Noch nie war Liebe so finster und Weltuntergang so unterhaltsam.
Frauen haben die Regierung an sich gerissen, Pillen geben ewige Jugend, religiöse Endzeitsekten schießen wie Pilze aus dem Boden und ein genervter Mann kettet seine Frau kurzerhand im Keller an ...
Wir schreiben das Jahr 2031: Staatsfeminismus, Hitzewellen, Wirbelstürme, Endzeitstimmung und ein 50-jähriges Klassentreffen in der Hamburger Vorortkneipe 'Ehrlich'. Dank der Verjüngungspille Ephebo, der auch Sebastian Bürger sein gutes Aussehen verdankt, sehen die Schulkameraden im besten Rentenalter alle wieder aus wie Zwanzig- bis Dreißigjährige, und als Sebastian seine heimliche Jugendliebe Elli trifft, ist es um ihn geschehen. Wen interessiert es da noch, dass die Krebsrate von Ephebo bei 60% innerhalb der nächsten zehn Jahre liegt?
Alles könnte so schön sein, wäre da nicht Sebastians Frau, die ehemalige Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Kraftwerkstilllegung und Atommüllentsorgung, die er seit zwei Jahren in seinem Keller gefangen hält. Dort muss sie ihm seine Lieblingskekse backen und auch sonst in jeder Hinsicht zu Diensten sein. Seiner neuen Liebe steht sie jetzt allerdings im Weg. Bei dem Versuch, sich seine Frau vom Hals zu schaffen, löst Sebastian eine Katastrophe nach der anderen aus...
Frauen haben die Regierung an sich gerissen, Pillen geben ewige Jugend, religiöse Endzeitsekten schießen wie Pilze aus dem Boden und ein genervter Mann kettet seine Frau kurzerhand im Keller an ...
Wir schreiben das Jahr 2031: Staatsfeminismus, Hitzewellen, Wirbelstürme, Endzeitstimmung und ein 50-jähriges Klassentreffen in der Hamburger Vorortkneipe 'Ehrlich'. Dank der Verjüngungspille Ephebo, der auch Sebastian Bürger sein gutes Aussehen verdankt, sehen die Schulkameraden im besten Rentenalter alle wieder aus wie Zwanzig- bis Dreißigjährige, und als Sebastian seine heimliche Jugendliebe Elli trifft, ist es um ihn geschehen. Wen interessiert es da noch, dass die Krebsrate von Ephebo bei 60% innerhalb der nächsten zehn Jahre liegt?
Alles könnte so schön sein, wäre da nicht Sebastians Frau, die ehemalige Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Kraftwerkstilllegung und Atommüllentsorgung, die er seit zwei Jahren in seinem Keller gefangen hält. Dort muss sie ihm seine Lieblingskekse backen und auch sonst in jeder Hinsicht zu Diensten sein. Seiner neuen Liebe steht sie jetzt allerdings im Weg. Bei dem Versuch, sich seine Frau vom Hals zu schaffen, löst Sebastian eine Katastrophe nach der anderen aus...
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Alexander Kosenina spricht eine klare Warnung aus: Gewaltopfer und Menschen ohne distanzierten Blick sollten Karen Duves Roman lieber nicht lesen. Denn, was als mitunter recht plakativer, eindimensionaler dystopischer Blick auf das Jahr 2031 beginnt, auf Staatsfeminismus, Klimakatastrophen, Ökodiktatur, meint Kosenina, geht als veritable Horrorshow im Folterkeller des Protagonisten weiter, als Ausbuchstabierung übelster Hass-, Rache- und Vergewaltigungsfantasien eines Ökospießers. Verstörend, beklemmend, aber auch mitreißend findet der Rezensent Duves Psychopathografie, die ihn die entfesselte Triebnatur, das scheint ihm neu zu sein, aus der Täterperspektive erleben lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2016Unterwerfung mal ganz anders
Als Öko-Satire gesprungen, als abscheuliche Psychopathographie gelandet: Karen Duves Zukunftsroman "Macht" verwandelt den Wutbürger in einen Sadisten.
