Die Gedichte von Donata Berra erinnern uns daran, dass Poesie ursprünglich und über lange Zeit an Musik gebunden war. So prägen Klang und Rhythmus auch die hier versammelten Texte; sie fassen das Inhaltliche ein, tragen es und lassen die einzelnen poetischen Gebilde wie intime Kammermusik erklingen.
Diese Gebilde entzünden sich nicht selten an kleinen, vermeintlich unscheinbaren Betrachtungen, die sich in der Folge assoziativ und fast unmerklich weiten und so zu existenziell grundlegenden Bildern werden, zu Traumbildern der Abwesenheit, der Erwartung oder - im Anblick des Meeres - der Grenzenlosigkeit. Und wie beim Drehen eines Kristalls leuchten abwechselnd die unterschiedlichen Facetten auf und betören uns mit einem nie gänzlich zu erfassenden Glanz.
Christoph Ferber hat aus den vier bisherigen Gedichtbänden, insbesondere aus "A memoria di mare", eine Auswahl zusammengestellt, die uns die Autorin in ihrer Komplexität, aber auch in ihrer oft zerbrechlichen Schlichtheit nahebringen will. Ein paar bis dahin unveröffentlichte Gedichte ergänzen den Band.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Diese Gebilde entzünden sich nicht selten an kleinen, vermeintlich unscheinbaren Betrachtungen, die sich in der Folge assoziativ und fast unmerklich weiten und so zu existenziell grundlegenden Bildern werden, zu Traumbildern der Abwesenheit, der Erwartung oder - im Anblick des Meeres - der Grenzenlosigkeit. Und wie beim Drehen eines Kristalls leuchten abwechselnd die unterschiedlichen Facetten auf und betören uns mit einem nie gänzlich zu erfassenden Glanz.
Christoph Ferber hat aus den vier bisherigen Gedichtbänden, insbesondere aus "A memoria di mare", eine Auswahl zusammengestellt, die uns die Autorin in ihrer Komplexität, aber auch in ihrer oft zerbrechlichen Schlichtheit nahebringen will. Ein paar bis dahin unveröffentlichte Gedichte ergänzen den Band.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2019Öffne mir die Lippen, o Wonneapril!
Metaphysik taugt nicht für die Natur: Donata Berras zweisprachiger Lyrikband "Maddalena"
Italienische Lyrik der Gegenwart? Auch unter Spezialisten ein Spezialthema. Vielleicht reicht die große Tradition in Renaissance und Moderne nicht, die Neugier anzustacheln - vielleicht ist die Gattung in Italien selbst derzeit zu wenig beachtet. Versuche, ein breiteres Publikum zu beglücken, wie es 2000 ein schönes "Akzente"-Heft unternommen hat, sind selten. Dabei gibt es unbedingt Entdeckenswertes, wie der Zürcher Limmat Verlag am Beispiel von Donata Berra demonstriert: Christoph Ferber hat dort eine Auswahl an Gedichten unter dem Titel "Maddalena" in einer zweisprachigen Ausgabe zusammengestellt, die ein sprachlich klangvolles und thematisch anregendes Werk erahnen lassen.
Berra, 1947 in Mailand geboren, lebt seit 1975 in Bern; dort hat sie an der Universität italienische Sprache und Literatur unterrichtet und aus dem Deutschen ins Italienische übersetzt. Bisher hat sie vier Gedichtbände publiziert: die drei Sammlungen "Santi quattro coronati" ("Die vier Gekrönten", 1992), "Tra terra e cielo" ("Zwischen Erde und Himmel", 1998), "Maria, di sguincio, addossata a un palo" ("Maria, schräg an einen Pfosten gelehnt", 1999), aus denen Teil I von "Maddalena" auswählt; sowie "A memoria di mare" ("Seit Meeresgedenken", 2010), von dem Teil II einen Eindruck vermittelt. Die Gedichte in Teil III sind Erstpublikationen.
