In einer Gegend, die es "hinter sich hat", ist Meister Flick unter die Arbeitslosen geraten. War er einst bei Havarien im Tagebau der Niederlausitz gefragt, wird er jetzt, mit 60, auf dem Amt vorstellig. Bereitwillig übernimmt er jeden Auftrag: Abfallbeseitigung in den Gruben, Museumswärter und sonstige 1-Euro-Jobs. Wird er nicht vermittelt, beschäftigt er sich selbst und nimmt einem Bautrupp die Schaufeln ab, setzt bestreikte Werkhallen in Gang oder hilft einer Frau beim Sterben. Wurde Flick früher zu Unfällen gerufen, führt er selbst jetzt die Katastrophen herbei. Trotz bester Absicht füllt sich sein Schichtbuch mit seltsamen Einsätzen: Die Arbeitswelt, in der er seinen Platz sucht, gibt es nicht mehr. Begleitet wird er von Luten, seinem Enkel und Gegenpart, der die Arbeit nicht gerade erfunden hat.Flick von Lauchhammer rennt in 48 Schwänken gegen die globalen Windräder an: ein komisch-philosophisches Schelmenstück in der Welt der "Arbeit nach der Arbeit", eine moderne Donquichotterie und große und heiter glänzende Literatur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2008Rackern, bis der Hartz kommt
Verknallt ins Bruttosozialprodukt: Volker Brauns Meister Flick ist ein Werktätiger, wie er im Buche steht - kann nichts, aber macht alles. Ein neobarocker Schwank für das Heute.
Von Friedmar Apel
Schelmenromane treten seit dem sechzehnten Jahrhundert regelmäßig dann prominent auf den Plan, wenn die Welt dem Individuum so verworren oder verworfen erscheint, dass es seinen Platz darin nicht mehr finden kann oder mag. Traditionell hat der Held zwei Möglichkeiten: Er kann die Welt schalkhaft und zu seinem Vorteil der Falschheit überführen oder ihr mit Hauen und Stechen zu Leibe rücken, ohne dabei mehr gewinnen zu können als Selbstbehauptung und Selbstachtung. Volker Braun rüstet seinen ernsten Simpel beim Erscheinen auf der amtlichen Szenerie jedoch mit Schutzhelm, Karabinerhaken und schwerem Werkzeug aus.
Meister Flick aus Lauchhammer in der Lausitz war zu DDR-Zeiten Experte im Bergbau; "man rief ihn: in der Not, wenn die Arbeit nicht weiterging, oft genug, daß er bekannt war in der ganzen Knappschaft". Die Lausitz aber hatte nach der Wende die Arbeit bald hinter sich, und er, dem sie "oberstes Lebensbedürfnis" war, wird nicht mehr gebraucht. Das will er, "schwer von Begriff", nicht akzeptieren. So berührt ihn das Wunder von Hartz IV wie etwas Großes und Feierliches. Arbeit ist angeblich keine da, aber die Untätigen sollen doch etwas tun: für einen Euro die Stunde, "die dennoch 60 Minuten behielt, ein Taschentrick, der das Publikum sprachlos machte". Wo sich die ausgebüchste Arbeit versteckt hält, ist das Geheimnis, das auf dem Amt jeden Tag neu gelüftet wird.
Meister Flick versteht zwar nichts, aber er geht an die Arbeit, wo immer sie sich findet beziehungsweise amtlich in Person von Frau Windisch ersonnen wird. Aufräumen im Sperrgebiet, Anstreichen im Bordell, Wachen über die Ausstellung im Hamburger Bahnhof. Als bestellter Zuschauer und Akteur wird er an der Berliner Volksbühne tätig, "die sich selber Arbeit beschaffte, indem sie alte Stücke zerhackte und wieder zusammenleimte". Bis nach Paris und Apulien gar verschlägt es den arbeitslosen Meister. Immer und überall bringt der Arbeiteraristokrat - den nichtsnutzigen, aber gerechten Enkel stets an seiner Seite - bei seinen Einsätzen alles schlimmer durcheinander als der Junker von La Mancha mit seinem braven Knappen. Die Form des Schelmenromans gestaltet Volker Braun mit einem neobarocken Kunstidiom aus, in eins gearbeitet aus der Lausitzer Volkssprache, biblischen Bildern und dem Jargon aus Bürokratie, Politik, Ökonomie und Ökologie, gelegentlich versetzt mit allerlei Reimwerk, beklagend die Vergeblichkeit des "Freudenelends" dieser Welt. Der umständlich Worte und Wendungen wägende Erzähler hält sich in Distanz, scheint aber eine gewisse Lust an der Zuspitzung fortgesetzter Missverständnisse zu haben.