Der kühne Einfall, alle öffentlichen und privaten Güter und Gelder zu vergesellschaften und die Geschicke des Staates allein in Frauenhände zu legen, stammt nicht von Giannis Varoufakis, sondern von seinem Landsmann Aristophanes. Als dieser vor 2400 Jahren seine "Weibervollversammlung" auf die Bühne brachte, lachte man trotz aktueller politischer Schwierigkeiten gerne über solche Forderungen, die weit jenseits des Vorstellungsvermögens lagen. Bei der Gesellschaft, die Karen Duve in ihrem neuen Roman "Macht" für die deutsche Demokratie im Jahre 2031 entwirft, ist das völlig anders. Diese Welt ist nicht wie in Aristophanes' Komödie vollständig verkehrt, sondern Symptome unserer Gegenwart werden hier bloß ein wenig verdreht, zynisch weitergedacht und böse zugespitzt. Wem der schnoddrige Witz der Duve sonst gefiel - wenn sie etwa in "Taxi" vom Leder zog und plärrenden Kindern ihr "Wer jammert, hat noch Reserven" entgegendonnerte oder mit "Grrrimm" die heile Märchenwelt zertrümmerte -, dem kann bei diesem neuen Buch das Lachen ganz schön vergehen.
Die Apokalypse naht, es droht Staatsfeminismus, herrschen Hitzewellen und Wirbelstürme. Für Fleisch und Sprit braucht man außer Geld auch noch viele der knapp zugeteilten CO2-Punkte. Tierschützer, Ökofaschisten, Veganer, Rocker und Sektenchristen verunsichern die Öffentlichkeit. Die europäische Währung ist zerfallen, Flüchtlinge werden an verschiedenen Grenzmauern erschossen. Dank schädlicher Verjüngungspillen gibt es kaum noch alt aussehende Menschen, echte Bio-Junge streiten sich auf den Jahrmärkten der Eitelkeiten aber mit den lebensalten Chrono-Jungen. Schüler schauen nur noch auf ihre Displays, das Denken übernimmt derweil ihr Ego-Smart oder ihr Ernährungs-Smart für sie. All das übersteigt keineswegs unsere Vorstellungskraft, manches wirkt sogar ziemlich realistisch.
Nun rebelliert einer aber besonders erbittert gegen diese recht plakativ gezeichnete neue Weltunordnung. Er heißt ganz schlicht Sebastian Bürger, ist Pressesprecher einer systemkritischen Demokratiezentrale und als Abiturjahrgang 1961 etwa so alt wie Duve selbst. Diesen chrono-siebzigjährigen Öko-Tierschutz-Demokratie-Bürger, der kraft der Pillen aussieht wie kaum dreißig, würde man ganz gerne zu den Guten rechnen, doch der Schein trügt. Wir Leser sind ihm übrigens mit Haut und Haaren ausgeliefert, denn alles, was wir in dieser Dystopie über das Jahr 2031 erfahren, verdankt sich ausschließlich seiner Sicht der Dinge. Das ganze Buch ist aus seiner Perspektive erzählt, was es oft so stereotyp, unglaubwürdig und auch verstörend macht. Aber nicht nur wir Leser sind diesem Wutbürger machtlos ausgeliefert, sondern vor allem seine Frau.
Damit beginnen die eigentlichen Probleme. Denn Sebastian Bürger hält seine Ehefrau Dr. Christine Semmelrogge, ehemals Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Kraftwerkstilllegung, Atommüllentsorgung und für viele eine aussichtsreiche Kanzlerkandidatin, seit mehr als zwei Jahren in seinem Keller gefangen. Durch die politische und persönliche Macht dieser Frau glaubt Sebastian sein Selbstwertgefühl und seine Männlichkeit völlig eingebüßt zu haben, plötzlich ahnt dieser inferiore Charakter seine Kleinheit, Bedeutungslosigkeit und Kläglichkeit. Die Rache an seiner Frau, dem weiblichen Geschlecht, letztlich der ganzen Menschheit ist Thema dieses Buches.