Die verhandelten Themen können schlicht Fische sein, Mandeln oder die Farbe Schwarz. Orte sind ebenfalls prominent vertreten, ein Abschnitt heißt "Berner Ansichten", es finden sich Gedichte zu Berras Heimat- und Studienstadt Mailand sowie besonders zu Bocca di Magra, bei La Spezia an der ligurischen Küste gelegen - es wundert nicht, dass Eugenio Montales Dichtung in manchem Vers anklingt. Berras Gedichte bringen die einfachen Gegenstände mit abstrakten Vorstellungen zusammen, wie in "Hortensien": "Du sagtest, die Zeit verstreicht, und der Duft, / wie von Honig, der Zweige, / bleibt: der Schatten / der blauen Hortensien, wo vor dir / mich verstecken mein erstes / Kinderspiel war, aber jemand / spürte mich doch immer auf / und Metaphysik / ist nicht tauglich für die Natur."
Man merkt es, Berra zieht das Konkrete dem Abstrakten vor. Das Knirschen in beider Verhältnis ist ein Erbe der Moderne, das sie originell wendet, wie sich besonders an einem etwas, nun ja, schlüpfrigen Gedicht zeigt, "Sparso verbi semine" (deutsch: "Verstreut der Samen des Wortes"): "Sinnlicher Sänger des Singsangs der Worte, / sei mir willkommen, Üppiger, Reicher, / öffne, o Wonneapril, mir die gleit in die lispelnde, glitschige Jungfrau." Hier erkennt man, dank der kunstreichen Übertragung von Christoph Ferber, das sprachliche Verfahren, das viele Gedichte Berras kennzeichnet: die Alliteration und allgemeiner die lautliche Wiederholung.
Einerseits führt diese sicherlich zum Ursprung der Lyrik, dem Gesang, zurück, wie Berras Berner Kollege Pietro De Marchi im Nachwort treffend anmerkt. Andererseits kann der Wille zum Wohlklang ein spielerischer Zwang werden, wie in "Maddalena", dem titelgebenden Gedicht, in dem alle Worte mit "M" beginnen: Fast fühlt man sich an die Experimente der Oulipo-Gruppe erinnert, deren Ziel es ja ist, am Hindernis (der "contrainte") die dichterische Phantasie zu entzünden; Berra gehört freilich nicht zum italienischen Ableger Oplepo. "Sparso verbi semine" lässt noch mehr erkennen: Der zentrale Vers, die Spiegelachse, ist ein Zitat aus einer bekannten Petrarca-Kanzone ("Canzoniere" 126): "Hier, wie ich kam, oder wann es auch war?" Der Sinn dieser Referenz wird im direkt vorhergehenden Vers mit einem lombardischen Ausdruck erläutert: "kitzle mit Wörtern mich, Wörtern die kitzeln" ("fammi i galitti delle parole"). Fruchtbar und sinnlich ist natürlich der im Gedicht geschilderte Frühling, aber die Dichtung des wichtigsten Poeten der europäischen Literatur wirkt ebenfalls produktiv.
Spätere Gedichte sind melancholischer, mitunter schlichter, direkter. Man merkt ihnen einen veränderten, allgemein präsenteren Lebenskontext an, etwa Todesfälle: "für dieses Gras, gehorsam dem Hauch, der es auslöscht / und das keiner mehr pflückt", heißt es in "Requiem für einen guten Menschen". Hier wird der Moment festgehalten, in dem eine Todesanzeige gewürdigt wird - eine Art "tombeau", ein literarisches Denkmal für einen Unbekannten.
Ein anderes "Requiem" hingegen dient dem dichterischen Rechnungsabschluss: "Ja, bis an den Rand / der Kohärenz sind wir vorgedrungen, immer bereit / in die Gedankengänge / auch das Entgegengesetzte, die Gegengesänge, / die gegenteiligen, unüberwindlichen Evidenzen / der Natur, des Geschlechtes, miteinzubeziehen."
