Millions have visited the museums that bear her name yet most know little about Madame Marie Tussaud. Drawing upon a wealth of primary sources, including Tussaud's memoirs and historical archives, as well as interviews with her direct descendants, Berrige relates this fascinating woman's complete story for the first time.
Ein Leben in Wachs - die Geschichte der Madame Tussaud Es klingt wie im Märchen: Eine mittellose Halbwaise, die im Hause eines gebildeten Onkels Obdach findet, zu einer gewandten jungen Frau heranwächst und dann in Paris Aufstieg und Fall Ludwigs XVI. erlebt. Doch Marie Tussaud, 1761 als Marie Grosholtz im elsässischen Straßburg geboren, hat Glück - und Geschick. 1789 muss die junge Wachsbildnerin, die schon Voltaire und Angehörige des hohen Adels porträtieren durfte, die Schrecken der Revolution mitansehen. Die Jakobiner zwingen sie, Totenmasken prominenter Opfer der Guillotine anzufertigen, doch sie selbst überlebt. Mit der Erbschaft ihres Onkels, einer Wachsfigurensammlung, macht sie sich 1802 auf den Weg nach England. Am Londoner Strand zeigt Madame Tussaud ihre erste Show mit den Berühmten der damaligen Welt. Die Menschen stehen Schlange - bis heute.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Ein Leben in Wachs - die Geschichte der Madame Tussaud Es klingt wie im Märchen: Eine mittellose Halbwaise, die im Hause eines gebildeten Onkels Obdach findet, zu einer gewandten jungen Frau heranwächst und dann in Paris Aufstieg und Fall Ludwigs XVI. erlebt. Doch Marie Tussaud, 1761 als Marie Grosholtz im elsässischen Straßburg geboren, hat Glück - und Geschick. 1789 muss die junge Wachsbildnerin, die schon Voltaire und Angehörige des hohen Adels porträtieren durfte, die Schrecken der Revolution mitansehen. Die Jakobiner zwingen sie, Totenmasken prominenter Opfer der Guillotine anzufertigen, doch sie selbst überlebt. Mit der Erbschaft ihres Onkels, einer Wachsfigurensammlung, macht sie sich 1802 auf den Weg nach England. Am Londoner Strand zeigt Madame Tussaud ihre erste Show mit den Berühmten der damaligen Welt. Die Menschen stehen Schlange - bis heute.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2009Walzermusik in den Kammern des Schreckens
Unter Herrschern, Helden und Halsabschneidern: Madame Tussaud schien stets eher lebensecht als lebendig zu sein. Nun erzählt eine scharfsinnige und unterhaltsame Biographie von ihrem Leben, ihrem Wachsfigurenkabinett und von der Pionierzeit der populären Kultur in der Epoche der Guillotine
Dass ihre täuschend echt aussehenden Figuren in der Mitte der Nacht zu einem seltsamen, ebenso heimlichen wie unheimlichen Leben erwachen – diese Vorstellung ist so alt wie das berühmte Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud in London. 1836 hatte die damals schon hochbetagte, aber enorm zähe, geradezu Eiserne Lady des wohlfeilen Massenvergnügens ihr Etablissement nach langen Jahren des Umhertingelns dauerhaft auf der Baker Street eröffnet. Madame Tussaud’s avancierte umgehend zu einem unwiderstehlichen Anziehungspunkt für Scharen von schaulustigen, sensationslüsternen Müßiggängern, in denen wir heute, ob wir nun wollen oder nicht, unsere direkten Ahnen, die Pioniergeneration unserer ins Spektakel verliebten Alltagskultur erkennen müssen.