Der Durchblick fehlt auch ihm. Es gibt aber noch den "Verf.", der seinem Erzähler sprachlich nicht fernsteht, aber noch allerlei mehr oder minder verarmtes Zitatgut nebst Reflexionen über den wankenden Weltkreis beisteuert. Er scheint es ernst zu meinen mit "der Not, die er gegeben sieht", macht aber schließlich auch einen recht ratlosen Eindruck. Der gute Flick wird am Ende mit seinem sorgfältig in Öllappen gewickelten Werkzeug begraben. Das taugt als Allegorie für die vorsichtig geäußerte Meinung des Verf., dass die eigentliche Arbeit noch gar nicht begonnen hat und dass es auch nach dem Tod der Utopien noch ein Prinzip Hoffnung gibt, deren Vorschein hier und da im Chaos aufblitzt. Dem Schwank für Schwank bereits von den Manierismen ermüdeten Leser scheint aber eher, dass der Held irgendwann weg musste, weil auch Verf. nichts mehr mit ihm anfangen konnte, was ein bitterer Kommentar wäre. Zu seriell und additiv werden seine Abenteuer präsentiert, mehr Bedarf am Tumult abgewickelter Menschheit, "gerupft und gewalkt, gerissen und gerieben", und an folglicher Papierverarbeitung hat der Leser schon vor Ende des Buches nicht mehr.
Der Meister fasst zu, Verf. hat auch angestrengt gewerkelt, aber den Leser will das Geschehen nicht am Gemüt packen. Die satirische Darstellung der aussterbenden Arbeitsgesellschaft, die nur noch der Logik des Unfugs folgt, erregt nur selten das erwünschte "lebhaft erschütternde Lachen" über den allgemeinen Unverstand, sie wirkt angesichts der bedeutungsschwer aufgezählten globalen Probleme in vielen Episoden vielmehr eher läppisch.
Volker Braun beziehungsweise Verf. ist vielleicht inzwischen zu ausgewogen in seiner politischen Meinung und zu milde in der Beurteilung der gesellschaftlichen Torheit, um dem Genre des Schelmenromans noch einmal komisch zersetzende Kraft zu verleihen. Das Übermaß an sprachlichem Machwerk könnte dann als Symptom allzu gebändigter Empörung erscheinen. So mag sich über das Buch hinweg anzeigen, dass der gegenwärtigen Krise das Schwanken angemessen ist, nicht aber die Tradition des Schwanks.
Volker Braun: "Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 225 S., geb. 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verknallt ins Bruttosozialprodukt: Volker Brauns Meister Flick ist ein Werktätiger, wie er im Buche steht - kann nichts, aber macht alles. Ein neobarocker Schwank für das Heute.
Von Friedmar Apel
Schelmenromane treten seit dem sechzehnten Jahrhundert regelmäßig dann prominent auf den Plan, wenn die Welt dem Individuum so verworren oder verworfen erscheint, dass es seinen Platz darin nicht mehr finden kann oder mag. Traditionell hat der Held zwei Möglichkeiten: Er kann die Welt schalkhaft und zu seinem Vorteil der Falschheit überführen oder ihr mit Hauen und Stechen zu Leibe rücken, ohne dabei mehr gewinnen zu können als Selbstbehauptung und Selbstachtung. Volker Braun rüstet seinen ernsten Simpel beim Erscheinen auf der amtlichen Szenerie jedoch mit Schutzhelm, Karabinerhaken und schwerem Werkzeug aus.
Meister Flick aus Lauchhammer in der Lausitz war zu DDR-Zeiten Experte im Bergbau; "man rief ihn: in der Not, wenn die Arbeit nicht weiterging, oft genug, daß er bekannt war in der ganzen Knappschaft". Die Lausitz aber hatte nach der Wende die Arbeit bald hinter sich, und er, dem sie "oberstes Lebensbedürfnis" war, wird nicht mehr gebraucht. Das will er, "schwer von Begriff", nicht akzeptieren. So berührt ihn das Wunder von Hartz IV wie etwas Großes und Feierliches. Arbeit ist angeblich keine da, aber die Untätigen sollen doch etwas tun: für einen Euro die Stunde, "die dennoch 60 Minuten behielt, ein Taschentrick, der das Publikum sprachlos machte". Wo sich die ausgebüchste Arbeit versteckt hält, ist das Geheimnis, das auf dem Amt jeden Tag neu gelüftet wird.
