Die französische Philosophin und SPIEGEL-Bestsellerautorin Elisabeth Badinter über Kaiserin Maria Theresia als moderne Mutter und starke Frau des 18. Jahrhunderts
1740 übernimmt Maria Theresia mit nur dreiundzwanzig Jahren die Regierungsgeschäfte der Habsburgermonarchie. Sie erweist sich nicht nur als geschickte und arbeitsame Herrscherin, sondern ist ihren sechzehn Kindern (drei sterben frühzeitig) eine ausgesprochen fürsorgliche Mutter. Elisabeth Badinters Buch »Mutterliebe« ist ein Klassiker der feministischen Literatur. In ihrem neuen Buch führt sie uns nun eindringlich vor Augen, wie modern Maria Theresias Verständnis von Mutterschaft war. Individuell auf Kinder einzugehen war im 18. Jahrhundert keinesfalls selbstverständlich - schon gar nicht bei Hofe. In diesem Sinne stand Maria Theresia zwischen Staatsräson und der Entwicklung und dem Wohlergehen ihrer Kinder.
1740 übernimmt Maria Theresia mit nur dreiundzwanzig Jahren die Regierungsgeschäfte der Habsburgermonarchie. Sie erweist sich nicht nur als geschickte und arbeitsame Herrscherin, sondern ist ihren sechzehn Kindern (drei sterben frühzeitig) eine ausgesprochen fürsorgliche Mutter. Elisabeth Badinters Buch »Mutterliebe« ist ein Klassiker der feministischen Literatur. In ihrem neuen Buch führt sie uns nun eindringlich vor Augen, wie modern Maria Theresias Verständnis von Mutterschaft war. Individuell auf Kinder einzugehen war im 18. Jahrhundert keinesfalls selbstverständlich - schon gar nicht bei Hofe. In diesem Sinne stand Maria Theresia zwischen Staatsräson und der Entwicklung und dem Wohlergehen ihrer Kinder.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Markus Friedrich hat mit dem schmalen Band der französischen Philosophin Elisabeth Badinter eine "kurzweilige und amüsante Lektüre" verbracht. Die Autorin möchte zeigen, so der Rezensent, dass die österreichische Kaiserin Maria Theresia eine, für ihre Zeit, sehr moderne Mutter war, die ihre Kinder mit viel Hingabe umsorgte. Dafür versammelt die Autorin eine große Menge an Zitaten und betreibt detaillierte Quellenforschung, schreibt Friedrich. Besonders deutlich zeigt sich ihm die Hellsichtigkeit der Kaiserin in Bezug auf das Thema der Heirat, zwar kämen auch Maria Theresias Kinder um die arrangierten, politisch strategischen Ehen zum Großteil nicht herum, allerdings war ihr die "seelische Gewalt", die sie damit ausübte, bewusst. Das führte dazu, dass sie zumindest versuchte, so der Rezensent, Rücksicht auf die individuellen Charaktere ihrer Kinder zu nehmen. Zwar findet der Kritiker das von Badinter gezeichnete Bild der Kaiserin als moderne Frau sympathisch, zweifelt aber doch ein wenig an dessen historischen Stimmigkeit.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.03.2023Kaiserin mit 16 Kindern
War Maria Theresia schon eine moderne Mutter? Zur steilen These der Philosophin Élisabeth Badinter
Auch Gefühle haben eine Geschichte. Élisabeth Badinter, eine Pionierin der Frauenbewegung in Frankreich, gehört zu den ersten, die das thematisiert haben. Ihr Buch „Die Mutterliebe“ aus dem Jahr 1980 hat Empörung und Begeisterung ausgelöst. Darin beschreibt sie diesen Inbegriff eines weiblichen Naturinstinkts als einen historisch ziemlich jungen Mythos, eine Erfindung der modernen bürgerlichen Gesellschaft. Die einen waren empört über das Buch, die anderen empfanden es als Befreiung. Mittlerweile ist die Geschichte der Emotionen ein florierender Forschungszweig.