Ebenso rasch wurde die geschäftstüchtige Matrone, zu deren Erkennungszeichen ein schwarzes Taftgewand und ein hausbackenes Spitzenhäubchen gehörten, zu einer legendären Institution des viktorianischen Zeitalters. Eine berühmte Erscheinung, die aber nicht unbedingt wie ein Wesen aus Fleisch und Blut anmutet, sondern fast schon so wächsern-starr, so unheimlich-seelenlos wie eine Figurine aus ihrem Kabinett. Auch der englischen Journalistin Kate Berridge entgeht nicht die Zweideutigkeit, die der Person Madame Tussauds (1761-1850) anhaftet. In ihrer ungemein unterhaltsamen und beeindruckend scharfsinnigen Biographie dieses weiblichen Impresarios aus der Frühzeit der Unterhaltungsindustrie weiß sie auch diesen Aspekt souverän herauszuarbeiten: Dass jene Dame, die „an ihrem eigenen Image so geschickt gearbeitet hat wie an ihren Wachsmodellen” und kaum den Reflex einer echten Gefühlsregung, irgendeine persönliche Note hinterließ, letztlich eher „lebensecht als lebendig” erscheint.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass schon die Spötter des Punch auch die leibhaftige Madame Tussaud zu den Wachspuppen gesellten, die in der Stille der Nacht, wenn das Museum längst schon geschlossen ist, zu einem heimlichen und abseitigen Dasein erwachen. „Mir träumte, ich schlief bei Madame Tussauds / Unter Herrschern und Halsabschneidern . . .” beginnen die berühmten Verse, die 1841 mit einer Karikatur im englischen Satireblatt veröffentlicht wurden. Sie handeln vom Staunen eines Besuchers, der, nachdem er im Museum eingeschlafen war und um Mitternacht aufschrickt, die Figurinen der Exposition miteinander tanzen sieht wie auf einem großen, alle Epochen der Weltgeschichte durchquerenden Ball. Und dieses eine Mal lächelt sogar die sonst allzeit gestrenge Matrone, was auch kein Wunder ist, hat sie doch ihr Kassenschlager Napoleon persönlich zum Walzer aufgefordert.
Dieses Motiv, das hier vielleicht erstmals aufscheint – dass die Wachsfiguren insgeheim zum Leben erwachen; dass bei Madame Tussaud’s die Grenzen zwischen Schein und Sein verschwimmen – trägt bis heute zum Erfolg des Etablissements bei. Aber nicht allein deswegen, oder wegen der legendären „Chamber of Horrors”, wo sich ein Panoptikum von Mördern und Henkern zu einer Geisterbahnfahrt durch die Nachtseiten der menschlichen Gesellschaft fügt, stellt Madame Tussaud’s eine so besonders bildmächtige und mythenträchtige Institution dar. Das Wachsfigurenkabinett, wie es im viktorianischen England von Madame Tussaud etabliert und geprägt wurde, nimmt in der Entwicklungsgeschichte der Pop-Kultur einen solch eminenten Platz ein, weil es genau das in Reinkultur aufbietet, was wir noch heute goutieren: Schlüssellochblicke für Voyeure, Starkult und Freak-Show, Glamour und Grauen. Es schlägt den Bogen von der „Entdeckung des Individuums” in der Renaissance zur Zelebritäten-Sucht unserer Tage. Und zwar genau so, wie es das bürgerliche, demokratische Zeitalter mit seiner „Kultur der Unbeständigkeit” wünschte, indem es die Flüchtigkeit des Ruhms betont, und die Launenhaftigkeit des allmächtigen Publikums, das über Aufstieg und Fall als Grundprinzipien des Daseins in der säkularisierten Gesellschaft entscheidet.
Geistreich und hellsichtig verbindet Berridge die spezielle „Mediengeschichte” des Wachsfigurenkabinetts mit der Entfaltung der populären Kultur im vorrevolutionären Paris und dann im viktorianischen England. Während es ihr vorzüglich gelingt, die kulturhistorische Rolle der Madame Tussaud herauszuarbeiten, bleibt die Person eher unscharf, was nicht nur an mangelnden Quellen liegt – trotz eines unter ihrer Aufsicht verfassten, allerdings wohl weitgehend fabulierten Memoirenbandes – sondern eben vor allem an der zutiefst opportunistischen Persönlichkeit und ihrer eiskalten Geschäftstüchtigkeit. Die unter undurchsichtigen Umständen in Straßburg als Marie Grosholtz Geborene und später mit einem Versager namens Tussaud nur oberflächlich Verheiratete, hatte ihr Handwerk im Haushalt des genialischen Doktors Curtius gelernt, der im Paris des ausgehenden Ancien Régime ein florierendes Wachsfigurenmuseum betrieb und sich dann in die revolutionären Umtriebe verstrickte und als Unternehmer mit seinen Ausstellungen den blutrünstigen Geschmack und die Ideologie der Sansculotten zu bedienen verstand.