Es handelt von den übelsten Spielarten von Hass, Rache, Demütigung und Vergewaltigung. Es zeigt eine Frau in beständiger Todesangst, von ihrem Peiniger maximal abhängig, gezwungen zu sexueller Hörigkeit, behandelt schlimmer als ein Tier. Sie liegt in einem zum Prepper-Room umgebauten Keller, wie ihn inzwischen alle Schlauen mit Blick auf den Weltuntergang haben, an Halseisen und Ketten unterschiedlicher Länge. Dort muss sie ihrem "Gebieter" seine Lieblingsplätzchen backen, sein kümmerliches Machtego durch Folgsamkeit stärken und sich jedem seiner perversen Wünsche hingeben. Außerhalb des Kellers verliebt sich Sebastian auf seinem fünfzigsten Abiturtreffen in Elli, eine einst angehimmelte Mitschülerin, an die er sich nie heranwagte. Ob diese neue Verbindung Christine aus dem Keller befreien oder Elli selbst gefährden könnte, treibt die Lektüre unaufhaltsam voran, so verstörend und abstoßend sie manchmal auch sein mag.
Was als politischer Zukunftsroman beginnt, entpuppt sich also rasch als Horrorgeschichte und Psychopathographie der schlimmsten Sorte. Fälle wie die von Josef Fritzl oder Natascha Kampusch in Österreich zeigen, dass es so etwas immer und überall geben kann. Duve buchstabiert nun eine solche Kranken- und Verbrechensgeschichte aus und geht dabei in alle Details des Abscheulichen, Grässlichen und Ekelhaften. Die soziale und politische Situation im Jahre 2031 bildet bald nur noch eine Kulisse, denn eine Erklärung für Sebastian Bürgers Taten kann es gar nicht geben, höchstens eine Ursachenanalyse im psychiatrischen Sinne. Leserinnen und Leser werden in die Position von Ärzten gezwungen, die eine äußerst unangenehme Anamnese durchzustehen haben. Man muss begreifen, mit welch unheimlicher Konsequenz hier Wahnvorstellungen agieren, wie leicht Grenzen der Zivilisation in Affektattacken überschritten werden, wie perfide der Zwang zur Wiederholung wirkt, wie mächtig die außer Kontrolle geratene Triebnatur des Menschen wirklich sein kann.
Dieses radikale literarische Experiment ist ein Wagnis von bestechender Präzision und Eindringlichkeit. Im Unterschied zu Rainald Goetz' "Irre" oder Jan Philipp Reemtsmas "Im Keller" beleuchtet es sadistische Machtausübung und Gefangennahme aus der Täterperspektive. Christines verzweifelte Einsprüche sind die einzigen winzigen Hindernisse, an denen man in diesem bedrohlichen Wildwasser eines höchst beklemmenden Erzählstroms Halt suchen könnte. Es sind weniger die Einsprüche einer Frau gegen einen Mann als vielmehr eines Menschen gegen einen Unmenschen. Wer je Opfer sexueller, psychischer oder physischer Gewalt geworden ist oder die Stärke eines klinisch distanzierten Blicks nicht hat, sollte dieses Buch lieber nicht lesen. Es könnte Schaden anrichten.
ALEXANDER KOSENINA.
Karen Duve: "Macht". Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2016. 416 S., geb., 22,70 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Als Öko-Satire gesprungen, als abscheuliche Psychopathographie gelandet: Karen Duves Zukunftsroman "Macht" verwandelt den Wutbürger in einen Sadisten.
