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19 Jahre lang war Madame Pompadour die Mätresse Ludwigs XV. Von qualvollem Ehrgeiz und leidenschaftlicher Machtgier getrieben, verlieh sie dem 18. Jahrhundert ihr eigenes, charakteristisches Gepräge. Dieses Buch ist mehr eine literarische Trouvaille als eine Biographie im herkömmlichen Sinn. Aus einer Fülle von Dokumenten, Briefen, Memoiren, Journalen, aus den "Archiven der menschlichen Leidenschaften" haben die Brüder Goncourt das Charakterbild der Madame Pompadour zusammengefügt. Sie skizzieren den Kampf des Bürgertums gegen den Adel, den Sturmlauf des Dritten Standes gegen das königliche…mehr

Produktbeschreibung
19 Jahre lang war Madame Pompadour die Mätresse Ludwigs XV. Von qualvollem Ehrgeiz und leidenschaftlicher Machtgier getrieben, verlieh sie dem 18. Jahrhundert ihr eigenes, charakteristisches Gepräge. Dieses Buch ist mehr eine literarische Trouvaille als eine Biographie im herkömmlichen Sinn. Aus einer Fülle von Dokumenten, Briefen, Memoiren, Journalen, aus den "Archiven der menschlichen Leidenschaften" haben die Brüder Goncourt das Charakterbild der Madame Pompadour zusammengefügt. Sie skizzieren den Kampf des Bürgertums gegen den Adel, den Sturmlauf des Dritten Standes gegen das königliche Gottesgnadentum, sie schildern, wie eine Frau dunkler Herkunft mit amouröser Geste und mit kraftvoller Entschiedenheit dem absoluten Herrscher das Zepter entreißt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Aus dem Arbeitsleben einer Trauerente
Edmond und Jules de Goncourt sezieren ein Herz ohne Gnade: Das Leben der Madame Pompadour / Von Thomas Wirtz

Das Beben der Französischen Revolution begann 1745 in Versailles. Die Geschichtsseismographen Edmond und Jules de Goncourt haben sein Epizentrum genau lokalisiert. Es ist das Bett des Königs. Dort hielt in diesem Jahr die erste Bürgerliche ihren Einzug, deren zweifelhafte Herkunft auch der nachträgliche Titel einer Madame Pompadour nur notdürftig verkleiden konnte. Der Hof duldete alle Formen der Unzucht, solange das Dekorum der Genealogie gewahrt blieb. Auch Perversionen hatten ihre Stammbäume. Deshalb war dieser "Bissen für den König" einer, der dem Adel im Halse steckenblieb. Bis zu ihrem Tode 1764 versuchte man vergeblich, sich des bürgerlichen Agent provocateur zu entledigen. Als der Totenkarren dann Versailles verließ , durfte man für fünfundzwanzig Jahre noch einmal durchatmen. Danach wurde unter dem Fallbeil die Luft endgültig knapp.

Die Biographie dieser "Königin des Rokoko" kommt mit theorieentlasteter Verspieltheit daher. Zwängt sie sich überhaupt in das Korsett einer Argumentation, so ist es die Behauptung einer bürgerlichen Unterwanderung der Hofwelt. So planvoll die junge Frau ihre Begegnung mit dem König herbeiführte, so gezielt saugten ihre neureichen Standesgenossen an den Geldadern des Staates. Die königliche Matratze ist nur der vorgeschobene Horchposten für den lautlosen Umsturz. Mit interessiertem Widerwillen beobachten die Goncourts, wie diese vielseitig ausgebildete Bürgerliche geschickt ihre Vivisektion des altadeligen Körpers betreibt. Sie verabscheuen den Herrschaftswillen, dem der dritte Stand sich selbst zuerst unterwirft. Denn die leichte Miene, mit der zuvor Bonmots den Gegner ohrfeigten, verzerrt er zur angestrengten Grimasse. Arbeit steht diesen Emporkömmlingen als Kainsmal auf der Stirn geschrieben. Es macht ihre Tanzbewegungen ungelenk und das Kartengeben am Spieltisch zur Akkordleistung. Während des Hofballs begleitet die Bürgerlichen unhörbar das Ticken der inneren Stechuhr.

