Das Terrassenhaus als grüne Alternative
Das Terrassenhaus entspricht als Bautyp modernen Wohnbau-Anforderungen: es ist ökonomisch und bietet bei geringem Bodenverbrauch hohen Wohnkomfort mit Terrasse und Garten.
Populär geworden mit den sozialen Bewegungen in den 1960er Jahren, geriet es mit der fortschreitenden Erosion der Idee von Gesellschaft wieder in Vergessenheit und wurde gar als Bausünde abqualifiziert. Doch die anhaltende Bewohnerzufriedenheit und die ökologischen Vorteile eines begrünten Hauses machen das Terrassenhaus mehr denn je attraktiv.
Die im Buch untersuchten Bauten sind heute nicht nur architektonische Ikonen; man kann auch von ihnen immer noch lernen, was der Wohnungsbau heute braucht. Ein Vertreter dieses Bautyps war Harry Glück, dessen Plädoyer für die grüne Stadt hier in Teilen abgedruckt wird.
Das Terrassenhaus als grüne Alternative zur Rasterstadt Untersuchung von 12 Beispielen aus Europa und Überblick 20 Jahrhundert Mit Auszügen aus Harry Glücks Manifest "Die Möglichkeit einer grünen Stadt"
Das Terrassenhaus entspricht als Bautyp modernen Wohnbau-Anforderungen: es ist ökonomisch und bietet bei geringem Bodenverbrauch hohen Wohnkomfort mit Terrasse und Garten.
Populär geworden mit den sozialen Bewegungen in den 1960er Jahren, geriet es mit der fortschreitenden Erosion der Idee von Gesellschaft wieder in Vergessenheit und wurde gar als Bausünde abqualifiziert. Doch die anhaltende Bewohnerzufriedenheit und die ökologischen Vorteile eines begrünten Hauses machen das Terrassenhaus mehr denn je attraktiv.
Die im Buch untersuchten Bauten sind heute nicht nur architektonische Ikonen; man kann auch von ihnen immer noch lernen, was der Wohnungsbau heute braucht. Ein Vertreter dieses Bautyps war Harry Glück, dessen Plädoyer für die grüne Stadt hier in Teilen abgedruckt wird.
Das Terrassenhaus als grüne Alternative zur Rasterstadt Untersuchung von 12 Beispielen aus Europa und Überblick 20 Jahrhundert Mit Auszügen aus Harry Glücks Manifest "Die Möglichkeit einer grünen Stadt"
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Michael Mönninger gibt gern zu, wie faszinierend die Kolosse sind, die der Terrassenbau den Städten in den sechziger und siebziger Jahren bescherte: Gigantische Wohnanlagen wie Neave Browns Londoner "Alexandra Road Estate", Harry Glücks "Alt-Erlaa" in Wien oder Georg Heinrichs Autobahnüberbauung in Berlin zeugen Mönninger zufolge noch heute vom Versprechen einer klassenlosen Gesellschaft: Grüne Terrassen für alle! Und was die beiden Wiener Architekturforscher Gerhard Steixner und Maria Welzig hier zusammentragen, beeindruckt den Rezensenten durchaus. Aber die Lösung heutiger Probleme möchte er trotzdem nicht im Terrassenbau sehen, da können "mesopotamische Zikkurate" noch so viele Fantasien freisetzen. Denn bei den aufgeführten Beispielen öffentlich geförderter Großbauten fehle durchweg die Kostenaufstellung, moniert der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2021Semiramis lässt grüßen
Ornament der Massen, Luxus für alle Klassen: Ein Sammelband feiert den Terrassenwohnbau als Lösung heutiger urbaner Probleme.
Selten besaß eine Bauform eine größere Verführungskraft. Mit ihren Treppenstufen knüpften Terrassenhäuser an mesopotamische Zikkurate an und versprachen mit üppiger Bepflanzung, die hängenden Gärten der Semiramis in den modernen Massenwohnungsbau zu überführen. Die italienischen Futuristen entwarfen Stufenpyramiden und Tafelberge als Siegestempel stadttechnischer Naturbeherrschung. Und fortschrittliche Mediziner feierten terrassierte Spitäler und Sanatorien als Licht- und Luftkurorte für Zivilisationskranke.