Während der jakobinischen Blutherrschaft begann auch seine Meisterschülerin Marie ihre ersten täuschend echten Wachsfiguren zu schaffen – von Gehenkten, Gemeuchelten vor allem, von guillotinierten Celebrities, mit denen wahrscheinlich selbst das hartgesottene Publikum im damaligen Paris noch zu beeindrucken und Geld zu machen war. Um sich von jedem Verdacht reinzuwaschen, und um natürlich den makabren Kitzel der einschlägigen Figuren in ihrer „Kammer des Schreckens” noch zu steigern, wird sie in England später behaupten, von den Revolutionären zu diesen Abgüssen der Geköpften gezwungen worden zu sein, von denen sie überdies viele persönlich gekannt, ja geliebt hätte. Man wird ihr dies glauben wollen oder nicht. So oder so aber versteht es Madame Tussaud, uns auch heute noch das kalte Grauen zu lehren: Indem ihre Geschichte uns ermessen lässt, wie viel unsere Popkultur der französischen Revolution und der Guillotine verdankt. MANFRED SCHWARZ
Kate Berridge
Madame Tussaud
Aus dem Englischen von F. Mader und A. Wagner. Osburg Verlag, Berlin 2009. 368 Seiten, 22,90 Euro.
Das ist unsere Welt: Schlüssellochblicke, Starkult und Freak-Show, Glamour, Grauen
Marie Tussaud, um 1840. Das Bild stammt von ihrem Sohn Francis Tussaud. National Portrait Gallery, London
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Unter Herrschern, Helden und Halsabschneidern: Madame Tussaud schien stets eher lebensecht als lebendig zu sein. Nun erzählt eine scharfsinnige und unterhaltsame Biographie von ihrem Leben, ihrem Wachsfigurenkabinett und von der Pionierzeit der populären Kultur in der Epoche der Guillotine
Dass ihre täuschend echt aussehenden Figuren in der Mitte der Nacht zu einem seltsamen, ebenso heimlichen wie unheimlichen Leben erwachen – diese Vorstellung ist so alt wie das berühmte Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud in London. 1836 hatte die damals schon hochbetagte, aber enorm zähe, geradezu Eiserne Lady des wohlfeilen Massenvergnügens ihr Etablissement nach langen Jahren des Umhertingelns dauerhaft auf der Baker Street eröffnet. Madame Tussaud’s avancierte umgehend zu einem unwiderstehlichen Anziehungspunkt für Scharen von schaulustigen, sensationslüsternen Müßiggängern, in denen wir heute, ob wir nun wollen oder nicht, unsere direkten Ahnen, die Pioniergeneration unserer ins Spektakel verliebten Alltagskultur erkennen müssen.