Allerdings: Was die Menschen „wirklich“ empfunden haben, entzieht sich dem historischen Zugriff. Was Historiker mit ihren Methoden zu fassen bekommen, sind die kommunikativen Erscheinungsformen von Gefühlen. Sie können rekonstruieren, wie Wut und Angst, Trauer und Scham, Hass und Liebe zu verschiedenen Zeiten auf unterschiedliche Weise sprachlich ausgedrückt, bildlich dargestellt, rituell aufgeführt, sozial bewertet, kollektiv kultiviert oder tabuisiert wurden. Kommunikation von Gefühlen wird allerdings gern mit Gefühlen als solchen – was immer das ist – gleichgesetzt. Das war schon das Problem von Badinters erstem Buch, und es ist erst recht das Problem ihres neuen Buches über das Verhältnis der habsburgischen Herrscherin Maria Theresia zu ihren 16 Kindern.
Die Autorin will nämlich zeigen, dass Maria Theresia bereits eine „echte Mutter“ war, liebevoll besorgt um ihre Kinder, aber auch voller Selbstzweifel und Fehler, wie jede „moderne“ Mutter. Tatsächlich schenkte die Kaiserin ihren Kindern mehr Aufmerksamkeit, als es in der höfischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts üblich war. Zwar wurden selbstverständlich auch ihre Kinder von Ammen gestillt, von adeligem Personal erzogen und von ihr selbst, wenn es hoch kam, einmal täglich kurz besucht. Doch Maria Theresia entwarf eigenhändig Erziehungsinstruktionen, nahm an den Examina teil, setzte sich an das Krankenbett der Kinder und trauerte in bewegten Worten um die, die allzu früh starben. Vor allem plante sie die Zukunft ihrer Kinder, kritisierte sie scharf und kontrollierte sie unerbittlich.
Aus alldem schließt Badinter, dass sie eine „bürgerliche Mutter“ war, „die die Moderne vorwegnahm“, ja geradezu eine „neue Epoche der Mütterlichkeit begründete“. Tatsächlich war es aber kennzeichnend für die dynastische Logik der Zeit, genau das zu tun, was die Monarchin tat: die Kinder sorgfältig und mitunter gnadenlos für ihre Funktion auf dem Schachbrett der europäischen Politik vorzubereiten. Denn in einer Erbmonarchie war Mächtepolitik identisch mit Familienpolitik. Die Rollen der Herrscherin und der Mutter ließen sich gerade nicht unterscheiden. Der Gegensatz zwischen zärtlichen privaten Gefühlen und erbarmungsloser Staatsräson ist eine moderne Projektion.
Die Interpretation Badinters ist umso erstaunlicher, als sie aus einer beeindruckenden Fülle teilweise wenig bekannter Quellen schöpft, aus Korrespondenzen zwischen Familienmitgliedern, Vertrauten, Erzieherinnen und Erziehern. Doch aus diesen unzähligen Mosaiksteinen setzt sie keine klar konturierten Bilder zusammen. Das liegt nicht nur daran, dass sie wichtige einschlägige Quellen ignoriert, sondern vor allem daran, dass sie die Zitate nahezu kontextfrei aneinanderreiht, ohne zu tun, was historisch-kritisches Einmaleins ist: zu rekonstruieren, in welcher Situation, aus welcher Perspektive, an wen und in welcher Absicht ein Brief geschrieben wurde, welchen rhetorischen und stilistischen Konventionen er folgte und welchen Ort der Schreiber oder die Schreiberin in dem komplizierten, von Schmeichelei, Eifersucht und Misstrauen geprägten Beziehungsgeflecht der Familie und des Hofes einnahm. Stattdessen macht sich die Autorin einzelne Urteile aus den Quellen umstandslos zu eigen. Da heißt es etwa, der Thronfolger Joseph „war seiner Mutter zärtlich ergeben“, seine zweite Frau Josepha „war von abstoßender Hässlichkeit“ oder die Tochter Amalia „mischte sich in Dinge, die sie nichts angingen“. Widersprüchliche Zitate bleiben rätselhaft, weil Badinter sich kaum für die vielschichtigen Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern und deren fein abgestuftes kommunikatives Repertoire interessiert.