Der kühne Einfall, alle öffentlichen und privaten Güter und Gelder zu vergesellschaften und die Geschicke des Staates allein in Frauenhände zu legen, stammt nicht von Giannis Varoufakis, sondern von seinem Landsmann Aristophanes. Als dieser vor 2400 Jahren seine "Weibervollversammlung" auf die Bühne brachte, lachte man trotz aktueller politischer Schwierigkeiten gerne über solche Forderungen, die weit jenseits des Vorstellungsvermögens lagen. Bei der Gesellschaft, die Karen Duve in ihrem neuen Roman "Macht" für die deutsche Demokratie im Jahre 2031 entwirft, ist das völlig anders. Diese Welt ist nicht wie in Aristophanes' Komödie vollständig verkehrt, sondern Symptome unserer Gegenwart werden hier bloß ein wenig verdreht, zynisch weitergedacht und böse zugespitzt. Wem der schnoddrige Witz der Duve sonst gefiel - wenn sie etwa in "Taxi" vom Leder zog und plärrenden Kindern ihr "Wer jammert, hat noch Reserven" entgegendonnerte oder mit "Grrrimm" die heile Märchenwelt zertrümmerte -, dem kann bei diesem neuen Buch das Lachen ganz schön vergehen.
Die Apokalypse naht, es droht Staatsfeminismus, herrschen Hitzewellen und Wirbelstürme. Für Fleisch und Sprit braucht man außer Geld auch noch viele der knapp zugeteilten CO2-Punkte. Tierschützer, Ökofaschisten, Veganer, Rocker und Sektenchristen verunsichern die Öffentlichkeit. Die europäische Währung ist zerfallen, Flüchtlinge werden an verschiedenen Grenzmauern erschossen. Dank schädlicher Verjüngungspillen gibt es kaum noch alt aussehende Menschen, echte Bio-Junge streiten sich auf den Jahrmärkten der Eitelkeiten aber mit den lebensalten Chrono-Jungen. Schüler schauen nur noch auf ihre Displays, das Denken übernimmt derweil ihr Ego-Smart oder ihr Ernährungs-Smart für sie. All das übersteigt keineswegs unsere Vorstellungskraft, manches wirkt sogar ziemlich realistisch.
Nun rebelliert einer aber besonders erbittert gegen diese recht plakativ gezeichnete neue Weltunordnung. Er heißt ganz schlicht Sebastian Bürger, ist Pressesprecher einer systemkritischen Demokratiezentrale und als Abiturjahrgang 1961 etwa so alt wie Duve selbst. Diesen chrono-siebzigjährigen Öko-Tierschutz-Demokratie-Bürger, der kraft der Pillen aussieht wie kaum dreißig, würde man ganz gerne zu den Guten rechnen, doch der Schein trügt. Wir Leser sind ihm übrigens mit Haut und Haaren ausgeliefert, denn alles, was wir in dieser Dystopie über das Jahr 2031 erfahren, verdankt sich ausschließlich seiner Sicht der Dinge. Das ganze Buch ist aus seiner Perspektive erzählt, was es oft so stereotyp, unglaubwürdig und auch verstörend macht. Aber nicht nur wir Leser sind diesem Wutbürger machtlos ausgeliefert, sondern vor allem seine Frau.
Damit beginnen die eigentlichen Probleme. Denn Sebastian Bürger hält seine Ehefrau Dr. Christine Semmelrogge, ehemals Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Kraftwerkstilllegung, Atommüllentsorgung und für viele eine aussichtsreiche Kanzlerkandidatin, seit mehr als zwei Jahren in seinem Keller gefangen. Durch die politische und persönliche Macht dieser Frau glaubt Sebastian sein Selbstwertgefühl und seine Männlichkeit völlig eingebüßt zu haben, plötzlich ahnt dieser inferiore Charakter seine Kleinheit, Bedeutungslosigkeit und Kläglichkeit. Die Rache an seiner Frau, dem weiblichen Geschlecht, letztlich der ganzen Menschheit ist Thema dieses Buches.
Es handelt von den übelsten Spielarten von Hass, Rache, Demütigung und Vergewaltigung. Es zeigt eine Frau in beständiger Todesangst, von ihrem Peiniger maximal abhängig, gezwungen zu sexueller Hörigkeit, behandelt schlimmer als ein Tier. Sie liegt in einem zum Prepper-Room umgebauten Keller, wie ihn inzwischen alle Schlauen mit Blick auf den Weltuntergang haben, an Halseisen und Ketten unterschiedlicher Länge. Dort muss sie ihrem "Gebieter" seine Lieblingsplätzchen backen, sein kümmerliches Machtego durch Folgsamkeit stärken und sich jedem seiner perversen Wünsche hingeben. Außerhalb des Kellers verliebt sich Sebastian auf seinem fünfzigsten Abiturtreffen in Elli, eine einst angehimmelte Mitschülerin, an die er sich nie heranwagte. Ob diese neue Verbindung Christine aus dem Keller befreien oder Elli selbst gefährden könnte, treibt die Lektüre unaufhaltsam voran, so verstörend und abstoßend sie manchmal auch sein mag.
