Emma Bovary is beautiful and bored, trapped in her marriage to a mediocre doctor and stifled by the banality of provincial life. She longs for passion and seeks escape in fantasies of high romance, in voracious spending and, eventually, in adultery. But even her affairs bring her disappointment and the consequences are devastating.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012Nun nennt sie doch schon ein Schaf, diese Frau!
Die Stilbesessenheit von Gustave Flaubert ist legendär. Nun hat Elisabeth Edl seine "Madame Bovary" zum ersten Mal angemessen ins Deutsche gebracht.
Von Niklas Bender
Die Moderne ist so individualistisch, dass sie jedem eine Privathölle gönnt. Auch das Motto "Lasst jede Hoffnung, wenn ihr eingetreten" (Dante, "Inferno" III, 9) wird persönlich, zumindest nach Berufsgruppen gestaltet. Hier die Variante für Übersetzer: ". . . ich musste viel Zement wegnehmen, der zwischen den Steinen hervor lief, und die Steine mussten verdichtet werden, damit die Fugen verschwinden. Prosa muss gerade stehen vom Anfang bis zum Ende, wie eine Mauer, die ihre Verzierung bis ins Fundament trägt, so dass sich in der Perspektive eine große glatte Linie ergibt." (2. Juli 1853).
In der Phantasie mag sich die Mauer bauen lassen, in der Realität wird das Ideal zur Qual: "Ach! Wie viele Male bin ich wieder zu Boden gefallen, mit blutenden Fingernägeln, gebrochenen Rippen, brummendem Kopf, nachdem ich versucht hatte, auf diese Marmormauer zu klettern!" (31. Januar 1852). So schreibt Gustave Flaubert (1821 bis 1880) seiner Geliebten Louise Colet während der Arbeit an "Madame Bovary", seinem epochalen Erstling. Und betont am 6. August 1857 vor Beginn des Folgewerks "Salammbô": "Und die Qualen des Satzes werden beginnen, die Foltern der Assonanz, die Torturen der Periode!" Übersetzer, du bist gewarnt!
Flauberts Stilbesessenheit - er kann Tage über Sätzen verbringen, die "Bovary" kostet ihn fünf harte Jahre - ist legendär. Dabei geht es um simple Dinge: "Madame Bovary" ist ein Roman über das banalste Thema des neunzehnten Jahrhunderts, über eine Ehebrecherin in der Provinz. Die schwärmerische Emma Bovary verzweifelt am Alltag auf dem platten normannischen Land. Die Ehe mit Charles, einem freundlichen, aber schlichten Sanitätsbeamten, ist eine Enttäuschung; sie betrügt ihn erst mit dem virilen Aufschneider Rodolphe, dann mit dem Romantiker Léon. Weder Sex noch Religion, noch Konsum bringen Erfüllung; als Emma in Geldnot gerät, bringt sie sich um.
Wenn Flaubert sich mit dem Erzählen quält, dann nicht, weil er eine sprachverliebte Attitüde pflegt. Seine Haltung entspringt Notwendigkeiten, die ein Übersetzer in allen Konsequenzen begriffen haben muss. Elisabeth Edl, der deutschsprachige Brückenkopf der französischen Literatur, hat das - wohl als Erste überhaupt. Darum ist ihre Neuübersetzung von "Madame Bovary" ein Ereignis.
Was treibt Flaubert an? Erstens ist "Roman" Mitte des neunzehnten Jahrhunderts noch ein Synonym für Unterhaltungsliteratur. Flaubert will dem vielgelesenen und vielgeschmähten Genre endlich den Adelstitel verleihen. Dazu jedoch muss die Prosa das Niveau von Verssprache erreichen. Zweitens soll sein Roman unpersönlich sein, also ohne erkennbaren Erzähler auskommen. Folglich muss die Sprache sich den Figuren anpassen, in ihre Köpfe schlüpfen, Gedanken und Gefühle einhüllen wie ein Gazeschleier: Die Figuren tragen den Blick auf das Geschehen. Der innovative Einsatz der erlebten Rede ist das Mittel, der moderne Roman das Resultat. Drittens will Flaubert die Realität zwar erfassen, aber ihren Zumutungen entfliehen: Das Dilemma löst er, indem er (wie Baudelaire in der Lyrik) über hässliche Dinge schön schreibt.