Ebenso rasch wurde die geschäftstüchtige Matrone, zu deren Erkennungszeichen ein schwarzes Taftgewand und ein hausbackenes Spitzenhäubchen gehörten, zu einer legendären Institution des viktorianischen Zeitalters. Eine berühmte Erscheinung, die aber nicht unbedingt wie ein Wesen aus Fleisch und Blut anmutet, sondern fast schon so wächsern-starr, so unheimlich-seelenlos wie eine Figurine aus ihrem Kabinett. Auch der englischen Journalistin Kate Berridge entgeht nicht die Zweideutigkeit, die der Person Madame Tussauds (1761-1850) anhaftet. In ihrer ungemein unterhaltsamen und beeindruckend scharfsinnigen Biographie dieses weiblichen Impresarios aus der Frühzeit der Unterhaltungsindustrie weiß sie auch diesen Aspekt souverän herauszuarbeiten: Dass jene Dame, die „an ihrem eigenen Image so geschickt gearbeitet hat wie an ihren Wachsmodellen” und kaum den Reflex einer echten Gefühlsregung, irgendeine persönliche Note hinterließ, letztlich eher „lebensecht als lebendig” erscheint.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass schon die Spötter des Punch auch die leibhaftige Madame Tussaud zu den Wachspuppen gesellten, die in der Stille der Nacht, wenn das Museum längst schon geschlossen ist, zu einem heimlichen und abseitigen Dasein erwachen. „Mir träumte, ich schlief bei Madame Tussauds / Unter Herrschern und Halsabschneidern . . .” beginnen die berühmten Verse, die 1841 mit einer Karikatur im englischen Satireblatt veröffentlicht wurden. Sie handeln vom Staunen eines Besuchers, der, nachdem er im Museum eingeschlafen war und um Mitternacht aufschrickt, die Figurinen der Exposition miteinander tanzen sieht wie auf einem großen, alle Epochen der Weltgeschichte durchquerenden Ball. Und dieses eine Mal lächelt sogar die sonst allzeit gestrenge Matrone, was auch kein Wunder ist, hat sie doch ihr Kassenschlager Napoleon persönlich zum Walzer aufgefordert.
Dieses Motiv, das hier vielleicht erstmals aufscheint – dass die Wachsfiguren insgeheim zum Leben erwachen; dass bei Madame Tussaud’s die Grenzen zwischen Schein und Sein verschwimmen – trägt bis heute zum Erfolg des Etablissements bei. Aber nicht allein deswegen, oder wegen der legendären „Chamber of Horrors”, wo sich ein Panoptikum von Mördern und Henkern zu einer Geisterbahnfahrt durch die Nachtseiten der menschlichen Gesellschaft fügt, stellt Madame Tussaud’s eine so besonders bildmächtige und mythenträchtige Institution dar. Das Wachsfigurenkabinett, wie es im viktorianischen England von Madame Tussaud etabliert und geprägt wurde, nimmt in der Entwicklungsgeschichte der Pop-Kultur einen solch eminenten Platz ein, weil es genau das in Reinkultur aufbietet, was wir noch heute goutieren: Schlüssellochblicke für Voyeure, Starkult und Freak-Show, Glamour und Grauen. Es schlägt den Bogen von der „Entdeckung des Individuums” in der Renaissance zur Zelebritäten-Sucht unserer Tage. Und zwar genau so, wie es das bürgerliche, demokratische Zeitalter mit seiner „Kultur der Unbeständigkeit” wünschte, indem es die Flüchtigkeit des Ruhms betont, und die Launenhaftigkeit des allmächtigen Publikums, das über Aufstieg und Fall als Grundprinzipien des Daseins in der säkularisierten Gesellschaft entscheidet.
Geistreich und hellsichtig verbindet Berridge die spezielle „Mediengeschichte” des Wachsfigurenkabinetts mit der Entfaltung der populären Kultur im vorrevolutionären Paris und dann im viktorianischen England. Während es ihr vorzüglich gelingt, die kulturhistorische Rolle der Madame Tussaud herauszuarbeiten, bleibt die Person eher unscharf, was nicht nur an mangelnden Quellen liegt – trotz eines unter ihrer Aufsicht verfassten, allerdings wohl weitgehend fabulierten Memoirenbandes – sondern eben vor allem an der zutiefst opportunistischen Persönlichkeit und ihrer eiskalten Geschäftstüchtigkeit. Die unter undurchsichtigen Umständen in Straßburg als Marie Grosholtz Geborene und später mit einem Versager namens Tussaud nur oberflächlich Verheiratete, hatte ihr Handwerk im Haushalt des genialischen Doktors Curtius gelernt, der im Paris des ausgehenden Ancien Régime ein florierendes Wachsfigurenmuseum betrieb und sich dann in die revolutionären Umtriebe verstrickte und als Unternehmer mit seinen Ausstellungen den blutrünstigen Geschmack und die Ideologie der Sansculotten zu bedienen verstand.