Dabei verfügte gerade Maria Theresia je nach Umständen, Adressat und Intention über sehr unterschiedliche emotionale Register und setzte sie höchst manipulativ ein. Auch ihre Kinder erzog sie dazu, die Menschen je nach Rang und Charakter unterschiedlich zu behandeln und dabei stets auf die eigene Wirkung bedacht zu sein, denn: „Man muss immer und überall repräsentieren.“ Das heißt durchaus nicht, dass die Kaiserin besonders unaufrichtig gewesen wäre. Denn ob Gefühle „echt“ sind oder nicht, ist von außen selten zu unterscheiden, schon gar nicht für Historiker. Die Frage ist vielmehr, warum sie so und nicht anders geäußert wurden.
Über die spezifische soziale Logik und die Gefühlskultur an einem europäischen Fürstenhof des 18. Jahrhunderts lernt man aus diesem Buch nicht viel. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass Badinter der Kaiserin jetzt vielmehr genau die „modernen“ Muttergefühle zuschreibt, die sie in ihrem ersten Buch als Mythos zu entzaubern versucht hat. Damit bedient sie ihrerseits das Stereotyp der (ausschließlich männlichen) Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts, die Maria Theresia zum Inbegriff einer liebevollen Gattin und bürgerlichen Familienmutter stilisiert haben. Die unbeholfene und wenig sachkundige Übersetzung fügt dem Ganzen noch eine eigene sentimentale Note hinzu. Und der deutsche Titel „Macht und Ohnmacht einer Mutter“ klingt so, als spekulierte der Verlag auf das Publikum der Regenbogenpresse.
BARBARA STOLLBERG-RILINGER
Die Autorin ist Historikerin und Rektorin des Berliner Wissenschaftskollegs. 2005 erhielt sie den Leibniz-Preis. 2017 erschien ihr Buch „Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit“ (C. H. Beck).
In einer Erbmonarchie fallen
die Rollen von Mutter und
und Herrscherin zusammen
Über die Gefühlskultur an einem
Fürstenhof des 18.
Jahrhunderts lernt man nicht viel
Élisabeth Badinter: Macht und Ohnmacht einer Mutter. Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder. Aus dem Französischen von Stephanie Singh. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2023.
208 Seiten, 26 Euro.
„Man muss immer und überall repräsentieren.“ Maria Theresia von Österreich übernimmt 1740 mit nur 23 Jahren die Regierungsgeschäfte. Und bekommt 16 Kinder.
Foto: IMAGO/piemags
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
War Maria Theresia schon eine moderne Mutter? Zur steilen These der Philosophin Élisabeth Badinter
Auch Gefühle haben eine Geschichte. Élisabeth Badinter, eine Pionierin der Frauenbewegung in Frankreich, gehört zu den ersten, die das thematisiert haben. Ihr Buch „Die Mutterliebe“ aus dem Jahr 1980 hat Empörung und Begeisterung ausgelöst. Darin beschreibt sie diesen Inbegriff eines weiblichen Naturinstinkts als einen historisch ziemlich jungen Mythos, eine Erfindung der modernen bürgerlichen Gesellschaft. Die einen waren empört über das Buch, die anderen empfanden es als Befreiung. Mittlerweile ist die Geschichte der Emotionen ein florierender Forschungszweig.
Allerdings: Was die Menschen „wirklich“ empfunden haben, entzieht sich dem historischen Zugriff. Was Historiker mit ihren Methoden zu fassen bekommen, sind die kommunikativen Erscheinungsformen von Gefühlen. Sie können rekonstruieren, wie Wut und Angst, Trauer und Scham, Hass und Liebe zu verschiedenen Zeiten auf unterschiedliche Weise sprachlich ausgedrückt, bildlich dargestellt, rituell aufgeführt, sozial bewertet, kollektiv kultiviert oder tabuisiert wurden. Kommunikation von Gefühlen wird allerdings gern mit Gefühlen als solchen – was immer das ist – gleichgesetzt. Das war schon das Problem von Badinters erstem Buch, und es ist erst recht das Problem ihres neuen Buches über das Verhältnis der habsburgischen Herrscherin Maria Theresia zu ihren 16 Kindern.