Folglich ziseliert er die Sprache wie wenige vor und wenige nach ihm. Um im Bild zu bleiben: Flaubert glättet seine Mauer mit der Nagelfeile. Aus einem Verstoß gegen die gute Sitte macht er einen wunderschönen Roman - eine Unabhängigkeitserklärung der Literatur an Moral, Kirche, Gesellschaft. Für die Zeitgenossen ein Skandal, der Flaubert einen Prozess wegen "Verletzung der öffentlichen Moral und der Religion" einbrachte. Es ist eines von vielen Verdiensten der Edl-Ausgabe, die Prozessakten im Anhang beizufügen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Seit der maßgeblichen Charpentierausgabe von 1873 waren sie auf Wunsch Flauberts in französischen Editionen dabei. In den deutschen nicht - unverständlich.
Das war nicht das Schlimmste. Nach der Lektüre von Edls Übertragung sowie ihren luziden Anmerkungen "Zu Sprache und Übersetzung" fragt man sich: Warum hat niemand den Stilfanatiker ernst genommen? Nicht, dass es in den vergangenen 150 Jahren an Übertragungen gemangelt hätte: Die erste, von Dr. Legné (wohl Dr. Engel), erschien 1858, die letzte, vielgelobte von Caroline Vollmann 2001. Dazwischen liegen Dutzende - Deutschland ist ein Land von Übersetzern. Sie alle sündigen durch Sorglosigkeit. Sicher, Edl hat die Gnade der späten Geburt: Sie konnte sich der elektronischen Fassung aller Vorstufen und Entwürfe bedienen, die das Centre Flaubert de Munich ins Internet stellt (F.A.Z. vom 25. Mai 2009). Das allein erklärt das Scheitern der anderen aber nicht.
Woran lag es? An Goethe. Flaubert verehrte den Deutschen ein Leben lang, setzte ihn zu Shakespeare und Homer in seinen Olymp. Eine der "Maximen und Reflexionen" zitierte er besonders gern: "Bei jedem Kunstwerk, groß oder klein, bis ins Kleinste kommt alles auf die Conception an." Den Satz wendete Flaubert stilistisch, Idee und Wort verschmelzen. Darum gilt umgekehrt: Wer die Worte und ihre Fügung nicht achtet, zerstört die "Conception". Goethes Maxime sollte jede deutsche Übertragung schmücken.
Edl zeigt ihre Kunst an einem schönen Beispiel: Emmas Ankunft in Yonville-l'Abbaye. Die junge Frau wärmt sich am Herbergsfeuer, ihr künftiger Liebhaber Léon sieht zu: "Als Madame Bovary in der Küche war, trat sie an den Kamin. Mit zwei Fingerspitzen ergriff sie ihr Kleid in der Höhe des Knies, zog es hinauf bis zu den Knöcheln, und so, nah der Flamme, über der sich drehenden Lammkeule, wärmte sie ihren Fuß in seinem schwarzen Stiefelchen." Was kann man da falsch wiedergeben? Zum Beispiel den Satzbau. Im Original gleitet der, wie Edl schreibt, "gleichsam voyeuristische Blick" Léons über Emma und endet beim Stiefelchen. Bein, Feuer, Keule - ein Bild der Leidenschaft. Man nehme hinzu, dass Flaubert Fußfetischist ist, und erkennt: Es liegt eine Klimax vor, die im Stiefelchen gipfelt.
Ähnlich pointiert ist die Beschreibung der Heldin auf der Landwirtschaftsmesse, diesmal durch Rodolphes Augen. Andere Übersetzer wählen eine leichtere Lösung und lassen den zweiten Satz mit Flamme oder Keule enden; die deutsche Syntax legt es schließlich nahe. Sie ignorieren das Entscheidende: wer schaut, was den Blick motiviert, welchen Symbolgehalt Objekte oder Figuren haben, wie der Autor sie sprachlich gruppiert.
