"Mädchenhimmel!" betitelte Lili Grün 1930 einen ihrer lyrischen Songs, der für die Themenpalette ihrer Gedichte und kleinen Geschichten steht: junge, moderne, selbstbewusste Frauen, hin- und hergerissen zwischen Autonomie, Selbstbehauptung und dem "Mann mit starken Armen".Witzig und frech beschreibt Lili Grün Verliebtheit und Ernüchterung, schier endlose Großstadttage und rasch zu verdrängende Nächte, verrät "Rezepte fürs Herz" und träumt vom "Paradies für die Frau".Ihre erstmals in Buchform gesammelten und veröffentlichten Gedichte und Geschichten verweisen einmal mehr auf die bereits den Romanen attestierte neusachliche Nähe zu Irmgard Keun, Erich Kästner, Gabriele Tergit und Kurt Tucholsky; doch Lili Grün zeigt gerade auch hier wieder ihre ganz eigene heiter-melancholische Note.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2014Komm nicht als Räuber aus dem Hinterhalt
Lili Grün wurde von den Nationalsozialisten ermordet: Endlich liegen ihre wunderbaren Gedichte wieder vor
Eine junge Schauspielerin Anfang der dreißiger Jahre, voller Energie, Leidenschaft und Träume, doch ohne Arbeit, Protektion und Geld, vermutlich demnächst auch ohne Logis, denn wie sollte sie die Miete bezahlen? "Man hat sich ein schlechtes Geburtsdatum ausgesucht", räsoniert das "Fräulein" trocken, verzweifelt, "seit wir leben, sind die Zeiten groß, aber unangenehm". Die knappe Geschichte von Lili Grün erschien 1932 unter dem Titel "Engagementlos" in der satirischen Wochenzeitschrift "Simplicissimus". So unsentimental wie untröstlich, so tapfer wie vergeblich schlagen sich auch die anderen skizzierten Stadtmenschen mit der Wirtschaftskrise und dem sich ausbreitenden Faschismus herum und strengen sich an, ihren privaten Kosmos nicht völlig von den sozialen und politischen Repressionen bestimmen zu lassen. Ob es sich um Liebeskummer, die Strapazen beim Broterwerb oder die Einsamkeit in der Großstadt handelt, ob in der lyrischen "Elegie bei einer Tasse Mocca" oder der Prosaminiatur "Lendemain", die den moralischen Kater nach einem One-Night-Stand belächelt, alles aus der Hand von Elisabeth "Lili" Grün ist wunderbar leicht, apart und kurzweilig gestaltet. Stilistisch und inhaltlich ist sie mit ihren nüchtern-amüsanten, luzid-emotionalen wie elegant-impressionistischen Texten über kleine Leute und deren Befindlichkeiten im Umfeld der Neuen Sachlichkeit und neben Autoren wie Irmgard Keun, Mascha Kaléko oder Kurt Tucholsky einzuordnen. Viel konnte die 1904 in Wien geborene jüngste Tochter eines Kaufmanns und seiner frühverstorbenen Ehefrau nicht zu Papier bringen, und selbst davon ist wenig erhalten. Dem Berliner AvivA Verlag ist es zu danken, dass nach den wieder aufgelegten Romanen "Alles ist Jazz" und "Zum Theater!" nun mit "Mädchenhimmel!" bereits ein drittes Buch mit ihren Arbeiten erscheint, angereichert mit historischen Fotografien von den Schauplätzen Wien und Berlin. Die verdienstvolle Spurensuche hat die Literaturwissenschaftlerin Anke Heimberg begonnen, die für "Mädchenhimmel!" in Zeitungen und Zeitschriften verstreute Beiträge gesammelt, herausgegeben und sorgfältig kommentiert hat. Ein schwieriges Unterfangen, ist Lili Grün doch kaum bekannt, da sie sich erst auf dem literarischen Markt zu behaupten begann, als sie 1938 als Jüdin Publikationsverbot bekam und 1942 im Vernichtungslager Maly Trostinec in Weißrussland umgebracht wurde. Was die als aufstrebendes Talent gelobte Autorin hinterlassen hat, ist verschwunden, die letzten Habseligkeiten wurden nach der Deportation aus einem Wiener Massenquartier vernichtet. Heute zählt sie zu den vielen vergessenen Künstlern, deren Biographien und Werke von den Nationalsozialisten ausgelöscht wurden. Mit Freude und Wehmut liest man deshalb ihre charmant beherzten Texte über erwachsen werdende Mädchen, frustrierte Ehemänner, grantige Zimmerwirtinnen, mürrische Intendanten oder resolute Stenotypistinnen als subtile Szenarien zu weiblicher Emanzipation, neuen Rollenbildern, modernen Geschlechterkämpfen. Ebenso schnörkellos wie gefühlvoll schreibt Lili Grün in ihrem Gedicht "Schüchterner Flirt mit dem vermummten Herrn" 1934 im "Prager Montagsblatt" über den Tod: "Fall' mich nicht tückisch von rückwärts an, / Komm nicht als Unfall in der Eisenbahn, / Komm nicht als Räuber aus dem Hinterhalt, / Und vor allen Dingen: komm nicht zu bald."
IRENE BAZINGER.
Lili Grün: "Mädchenhimmel! Gedichte und Geschichten". Gesammelt, herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von Anke Heimberg.