Die Autorin will nämlich zeigen, dass Maria Theresia bereits eine „echte Mutter“ war, liebevoll besorgt um ihre Kinder, aber auch voller Selbstzweifel und Fehler, wie jede „moderne“ Mutter. Tatsächlich schenkte die Kaiserin ihren Kindern mehr Aufmerksamkeit, als es in der höfischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts üblich war. Zwar wurden selbstverständlich auch ihre Kinder von Ammen gestillt, von adeligem Personal erzogen und von ihr selbst, wenn es hoch kam, einmal täglich kurz besucht. Doch Maria Theresia entwarf eigenhändig Erziehungsinstruktionen, nahm an den Examina teil, setzte sich an das Krankenbett der Kinder und trauerte in bewegten Worten um die, die allzu früh starben. Vor allem plante sie die Zukunft ihrer Kinder, kritisierte sie scharf und kontrollierte sie unerbittlich.
Aus alldem schließt Badinter, dass sie eine „bürgerliche Mutter“ war, „die die Moderne vorwegnahm“, ja geradezu eine „neue Epoche der Mütterlichkeit begründete“. Tatsächlich war es aber kennzeichnend für die dynastische Logik der Zeit, genau das zu tun, was die Monarchin tat: die Kinder sorgfältig und mitunter gnadenlos für ihre Funktion auf dem Schachbrett der europäischen Politik vorzubereiten. Denn in einer Erbmonarchie war Mächtepolitik identisch mit Familienpolitik. Die Rollen der Herrscherin und der Mutter ließen sich gerade nicht unterscheiden. Der Gegensatz zwischen zärtlichen privaten Gefühlen und erbarmungsloser Staatsräson ist eine moderne Projektion.
Die Interpretation Badinters ist umso erstaunlicher, als sie aus einer beeindruckenden Fülle teilweise wenig bekannter Quellen schöpft, aus Korrespondenzen zwischen Familienmitgliedern, Vertrauten, Erzieherinnen und Erziehern. Doch aus diesen unzähligen Mosaiksteinen setzt sie keine klar konturierten Bilder zusammen. Das liegt nicht nur daran, dass sie wichtige einschlägige Quellen ignoriert, sondern vor allem daran, dass sie die Zitate nahezu kontextfrei aneinanderreiht, ohne zu tun, was historisch-kritisches Einmaleins ist: zu rekonstruieren, in welcher Situation, aus welcher Perspektive, an wen und in welcher Absicht ein Brief geschrieben wurde, welchen rhetorischen und stilistischen Konventionen er folgte und welchen Ort der Schreiber oder die Schreiberin in dem komplizierten, von Schmeichelei, Eifersucht und Misstrauen geprägten Beziehungsgeflecht der Familie und des Hofes einnahm. Stattdessen macht sich die Autorin einzelne Urteile aus den Quellen umstandslos zu eigen. Da heißt es etwa, der Thronfolger Joseph „war seiner Mutter zärtlich ergeben“, seine zweite Frau Josepha „war von abstoßender Hässlichkeit“ oder die Tochter Amalia „mischte sich in Dinge, die sie nichts angingen“. Widersprüchliche Zitate bleiben rätselhaft, weil Badinter sich kaum für die vielschichtigen Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern und deren fein abgestuftes kommunikatives Repertoire interessiert.
Dabei verfügte gerade Maria Theresia je nach Umständen, Adressat und Intention über sehr unterschiedliche emotionale Register und setzte sie höchst manipulativ ein. Auch ihre Kinder erzog sie dazu, die Menschen je nach Rang und Charakter unterschiedlich zu behandeln und dabei stets auf die eigene Wirkung bedacht zu sein, denn: „Man muss immer und überall repräsentieren.“ Das heißt durchaus nicht, dass die Kaiserin besonders unaufrichtig gewesen wäre. Denn ob Gefühle „echt“ sind oder nicht, ist von außen selten zu unterscheiden, schon gar nicht für Historiker. Die Frage ist vielmehr, warum sie so und nicht anders geäußert wurden.
