In diesem Buch werden zwei seit Beginn der psychoanalytischen Bewegung rivalisierende theoretische Leitkonzepte aufgegriffen: "Macht" und "Lust". Dabei dürfte auf der Ebene persönlicher Eigenschaften Adler mit seiner lustvollen Orientierung am Wiener Kaffeehausleben eher Varianten des "Lustprinzips" verkörpert haben, während Freuds Domäne die Fragen der Macht und des Einflusses waren. In ihren Theorien verhielt es sich jedoch umgekehrt: Adler hielt die Frage der "Macht" für entscheidend, während Freud das Thema der "Lust/Lidibo" als leitendes Konstrukt fokussierte. Neben anderen Differenzen lag hier einer der Anstöße zum endgültigen Bruch zwischen Freud und Adler. Seit den Streitereien der Gründungsväter sind mittlerweile 100 Jahre vergangen. Somit scheint die Zeit reif zu sein, das breite konnotative Spektrum der beiden motivationalen Konzepte "Macht" (von konstruktiver "Wirkmächtigkeit" bis hin zu Machtmissbrauch) und "Lust" (von Vitalität, Liebe, Eros, Sexualität bis hin zu Destruktivität) neu auszuloten und auf aktuelle gesellschaftliche und fachliche Diskurse zu beziehen. Mit "Macht" und "Lust" liegen analytische Kategorien vor, die gerade, weil es sich um psycho-analytische Kategorien handelt, sowohl die Subjektseite als auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in ihrer dynamischen, entwicklungsbezogenen und wechselseitigen Beeinflussung erfassen können.