Doppeldeutigkeiten sind ebenso essentiell: Wo kein Erzähler kommentiert, muss der Kontext den Sinn suggerieren. So in der bekannten Droschkenszene: Léon verführt Emma im Innern, der Leser ahnt es nur, blickt von außen auf die Kutsche, welche scheinbar sinnlos durch Rouen rast. Die Abfahrt ist bedeutungsschwanger: "Et la lourde machine se mit en route." Es ist klar: Der Satz meint beides, Droschken- und Liebesmechanik, darum überzeugt "Gefährt" für machine nicht. Edl bewahrt die Ambivalenz: "Und die schwere Maschinerie setzte sich in Gang." Ähnlich im berühmtesten Kapitel, der Landwirtschaftsmesse: Rodolphe macht Emma Avancen, während ein Präfekturrat eine Rede hält und Preise vergeben werden. Man höre, so Flaubert am 12. Oktober 1853, "gleichzeitig Stiergebrüll, Liebesseufzer und Beamtenphrasen": Der Kontext entlarvt das romantische Geplapper. Rodolphe: "Hundertmal wollte ich weggehen, und ich bin ihnen gefolgt, bin geblieben." Es folgt die Preiskategorie: "Fumiers." Andere Übersetzer schreiben gern "Dünger" - der Kommentar geht verloren. Edl rettet ihn: "Mist." Wenn kurz darauf eine Magd als "bête" bezeichnet wird, dann ist "dumm" nicht falsch, aber "Schaf" liefert die Bedeutung "Tier", die in bête steckt, mit. Schließlich: Jenseits der Wortspiele ist stets zu bedenken, dass Flaubert Assonanzen, Wiederholungen und Vergleiche rigoros ausmerzte. Wer da doigts gantés mit "behandschuhten Händen" übersetzt (wie Vollmann), begeht ein kleines Verbrechen.
Diese Fragen sind nicht lässlich: Es geht ums Eingemachte. Die Konsequenz freilich ist grausam: Der Übersetzer muss nicht nur das Französische perfekt verstehen, sondern auch ein kluger Interpret und ein begabter Stilist und Stilist sein. Er muss über intellektuelle und sprachliche Präzisionsinstrumente verfügen, um Flauberts Sprachregungen so minutiös folgen zu können wie der Schriftsteller denen seiner Figuren. Einerseits: Der Preis ist hoch und nicht verhandelbar. Andererseits: Es gibt ein Publikum für anspruchsvolle Klassikerübersetzungen, der Hanser Verlag hat das verstanden.
Nun lässt sich selbst Edls Übersetzung diskutieren. Abermals zur Landwirtschaftsmesse: Warum ist der Apotheker Homais, Prototyp des Bourgeois, "stolz wie ein Gockel", wo das Original nur sein jarret tendu (durchgedrückte Kniekehle) nennt? Sicher, steht das Glied für den Menschen, dann meint es Kraft, Schwung; zudem legen Kontext und Ausdruck ein Tier nah. Aber der Ausdruck "fier comme un coq" existiert im Französischen - Flaubert benutzt ihn eben nicht, beschimpft generell Vergleiche als Läuse.
Ähnliches gilt an anderer Stelle, Edl geht erklärtermaßen Risiken ein: "Immer wieder muss zwangsläufig vom bloß lexikalischen Wortlaut Flauberts abgewichen werden, um den literarischen Sinn seiner Sätze zu bewahren." Das soll sie bitte auch: Ihre Übersetzung trägt ihre Kritik allein deshalb in sich, weil sie selbst es ist, die den Leser lehrt, noch auf Details zu achten, Original und Übertragung immerfort in einen Dialog zu bringen. Genau das soll eine Übersetzung erreichen: Elisabeth Edl gelingt es.