Über die spezifische soziale Logik und die Gefühlskultur an einem europäischen Fürstenhof des 18. Jahrhunderts lernt man aus diesem Buch nicht viel. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass Badinter der Kaiserin jetzt vielmehr genau die „modernen“ Muttergefühle zuschreibt, die sie in ihrem ersten Buch als Mythos zu entzaubern versucht hat. Damit bedient sie ihrerseits das Stereotyp der (ausschließlich männlichen) Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts, die Maria Theresia zum Inbegriff einer liebevollen Gattin und bürgerlichen Familienmutter stilisiert haben. Die unbeholfene und wenig sachkundige Übersetzung fügt dem Ganzen noch eine eigene sentimentale Note hinzu. Und der deutsche Titel „Macht und Ohnmacht einer Mutter“ klingt so, als spekulierte der Verlag auf das Publikum der Regenbogenpresse.
BARBARA STOLLBERG-RILINGER
Die Autorin ist Historikerin und Rektorin des Berliner Wissenschaftskollegs. 2005 erhielt sie den Leibniz-Preis. 2017 erschien ihr Buch „Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit“ (C. H. Beck).
In einer Erbmonarchie fallen
die Rollen von Mutter und
und Herrscherin zusammen
Über die Gefühlskultur an einem
Fürstenhof des 18.
Jahrhunderts lernt man nicht viel
Élisabeth Badinter: Macht und Ohnmacht einer Mutter. Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder. Aus dem Französischen von Stephanie Singh. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2023.
208 Seiten, 26 Euro.
„Man muss immer und überall repräsentieren.“ Maria Theresia von Österreich übernimmt 1740 mit nur 23 Jahren die Regierungsgeschäfte. Und bekommt 16 Kinder.
Foto: IMAGO/piemags
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2023Mutter auf dem Thron
Elisabeth Badinter über Maria Theresia und ihre Kinder
Sechzehn Geburten, dreizehn überlebende Kinder - und die Verantwortung für ein multinationales Großreich. Das war der Alltag von Kaiserin Maria Theresia, die von 1740 an von Wien aus das Heilige Römische Reich in der Mitte Europas regierte. Wie konnte sie diese Herkulesaufgaben bewältigen und Familie und Politik vereinbaren? Diesen Fragen geht die französische Philosophin, Historikerin und populäre Autorin Elisabeth Badinter in einem schmalen Buch nach.
Um zu rekonstruieren, welche Beziehungen die Kaiserin zu ihren Kindern hatte, hat Badinter eine große Zahl an Quellen studiert und sogar umfangreiche eigene Archivstudien betrieben, die in den Anmerkungen genau dokumentiert sind. Bei diesen Recherchen ist ein großer Schatz an eindrucksvollen Zitaten zusammengekommen, in denen Maria Theresia über ihre Kinder schreibt oder diese über sie schreiben. Da die Beteiligten kein Blatt vor den Mund nahmen, bietet das Buch eine kurzweilige und amüsante Lektüre.
Badinter beschreibt, wie Maria mit ihren erkrankten Kindern mitlitt, an ihrer Erziehung interessiert war und sich um sie sorgte. Auch wenn die Kaiserin nicht für alle dreizehn überlebenden Kinder gleich intensive Gefühle hegte, so waren die elf Mädchen und fünf Jungen doch ein ständiges Thema im Alltag.
Minutiös geht Badinter in den beiden Hauptkapiteln Kind für Kind durch und skizziert Episoden aus dem Umgang mit ihrer Mutter. Besonders deutlich zeigen die Zitate, wie hellsichtig Maria Theresia wie auch ihre Kinder, insbesondere die Töchter, mit dem Thema der Ehe umgingen. Einerseits wussten alle Beteiligten um die vorwiegend strategische Relevanz von Heiratsbeziehungen. Die Ehemänner der Mädchen wurden nach politischen Kriterien gewählt, das war auch bei der engagierten Mutter Maria Theresia nicht anders.
Doch zugleich zeigt das Buch, dass die Kaiserin sehr wohl um die seelische Gewalt wusste, die sie ihren Töchtern dabei unter Umständen antat. Sie wählte gezielt aus, welches Kind wohin verheiratet wurde, und zog dabei durchaus Faktoren wie mentale Robustheit und Charakteranlagen ins Kalkül. Einzelne Ehen wurden auch abgelehnt oder wenigstens verschoben, wenn die Passfähigkeit zu gering schien. Dass es dabei dennoch zu absehbar schwierigen Ehen kam, etwa bei Joseph, dem Thronerben, und seiner zweiten Frau, Josepha von Bayern, nahm auch die mitfühlende Mutter Maria Theresia im Zweifelsfall notgedrungen in Kauf.