Während der jakobinischen Blutherrschaft begann auch seine Meisterschülerin Marie ihre ersten täuschend echten Wachsfiguren zu schaffen – von Gehenkten, Gemeuchelten vor allem, von guillotinierten Celebrities, mit denen wahrscheinlich selbst das hartgesottene Publikum im damaligen Paris noch zu beeindrucken und Geld zu machen war. Um sich von jedem Verdacht reinzuwaschen, und um natürlich den makabren Kitzel der einschlägigen Figuren in ihrer „Kammer des Schreckens” noch zu steigern, wird sie in England später behaupten, von den Revolutionären zu diesen Abgüssen der Geköpften gezwungen worden zu sein, von denen sie überdies viele persönlich gekannt, ja geliebt hätte. Man wird ihr dies glauben wollen oder nicht. So oder so aber versteht es Madame Tussaud, uns auch heute noch das kalte Grauen zu lehren: Indem ihre Geschichte uns ermessen lässt, wie viel unsere Popkultur der französischen Revolution und der Guillotine verdankt. MANFRED SCHWARZ
Kate Berridge
Madame Tussaud
Aus dem Englischen von F. Mader und A. Wagner. Osburg Verlag, Berlin 2009. 368 Seiten, 22,90 Euro.
Das ist unsere Welt: Schlüssellochblicke, Starkult und Freak-Show, Glamour, Grauen
Marie Tussaud, um 1840. Das Bild stammt von ihrem Sohn Francis Tussaud. National Portrait Gallery, London
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.06.2009Tote Blicke aus lebensechten Larven
Madame Tussauds berühmte Wachsfiguren sind immer noch eine Attraktion. Kate Berridge hat eine Biographie der Firmengründerin geschrieben und weiß viel von früher Populärkultur zu erzählen.
Marie Tussaud, geborene Grosholtz, war eine exzellente Wachsmodelliererin und mit fortschreitenden Jahren eine überaus erfolgreiche Geschäftsfrau, die es mit der biographischen Wahrheit nicht besonders genau nahm. Als sie 1802, damals schon über vierzig Jahre alt, mit ihren Wachsfiguren von Paris nach England kam, wurden die Pariser Jahre in eine vermarktungstaugliche Version gebracht: Zeichenlehrerin der Schwester Ludwigs XVI. in Versailles sei sie gewesen und von den Schreckensmännern nur wenige Jahre später angehalten worden, die ihr gut bekannten königlichen und dann noch eine Menge anderer Köpfe gleich nach dem Guillotinieren abzuformen.
Solche Geschichten höhten die Authentizität ihrer Schaustücke, die fixer Bestandteil des Museums in der Londoner Baker Street werden sollten. Aber weder lässt sich eine Bestätigung für den Aufenthalt der jungen Frau in Versailles finden, noch werden die Revolutionäre an der Herstellung royalistischer Devotionalien interessiert gewesen sein. Und auch wenn es um die Opfer der Terreur in deren eigenen Reihen ging, ist Marie Tussauds Versicherung, stets am frischen Kadaver gearbeitet zu haben, kaum besonders glaubwürdig.
Ihre späten "Erinnerungen an Frankreich" fügen noch manche Geschichte hinzu, die bereits zeitgenössischen Kritikern ein Licht über die Verlässlichkeit der biographischen Angaben aufsteckte. Aber wie es wirklich gewesen ist, wissen wir leider auch nicht. Denn gerade für die erste Lebenshälfte gibt es nur äußerst spärliche andere Zeugnisse. Biographen setzt das in einige Verlegenheit. Kate Berridge hilft sich darüber im ersten Teil ihres Buches mit detailreichen Schilderungen des Pariser Lebens am Ende des Ancien Régime und in der Revolutionszeit hinweg.