Gustave Flaubert: "Madame Bovary". Sitten in der Provinz. Roman.
Hrsg. und übersetzt von Elisabeth Edl. Carl Hanser Verlag, München 2012. 760 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Stilbesessenheit von Gustave Flaubert ist legendär. Nun hat Elisabeth Edl seine "Madame Bovary" zum ersten Mal angemessen ins Deutsche gebracht.
Von Niklas Bender
Die Moderne ist so individualistisch, dass sie jedem eine Privathölle gönnt. Auch das Motto "Lasst jede Hoffnung, wenn ihr eingetreten" (Dante, "Inferno" III, 9) wird persönlich, zumindest nach Berufsgruppen gestaltet. Hier die Variante für Übersetzer: ". . . ich musste viel Zement wegnehmen, der zwischen den Steinen hervor lief, und die Steine mussten verdichtet werden, damit die Fugen verschwinden. Prosa muss gerade stehen vom Anfang bis zum Ende, wie eine Mauer, die ihre Verzierung bis ins Fundament trägt, so dass sich in der Perspektive eine große glatte Linie ergibt." (2. Juli 1853).
In der Phantasie mag sich die Mauer bauen lassen, in der Realität wird das Ideal zur Qual: "Ach! Wie viele Male bin ich wieder zu Boden gefallen, mit blutenden Fingernägeln, gebrochenen Rippen, brummendem Kopf, nachdem ich versucht hatte, auf diese Marmormauer zu klettern!" (31. Januar 1852). So schreibt Gustave Flaubert (1821 bis 1880) seiner Geliebten Louise Colet während der Arbeit an "Madame Bovary", seinem epochalen Erstling. Und betont am 6. August 1857 vor Beginn des Folgewerks "Salammbô": "Und die Qualen des Satzes werden beginnen, die Foltern der Assonanz, die Torturen der Periode!" Übersetzer, du bist gewarnt!
Flauberts Stilbesessenheit - er kann Tage über Sätzen verbringen, die "Bovary" kostet ihn fünf harte Jahre - ist legendär. Dabei geht es um simple Dinge: "Madame Bovary" ist ein Roman über das banalste Thema des neunzehnten Jahrhunderts, über eine Ehebrecherin in der Provinz. Die schwärmerische Emma Bovary verzweifelt am Alltag auf dem platten normannischen Land. Die Ehe mit Charles, einem freundlichen, aber schlichten Sanitätsbeamten, ist eine Enttäuschung; sie betrügt ihn erst mit dem virilen Aufschneider Rodolphe, dann mit dem Romantiker Léon. Weder Sex noch Religion, noch Konsum bringen Erfüllung; als Emma in Geldnot gerät, bringt sie sich um.
Wenn Flaubert sich mit dem Erzählen quält, dann nicht, weil er eine sprachverliebte Attitüde pflegt. Seine Haltung entspringt Notwendigkeiten, die ein Übersetzer in allen Konsequenzen begriffen haben muss. Elisabeth Edl, der deutschsprachige Brückenkopf der französischen Literatur, hat das - wohl als Erste überhaupt. Darum ist ihre Neuübersetzung von "Madame Bovary" ein Ereignis.
Was treibt Flaubert an? Erstens ist "Roman" Mitte des neunzehnten Jahrhunderts noch ein Synonym für Unterhaltungsliteratur. Flaubert will dem vielgelesenen und vielgeschmähten Genre endlich den Adelstitel verleihen. Dazu jedoch muss die Prosa das Niveau von Verssprache erreichen. Zweitens soll sein Roman unpersönlich sein, also ohne erkennbaren Erzähler auskommen. Folglich muss die Sprache sich den Figuren anpassen, in ihre Köpfe schlüpfen, Gedanken und Gefühle einhüllen wie ein Gazeschleier: Die Figuren tragen den Blick auf das Geschehen. Der innovative Einsatz der erlebten Rede ist das Mittel, der moderne Roman das Resultat. Drittens will Flaubert die Realität zwar erfassen, aber ihren Zumutungen entfliehen: Das Dilemma löst er, indem er (wie Baudelaire in der Lyrik) über hässliche Dinge schön schreibt.
