"Ich wollte alles auf legalem Wege erreichen. Schließlich bin ich ja Jurist." Dr. Wilhelm Frick, Reichsinnenminister im Kabinett Hitler vom 30. Januar 1933, sprach diese Sätze kurz vor seiner Hinrichtung 1946. "Alles" - das bedeutete die Diktatur, die uneingeschränkte Macht für Hitler, die "Machtergreifung" oder wie Hitler selbst gern sagte, die "Machtübernahme".Wie Hitler Diktator wurde, ist so oft beschrieben worden, daß damit Bibliotheken zu füllen sind - warum also noch eine weitere Beschreibung hinzufügen? Das Besondere soll hier sein, die Machtübernahme aus der Sicht des Juristen zu schildern. Dabei gilt es, sich an Verordnungen und Rechtssätzen, auch an Sitzungsprotokollen zu orientieren und daraus zu folgern, wer wie warum agierte und reagierte.Irene Strenge, geboren 1948 in Hamburg, juristisches Studium 1968-1972 in Tübingen, Lausanne und Hamburg, Referendariat und Assessorexamen in Hamburg, ab 1976 Rechtsanwältin, 1992 Promotion.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2003Abwesend anwesend
MACHTÜBERNAHME. Seit Hitlers geschickt inszeniertem Legalitätsbekenntnis im Ulmer Reichswehrprozeß 1930 wird darüber gestritten, ob die "Machtergreifung", später von Hitler lieber als "Machtübernahme" bezeichnet, legal erfolgte oder nicht. Nach Irene Strenge beruhte sie auf einem wohldurchdachten Plan von Wilhelm Frick. Frick wurde 1930 in Thüringen Innen- und Volksbildungsminister. Als solcher absolvierte er eine Art "Testlauf in Sachen Machtergreifung". Ein von ihm durchgesetztes thüringisches Ermächtigungsgesetz, das die Versetzung von Beamten in den Wartestand erlaubte, wurde vom Reichsgericht für verfassungswidrig erklärt. Hieraus habe Frick gelernt, daß das spätere Reichsermächtigungsgesetz eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit brauchen würde. Der "Preußenschlag" vom Juli 1932 mit der Bindung der preußischen Polizei an die Reichsregierung und der Verkündung des militärischen Ausnahmezustands diente ihm als Vorbild für die "Reichstagsbrandverordnung", für die Strenge allein Frick verantwortlich macht. Den wesentlichen Grund für die Bereitschaft Paul von Hindenburgs, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, sieht sie weniger in den Einflüsterungen einer Kamarilla als in der Drohung Fricks, den Reichspräsidenten vor dem Staatsgerichtshof wegen dessen Mitwirkung an der verfassungsrechtlich zweifelhaften Notverordnungspraxis anzuklagen. In diesem Zusammenhang sieht Strenge auch die Einbringung eines Gesetzentwurfs im Dezember 1932, wonach nicht mehr der Reichskanzler, sondern der Präsident des Reichsgerichts, Erwin Bumke, Stellvertreter des Reichspräsidenten sein solle; Bumke galt als politisch schwach und beeinflußbar. Daß im März 1933 die Abgeordneten der KPD teils verhaftet, teils flüchtig waren, hinderte sie zwar an einer Stimmabgabe gegen das "Ermächtigungsgesetz" (nach Strenge legal im Sinne "des Legalitätsverständnisses eines Wilhelm Frick"), verhinderte aber auch die Beschlußfähigkeit des Reichstags. Frick setzte eine Änderung der Geschäftsordnung durch, wonach alle unentschuldigt fehlenden Abgeordneten als anwesend gezählt wurden. Für Frick sei mit dem Ermächtigungsgesetz der "legale Weg" noch nicht vollendet gewesen. Er wünschte die neuen Machtverhältnisse in einer neuen Verfassung festzuschreiben. Hitler hatte daran kein Interesse. Dies allerdings weniger, weil er ein "Cunctator" war, sondern weil er die Selbstbindung durch eine Kodifikation scheute. (Irene Strenge: Machtübernahme 1933 - Alles auf legalem Weg? Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2002. 233 Seiten, 24,- [Euro].)
FRIEDRICH-CHRISTIAN SCHROEDER
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MACHTÜBERNAHME. Seit Hitlers geschickt inszeniertem Legalitätsbekenntnis im Ulmer Reichswehrprozeß 1930 wird darüber gestritten, ob die "Machtergreifung", später von Hitler lieber als "Machtübernahme" bezeichnet, legal erfolgte oder nicht. Nach Irene Strenge beruhte sie auf einem wohldurchdachten Plan von Wilhelm Frick. Frick wurde 1930 in Thüringen Innen- und Volksbildungsminister. Als solcher absolvierte er eine Art "Testlauf in Sachen Machtergreifung". Ein von ihm durchgesetztes thüringisches Ermächtigungsgesetz, das die Versetzung von Beamten in den Wartestand erlaubte, wurde vom Reichsgericht für verfassungswidrig erklärt. Hieraus habe Frick gelernt, daß das spätere Reichsermächtigungsgesetz eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit brauchen würde. Der "Preußenschlag" vom Juli 1932 mit der Bindung der preußischen Polizei an die Reichsregierung und der Verkündung des militärischen Ausnahmezustands diente ihm als Vorbild für die "Reichstagsbrandverordnung", für die Strenge allein Frick verantwortlich macht. Den wesentlichen Grund für die Bereitschaft Paul von Hindenburgs, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, sieht sie weniger in den Einflüsterungen einer Kamarilla als in der Drohung Fricks, den Reichspräsidenten vor dem Staatsgerichtshof wegen dessen Mitwirkung an der verfassungsrechtlich zweifelhaften Notverordnungspraxis anzuklagen. In diesem Zusammenhang sieht Strenge auch die Einbringung eines Gesetzentwurfs im Dezember 1932, wonach nicht mehr der Reichskanzler, sondern der Präsident des Reichsgerichts, Erwin Bumke, Stellvertreter des Reichspräsidenten sein solle; Bumke galt als politisch schwach und beeinflußbar. Daß im März 1933 die Abgeordneten der KPD teils verhaftet, teils flüchtig waren, hinderte sie zwar an einer Stimmabgabe gegen das "Ermächtigungsgesetz" (nach Strenge legal im Sinne "des Legalitätsverständnisses eines Wilhelm Frick"), verhinderte aber auch die Beschlußfähigkeit des Reichstags. Frick setzte eine Änderung der Geschäftsordnung durch, wonach alle unentschuldigt fehlenden Abgeordneten als anwesend gezählt wurden. Für Frick sei mit dem Ermächtigungsgesetz der "legale Weg" noch nicht vollendet gewesen. Er wünschte die neuen Machtverhältnisse in einer neuen Verfassung festzuschreiben. Hitler hatte daran kein Interesse. Dies allerdings weniger, weil er ein "Cunctator" war, sondern weil er die Selbstbindung durch eine Kodifikation scheute. (Irene Strenge: Machtübernahme 1933 - Alles auf legalem Weg? Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2002. 233 Seiten, 24,- [Euro].)
FRIEDRICH-CHRISTIAN SCHROEDER
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