Das Metier lernte die im Alter von sieben Jahren mit ihrer Mutter nach Paris gekommene Marie von Kindesbeinen an bei Philippe Curtius, der nicht nur für seine exzellente Technik der Wachsmodellierung bekannt war, sondern sich mit ihr auch einträgliche Geschäftsfelder zu erschließen wusste. Die anatomischen Nachbildungen mögen bei dem Schweizer Arzt der Ausgangspunkt gewesen sein, aber die von Sammlern geschätzten Stücke werden nicht nur diesem Genre angehört haben. Mit seiner Niederlassung in Paris auf Einladung eines hochgestellten Bewunderers kamen die öffentlichen Dauerausstellungen an verschiedenen Orten der Stadt hinzu.
Die Spektakelkonkurrenz in Paris war groß, aber Curtius' Vermarktungstalent offenbar auch. In die herausgeputzten Schauräume im Palais Royal lockte man das bessere Publikum, in der "Caverne des Grands Voleurs" am Boulevard du Temple ging es etwas volksnäher zu. Der Reiz der wächsernen Lebensechtheit verfing in der Nachbildung der höfischen Gesellschaft genauso wie in den Szenen von Verbrechen und Strafe, wobei sich auch der erzieherische und belehrende Nutzen hervorheben ließ, wie es sich für die "Anatomische Venus" und ähnliche Figuren ohnehin immer verstand.
Es waren da bereits alle Elemente versammelt, mit deren geschickter Kombination Marie Tussaud zur erfolgreichen Schaustellerin wurde - und zur Begründerin einer bis heute erfolgreichen internationalen Marke. Die ersten Jahre in England standen allerdings noch im Zeichen eines für sie ungünstig abgeschlossenen Knebelvertrags. Doch von 1804 an hatte sie die Zügel allein in der Hand, und wenige Jahre später wird die ständig erweiterte Sammlung ihrer Figuren auch nicht mehr unter dem Namen ihres 1794 verstorbenen Mentors Curtius vorgestellt, sondern als "Madame Tussaud's".
Die englischen Städte, in denen sie ihre Schau zeigte - die Entscheidung für die dauerhafte Präsentation in der Londoner Baker Street fiel erst 1836 -, wurden von vielen Schaustellern frequentiert. Alle Preisklassen waren im Angebot und durchaus auch Wachsfiguren. Aber Marie Tussaud verstand es vorzüglich, ihre Schau zu profilieren. Zur Perfektion ihrer Wachsmodellierung kam die Aufmerksamkeit für Accessoires und Ausstattung. Es wurde nicht gespart, wenn es darum ging, die Schausäle insbesondere für ein Publikum der besseren Klassen attraktiv zu machen.
Charles Dickens, in dessen Roman "Der Raritätenladen" eine von Madame Tussaud inspirierte Prinzipalin auftritt, hat das vermerkt: den imposanten, glanzvollen Effekt ihrer Schau - Orchester für Hintergrundmusik eingeschlossen -, die entschiedene Abgrenzung von der Jahrmarktskonkurrenz, die Hinweise auf den Bildungswert der gezeigten Figuren und Szenen. Der Erfolg gab ihr recht.
Kate Berridge erzählt von englischen Verhältnissen in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts so hingebungsvoll wie von Ancien Régime und Terreur. Die dafür herangezogene Literatur ist reichhaltig, und wenn ihr auch der eine oder andere stilistische Ausrutscher bei der Verarbeitung zu möglichst lebendigen Schilderungen unterläuft, man stößt darin auf viele interessante Details der zeitgenössischen Populärkultur.
Für einige andere Facetten der Faszinationsgeschichte von Wachsfiguren zeigt sie dagegen wenig Interesse. Kaum etwas erfährt man abseits von Curtius über die Tradition anatomischer Modellierungen oder über die höfischen und religiös-kirchlichen Verwendungen von wächsernen Memorialporträts und realistischen Wachsfiguren, die einiges über die Attraktionskraft der lebensecht toten Bilder verraten. Mit dem Tod haben diese Figuren eben auf intime Weise zu tun. Wer hätte das besser verstanden als Madame Tussaud, die sich ihrem englischen Publikum als Zeugin der revolutionären Schreckensherrschaft präsentierte. Ihre Wachsfiguren-Präsentationen beerbten aber nicht nur vorausgehende Traditionen, sondern überstanden später auch die Epoche der Bilderfluten und virtuellen Realitäten.