All das ist jedoch "nur noch ein anderes Bild", wie die Sprecherin feststellt, bevor alles einer ominösen Gestalt weicht: "Es ist nicht so. Ein hohes Antlitz erhebt sich, ist ohne Blick / und verdunkelt für uns die Silben / des letzten Wortes." Der drohende Eindruck dominiert selbst am Ende nicht, das Dunkel kann sanft und tröstlich wirken: Im vorletzten Gedicht treten "Kobolde" auf, die einer Stimme lauschen, "moosfeucht / und weich", welche nächtens "Geschichten des Waldes" und der "Seidenluft" erzählt - der Zauber ist intakt, nicht nur für Waldwesen mit spitzen Mützen.
NIKLAS BENDER
Donata Berra: "Maddalena". Gedichte.
Italienisch und deutsch. Ausgewählt und aus dem Italienischen von Christoph Ferber. Nachwort von Pietro De Marchi. Limmat Verlag, Zürich 2019. 144 S., geb., 38,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Metaphysik taugt nicht für die Natur: Donata Berras zweisprachiger Lyrikband "Maddalena"
Italienische Lyrik der Gegenwart? Auch unter Spezialisten ein Spezialthema. Vielleicht reicht die große Tradition in Renaissance und Moderne nicht, die Neugier anzustacheln - vielleicht ist die Gattung in Italien selbst derzeit zu wenig beachtet. Versuche, ein breiteres Publikum zu beglücken, wie es 2000 ein schönes "Akzente"-Heft unternommen hat, sind selten. Dabei gibt es unbedingt Entdeckenswertes, wie der Zürcher Limmat Verlag am Beispiel von Donata Berra demonstriert: Christoph Ferber hat dort eine Auswahl an Gedichten unter dem Titel "Maddalena" in einer zweisprachigen Ausgabe zusammengestellt, die ein sprachlich klangvolles und thematisch anregendes Werk erahnen lassen.
Berra, 1947 in Mailand geboren, lebt seit 1975 in Bern; dort hat sie an der Universität italienische Sprache und Literatur unterrichtet und aus dem Deutschen ins Italienische übersetzt. Bisher hat sie vier Gedichtbände publiziert: die drei Sammlungen "Santi quattro coronati" ("Die vier Gekrönten", 1992), "Tra terra e cielo" ("Zwischen Erde und Himmel", 1998), "Maria, di sguincio, addossata a un palo" ("Maria, schräg an einen Pfosten gelehnt", 1999), aus denen Teil I von "Maddalena" auswählt; sowie "A memoria di mare" ("Seit Meeresgedenken", 2010), von dem Teil II einen Eindruck vermittelt. Die Gedichte in Teil III sind Erstpublikationen.
Die verhandelten Themen können schlicht Fische sein, Mandeln oder die Farbe Schwarz. Orte sind ebenfalls prominent vertreten, ein Abschnitt heißt "Berner Ansichten", es finden sich Gedichte zu Berras Heimat- und Studienstadt Mailand sowie besonders zu Bocca di Magra, bei La Spezia an der ligurischen Küste gelegen - es wundert nicht, dass Eugenio Montales Dichtung in manchem Vers anklingt. Berras Gedichte bringen die einfachen Gegenstände mit abstrakten Vorstellungen zusammen, wie in "Hortensien": "Du sagtest, die Zeit verstreicht, und der Duft, / wie von Honig, der Zweige, / bleibt: der Schatten / der blauen Hortensien, wo vor dir / mich verstecken mein erstes / Kinderspiel war, aber jemand / spürte mich doch immer auf / und Metaphysik / ist nicht tauglich für die Natur."
