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Produktdetails
  • Verlag: Amsterdam University Press
  • Seitenzahl: 344
  • Erscheinungstermin: 31. August 2006
  • Englisch
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 612g
  • ISBN-13: 9789053565735
  • ISBN-10: 9053565736
  • Artikelnr.: 11570332
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.02.2003

Wir sehen uns im Hinterzimmer
2600 Lobbyisten gibt es in Brüssel: Rinus van Schendelen berät sie

Die Liste der Demokratiedefizite in der Europäischen Union ist lang. Das Parlament repräsentiert nur in beschränktem Maße den Willen des europäischen Wahlvolkes. Seine Zusammensetzung wird nicht in allgemeinen, europaweiten Wahlen bestimmt, vielmehr wählt jedes Mitgliedsland nur seine Abgeordneten. Zwar hat das Parlament inzwischen bei den meisten Beschlußfassungen der Ministerräte ein Mitentscheidungsrecht. Aber die schärfste Waffe zur parlamentarischen Kontrolle einer Regierung, die Genehmigung des Budgets, bleibt stumpf. Denn die EU übt ihren Einfluß nicht durch Staatsausgaben, sondern durch Regulierung aus, und entsprechend klein ist ihr Haushalt.

Das Regierungssystem der EU verletzt Prinzipien der Gewaltenteilung und selbst schwache Normen der Transparenz politischer Entscheidungsprozesse. Die Räte der Fachminister und Regierungschefs beschließen auf EU-Ebene in legislativer Funktion, was sie dann als Exekutive zu Hause durchsetzen. Die Kommissionsverwaltung bereitet die Gesetzgebung der Räte vor, indem sie die verschiedenen EU-Komitees sowie eine Unzahl von Experten und Interessengruppen konsultiert. All das geschieht meist hinter verschlossenen Türen. Doch selbst wenn man die Türen öffnete, wäre da keine europaweite Medienöffentlichkeit, die sich für das Geschehen in Brüssel systematisch interessierte.

Selbst wer darüber nicht in Europa-Skepsis verfällt, sondern nur um so neugieriger fragt, woher dann die Legitimität und Dynamik des europäischen Integrationsprozesses rührt, wird ein wenig überrascht sein, ausgerechnet den extensiven Lobbyismus als die treibende demokratische Kraft der EU dargestellt zu finden. Das unternimmt Rinus van Schendelen, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Rotterdam. Die Lobbies, die die EU-Demokratie retten werden, sind genauer gesagt jene, die seine Schule des Managements öffentlicher Angelegenheiten (Public Affairs Management, kurz: PAM) absolviert haben. Denn eine Lobby, die im PAM-Training steht, versteht sich auf das öffentliche Marketing ihres Anliegens und die eher diskrete Bildung von Koalitionen, aufs flexible Verhandeln und das Schließen von Kompromissen. Es kann ihr nicht in erster Linie darum gehen, hinter verschlossenen Türen ganz bestimmte Entscheidungen durchzusetzen, weil sie gelernt hat, daß sie damit nicht durchkommt. Vorauseilende Anpassung ist im EU-Terrain eine erfolgreichere Überlebensstrategie als der Versuch, sich das Terrain zuzurichten.

Statt auf Inhalte und traditionelle Techniken der Einflußnahme, wie Drohung und Erpressung, muß man sich auf das Metaspiel des dreifachen P verstehen: Versuche, die dir wohlgesonnenen Personen in Positionen zu bringen, von denen aus sie vorteilhafte Prozeduren der Entscheidungsfindung begünstigen können. Wer zum Beispiel eine Entscheidung wie die EU-weite Festlegung einer Mindeststeuer auf Tabak aufhalten möchte, sollte Kommissionsmitglieder mit starker Heimatbindung, Unterhändler aus gegnerischen Mitgliedsländern und kettenrauchende Parlamentarier dazu anhalten, dies als Versuch der Steuerharmonisierung zu deklarieren, so daß ein Einstimmigkeitsvotum im Rat erforderlich wird. Wer dagegen die abgestimmte Erhebung dieser nach oben offenen Tabaksteuer begrüßen würde, sollte gesundheitsbewußte Kommissionsmitglieder mit starker EU-Identifikation und Regierungsvertreter von Hochsteuerländern dazu drängen, sie als eine Maßnahme zur Schaffung des einheitlichen Binnenmarktes zu verhandeln. Dann genügt eine qualifizierte Mehrheit, und die Kommission kann die nachlässige Durchsetzung auf nationaler Ebene sanktionieren.