Es muss nicht unbedingt London sein, um einen Selbstversuch zu machen. Bei Madame Tussauds in Las Vegas kann man in der "Chapel Of The Dreams" sogar heiraten. Das hätte sich die 1850 im Alter von fast neunzig Jahren verstorbene Firmengründerin wohl nicht träumen lassen.
HELMUT MAYER
Kate Berridge: "Madame Tussaud". Biografie. Aus dem Englischen von Friedrich Mader und Alexander Wagner. Osburg Verlag, Berlin 2009. 368 S., Abb., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Madame Tussauds berühmte Wachsfiguren sind immer noch eine Attraktion. Kate Berridge hat eine Biographie der Firmengründerin geschrieben und weiß viel von früher Populärkultur zu erzählen.
Marie Tussaud, geborene Grosholtz, war eine exzellente Wachsmodelliererin und mit fortschreitenden Jahren eine überaus erfolgreiche Geschäftsfrau, die es mit der biographischen Wahrheit nicht besonders genau nahm. Als sie 1802, damals schon über vierzig Jahre alt, mit ihren Wachsfiguren von Paris nach England kam, wurden die Pariser Jahre in eine vermarktungstaugliche Version gebracht: Zeichenlehrerin der Schwester Ludwigs XVI. in Versailles sei sie gewesen und von den Schreckensmännern nur wenige Jahre später angehalten worden, die ihr gut bekannten königlichen und dann noch eine Menge anderer Köpfe gleich nach dem Guillotinieren abzuformen.
Solche Geschichten höhten die Authentizität ihrer Schaustücke, die fixer Bestandteil des Museums in der Londoner Baker Street werden sollten. Aber weder lässt sich eine Bestätigung für den Aufenthalt der jungen Frau in Versailles finden, noch werden die Revolutionäre an der Herstellung royalistischer Devotionalien interessiert gewesen sein. Und auch wenn es um die Opfer der Terreur in deren eigenen Reihen ging, ist Marie Tussauds Versicherung, stets am frischen Kadaver gearbeitet zu haben, kaum besonders glaubwürdig.
Ihre späten "Erinnerungen an Frankreich" fügen noch manche Geschichte hinzu, die bereits zeitgenössischen Kritikern ein Licht über die Verlässlichkeit der biographischen Angaben aufsteckte. Aber wie es wirklich gewesen ist, wissen wir leider auch nicht. Denn gerade für die erste Lebenshälfte gibt es nur äußerst spärliche andere Zeugnisse. Biographen setzt das in einige Verlegenheit. Kate Berridge hilft sich darüber im ersten Teil ihres Buches mit detailreichen Schilderungen des Pariser Lebens am Ende des Ancien Régime und in der Revolutionszeit hinweg.
Das Metier lernte die im Alter von sieben Jahren mit ihrer Mutter nach Paris gekommene Marie von Kindesbeinen an bei Philippe Curtius, der nicht nur für seine exzellente Technik der Wachsmodellierung bekannt war, sondern sich mit ihr auch einträgliche Geschäftsfelder zu erschließen wusste. Die anatomischen Nachbildungen mögen bei dem Schweizer Arzt der Ausgangspunkt gewesen sein, aber die von Sammlern geschätzten Stücke werden nicht nur diesem Genre angehört haben. Mit seiner Niederlassung in Paris auf Einladung eines hochgestellten Bewunderers kamen die öffentlichen Dauerausstellungen an verschiedenen Orten der Stadt hinzu.