Folglich ziseliert er die Sprache wie wenige vor und wenige nach ihm. Um im Bild zu bleiben: Flaubert glättet seine Mauer mit der Nagelfeile. Aus einem Verstoß gegen die gute Sitte macht er einen wunderschönen Roman - eine Unabhängigkeitserklärung der Literatur an Moral, Kirche, Gesellschaft. Für die Zeitgenossen ein Skandal, der Flaubert einen Prozess wegen "Verletzung der öffentlichen Moral und der Religion" einbrachte. Es ist eines von vielen Verdiensten der Edl-Ausgabe, die Prozessakten im Anhang beizufügen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Seit der maßgeblichen Charpentierausgabe von 1873 waren sie auf Wunsch Flauberts in französischen Editionen dabei. In den deutschen nicht - unverständlich.
Das war nicht das Schlimmste. Nach der Lektüre von Edls Übertragung sowie ihren luziden Anmerkungen "Zu Sprache und Übersetzung" fragt man sich: Warum hat niemand den Stilfanatiker ernst genommen? Nicht, dass es in den vergangenen 150 Jahren an Übertragungen gemangelt hätte: Die erste, von Dr. Legné (wohl Dr. Engel), erschien 1858, die letzte, vielgelobte von Caroline Vollmann 2001. Dazwischen liegen Dutzende - Deutschland ist ein Land von Übersetzern. Sie alle sündigen durch Sorglosigkeit. Sicher, Edl hat die Gnade der späten Geburt: Sie konnte sich der elektronischen Fassung aller Vorstufen und Entwürfe bedienen, die das Centre Flaubert de Munich ins Internet stellt (F.A.Z. vom 25. Mai 2009). Das allein erklärt das Scheitern der anderen aber nicht.
Woran lag es? An Goethe. Flaubert verehrte den Deutschen ein Leben lang, setzte ihn zu Shakespeare und Homer in seinen Olymp. Eine der "Maximen und Reflexionen" zitierte er besonders gern: "Bei jedem Kunstwerk, groß oder klein, bis ins Kleinste kommt alles auf die Conception an." Den Satz wendete Flaubert stilistisch, Idee und Wort verschmelzen. Darum gilt umgekehrt: Wer die Worte und ihre Fügung nicht achtet, zerstört die "Conception". Goethes Maxime sollte jede deutsche Übertragung schmücken.
Edl zeigt ihre Kunst an einem schönen Beispiel: Emmas Ankunft in Yonville-l'Abbaye. Die junge Frau wärmt sich am Herbergsfeuer, ihr künftiger Liebhaber Léon sieht zu: "Als Madame Bovary in der Küche war, trat sie an den Kamin. Mit zwei Fingerspitzen ergriff sie ihr Kleid in der Höhe des Knies, zog es hinauf bis zu den Knöcheln, und so, nah der Flamme, über der sich drehenden Lammkeule, wärmte sie ihren Fuß in seinem schwarzen Stiefelchen." Was kann man da falsch wiedergeben? Zum Beispiel den Satzbau. Im Original gleitet der, wie Edl schreibt, "gleichsam voyeuristische Blick" Léons über Emma und endet beim Stiefelchen. Bein, Feuer, Keule - ein Bild der Leidenschaft. Man nehme hinzu, dass Flaubert Fußfetischist ist, und erkennt: Es liegt eine Klimax vor, die im Stiefelchen gipfelt.
Ähnlich pointiert ist die Beschreibung der Heldin auf der Landwirtschaftsmesse, diesmal durch Rodolphes Augen. Andere Übersetzer wählen eine leichtere Lösung und lassen den zweiten Satz mit Flamme oder Keule enden; die deutsche Syntax legt es schließlich nahe. Sie ignorieren das Entscheidende: wer schaut, was den Blick motiviert, welchen Symbolgehalt Objekte oder Figuren haben, wie der Autor sie sprachlich gruppiert.