Die Wiener Architekturforscher Maria Welzig und Gerhard Steixner und ihre neun Mitautoren untersuchen anhand von vierzehn europäischen Baubeispielen seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, welche Phantasien und Ressourcen die Terrassenbauten einst freigesetzt haben - und fordern ihre Wiederkehr, um Probleme der heutigen Umwelt-, Wohnungs- und Stadtpolitik zu lösen.
Ihre Konjunktur begann in der Frühmoderne und wurde in Frankreich von Henri Sauvage und Le Corbusier in den Geschosswohnungsbau überführt. Den Durchbruch erlebten Terrassenhäuser in den dynamischen Wachstumsjahren nach 1960, als steigende Lohn-, Konsum- und Freizeitansprüche die Planer motivierten, nach neuen Wohnformen zu suchen.
Damals stiegen Terrassenhäuser zum urbanistischen Allheilmittel auf. Als Synthese aus Vorstadtvilla und Etagenwohnung sollten sie die Zersiedlung stoppen und trotzdem den Eigenheimwunsch befriedigen. Zudem brachen die Großwohnanlagen mit dem Ideal der autogerechten Stadt; sie standen meist auf unterirdischen Verkehrswegen und kehrten sich inselartig vom Großstadttreiben ab. Und weil sie wie große Regale in sogenannter Schottenbauweise konstruiert waren, konnte in die vorn und hinten offenen Traggerüste alles hineingeschoben werden, was der Lust an serieller Flexibilität entsprach.
Eines der frühesten Exemplare entwarf der britische Architekt Neave Brown 1967 im Londoner "Alexandra Road Estate". Es waren 522 Wohnungen in zwei parallelen Riegeln mit vierhundert Meter Länge und sechs Geschossen Höhe, die zugleich vor dem Lärm einer Eisenbahntrasse schützten. Die introvertierte Anlage war als Großvolumen konzipiert, aus dem die öffentlichen Räume herausgeschält wurden. Wie zwei gegenüberliegende Tribünen schauen die aufsteigenden Wohnränge mit hundert offenen Treppenaufgängen auf die beinahe dörfliche Fußgängerstraße in der Mitte herab; zusammen mit den Verwitterungsspuren des schalungsrauen, ungestrichenen Graubetons verlangte diese großklösterliche Anlage von den Bewohnern eine hohe Belästigungstoleranz im Zusammenleben. 1993 wurde der Bau als erstes Nachkriegsmonument unter Denkmalschutz gestellt.
Der Siegeszug der Terrassenhäuser führte zu immer größeren Ensembles mit bis zu fünftausend Wohnungen. Der Wiener Architekt Harry Glück, den das Buch gleich mit vier Baubeispielen feiert, entwarf mit seinen Hochhäusern Alt-Erlaa in Wien die bekannteste Bauform individualisierten Massenwohnens. Die vier ausladenden Breitfüße mit beidseitig ansteigenden Gartenterrassen erzeugen allerdings, so konzedieren die Autoren, übermäßig tiefe Gebäudequerschnitte. So wanderten die Sport- und Spielstätten mitsamt sozialer Infrastruktur in die Katakomben der Gebäudemitte. Zugleich erforderten die lichtlosen Mittelflure aufwändige Niveausprünge in den Wohnungen, die um die Erschließungstunnel herumgewickelt wurden. Für solche Umstände entschädigen aber im Sommer die Pflanztröge auf den Terrassen sowie Swimmingpools auf den Dächern.
Den gröbsten Klotz der keilförmigen Wohngebirge schuf der Architekt Georg Heinrichs von 1971 an in Berlin mit der Autobahnüberbauung an der Schlangenbader Straße. Hier überwölbt der sechshundert Meter lange Riesenbau eine Stadtautobahn, deren Rollgeräusche sich in den Wohnfluren darüber durch ein tiefes vulkanisches Rumpeln bemerkbar machen. Das 1971 von einem Privatinvestor begonnene Projekt wurde nach dessen Bankrott von einer landeseigenen Wohnungsgesellschaft übernommen, die bis heute nicht genau sagen kann, wie defizitär es ist; seit kurzem steht es unter Denkmalschutz. Nahezu alle großen Terrassenbauten im vorliegenden Band stammen von öffentlichen Bauherren, so dass sich der Luxus für alle nirgends mit schnöden Rentabilitätsberechnungen messen lassen muss.