Meister Flick versteht zwar nichts, aber er geht an die Arbeit, wo immer sie sich findet beziehungsweise amtlich in Person von Frau Windisch ersonnen wird. Aufräumen im Sperrgebiet, Anstreichen im Bordell, Wachen über die Ausstellung im Hamburger Bahnhof. Als bestellter Zuschauer und Akteur wird er an der Berliner Volksbühne tätig, "die sich selber Arbeit beschaffte, indem sie alte Stücke zerhackte und wieder zusammenleimte". Bis nach Paris und Apulien gar verschlägt es den arbeitslosen Meister. Immer und überall bringt der Arbeiteraristokrat - den nichtsnutzigen, aber gerechten Enkel stets an seiner Seite - bei seinen Einsätzen alles schlimmer durcheinander als der Junker von La Mancha mit seinem braven Knappen. Die Form des Schelmenromans gestaltet Volker Braun mit einem neobarocken Kunstidiom aus, in eins gearbeitet aus der Lausitzer Volkssprache, biblischen Bildern und dem Jargon aus Bürokratie, Politik, Ökonomie und Ökologie, gelegentlich versetzt mit allerlei Reimwerk, beklagend die Vergeblichkeit des "Freudenelends" dieser Welt. Der umständlich Worte und Wendungen wägende Erzähler hält sich in Distanz, scheint aber eine gewisse Lust an der Zuspitzung fortgesetzter Missverständnisse zu haben.
Der Durchblick fehlt auch ihm. Es gibt aber noch den "Verf.", der seinem Erzähler sprachlich nicht fernsteht, aber noch allerlei mehr oder minder verarmtes Zitatgut nebst Reflexionen über den wankenden Weltkreis beisteuert. Er scheint es ernst zu meinen mit "der Not, die er gegeben sieht", macht aber schließlich auch einen recht ratlosen Eindruck. Der gute Flick wird am Ende mit seinem sorgfältig in Öllappen gewickelten Werkzeug begraben. Das taugt als Allegorie für die vorsichtig geäußerte Meinung des Verf., dass die eigentliche Arbeit noch gar nicht begonnen hat und dass es auch nach dem Tod der Utopien noch ein Prinzip Hoffnung gibt, deren Vorschein hier und da im Chaos aufblitzt. Dem Schwank für Schwank bereits von den Manierismen ermüdeten Leser scheint aber eher, dass der Held irgendwann weg musste, weil auch Verf. nichts mehr mit ihm anfangen konnte, was ein bitterer Kommentar wäre. Zu seriell und additiv werden seine Abenteuer präsentiert, mehr Bedarf am Tumult abgewickelter Menschheit, "gerupft und gewalkt, gerissen und gerieben", und an folglicher Papierverarbeitung hat der Leser schon vor Ende des Buches nicht mehr.
Der Meister fasst zu, Verf. hat auch angestrengt gewerkelt, aber den Leser will das Geschehen nicht am Gemüt packen. Die satirische Darstellung der aussterbenden Arbeitsgesellschaft, die nur noch der Logik des Unfugs folgt, erregt nur selten das erwünschte "lebhaft erschütternde Lachen" über den allgemeinen Unverstand, sie wirkt angesichts der bedeutungsschwer aufgezählten globalen Probleme in vielen Episoden vielmehr eher läppisch.
Volker Braun beziehungsweise Verf. ist vielleicht inzwischen zu ausgewogen in seiner politischen Meinung und zu milde in der Beurteilung der gesellschaftlichen Torheit, um dem Genre des Schelmenromans noch einmal komisch zersetzende Kraft zu verleihen. Das Übermaß an sprachlichem Machwerk könnte dann als Symptom allzu gebändigter Empörung erscheinen. So mag sich über das Buch hinweg anzeigen, dass der gegenwärtigen Krise das Schwanken angemessen ist, nicht aber die Tradition des Schwanks.
Volker Braun: "Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 225 S., geb. 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Jörg Magenau mochte den neuen Roman von Volker Braun, den er als Schelmen- und Abenteuerroman aus der untergegangenen Arbeitswelt der ebenfalls untergegangenen DDR gelesen hat, und den er dem "fantastischen Realismus" zugeordnet wissen will. Er mochte auch den Protagonisten, Meister Flick, der mit seinem "nutzlosen" Enkel die verödeten Industrielandschaften des Romans (und der Gegend um Bitterfeld) durchstreift wie Don Quichote mit Sancho Pansa. Man muss ihn sich Magenau zufolge wie einen altgewordenen Manfred Krug aus dem Film "Spur der Steine" vorstellen. Die Windmühlen sind hier, wie man liest, neuzeitliche Windräder, Meister Flick gehört allerdings gerade nicht zur ökologischen Avantgarde. Die von Arbeit gezeichnete und zerstörte Landschaft ist ihm lieber als die Natur, erzählt Magenau. Er findet Volker Brauns literarische Technik bemerkenswert, einerseits zu erzählen und sich als "der Verf." auf einer zweiten Ebene zusätzlich einzuschalten. Und er freut sich immer wieder auch an Brauns lyrischem Temperament, das er aus dessen "quirligen Sätzen" hervorspudeln sieht. Manchmal allerdings wird das Bizarre und Verschnörkelte dieses in viele kleine Kapitel und Schwänke unterteilten Romans und seiner Sprache dem Rezensenten etwas zu viel.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Das Werk lässt sich mit Genuss verschlingen und bleibt doch öfter im Halse stecken, so zur Kenntlichkeit entstellt sind in der Satire die Ereignisse.« Rolf-Bernhard Essig DIE ZEIT