1789 treffen sich die Romantiker Novalis, Schelling, Caroline und die Brüder Schlegel vor Raffaels Sixtinischer Madonna in Dresden. Sie sind jung, übermütig, temperamentvoll, und sie sind genialische Geister. Aber bald schon schwant ihnen vom kommenden Jahrhundert nicht nur Gutes.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.1998Zwischen Amboß und Ambrosia
Die fröhlichen Romantiker der Gisela Kraft Von Hermann Kurzke
Was ist besser: die Erfahrung oder doch eher die Vision? Der Realist verdreht die Augen, wenn er bei Novalis liest: ". . . jedoch hat mich meine alte Neigung zum Absoluten auch diesmal glücklich aus dem Strudel der Empirie gerettet, und ich schwebe jetzt und vielleicht auf immer in lichtern, eigentümlichern Sphären." In solchen Sphären entstand der "Blütenstaub", den Novalis ausstreute, eine Sammlung von Fragmenten, an deren Geist die deutsche Schriftstellerin Gisela Kraft ihre Kongenialität nun nicht ohne Erfolg erprobt hat.
Um einen Roman handelt es sich streng genommen nicht, auch wenn er sich so nennt, sondern eher um drei szenische Imaginationen. Die erste zeigt Novalis mit Schelling, den Brüdern Schlegel, Caroline Schlegel und anderen Freunden im Jahr 1798 vor der berühmten Sixtinischen Madonna Raffaels in der Dresdner Gemäldegalerie. Die zweite spielt im Jahre 1799 in Jena, wo die Gruppe, ergänzt um Friedrich Schlegels Geliebte Dorothea Veit, beim Herumspazieren Herrn Goethe begegnet, dem residierenden Statthalter im Reich der Poesie. Die dritte Geschichte schließlich hat Weimar zum Schauplatz, wo Novalis und Ludwig Tieck bei Jean Paul zuerst tüchtig Bier trinken und darauf mit ihm, fröhlich sentenzentauschend, durch die Stadt streifen.
Während Goethe mit zarter Empirie über die drängenden Probleme der Saale-Regulierung spricht, turnen die Romantiker an einem Seil herum, das vom Himmel zur Erde gespannt ist. Sie bewegen sich zwischen Amboß und Ambrosia, und sie wissen es. Sie kitzeln einander mit Pfeilen, bald schärfer, bald leiser; die Florettspitze touchiert manchmal sanft die Herzgegend, begnügt sich aber meistens mit einem neckischen Geräusch über dem Haupthaar hin.
Sie lottern herum zwischen Poesie und Blutwurst, perotieren hochkomisch zwischen Ethos und Allotria, symphilosophierend und symfurzend, frivol und schlagfertig. Sie ironisieren einander mit "Wie meinen, Mystissimo?" und "So sitzt uns Poesie schon im Gebein. Die Knochen klappern lyrisch von allein." Wo sie gehen und stehen, verschießen sie prickelnden Pointenschrot. "Ehe einer Wolken tritt, seilt er sich fest." (Friedrich Schlegel) "Ergriffen, oder bloß weise?" (Caroline) "Warum sollen Frauen nicht Geschichte interpretieren, wodurch sich die Anzahl der Verständigen weltweit verdoppeln würde." (Schelling)
An der Sixtinischen Madonna bewundern sie das absichtslose Licht als Wunder, das keinen Schöpfer braucht, "keine Gottesperson, die eine Mühle dreht - und Licht stäubt heraus wie Mehl" (August Wilhelm Schlegel), haben zugleich Spaß an den auf der Balustrade lümmelnden Engelchen, die längst wissen, wie's bei den Himmlischen zugeht, und nur noch maulig staunen.
Es ist ein sehr feines Gewirk, was Gisela Kraft gesponnen hat. Keineswegs professoral im Tonfall, verlangt es doch, wenn es recht genossen werden will, eine gewisse Familiarität mit der Jenaer Romantik. Dabei geht es nicht um eine Lektion in Kulturgeschichte, sondern - ja, worum? Genau erfährt man das im Grunde nicht.
Der Roman meidet jede platte Botschaft, jede Anspielung an unser Heute. Alles bleibt in der Luft stehen. Gisela Kraft entführt uns in eine liebevoll herbeigezauberte Geisterwelt, die fern von der unseren ist. Das luftige Replikentauschen des feinen Novalis und der frechen Schlegelbuben uns Heutigen geradezu als Vorbild zu empfehlen, so weit geht sie nicht, aber in ein Gegenreich will sie uns doch führen, hinphantasiert, im Bewußtsein zu träumen, und mit trotzigem Stolz darauf, unbrauchbar zu sein für die, die nur die bare Zahlung kennen. Auf einem Grat tanzt sie nachtwandlerisch dahin, rechts der Abgrund der pretiösen Geistreichelei, links der Abgrund angestrengter Mystifikation.
"Madonnensuite" ist das Mittelstück eines Triptychons, das vor Jahren mit einem "Prolog zu Novalis" eröffnet wurde (erschienen 1990 im Aufbau-Verlag), der dem Entschluß des jungen Mannes nachsann, seiner mit fünfzehn Jahren verstorbenen Braut Sophie aus freien Stücken hinterherzusterben. Alleinige Tatwaffe sollte die Willenskraft sein. Die dritte, noch ausstehende Tafel wird sich wahrscheinlich mit dem wirklichen Tod des Dichters befassen, der im Jahre 1801, nicht ganz neunundzwanzig Jahre alt, dahingehen mußte.
Zwischen Tod und Tod drängt sich ein Leben wie eine Sternschnuppe, das bei Gisela Kraft aus Träumen und Pointen gewebt zu sein scheint und Körperlichkeit weder gewinnt noch gewinnen will.