AvivA Verlag, Berlin 2014. 192 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lili Grün wurde von den Nationalsozialisten ermordet: Endlich liegen ihre wunderbaren Gedichte wieder vor
Eine junge Schauspielerin Anfang der dreißiger Jahre, voller Energie, Leidenschaft und Träume, doch ohne Arbeit, Protektion und Geld, vermutlich demnächst auch ohne Logis, denn wie sollte sie die Miete bezahlen? "Man hat sich ein schlechtes Geburtsdatum ausgesucht", räsoniert das "Fräulein" trocken, verzweifelt, "seit wir leben, sind die Zeiten groß, aber unangenehm". Die knappe Geschichte von Lili Grün erschien 1932 unter dem Titel "Engagementlos" in der satirischen Wochenzeitschrift "Simplicissimus". So unsentimental wie untröstlich, so tapfer wie vergeblich schlagen sich auch die anderen skizzierten Stadtmenschen mit der Wirtschaftskrise und dem sich ausbreitenden Faschismus herum und strengen sich an, ihren privaten Kosmos nicht völlig von den sozialen und politischen Repressionen bestimmen zu lassen. Ob es sich um Liebeskummer, die Strapazen beim Broterwerb oder die Einsamkeit in der Großstadt handelt, ob in der lyrischen "Elegie bei einer Tasse Mocca" oder der Prosaminiatur "Lendemain", die den moralischen Kater nach einem One-Night-Stand belächelt, alles aus der Hand von Elisabeth "Lili" Grün ist wunderbar leicht, apart und kurzweilig gestaltet. Stilistisch und inhaltlich ist sie mit ihren nüchtern-amüsanten, luzid-emotionalen wie elegant-impressionistischen Texten über kleine Leute und deren Befindlichkeiten im Umfeld der Neuen Sachlichkeit und neben Autoren wie Irmgard Keun, Mascha Kaléko oder Kurt Tucholsky einzuordnen. Viel konnte die 1904 in Wien geborene jüngste Tochter eines Kaufmanns und seiner frühverstorbenen Ehefrau nicht zu Papier bringen, und selbst davon ist wenig erhalten. Dem Berliner AvivA Verlag ist es zu danken, dass nach den wieder aufgelegten Romanen "Alles ist Jazz" und "Zum Theater!" nun mit "Mädchenhimmel!" bereits ein drittes Buch mit ihren Arbeiten erscheint, angereichert mit historischen Fotografien von den Schauplätzen Wien und Berlin. Die verdienstvolle Spurensuche hat die Literaturwissenschaftlerin Anke Heimberg begonnen, die für "Mädchenhimmel!" in Zeitungen und Zeitschriften verstreute Beiträge gesammelt, herausgegeben und sorgfältig kommentiert hat. Ein schwieriges Unterfangen, ist Lili Grün doch kaum bekannt, da sie sich erst auf dem literarischen Markt zu behaupten begann, als sie 1938 als Jüdin Publikationsverbot bekam und 1942 im Vernichtungslager Maly Trostinec in Weißrussland umgebracht wurde. Was die als aufstrebendes Talent gelobte Autorin hinterlassen hat, ist verschwunden, die letzten Habseligkeiten wurden nach der Deportation aus einem Wiener Massenquartier vernichtet. Heute zählt sie zu den vielen vergessenen Künstlern, deren Biographien und Werke von den Nationalsozialisten ausgelöscht wurden. Mit Freude und Wehmut liest man deshalb ihre charmant beherzten Texte über erwachsen werdende Mädchen, frustrierte Ehemänner, grantige Zimmerwirtinnen, mürrische Intendanten oder resolute Stenotypistinnen als subtile Szenarien zu weiblicher Emanzipation, neuen Rollenbildern, modernen Geschlechterkämpfen. Ebenso schnörkellos wie gefühlvoll schreibt Lili Grün in ihrem Gedicht "Schüchterner Flirt mit dem vermummten Herrn" 1934 im "Prager Montagsblatt" über den Tod: "Fall' mich nicht tückisch von rückwärts an, / Komm nicht als Unfall in der Eisenbahn, / Komm nicht als Räuber aus dem Hinterhalt, / Und vor allen Dingen: komm nicht zu bald."
IRENE BAZINGER.
Lili Grün: "Mädchenhimmel! Gedichte und Geschichten". Gesammelt, herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von Anke Heimberg.
AvivA Verlag, Berlin 2014. 192 S., geb., 18,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Deniz Yücel dankt dem Berliner Aviva Verlag dafür, dass er das Werk der österreichischen Autorin, die 1942 im Vernichtungslager Maly Trostinez ermordet wurde, vor dem Vergessen bewahrt. Nach ihren zwei Romanen sind jetzt Gedichte und Feuilletons erschienen, berichtet der Rezensent, der sich die Autorin auch sehr gut als Zeitgenossin vorstellen könnte, denn mittlerweile ist der selbstironische Ton der Neuen Sachlichkeit wieder hinlänglich modern geworden, weiß Yücel. So fordert Grün in einem ihrer Gedichte, Männer müssten doch "nebst Verstand und anderen Gaben, / So etwas wie eine Seele haben. / Und ich bin so scharf auf Seele!", zitiert der Rezensent, und auch andernorts ist ihre Auseinandersetzung mit Liebesdingen wunderbar treffend und bisweilen gerade richtig melancholisch, freut sich Yücel.
© Perlentaucher Medien GmbH
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