Immer wieder führten die Rollen der fürsorgenden Mutter und der politisch agierenden Kaiserin in unauflösbare Konflikte. Wenigstens in Einzelfällen, wenn es gefahrlos möglich schien, konnte dabei durchaus die Mutterrolle siegen - ihrer Lieblingstochter Maria Christina etwa ermöglichte sie 1766 eine echte Liebesheirat mit dem nachgeborenen sächsischen Prinzen Albert.
Maria Theresia erscheint bei Badinter als eine Frau, die mit ihren Stärken wie Schwächen direkt zur Gegenwart spricht und um die rechte Work-Life-Balance ringt. Diese emphatische Aktualisierung einer wort- und meinungsstarken, dabei fürsorgenden und zerrissenen Person ist zwar sympathisch, lässt aber bisweilen historische Nuancierung vermissen. Fraglich ist, wie außergewöhnlich Maria Theresia tatsächlich war. Längst ist das alte Bild der Familiengeschichte überwunden, wonach Eltern der Vormoderne generell nur wenig Interesse am Leben und Schicksal ihrer Kinder gehabt hätten.
Keineswegs nur die Kaiserin trauerte tief, wenn Kleinkinder starben. Inszenierte sich die Kaiserin nicht auch ganz gezielt als Matriarchin und nutzte ihre Rolle als familienfürsorgende Mutter höchst kalkulierend zu politischen Zwecken? So eindrucksvoll Maria Theresias Mutterrolle durch Elisabeth Badinter belegt und so emphatisch die Kaiserin für ihre familiäre Seite gewürdigt wird: Man darf bezweifeln, ob die Herrscherin des achtzehnten Jahrhunderts so umstandslos als Beispiel für moderne Rollenkonflikte taugt. MARKUS FRIEDRICH
Elisabeth Badinter: "Macht und Ohnmacht einer Mutter". Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder.
A. d. Französischen von Stephanie Singh. Zsolnay Verlag, Wien 2023. 208 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Elisabeth Badinter über Maria Theresia und ihre Kinder
Sechzehn Geburten, dreizehn überlebende Kinder - und die Verantwortung für ein multinationales Großreich. Das war der Alltag von Kaiserin Maria Theresia, die von 1740 an von Wien aus das Heilige Römische Reich in der Mitte Europas regierte. Wie konnte sie diese Herkulesaufgaben bewältigen und Familie und Politik vereinbaren? Diesen Fragen geht die französische Philosophin, Historikerin und populäre Autorin Elisabeth Badinter in einem schmalen Buch nach.
Um zu rekonstruieren, welche Beziehungen die Kaiserin zu ihren Kindern hatte, hat Badinter eine große Zahl an Quellen studiert und sogar umfangreiche eigene Archivstudien betrieben, die in den Anmerkungen genau dokumentiert sind. Bei diesen Recherchen ist ein großer Schatz an eindrucksvollen Zitaten zusammengekommen, in denen Maria Theresia über ihre Kinder schreibt oder diese über sie schreiben. Da die Beteiligten kein Blatt vor den Mund nahmen, bietet das Buch eine kurzweilige und amüsante Lektüre.
Badinter beschreibt, wie Maria mit ihren erkrankten Kindern mitlitt, an ihrer Erziehung interessiert war und sich um sie sorgte. Auch wenn die Kaiserin nicht für alle dreizehn überlebenden Kinder gleich intensive Gefühle hegte, so waren die elf Mädchen und fünf Jungen doch ein ständiges Thema im Alltag.
Minutiös geht Badinter in den beiden Hauptkapiteln Kind für Kind durch und skizziert Episoden aus dem Umgang mit ihrer Mutter. Besonders deutlich zeigen die Zitate, wie hellsichtig Maria Theresia wie auch ihre Kinder, insbesondere die Töchter, mit dem Thema der Ehe umgingen. Einerseits wussten alle Beteiligten um die vorwiegend strategische Relevanz von Heiratsbeziehungen. Die Ehemänner der Mädchen wurden nach politischen Kriterien gewählt, das war auch bei der engagierten Mutter Maria Theresia nicht anders.