Was als politischer Zukunftsroman beginnt, entpuppt sich also rasch als Horrorgeschichte und Psychopathographie der schlimmsten Sorte. Fälle wie die von Josef Fritzl oder Natascha Kampusch in Österreich zeigen, dass es so etwas immer und überall geben kann. Duve buchstabiert nun eine solche Kranken- und Verbrechensgeschichte aus und geht dabei in alle Details des Abscheulichen, Grässlichen und Ekelhaften. Die soziale und politische Situation im Jahre 2031 bildet bald nur noch eine Kulisse, denn eine Erklärung für Sebastian Bürgers Taten kann es gar nicht geben, höchstens eine Ursachenanalyse im psychiatrischen Sinne. Leserinnen und Leser werden in die Position von Ärzten gezwungen, die eine äußerst unangenehme Anamnese durchzustehen haben. Man muss begreifen, mit welch unheimlicher Konsequenz hier Wahnvorstellungen agieren, wie leicht Grenzen der Zivilisation in Affektattacken überschritten werden, wie perfide der Zwang zur Wiederholung wirkt, wie mächtig die außer Kontrolle geratene Triebnatur des Menschen wirklich sein kann.
Dieses radikale literarische Experiment ist ein Wagnis von bestechender Präzision und Eindringlichkeit. Im Unterschied zu Rainald Goetz' "Irre" oder Jan Philipp Reemtsmas "Im Keller" beleuchtet es sadistische Machtausübung und Gefangennahme aus der Täterperspektive. Christines verzweifelte Einsprüche sind die einzigen winzigen Hindernisse, an denen man in diesem bedrohlichen Wildwasser eines höchst beklemmenden Erzählstroms Halt suchen könnte. Es sind weniger die Einsprüche einer Frau gegen einen Mann als vielmehr eines Menschen gegen einen Unmenschen. Wer je Opfer sexueller, psychischer oder physischer Gewalt geworden ist oder die Stärke eines klinisch distanzierten Blicks nicht hat, sollte dieses Buch lieber nicht lesen. Es könnte Schaden anrichten.
ALEXANDER KOSENINA.
Karen Duve: "Macht". Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2016. 416 S., geb., 22,70 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.02.2016Wenn das Ego zweimal klingelt
Klaustrophobisch eng, unendlich öde, brutal banal: In Karen Duves Roman „Macht“
sieht die Zukunft stark nach den bundesrepublikanischen Siebzigern aus
VON FRAUKE MEYER-GOSAU
Der Bundeskanzler des Jahres 2031 heißt Olaf Scholz, und natürlich ist seine Berufsbezeichnung nicht länger männlich: Nach Einführung des „Staatsfeminismus“ in der Bundesrepublik amtiert Olaf Scholz als „männliche Bundeskanzlerin“. Dies wiederum würde ihm als 73-Jährigem selbst unter heutigen politischen und medizinischen Bedingungen einigermaßen locker auch ohne „Ephebo“ gelingen, jene kleinen Pillen, mit denen man sein physisches System künftig massiv wird verjüngen können – Greise sehen danach wie 30-Jährige aus; wer sich mit der täglichen Dosis etwas zurückhält, geht immerhin als fescher 50-Jähriger durch.
