Dieser Roman wirkt auf den ersten Blick so nordisch kühl, schlicht und bescheiden und hat mich doch so tief bewegt, dass ich mich nach dem Lesen erst einmal sammeln musste.
Angesiedelt ist die Erzählung in einem kleinen Dorf, in dem die fast hundertjährige Luzie stirbt – ein Anlass zum Rückblick
auf eine Geschichte, die sie und ihre ganze Familie geprägt hat … Ein Rückblick, der in eines der…mehrDieser Roman wirkt auf den ersten Blick so nordisch kühl, schlicht und bescheiden und hat mich doch so tief bewegt, dass ich mich nach dem Lesen erst einmal sammeln musste.
Angesiedelt ist die Erzählung in einem kleinen Dorf, in dem die fast hundertjährige Luzie stirbt – ein Anlass zum Rückblick auf eine Geschichte, die sie und ihre ganze Familie geprägt hat … Ein Rückblick, der in eines der finstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte führt – die Nazizeit mit ihren schlimmen Folgen und den Traumata von Diskriminierung und mörderischer Gewalt, die bis heute nachwirken...
Der behutsame Umgang der Autorin mit dieser Thematik gefiel mir sehr. Sie zeichnet kein Schwarzweiß, sondern viele Schattierungen, es sind die kleinen Gesten der Menschlichkeit, manchmal von unerwarteter Seite, die hier gewürdigt werden. Sie verdeutlicht aber auch das Grauen des Naziterrors, die Entmenschlichung, das Morden, das Irrationale…
Das Leben der Menschen, insbesondere der Frauen, in diesem Buch ist hart, zu den Schrecken der Nazizeit und des Zweiten Weltkriegs kommen später jahrelange Ausgrenzung und Schwierigkeiten, den Mut zur Liebe zu finden und Liebe zu zeigen, hinzu, auch eine Vergewaltigung wird angedeutet. Mutterliebe wird in unserer Gesellschaft oft als etwas Selbstverständliches angesehen und dabei übersehen, dass manchmal Frauen beispielsweise aufgrund eines Traumas schlicht und ergreifend nicht in der Lage sind, ihrem Kind die Liebe zu zeigen, die es bräuchte, um mit Grundvertrauen durchs Leben zu gehen – eine weitere wichtige Thematik, die die Autorin anschneidet. Und da sie sehr geschickt darin ist, dem Leser ihre Figuren mit wenigen Worten nahezubringen, litt ich auch sehr mit und empfand diesen Roman als emotional packend. Die Wucht der Gefühle, die von der schlichten, aber so treffenden Sprache und den eindrucksvollen Bildern vermittelt werden, ist einfach gewaltig.
Auch sprachlich konnte mich der Roman begeistern. Neben verdichteten, aber unglaublich aussagekräftigen Sätzen stehen ein paar sehr schöne, alte Redewendungen und Begriffe. Die kranke Denkweise der Nazis wiederum spiegelt die Autorin an einigen wenigen Stellen durch das fürchterliche Nazideutsch wider (beispielsweise mit der Bezeichnung „die bestellte Ware“ in Bezug auf angeforderte Zwangsarbeiter, S. 75). Angereichert ist der Roman außerdem mit ein paar plattdeutschen Sätzen, die für mich eine Herausforderung darstellten, mir als Sprachenfreak aber auch sehr willkommen und mit ein bisschen Nachdenken auch gut zu meistern waren. Durch diese facettenreiche sprachliche Gestaltung gelingt es der Autorin sehr geschickt, die erzählten Zeiten und das Dorfmilieu lebendig werden zu lassen.
So ist „Luzies Erbe“ ein Roman, der sich leicht liest und doch schwere Themen behandelt. Als Lehren nehme ich für mich mit, wie wichtig es ist, miteinander zu reden, und wie wunderbar und kostbar der Mut zu Menschlichkeit und Liebe ist ...