Karo lebt schnell und flexibel. Sie ist das Musterexemplar unserer Zeit: intelligent, liebenswert und aggressiv, überdreht und erschöpft. Als sie ihren Job verliert und mutig ihre feige Beziehung beendet, helfen auch die cleversten Selbsttäuschungen nicht mehr. Plötzlich ist diese Angst da. Sie verliert den Boden unter den Füßen. Dem Wahnwitz unserer Gegenwart zwischen Partylaune und Panikattacke gibt Sarah Kuttner in ihrem Debütroman eine Stimme: vom Augenzwinkern zum Ernstmachen, vom launigen Plaudern zur bitteren Selbstkritik. Lustig und tieftraurig, radikal und leidenschaftlich erzählt sie von dem Riss, der sich plötzlich durch das Leben zieht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2009Manisch wie Madonna
Menschen über Dreißig muss man erklären, was "Emos" sind. Also: "Emo" ist eigentlich die Abkürzung von "emotional hardcore", einer Musikrichtung, hat sich aber längst vom Soundphänomen zum Lebensstil gewandelt. Seine Anhänger sehen aus wie Vampirnachwuchs, haben aber ansonsten ähnliche Probleme wie weiland die Jung-Existentialisten und überhaupt alle jugendlichen Sinnsucher: Sie laufen vor Gefühlen über, finden ihre diesbezügliche Inkontinenz aber selbst lästig. "Gefühle sind Stress", erklärt auch Karo, Ende Zwanzig, Stadtmädchen, Quasselstrippe und "die am schnellsten beschleunigende Emo-Maschine der Welt". Vor drei Monaten hat sie ihren Job verloren, mit ihrem Freund Philipp ist Schluss, und überhaupt ist Karo nicht so toll drauf, weshalb sie beschließt, eine Psychotherapeutin aufzusuchen. Was folgt, ist die bittere Erkenntnis, das Karo kein Stimmungstief hat, sondern an einer Depression leidet. Panikattacken, Weinkrämpfe, Erschöpfungszustände - nichts an der Krankheit wird kleingeredet oder beschönigt. Karos manisch-aufgekratztem Tonfall aber kann das alles nichts anhaben; am Ende ihres schlimmen Jahres hat sie zwar wieder Freund und Arbeit, aber keinerlei erkennbare innere Entwicklung durchgemacht. Sarah Kuttner, bekannt als schnellsprechende Fernsehmoderatorin und schrägdenkende Kolumnistin, hat sich in ihrem Debütroman "Mängelexemplar" ein ernstes Thema vorgeknöpft, sich seiner indes nicht angenommen. Eine Depression, so das Fazit von Karo, des "Emo-Monsters", "ist wie ein Madonna-Konzert: ein ,fucking event'." Der Privattragödie indes hätte weniger Sprachereignis, weniger Emo gutgetan - und mehr Reife, mindestens der Heldin. Nur weil eine junge Fernsehmoderatorin einen Roman schreibt, muss sie keine Nachfolgerin von Charlotte Roche sein. Eine Schriftstellerin aber auch nicht. (Sarah Kuttner: "Mängelexemplar". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 263 S., kart., 14,95 [Euro].) fvl
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Menschen über Dreißig muss man erklären, was "Emos" sind. Also: "Emo" ist eigentlich die Abkürzung von "emotional hardcore", einer Musikrichtung, hat sich aber längst vom Soundphänomen zum Lebensstil gewandelt. Seine Anhänger sehen aus wie Vampirnachwuchs, haben aber ansonsten ähnliche Probleme wie weiland die Jung-Existentialisten und überhaupt alle jugendlichen Sinnsucher: Sie laufen vor Gefühlen über, finden ihre diesbezügliche Inkontinenz aber selbst lästig. "Gefühle sind Stress", erklärt auch Karo, Ende Zwanzig, Stadtmädchen, Quasselstrippe und "die am schnellsten beschleunigende Emo-Maschine der Welt". Vor drei Monaten hat sie ihren Job verloren, mit ihrem Freund Philipp ist Schluss, und überhaupt ist Karo nicht so toll drauf, weshalb sie beschließt, eine Psychotherapeutin aufzusuchen. Was folgt, ist die bittere Erkenntnis, das Karo kein Stimmungstief hat, sondern an einer Depression leidet. Panikattacken, Weinkrämpfe, Erschöpfungszustände - nichts an der Krankheit wird kleingeredet oder beschönigt. Karos manisch-aufgekratztem Tonfall aber kann das alles nichts anhaben; am Ende ihres schlimmen Jahres hat sie zwar wieder Freund und Arbeit, aber keinerlei erkennbare innere Entwicklung durchgemacht. Sarah Kuttner, bekannt als schnellsprechende Fernsehmoderatorin und schrägdenkende Kolumnistin, hat sich in ihrem Debütroman "Mängelexemplar" ein ernstes Thema vorgeknöpft, sich seiner indes nicht angenommen. Eine Depression, so das Fazit von Karo, des "Emo-Monsters", "ist wie ein Madonna-Konzert: ein ,fucking event'." Der Privattragödie indes hätte weniger Sprachereignis, weniger Emo gutgetan - und mehr Reife, mindestens der Heldin. Nur weil eine junge Fernsehmoderatorin einen Roman schreibt, muss sie keine Nachfolgerin von Charlotte Roche sein. Eine Schriftstellerin aber auch nicht. (Sarah Kuttner: "Mängelexemplar". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 263 S., kart., 14,95 [Euro].) fvl
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Sarah Kuttners Debütroman lässt die Rezensentin Kristina Maidt-Zinke die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Dabei mag sie noch nicht einmal als "aufgekratzte Mädchen-Unterhaltung" durchgehen lassen, was Kuttner hier in unnachahmlichem Jargon und einer Mischung aus Fallgeschichte und Ratgeber zum Thema Depression präsentiert. Die 27-jährige Karo, für Maidt-Zinke eine "Ich-Erzählerin in des Wortes penetrantester Bedeutung", ist arbeits- und beziehungslos und also etwas angeschlagen. Als Lösungsvorschlag präsentiert Kuttner: Therapie, Psychopillen und sich neu zu verlieben. Abgesehen davon, dass nicht jede Verstimmung oder Melancholie auf die Couch führen muss, sondern auch zu künstlerischer Produktivität führen könnte, hält es Maidt-Zinke eigentlich eher für ein gutes Zeichen, dass sich angesichts "chronischer Infantilität, Egomanie und popkulturellen Plapperzwangs" bei dieser Ich-Erzählerin ein Unbehagen einstellt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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