Allerdings hat „Ephebo“ auch eine weniger angenehme Nebenwirkung: Bei voller Tagesdosis beträgt das Krebsrisiko innerhalb von fünf Jahren 25 Prozent, innerhalb von zehn Jahren steigt es auf 60 Prozent. Und da man mit dem Empfang des Medikaments alle Ansprüche auf Leistungen der Krankenkasse aufgibt, ist die Aussicht, eines nicht zu fernen Tages elend im Zwölf-Bett-Zimmer irgendeines Hospizes zu verenden, durchaus realistisch. Wer sich hingegen einer religiösen Sekte wie den „Johannesjüngern der sieben Posaunenplagen“ anschließt, bekommt im Krankensaal wenigstens schmerzstillende Mittel und sogar noch ein bisschen menschliche Zuwendung obendrauf. Die Teilnahme selbst an grotesken religiösen Ritualen fällt bei solchen Aussichten immer mehr Menschen leicht.
Was Karen Duve sich für ihren neuen Roman „Macht“ an Zukunftsbildern hat einfallen lassen, siedelt insgesamt auffallend nah an der Gegenwart: Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weit auseinander, eine ökologisch orientierte Regierung zwingt ihren Bürgern durch die Vergabe von „CO&sub2;-Punkten“ umweltfreundliches Verhalten auf. Benzin und Fleisch sind rationiert, wer sein monatliches Punktekonto erschöpft hat, wird Zwangsvegetarier und Radfahrer – eine Maßnahme, um die weitere Zunahme von Stürmen, Dürren, Überflutungen und Flächenbränden einzudämmen.
Auch die politische Situation hat sich gegenüber 2016 kaum wesentlich zugespitzt. Während die CSU immer noch für ein Betreuungsgeld kämpft, versuchen Flüchtlinge die Mauern um Ungarn, Frankreich und Indien zu überwinden, andere ertrinken im Ärmelkanal oder vor der italienischen Küste. Und wenn wieder mal ein Orkan übers Eigenheim in Hamburg Wellingstedt hinwegrast, können die Bewohner sich in den „Prepper-Raum“ im Keller zurückziehen – was konkrete Vorstellungen von den Lebensbedingungen in der Zukunft anlangt, ist Karen Duve in „Macht“ nicht viel Neues eingefallen.
Das ist für einen Zukunftsroman natürlich eher ungünstig. Aber zentral geht es hier ja auch um ein ganz anderes Thema, das uns ebenfalls schon länger bekannt ist: Wie kommen die Männer mit der Dominanz erfolgreicher Frauen klar? Sebastian Bürger jedenfalls, „Pressereferent des Demokratiekomitees“ und einst in ökologischen wie feministischen Fragen progressiv gesinnt, widerruft in dem Moment, da seine Frau Christine mitsamt den Kindern Binja-Bathseba und Racke sich von ihm trennt, einen anderen Mann findet und zum Sprung ins Bundeskanzleramt ansetzt, all seine früheren Haltungen. Er verwendet nicht nur eine Menge Geld und Energie darauf, in seinem Haus möglichst alles in den Originalzustand der Sechziger- und Siebzigerjahre zurückzuversetzen und bei Ebay einen Opel Rekord Coupé von 1965 zu ersteigern. Überdies kidnappt er voll Rachedurst seine Ex-Frau, die „Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Kraftwerkstilllegung und Atommüllentsorgung“. Er sperrt sie in seinen Keller, kettet sie an, lässt sich mit „mein Gebieter“ anreden und erniedrigt sie zur Sexsklavin. Erst als er ein Verhältnis mit seiner Jugendliebe Elisabeth beginnt, wird die Sache brenzlig. Und schließlich sitzen zwei geknechtete, entrechtete Frauen im Keller, während Sebastian unter Zuhilfenahme seiner letzten CO&sub2;-Punkte auf die Flucht geht.
Werden die Frauen befreit werden? Wird der Macho seiner gerechten Strafe zugeführt werden? Kann Christine womöglich doch noch hoffen, das Amt der Bundeskanzlerin von Olaf Scholz zu übernehmen?
Das sind hier so die letzten Fragen. Doch so wenig Karen Duves Zukunftsfantasien irgendeine neuartige Vision für das politische und ökologische Szenario der kommenden Jahrzehnte anzubieten haben, so wenig löst sich das sexistische Machtspiel im Vorstadthaus vom Spießermief der bundesrepublikanischen Siebziger: alles klaustrophobisch eng. Alles unendlich öde. Alles brutal banal.