Gerade auch der eigene Körper wird dieser Selbstdisziplin unterworfen. Die lange Herrschaft der Pompadour gründete auf der Verachtung, mit der sie das Geschäft der Liebe betrieb. Sie selbst sprach von ihrer "trauerentenhaften" Kälte, die sie zur Verführung antreiben mußte. Nur dieser Wille zur Arbeit sicherte ihrer Geschmacksdiktatur die Dauer. Gerade weil ihr jeden Tag der Gunstentzug drohte, kannten ihre Bemühungen um Ludwig XV. keine Ferien. Auf die ungesicherte Existenz einer Mätresse reagierte die Bürgerliche standesgemäß: mit einem Arbeitsethos, dem Max Weber eine Fußnote hätte widmen müssen. Gegen diese Erwerbsgier und ein "Herz ohne Gnade" war Versailles machtlos. Die Überheblichkeit der Goncourts liebte diesen Park der überlebten Aristokraten und schrieb ihm dennoch den Grabspruch. Ihr Buch über die Pompadour ist eine sentimentalische Biographie, die den Untergang einer Welt für die Länge einer Lektüre verzögert.

Der Adel siechte an einer Langeweile dahin, die von der Pompadour nicht vertrieben, wohl aber besser organisiert wurde. Bei ihr sah das gähnende Nichts zumindest reizend aus. Die Liebesdame entpuppte sich damit zugleich als Totengräberin einer Gesellschaft, der nicht mehr zu helfen war. Daß die Goncourts Bücher über Mätressen schrieben - so auch über die Nachfolgerin, Mme du Barry -, erklärt sich aus ihrer Misogynie.

Schon eine Seite aus dem gemeinsam geführten Tagebuch der Brüder lehrt, daß erst der Ekel ihren sezierenden Blick überwach machte. Er verlieh diesen notorisch Nervösen jene Spannung, mit der sie auch die unscheinbarste Geste an ihrem Gegenüber zum Selbstverrat nötigten. Ihre Beobachtungsgenauigkeit wuchs mit dem Widerwillen. Deshalb muß das Tagebuch lesen, wer diese Biographie verstehen will, die von der aristokratischen Malaise nicht ganz unangekränkelt ist. In Szenen, die vom Pariser Gaslicht grell ausgeleuchtet werden, stößt man auf den Schreibanlaß, der im Kerzenschein des achtzehnten Jahrhunderts wieder verdunkelt wird.

Die Goncourts nahmen französische Geschichte durchs Boudoir wahr, weil das Paris ihrer Gegenwart sich vornehmlich dort aufhielt. Es war die Allgegenwart der Prostitution, der sie in ihren Biographien eine Archäologie widmeten. Dabei bezeichnete die Pompadour den Anfang vom Ende, denn mit ihrem Machtwillen hörte die Liebe auf, interesselose Kunst zu sein. Die königliche Mätresse korrumpierte ihr Fach. Wie der Adel unter die Guillotine und der Bürger unters Proletariat mußte, so stieg auch die Mätresse semantisch ab. Vom Dasein einer Kurtisane durfte die Akkord-Dirne in ihrer Erwerbsnot nicht einmal träumen. Die Goncourts kannten sie alle: die legendären Venus-Virtuosinnen ihrer Zeit sowie das erotische Inferno der Hinterhöfe. Ihre Besuche hielt das Tagebuch mit einer mikrologischen Genauigkeit fest, die am Körperdetail den Kulturverfall herauspräparierte. Im Porträt der Pompadour verwischte dieser mitleidlose Naturalismus zum weichzeichnenden Pastellton.

-fmt-ffa>I hr Ekel war auch einer der Selbsterkenntnis. In der manischen Professionalität der Pompadour begegneten die Brüder ihrem Spiegelbild, das fremde "Sinnbild moralischer Unerbittlichkeit" zeigt auch die Fotografie, die Nadar von ihnen machte. Daß sie im Tagebuch "mit Gott einen Pakt schließen: daß er uns nur ein Gehirn läßt, um zu schaffen", wiederholt die Körperanästhesie der Mätresse.

Der Aristokratismus der Goncourts war so falsch wie die gute Laune der Liebesdarstellerin. Beiden war bewußt, ihre Unschuld im selbstgewählten Arbeitsauftrag verloren zu haben. Deshalb waren ihnen Bett und Schreibtisch Orte unendlicher Anstrengung, deshalb machten sie ihren Körper zum Instrument. Jede Zeile mehr der gewundenen Abneigung machte die Pompadour zu ihrer Schwester im Geiste. Im Schlußsatz endlich wagten sie das Geständnis ihrer Versöhnung: "Die Geschichte sollte zwar mit wachsendem Abstand einen Schleier über die ehrgeizige Favoritin werfen, sie bisweilen gar vergessen, doch von der kunstsinnigen Mätresse Ludwigs XV. blieb ein strahlender Abglanz". Für die Kunst alles getan zu haben, sollte man auch diesem Brüderpaar als letztes Wort nachsagen.

Edmond und Jules de Goncourt: "Madame Pompadour. Ein Lebensbild". Aus dem Französischen übersetzt von Ulrike Nikel. Artemis und Winkler Verlag, Düsseldorf/Zürich 1998. 260 S., geb., 44,- DM.

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