Man darf bezweifeln, daß es jemals die Lobbies alter Schule gegeben hat, die so unvorteilhaft gegenüber den PAM-Trainierten abschneiden, weil sie unter endemischer Einflußillusion leiden und sich von solchen Tricks nichts träumen lassen. Allzufrüh plaudert der Professor aus, daß er hier als interessierter Berater spricht, um dann ganz im schlechten akademischen Stil fortzufahren, zahlreiche Unterscheidungen einzuführen, diese langwierig auszuführen und sie im folgenden nicht weiter zu verwenden.

Trotzdem sind die zugrunde liegenden Fragen des Politikwissenschaftlers interessant und sinnvoll: Sind die Lobbies, von denen es immerhin rund 2600 mit einem ständigen Büro in Brüssel gibt, Feinde jeglicher Demokratie in der EU? Oder ist der Lobbyismus nicht vielmehr der Inbegriff von Interessenrepräsentation in modernen Demokratien, wie van Schendelen argumentiert? Nach der Lektüre ist man weder von der Feind- noch der Freund-Version wirklich überzeugt. Schon Macchiavelli wußte, daß die Kunst, im Vorzimmer des Fürsten Einfluß zu nehmen, nicht an eine bestimmte Regierungsform gebunden ist.

Lobbyisten tun etwas, was Wähler nicht tun können. In der repräsentativen Demokratie zählt jede Stimme gleich viel und also ziemlich wenig. Es spielt keine Rolle, wie sehr jemand einen bestimmten Kandidaten, eine bestimmte Partei oder ein bestimmtes Programm wünscht. Gewählt wird immer eine Person, die für ein ganzes Paket versprochener Maßnahmen steht. Wähler haben keine Chance, mit Blick auf die Kernenergie eine grüne Kandidatin und mit Blick auf Familie einen konservativen Abgeordneten zu wählen. Gewählt wird in der Regel, wer populär ist und sich bei keiner Sachfrage allzuweit aus dem Fenster hängt. Minderheiten mit Herzensangelegenheiten stehen insofern immer in Gefahr, der Tyrannei einer eher gleichgültigen Mehrheit ausgesetzt zu sein. Genauer, Wahlen geben noch nicht einmal Auskunft darüber, ob die Mehrheit wirklich gleichgültig und nur pflichtbewußt war. Denn das Stimmverhalten enthält keine spezifischen Informationen über Beweggründe der Wähler: Oder warum und wofür ist Gerhard Schröder noch einmal zum Kanzler gewählt worden?

Der Lobbyismus kompensiert Defizite der repräsentativen Demokratie. Er bringt die Intensität von Präferenzen für ganz bestimmte Sachentscheidungen fortlaufend zum Ausdruck. Deren Intensität ist meist nicht nur eine Funktion des politischen Engagements für das Gute, Wahre und Schöne. Interessen lassen sich leichter organisieren, wenn es um Schnöderes geht, etwa um die Auszeichnungspflicht für genmanipulierte Lebensmittel, um Telekomliberalisierung oder Agrarbeihilfen. Weder Unilever noch Greenpeace sind Speerspitzen der Demokratie. Aber sie vertreten legitime Interessen. Politische Gemeinwesen müssen nur darauf achten, daß sie diese Interessen legitim vertreten. PAM ist ein Weg, ihnen diese Legitimation zu verschaffen. Indem sie einer Lobby korrekte Verfahren der Interessenvertretung antrainiert und ihnen das Durchsetzen richtiger Inhalte um jeden Preis abtrainiert.

WALTRAUD SCHELKLE

Rinus van Schendelen: "Macchiavelli in Brussels". The Art of Lobbying the EU. Amsterdam University Press, Amsterdam 2002. 384 S., br., 36,50 [Euro].

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