Eine Zukunft ohne Olaf Scholz, Ebay und Aldi kann sich Karen Duve offenbar nicht vorstellen, und ihr lustigster Satz, nachdem sie Smartphones in „Egos“ umbenannt hat, heißt: „Mein Ego klingelt.“ Wenn am Ende dann noch der fieseste Bösewicht von allen sein im Grunde eben doch goldenes Herz entdeckt, fällt einem plötzlich ein Wort wieder ein, das ebenfalls der Gedankenwelt der Siebziger entstammt: reaktionär.
Karen Duve: Macht. Roman. Galiani Verlag, Berlin 2016. 416 Seiten, 21,99 Euro. E-Book 18,99 Euro.
2031: Olaf Scholz regiert als
„männliche Kanzlerin“, die CSU
kämpft für ein Betreuungsgeld
Karen Duve hat sich eine Endzeit-Republik erfunden. Man stelle sich vor: Staatsfeminismus, CO&sub2;-Punkte-Vergabe vom Amt, Wirbelstürme, Verjüngungspillen, Flächenbrände. Wer soll das schaffen?
Foto: Maurice Weiss/OSTKREUz
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Klaustrophobisch eng, unendlich öde, brutal banal: In Karen Duves Roman „Macht“
sieht die Zukunft stark nach den bundesrepublikanischen Siebzigern aus
VON FRAUKE MEYER-GOSAU
Der Bundeskanzler des Jahres 2031 heißt Olaf Scholz, und natürlich ist seine Berufsbezeichnung nicht länger männlich: Nach Einführung des „Staatsfeminismus“ in der Bundesrepublik amtiert Olaf Scholz als „männliche Bundeskanzlerin“. Dies wiederum würde ihm als 73-Jährigem selbst unter heutigen politischen und medizinischen Bedingungen einigermaßen locker auch ohne „Ephebo“ gelingen, jene kleinen Pillen, mit denen man sein physisches System künftig massiv wird verjüngen können – Greise sehen danach wie 30-Jährige aus; wer sich mit der täglichen Dosis etwas zurückhält, geht immerhin als fescher 50-Jähriger durch.
Allerdings hat „Ephebo“ auch eine weniger angenehme Nebenwirkung: Bei voller Tagesdosis beträgt das Krebsrisiko innerhalb von fünf Jahren 25 Prozent, innerhalb von zehn Jahren steigt es auf 60 Prozent. Und da man mit dem Empfang des Medikaments alle Ansprüche auf Leistungen der Krankenkasse aufgibt, ist die Aussicht, eines nicht zu fernen Tages elend im Zwölf-Bett-Zimmer irgendeines Hospizes zu verenden, durchaus realistisch. Wer sich hingegen einer religiösen Sekte wie den „Johannesjüngern der sieben Posaunenplagen“ anschließt, bekommt im Krankensaal wenigstens schmerzstillende Mittel und sogar noch ein bisschen menschliche Zuwendung obendrauf. Die Teilnahme selbst an grotesken religiösen Ritualen fällt bei solchen Aussichten immer mehr Menschen leicht.
Was Karen Duve sich für ihren neuen Roman „Macht“ an Zukunftsbildern hat einfallen lassen, siedelt insgesamt auffallend nah an der Gegenwart: Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weit auseinander, eine ökologisch orientierte Regierung zwingt ihren Bürgern durch die Vergabe von „CO&sub2;-Punkten“ umweltfreundliches Verhalten auf. Benzin und Fleisch sind rationiert, wer sein monatliches Punktekonto erschöpft hat, wird Zwangsvegetarier und Radfahrer – eine Maßnahme, um die weitere Zunahme von Stürmen, Dürren, Überflutungen und Flächenbränden einzudämmen.