Man merkt es, Berra zieht das Konkrete dem Abstrakten vor. Das Knirschen in beider Verhältnis ist ein Erbe der Moderne, das sie originell wendet, wie sich besonders an einem etwas, nun ja, schlüpfrigen Gedicht zeigt, "Sparso verbi semine" (deutsch: "Verstreut der Samen des Wortes"): "Sinnlicher Sänger des Singsangs der Worte, / sei mir willkommen, Üppiger, Reicher, / öffne, o Wonneapril, mir die gleit in die lispelnde, glitschige Jungfrau." Hier erkennt man, dank der kunstreichen Übertragung von Christoph Ferber, das sprachliche Verfahren, das viele Gedichte Berras kennzeichnet: die Alliteration und allgemeiner die lautliche Wiederholung.
Einerseits führt diese sicherlich zum Ursprung der Lyrik, dem Gesang, zurück, wie Berras Berner Kollege Pietro De Marchi im Nachwort treffend anmerkt. Andererseits kann der Wille zum Wohlklang ein spielerischer Zwang werden, wie in "Maddalena", dem titelgebenden Gedicht, in dem alle Worte mit "M" beginnen: Fast fühlt man sich an die Experimente der Oulipo-Gruppe erinnert, deren Ziel es ja ist, am Hindernis (der "contrainte") die dichterische Phantasie zu entzünden; Berra gehört freilich nicht zum italienischen Ableger Oplepo. "Sparso verbi semine" lässt noch mehr erkennen: Der zentrale Vers, die Spiegelachse, ist ein Zitat aus einer bekannten Petrarca-Kanzone ("Canzoniere" 126): "Hier, wie ich kam, oder wann es auch war?" Der Sinn dieser Referenz wird im direkt vorhergehenden Vers mit einem lombardischen Ausdruck erläutert: "kitzle mit Wörtern mich, Wörtern die kitzeln" ("fammi i galitti delle parole"). Fruchtbar und sinnlich ist natürlich der im Gedicht geschilderte Frühling, aber die Dichtung des wichtigsten Poeten der europäischen Literatur wirkt ebenfalls produktiv.
Spätere Gedichte sind melancholischer, mitunter schlichter, direkter. Man merkt ihnen einen veränderten, allgemein präsenteren Lebenskontext an, etwa Todesfälle: "für dieses Gras, gehorsam dem Hauch, der es auslöscht / und das keiner mehr pflückt", heißt es in "Requiem für einen guten Menschen". Hier wird der Moment festgehalten, in dem eine Todesanzeige gewürdigt wird - eine Art "tombeau", ein literarisches Denkmal für einen Unbekannten.
Ein anderes "Requiem" hingegen dient dem dichterischen Rechnungsabschluss: "Ja, bis an den Rand / der Kohärenz sind wir vorgedrungen, immer bereit / in die Gedankengänge / auch das Entgegengesetzte, die Gegengesänge, / die gegenteiligen, unüberwindlichen Evidenzen / der Natur, des Geschlechtes, miteinzubeziehen."
All das ist jedoch "nur noch ein anderes Bild", wie die Sprecherin feststellt, bevor alles einer ominösen Gestalt weicht: "Es ist nicht so. Ein hohes Antlitz erhebt sich, ist ohne Blick / und verdunkelt für uns die Silben / des letzten Wortes." Der drohende Eindruck dominiert selbst am Ende nicht, das Dunkel kann sanft und tröstlich wirken: Im vorletzten Gedicht treten "Kobolde" auf, die einer Stimme lauschen, "moosfeucht / und weich", welche nächtens "Geschichten des Waldes" und der "Seidenluft" erzählt - der Zauber ist intakt, nicht nur für Waldwesen mit spitzen Mützen.
NIKLAS BENDER
Donata Berra: "Maddalena". Gedichte.
Italienisch und deutsch. Ausgewählt und aus dem Italienischen von Christoph Ferber. Nachwort von Pietro De Marchi. Limmat Verlag, Zürich 2019. 144 S., geb., 38,- [Euro].
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