Die Spektakelkonkurrenz in Paris war groß, aber Curtius' Vermarktungstalent offenbar auch. In die herausgeputzten Schauräume im Palais Royal lockte man das bessere Publikum, in der "Caverne des Grands Voleurs" am Boulevard du Temple ging es etwas volksnäher zu. Der Reiz der wächsernen Lebensechtheit verfing in der Nachbildung der höfischen Gesellschaft genauso wie in den Szenen von Verbrechen und Strafe, wobei sich auch der erzieherische und belehrende Nutzen hervorheben ließ, wie es sich für die "Anatomische Venus" und ähnliche Figuren ohnehin immer verstand.
Es waren da bereits alle Elemente versammelt, mit deren geschickter Kombination Marie Tussaud zur erfolgreichen Schaustellerin wurde - und zur Begründerin einer bis heute erfolgreichen internationalen Marke. Die ersten Jahre in England standen allerdings noch im Zeichen eines für sie ungünstig abgeschlossenen Knebelvertrags. Doch von 1804 an hatte sie die Zügel allein in der Hand, und wenige Jahre später wird die ständig erweiterte Sammlung ihrer Figuren auch nicht mehr unter dem Namen ihres 1794 verstorbenen Mentors Curtius vorgestellt, sondern als "Madame Tussaud's".
Die englischen Städte, in denen sie ihre Schau zeigte - die Entscheidung für die dauerhafte Präsentation in der Londoner Baker Street fiel erst 1836 -, wurden von vielen Schaustellern frequentiert. Alle Preisklassen waren im Angebot und durchaus auch Wachsfiguren. Aber Marie Tussaud verstand es vorzüglich, ihre Schau zu profilieren. Zur Perfektion ihrer Wachsmodellierung kam die Aufmerksamkeit für Accessoires und Ausstattung. Es wurde nicht gespart, wenn es darum ging, die Schausäle insbesondere für ein Publikum der besseren Klassen attraktiv zu machen.
Charles Dickens, in dessen Roman "Der Raritätenladen" eine von Madame Tussaud inspirierte Prinzipalin auftritt, hat das vermerkt: den imposanten, glanzvollen Effekt ihrer Schau - Orchester für Hintergrundmusik eingeschlossen -, die entschiedene Abgrenzung von der Jahrmarktskonkurrenz, die Hinweise auf den Bildungswert der gezeigten Figuren und Szenen. Der Erfolg gab ihr recht.
Kate Berridge erzählt von englischen Verhältnissen in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts so hingebungsvoll wie von Ancien Régime und Terreur. Die dafür herangezogene Literatur ist reichhaltig, und wenn ihr auch der eine oder andere stilistische Ausrutscher bei der Verarbeitung zu möglichst lebendigen Schilderungen unterläuft, man stößt darin auf viele interessante Details der zeitgenössischen Populärkultur.
Für einige andere Facetten der Faszinationsgeschichte von Wachsfiguren zeigt sie dagegen wenig Interesse. Kaum etwas erfährt man abseits von Curtius über die Tradition anatomischer Modellierungen oder über die höfischen und religiös-kirchlichen Verwendungen von wächsernen Memorialporträts und realistischen Wachsfiguren, die einiges über die Attraktionskraft der lebensecht toten Bilder verraten. Mit dem Tod haben diese Figuren eben auf intime Weise zu tun. Wer hätte das besser verstanden als Madame Tussaud, die sich ihrem englischen Publikum als Zeugin der revolutionären Schreckensherrschaft präsentierte. Ihre Wachsfiguren-Präsentationen beerbten aber nicht nur vorausgehende Traditionen, sondern überstanden später auch die Epoche der Bilderfluten und virtuellen Realitäten.
Es muss nicht unbedingt London sein, um einen Selbstversuch zu machen. Bei Madame Tussauds in Las Vegas kann man in der "Chapel Of The Dreams" sogar heiraten. Das hätte sich die 1850 im Alter von fast neunzig Jahren verstorbene Firmengründerin wohl nicht träumen lassen.
HELMUT MAYER
Kate Berridge: "Madame Tussaud". Biografie. Aus dem Englischen von Friedrich Mader und Alexander Wagner. Osburg Verlag, Berlin 2009. 368 S., Abb., geb., 22,90 [Euro].
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