Auch die politische Situation hat sich gegenüber 2016 kaum wesentlich zugespitzt. Während die CSU immer noch für ein Betreuungsgeld kämpft, versuchen Flüchtlinge die Mauern um Ungarn, Frankreich und Indien zu überwinden, andere ertrinken im Ärmelkanal oder vor der italienischen Küste. Und wenn wieder mal ein Orkan übers Eigenheim in Hamburg Wellingstedt hinwegrast, können die Bewohner sich in den „Prepper-Raum“ im Keller zurückziehen – was konkrete Vorstellungen von den Lebensbedingungen in der Zukunft anlangt, ist Karen Duve in „Macht“ nicht viel Neues eingefallen.
Das ist für einen Zukunftsroman natürlich eher ungünstig. Aber zentral geht es hier ja auch um ein ganz anderes Thema, das uns ebenfalls schon länger bekannt ist: Wie kommen die Männer mit der Dominanz erfolgreicher Frauen klar? Sebastian Bürger jedenfalls, „Pressereferent des Demokratiekomitees“ und einst in ökologischen wie feministischen Fragen progressiv gesinnt, widerruft in dem Moment, da seine Frau Christine mitsamt den Kindern Binja-Bathseba und Racke sich von ihm trennt, einen anderen Mann findet und zum Sprung ins Bundeskanzleramt ansetzt, all seine früheren Haltungen. Er verwendet nicht nur eine Menge Geld und Energie darauf, in seinem Haus möglichst alles in den Originalzustand der Sechziger- und Siebzigerjahre zurückzuversetzen und bei Ebay einen Opel Rekord Coupé von 1965 zu ersteigern. Überdies kidnappt er voll Rachedurst seine Ex-Frau, die „Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Kraftwerkstilllegung und Atommüllentsorgung“. Er sperrt sie in seinen Keller, kettet sie an, lässt sich mit „mein Gebieter“ anreden und erniedrigt sie zur Sexsklavin. Erst als er ein Verhältnis mit seiner Jugendliebe Elisabeth beginnt, wird die Sache brenzlig. Und schließlich sitzen zwei geknechtete, entrechtete Frauen im Keller, während Sebastian unter Zuhilfenahme seiner letzten CO&sub2;-Punkte auf die Flucht geht.
Werden die Frauen befreit werden? Wird der Macho seiner gerechten Strafe zugeführt werden? Kann Christine womöglich doch noch hoffen, das Amt der Bundeskanzlerin von Olaf Scholz zu übernehmen?
Das sind hier so die letzten Fragen. Doch so wenig Karen Duves Zukunftsfantasien irgendeine neuartige Vision für das politische und ökologische Szenario der kommenden Jahrzehnte anzubieten haben, so wenig löst sich das sexistische Machtspiel im Vorstadthaus vom Spießermief der bundesrepublikanischen Siebziger: alles klaustrophobisch eng. Alles unendlich öde. Alles brutal banal.
Eine Zukunft ohne Olaf Scholz, Ebay und Aldi kann sich Karen Duve offenbar nicht vorstellen, und ihr lustigster Satz, nachdem sie Smartphones in „Egos“ umbenannt hat, heißt: „Mein Ego klingelt.“ Wenn am Ende dann noch der fieseste Bösewicht von allen sein im Grunde eben doch goldenes Herz entdeckt, fällt einem plötzlich ein Wort wieder ein, das ebenfalls der Gedankenwelt der Siebziger entstammt: reaktionär.
Karen Duve: Macht. Roman. Galiani Verlag, Berlin 2016. 416 Seiten, 21,99 Euro. E-Book 18,99 Euro.
2031: Olaf Scholz regiert als
„männliche Kanzlerin“, die CSU
kämpft für ein Betreuungsgeld
Karen Duve hat sich eine Endzeit-Republik erfunden. Man stelle sich vor: Staatsfeminismus, CO&sub2;-Punkte-Vergabe vom Amt, Wirbelstürme, Verjüngungspillen, Flächenbrände. Wer soll das schaffen?
Foto: Maurice Weiss/OSTKREUz
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Ein Roman wie ein Schlag ins Gesicht. Karen Duve provoziert und unterhält so herrlich böse, dass man beim Lesen seine Aggressionen ausleben kann. Bild