Doch zugleich zeigt das Buch, dass die Kaiserin sehr wohl um die seelische Gewalt wusste, die sie ihren Töchtern dabei unter Umständen antat. Sie wählte gezielt aus, welches Kind wohin verheiratet wurde, und zog dabei durchaus Faktoren wie mentale Robustheit und Charakteranlagen ins Kalkül. Einzelne Ehen wurden auch abgelehnt oder wenigstens verschoben, wenn die Passfähigkeit zu gering schien. Dass es dabei dennoch zu absehbar schwierigen Ehen kam, etwa bei Joseph, dem Thronerben, und seiner zweiten Frau, Josepha von Bayern, nahm auch die mitfühlende Mutter Maria Theresia im Zweifelsfall notgedrungen in Kauf.
Immer wieder führten die Rollen der fürsorgenden Mutter und der politisch agierenden Kaiserin in unauflösbare Konflikte. Wenigstens in Einzelfällen, wenn es gefahrlos möglich schien, konnte dabei durchaus die Mutterrolle siegen - ihrer Lieblingstochter Maria Christina etwa ermöglichte sie 1766 eine echte Liebesheirat mit dem nachgeborenen sächsischen Prinzen Albert.
Maria Theresia erscheint bei Badinter als eine Frau, die mit ihren Stärken wie Schwächen direkt zur Gegenwart spricht und um die rechte Work-Life-Balance ringt. Diese emphatische Aktualisierung einer wort- und meinungsstarken, dabei fürsorgenden und zerrissenen Person ist zwar sympathisch, lässt aber bisweilen historische Nuancierung vermissen. Fraglich ist, wie außergewöhnlich Maria Theresia tatsächlich war. Längst ist das alte Bild der Familiengeschichte überwunden, wonach Eltern der Vormoderne generell nur wenig Interesse am Leben und Schicksal ihrer Kinder gehabt hätten.
Keineswegs nur die Kaiserin trauerte tief, wenn Kleinkinder starben. Inszenierte sich die Kaiserin nicht auch ganz gezielt als Matriarchin und nutzte ihre Rolle als familienfürsorgende Mutter höchst kalkulierend zu politischen Zwecken? So eindrucksvoll Maria Theresias Mutterrolle durch Elisabeth Badinter belegt und so emphatisch die Kaiserin für ihre familiäre Seite gewürdigt wird: Man darf bezweifeln, ob die Herrscherin des achtzehnten Jahrhunderts so umstandslos als Beispiel für moderne Rollenkonflikte taugt. MARKUS FRIEDRICH
Elisabeth Badinter: "Macht und Ohnmacht einer Mutter". Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder.
A. d. Französischen von Stephanie Singh. Zsolnay Verlag, Wien 2023. 208 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Flott zu lesen, farbig und informativ ist dieses historische Familienporträt ein früher Höhepunkt des Sachbuch-Bücherjahres 2023!" Karin Waldner-Petutschnig, Kleine Zeitung, 04.02.23
"Badinter hat nicht nur das Porträt von Maria Theresia als moderne Mutter entworfen, sondern auch eine einzigartige Studie über die Charaktere ihrer Familie, Rivalitäten und die Sitten ihres Milieus." Sabine Glaubitz, dpa, 31.01.23
"Badinter sucht im Gegenteil, das uns Nahe herauszuarbeiten. Das gelingt ihr auch ohne große historische Kurzschlüsse." Anne-Catherine Simon, Die Presse, 21.01.23
"Badinter hat nicht nur das Porträt von Maria Theresia als moderne Mutter entworfen, sondern auch eine einzigartige Studie über die Charaktere ihrer Familie, Rivalitäten und die Sitten ihres Milieus." Sabine Glaubitz, dpa, 31.01.23
"Badinter sucht im Gegenteil, das uns Nahe herauszuarbeiten. Das gelingt ihr auch ohne große historische Kurzschlüsse." Anne-Catherine Simon, Die Presse, 21.01.23