den deutschen Herrschaftsträgern" verhielt.

Eher beiläufig berührt Volkmann das "leidige Thema der Kollaboration", um sogleich zu befinden, dass Kollaboration im Sinne administrativer und wirtschaftlicher Kooperation für die Luxemburger eine "völkerrechtlich verbriefte vaterländische Pflicht" war. "Natürlich" habe dies "zur Stärkung der Wehrmacht mittelbar oder unmittelbar" beigetragen. Aber es habe sich für die Luxemburger auch gelohnt. Ihre Wirtschaft blieb "als materielle Grundlage einer Nachkriegsordnung weitgehend intakt". Ihr Land erfuhr einen "gewissen partiellen Modernisierungs- und Rationalisierungsprozess". Ihre Versorgung während des Krieges entsprach der allgemeinen Mangelsituation.

Im Hinblick auf die "Bedingungen der allgemeinen Lebensführung" habe es keinen Grund gegeben, die Kriegsjahre "kniend vor der nationalen Klagemauer" zu verbringen, "schon gar nicht im Vergleich zu den Reichsdeutschen". Auch wenn Volkmann sogleich hinzufügt, dies habe den Verlust der Freiheit nicht aufwiegen können, bewegt er sich mit solchen Formulierungen doch auf einem schmalen Grat; erst recht, wenn er die spätere französische Besatzung in Westdeutschland gegen die deutsche Besatzung Luxemburgs aufrechnet und die unterernährten deutschen Arbeiter im Saargebiet beklagt.

GOTTFRIED NIEDHART

Hans-Erich Volkmann: Luxemburg im Zeichen des Hakenkreuzes. Eine politische Wirtschaftsgeschichte 1933 bis 1944. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2010. 582 S., 46,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Aufschlussreich findet Gottfried Niedhart diese Studie über Luxemburg während des Nationalsozialismus von Hans-Erich Volkmann. Er hebt hervor, dass der Autor die Vorarbeiten und das Material des 2002 verstorbenen Luxemburger Historikers Emile Krier nutzen konnte. Volkmanns Darstellung der wirtschaftlichen Eingliederung Luxemburgs in die deutsche Kriegswirtschaft scheint ihm insgesamt recht gelungen. Der Autor zeigt seines Erachtens nicht nur den Zusammenhang verschiedener Faktoren dieser Eingliederung - wie die Beschlagnahmung jüdischen Besitzes, Umstrukturierung des Bankensektors oder Organisation des Arbeitsmarkts - auf, sondern auch die Entscheidungsprozesse im "Spannungsfeld von Reichsführung, Gaupartikularismus und Privatwirtschaft" sowie die daraus resultierenden Konflikte.

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