Die Beispiele im Buch sind aufwändig fotografiert und mit sparsamen Grundriss- und Querschnitt-Graphiken illustriert. Kostenaufstellungen fehlen durchweg. Allen Großbauten spenden die Autoren großes Lob und führen die in Umfragen ermittelte Zufriedenheit der Bewohner als Beweis für ihre Zukunftsfähigkeit an. Die empirische Wohnsoziologie lehrt allerdings, dass Leute schon aus Gründen der Selbstachtung ihr eigenes Habitat nicht miesmachen. Auch die angeführten ökologischen Vorteile reduzierter Bodenversiegelung sind nicht zweifelsfrei. Denn die optische Dichte in der Höhe entspricht kaum der Intensität der Flächennutzung auf der Erde. Gleichwohl bleiben diese Kolosse ein Faszinosum, weil sie Erinnerungen an die Zukunftsversprechen einer tendenziell klassenlosen Gesellschaft tragen, die an ihren Wachstumszielen beinahe irre wurde. Wenn heute Avantgarde-Architekten wieder Terrassenhäuser entwickeln, dann sind es keine Monsterbauten mehr, sondern kleine, feine Preziosen in städtischen Lagen, wie sie einer Gesellschaft der Singularitäten weitaus angemessener sind.
MICHAEL MÖNNINGER
Gerhard Steixner
und Maria Welzig (Hrsg.):
"Luxus für alle".
Meilensteine im
europäischen
Terrassenwohnbau.
Birkhäuser Verlag,
Basel 2020.
461 S., Abb., geb., 39,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ornament der Massen, Luxus für alle Klassen: Ein Sammelband feiert den Terrassenwohnbau als Lösung heutiger urbaner Probleme.
Selten besaß eine Bauform eine größere Verführungskraft. Mit ihren Treppenstufen knüpften Terrassenhäuser an mesopotamische Zikkurate an und versprachen mit üppiger Bepflanzung, die hängenden Gärten der Semiramis in den modernen Massenwohnungsbau zu überführen. Die italienischen Futuristen entwarfen Stufenpyramiden und Tafelberge als Siegestempel stadttechnischer Naturbeherrschung. Und fortschrittliche Mediziner feierten terrassierte Spitäler und Sanatorien als Licht- und Luftkurorte für Zivilisationskranke.
Die Wiener Architekturforscher Maria Welzig und Gerhard Steixner und ihre neun Mitautoren untersuchen anhand von vierzehn europäischen Baubeispielen seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, welche Phantasien und Ressourcen die Terrassenbauten einst freigesetzt haben - und fordern ihre Wiederkehr, um Probleme der heutigen Umwelt-, Wohnungs- und Stadtpolitik zu lösen.
Ihre Konjunktur begann in der Frühmoderne und wurde in Frankreich von Henri Sauvage und Le Corbusier in den Geschosswohnungsbau überführt. Den Durchbruch erlebten Terrassenhäuser in den dynamischen Wachstumsjahren nach 1960, als steigende Lohn-, Konsum- und Freizeitansprüche die Planer motivierten, nach neuen Wohnformen zu suchen.
Damals stiegen Terrassenhäuser zum urbanistischen Allheilmittel auf. Als Synthese aus Vorstadtvilla und Etagenwohnung sollten sie die Zersiedlung stoppen und trotzdem den Eigenheimwunsch befriedigen. Zudem brachen die Großwohnanlagen mit dem Ideal der autogerechten Stadt; sie standen meist auf unterirdischen Verkehrswegen und kehrten sich inselartig vom Großstadttreiben ab. Und weil sie wie große Regale in sogenannter Schottenbauweise konstruiert waren, konnte in die vorn und hinten offenen Traggerüste alles hineingeschoben werden, was der Lust an serieller Flexibilität entsprach.
Eines der frühesten Exemplare entwarf der britische Architekt Neave Brown 1967 im Londoner "Alexandra Road Estate". Es waren 522 Wohnungen in zwei parallelen Riegeln mit vierhundert Meter Länge und sechs Geschossen Höhe, die zugleich vor dem Lärm einer Eisenbahntrasse schützten. Die introvertierte Anlage war als Großvolumen konzipiert, aus dem die öffentlichen Räume herausgeschält wurden. Wie zwei gegenüberliegende Tribünen schauen die aufsteigenden Wohnränge mit hundert offenen Treppenaufgängen auf die beinahe dörfliche Fußgängerstraße in der Mitte herab; zusammen mit den Verwitterungsspuren des schalungsrauen, ungestrichenen Graubetons verlangte diese großklösterliche Anlage von den Bewohnern eine hohe Belästigungstoleranz im Zusammenleben. 1993 wurde der Bau als erstes Nachkriegsmonument unter Denkmalschutz gestellt.