Gisela Kraft: "Madonnensuite". Romantikerroman. Verlag Faber & Faber, Leipzig 1998. 216 S., geb., 35,- DM.
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Die fröhlichen Romantiker der Gisela Kraft Von Hermann Kurzke
Was ist besser: die Erfahrung oder doch eher die Vision? Der Realist verdreht die Augen, wenn er bei Novalis liest: ". . . jedoch hat mich meine alte Neigung zum Absoluten auch diesmal glücklich aus dem Strudel der Empirie gerettet, und ich schwebe jetzt und vielleicht auf immer in lichtern, eigentümlichern Sphären." In solchen Sphären entstand der "Blütenstaub", den Novalis ausstreute, eine Sammlung von Fragmenten, an deren Geist die deutsche Schriftstellerin Gisela Kraft ihre Kongenialität nun nicht ohne Erfolg erprobt hat.
Um einen Roman handelt es sich streng genommen nicht, auch wenn er sich so nennt, sondern eher um drei szenische Imaginationen. Die erste zeigt Novalis mit Schelling, den Brüdern Schlegel, Caroline Schlegel und anderen Freunden im Jahr 1798 vor der berühmten Sixtinischen Madonna Raffaels in der Dresdner Gemäldegalerie. Die zweite spielt im Jahre 1799 in Jena, wo die Gruppe, ergänzt um Friedrich Schlegels Geliebte Dorothea Veit, beim Herumspazieren Herrn Goethe begegnet, dem residierenden Statthalter im Reich der Poesie. Die dritte Geschichte schließlich hat Weimar zum Schauplatz, wo Novalis und Ludwig Tieck bei Jean Paul zuerst tüchtig Bier trinken und darauf mit ihm, fröhlich sentenzentauschend, durch die Stadt streifen.
Während Goethe mit zarter Empirie über die drängenden Probleme der Saale-Regulierung spricht, turnen die Romantiker an einem Seil herum, das vom Himmel zur Erde gespannt ist. Sie bewegen sich zwischen Amboß und Ambrosia, und sie wissen es. Sie kitzeln einander mit Pfeilen, bald schärfer, bald leiser; die Florettspitze touchiert manchmal sanft die Herzgegend, begnügt sich aber meistens mit einem neckischen Geräusch über dem Haupthaar hin.
Sie lottern herum zwischen Poesie und Blutwurst, perotieren hochkomisch zwischen Ethos und Allotria, symphilosophierend und symfurzend, frivol und schlagfertig. Sie ironisieren einander mit "Wie meinen, Mystissimo?" und "So sitzt uns Poesie schon im Gebein. Die Knochen klappern lyrisch von allein." Wo sie gehen und stehen, verschießen sie prickelnden Pointenschrot. "Ehe einer Wolken tritt, seilt er sich fest." (Friedrich Schlegel) "Ergriffen, oder bloß weise?" (Caroline) "Warum sollen Frauen nicht Geschichte interpretieren, wodurch sich die Anzahl der Verständigen weltweit verdoppeln würde." (Schelling)
An der Sixtinischen Madonna bewundern sie das absichtslose Licht als Wunder, das keinen Schöpfer braucht, "keine Gottesperson, die eine Mühle dreht - und Licht stäubt heraus wie Mehl" (August Wilhelm Schlegel), haben zugleich Spaß an den auf der Balustrade lümmelnden Engelchen, die längst wissen, wie's bei den Himmlischen zugeht, und nur noch maulig staunen.
Es ist ein sehr feines Gewirk, was Gisela Kraft gesponnen hat. Keineswegs professoral im Tonfall, verlangt es doch, wenn es recht genossen werden will, eine gewisse Familiarität mit der Jenaer Romantik. Dabei geht es nicht um eine Lektion in Kulturgeschichte, sondern - ja, worum? Genau erfährt man das im Grunde nicht.
Der Roman meidet jede platte Botschaft, jede Anspielung an unser Heute. Alles bleibt in der Luft stehen. Gisela Kraft entführt uns in eine liebevoll herbeigezauberte Geisterwelt, die fern von der unseren ist. Das luftige Replikentauschen des feinen Novalis und der frechen Schlegelbuben uns Heutigen geradezu als Vorbild zu empfehlen, so weit geht sie nicht, aber in ein Gegenreich will sie uns doch führen, hinphantasiert, im Bewußtsein zu träumen, und mit trotzigem Stolz darauf, unbrauchbar zu sein für die, die nur die bare Zahlung kennen. Auf einem Grat tanzt sie nachtwandlerisch dahin, rechts der Abgrund der pretiösen Geistreichelei, links der Abgrund angestrengter Mystifikation.
"Madonnensuite" ist das Mittelstück eines Triptychons, das vor Jahren mit einem "Prolog zu Novalis" eröffnet wurde (erschienen 1990 im Aufbau-Verlag), der dem Entschluß des jungen Mannes nachsann, seiner mit fünfzehn Jahren verstorbenen Braut Sophie aus freien Stücken hinterherzusterben. Alleinige Tatwaffe sollte die Willenskraft sein. Die dritte, noch ausstehende Tafel wird sich wahrscheinlich mit dem wirklichen Tod des Dichters befassen, der im Jahre 1801, nicht ganz neunundzwanzig Jahre alt, dahingehen mußte.
Zwischen Tod und Tod drängt sich ein Leben wie eine Sternschnuppe, das bei Gisela Kraft aus Träumen und Pointen gewebt zu sein scheint und Körperlichkeit weder gewinnt noch gewinnen will.
Gisela Kraft: "Madonnensuite". Romantikerroman. Verlag Faber & Faber, Leipzig 1998. 216 S., geb., 35,- DM.
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