Doppeldeutigkeiten sind ebenso essentiell: Wo kein Erzähler kommentiert, muss der Kontext den Sinn suggerieren. So in der bekannten Droschkenszene: Léon verführt Emma im Innern, der Leser ahnt es nur, blickt von außen auf die Kutsche, welche scheinbar sinnlos durch Rouen rast. Die Abfahrt ist bedeutungsschwanger: "Et la lourde machine se mit en route." Es ist klar: Der Satz meint beides, Droschken- und Liebesmechanik, darum überzeugt "Gefährt" für machine nicht. Edl bewahrt die Ambivalenz: "Und die schwere Maschinerie setzte sich in Gang." Ähnlich im berühmtesten Kapitel, der Landwirtschaftsmesse: Rodolphe macht Emma Avancen, während ein Präfekturrat eine Rede hält und Preise vergeben werden. Man höre, so Flaubert am 12. Oktober 1853, "gleichzeitig Stiergebrüll, Liebesseufzer und Beamtenphrasen": Der Kontext entlarvt das romantische Geplapper. Rodolphe: "Hundertmal wollte ich weggehen, und ich bin ihnen gefolgt, bin geblieben." Es folgt die Preiskategorie: "Fumiers." Andere Übersetzer schreiben gern "Dünger" - der Kommentar geht verloren. Edl rettet ihn: "Mist." Wenn kurz darauf eine Magd als "bête" bezeichnet wird, dann ist "dumm" nicht falsch, aber "Schaf" liefert die Bedeutung "Tier", die in bête steckt, mit. Schließlich: Jenseits der Wortspiele ist stets zu bedenken, dass Flaubert Assonanzen, Wiederholungen und Vergleiche rigoros ausmerzte. Wer da doigts gantés mit "behandschuhten Händen" übersetzt (wie Vollmann), begeht ein kleines Verbrechen.
Diese Fragen sind nicht lässlich: Es geht ums Eingemachte. Die Konsequenz freilich ist grausam: Der Übersetzer muss nicht nur das Französische perfekt verstehen, sondern auch ein kluger Interpret und ein begabter Stilist und Stilist sein. Er muss über intellektuelle und sprachliche Präzisionsinstrumente verfügen, um Flauberts Sprachregungen so minutiös folgen zu können wie der Schriftsteller denen seiner Figuren. Einerseits: Der Preis ist hoch und nicht verhandelbar. Andererseits: Es gibt ein Publikum für anspruchsvolle Klassikerübersetzungen, der Hanser Verlag hat das verstanden.
Nun lässt sich selbst Edls Übersetzung diskutieren. Abermals zur Landwirtschaftsmesse: Warum ist der Apotheker Homais, Prototyp des Bourgeois, "stolz wie ein Gockel", wo das Original nur sein jarret tendu (durchgedrückte Kniekehle) nennt? Sicher, steht das Glied für den Menschen, dann meint es Kraft, Schwung; zudem legen Kontext und Ausdruck ein Tier nah. Aber der Ausdruck "fier comme un coq" existiert im Französischen - Flaubert benutzt ihn eben nicht, beschimpft generell Vergleiche als Läuse.
Ähnliches gilt an anderer Stelle, Edl geht erklärtermaßen Risiken ein: "Immer wieder muss zwangsläufig vom bloß lexikalischen Wortlaut Flauberts abgewichen werden, um den literarischen Sinn seiner Sätze zu bewahren." Das soll sie bitte auch: Ihre Übersetzung trägt ihre Kritik allein deshalb in sich, weil sie selbst es ist, die den Leser lehrt, noch auf Details zu achten, Original und Übertragung immerfort in einen Dialog zu bringen. Genau das soll eine Übersetzung erreichen: Elisabeth Edl gelingt es.
Gustave Flaubert: "Madame Bovary". Sitten in der Provinz. Roman.
Hrsg. und übersetzt von Elisabeth Edl. Carl Hanser Verlag, München 2012. 760 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main