Der Siegeszug der Terrassenhäuser führte zu immer größeren Ensembles mit bis zu fünftausend Wohnungen. Der Wiener Architekt Harry Glück, den das Buch gleich mit vier Baubeispielen feiert, entwarf mit seinen Hochhäusern Alt-Erlaa in Wien die bekannteste Bauform individualisierten Massenwohnens. Die vier ausladenden Breitfüße mit beidseitig ansteigenden Gartenterrassen erzeugen allerdings, so konzedieren die Autoren, übermäßig tiefe Gebäudequerschnitte. So wanderten die Sport- und Spielstätten mitsamt sozialer Infrastruktur in die Katakomben der Gebäudemitte. Zugleich erforderten die lichtlosen Mittelflure aufwändige Niveausprünge in den Wohnungen, die um die Erschließungstunnel herumgewickelt wurden. Für solche Umstände entschädigen aber im Sommer die Pflanztröge auf den Terrassen sowie Swimmingpools auf den Dächern.
Den gröbsten Klotz der keilförmigen Wohngebirge schuf der Architekt Georg Heinrichs von 1971 an in Berlin mit der Autobahnüberbauung an der Schlangenbader Straße. Hier überwölbt der sechshundert Meter lange Riesenbau eine Stadtautobahn, deren Rollgeräusche sich in den Wohnfluren darüber durch ein tiefes vulkanisches Rumpeln bemerkbar machen. Das 1971 von einem Privatinvestor begonnene Projekt wurde nach dessen Bankrott von einer landeseigenen Wohnungsgesellschaft übernommen, die bis heute nicht genau sagen kann, wie defizitär es ist; seit kurzem steht es unter Denkmalschutz. Nahezu alle großen Terrassenbauten im vorliegenden Band stammen von öffentlichen Bauherren, so dass sich der Luxus für alle nirgends mit schnöden Rentabilitätsberechnungen messen lassen muss.
Die Beispiele im Buch sind aufwändig fotografiert und mit sparsamen Grundriss- und Querschnitt-Graphiken illustriert. Kostenaufstellungen fehlen durchweg. Allen Großbauten spenden die Autoren großes Lob und führen die in Umfragen ermittelte Zufriedenheit der Bewohner als Beweis für ihre Zukunftsfähigkeit an. Die empirische Wohnsoziologie lehrt allerdings, dass Leute schon aus Gründen der Selbstachtung ihr eigenes Habitat nicht miesmachen. Auch die angeführten ökologischen Vorteile reduzierter Bodenversiegelung sind nicht zweifelsfrei. Denn die optische Dichte in der Höhe entspricht kaum der Intensität der Flächennutzung auf der Erde. Gleichwohl bleiben diese Kolosse ein Faszinosum, weil sie Erinnerungen an die Zukunftsversprechen einer tendenziell klassenlosen Gesellschaft tragen, die an ihren Wachstumszielen beinahe irre wurde. Wenn heute Avantgarde-Architekten wieder Terrassenhäuser entwickeln, dann sind es keine Monsterbauten mehr, sondern kleine, feine Preziosen in städtischen Lagen, wie sie einer Gesellschaft der Singularitäten weitaus angemessener sind.
MICHAEL MÖNNINGER
Gerhard Steixner
und Maria Welzig (Hrsg.):
"Luxus für alle".
Meilensteine im
europäischen
Terrassenwohnbau.
Birkhäuser Verlag,
Basel 2020.
461 S., Abb., geb., 39,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Unter dem Titel Luxus für alle - Meilensteine im europäischen Terrassenwohnbau, herausgegeben von Gerhard Steixner und Maria Welzig, werden diese Art Bauwerke in ganz Europa ausführlich untersucht und mit Fotos und Plänen anschaulich illustriert. Es sind oftmals Ikonen der Architektur, von denen man immer noch lernen kann, was im Wohnungsbau zwingend gebraucht wird." (In Baunetz_Wissen, 01.2021)