Die Pforten des Paradieses oder die Pforten der Hölle?
Ghassan Kanafani: Symbol des palästinensischen linksextremistischen Widerstands, umstrittener Volksheld. Mit 13 Jahren wurde er zum Flüchtling, wurde Journalist und Schriftsteller, Für ihn waren Literatur und Politik symbiotisch
verbunden, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung universelle Werte, die Geschichte seines Volkes wurde zum…mehrDie Pforten des Paradieses oder die Pforten der Hölle?
Ghassan Kanafani: Symbol des palästinensischen linksextremistischen Widerstands, umstrittener Volksheld. Mit 13 Jahren wurde er zum Flüchtling, wurde Journalist und Schriftsteller, Für ihn waren Literatur und Politik symbiotisch verbunden, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung universelle Werte, die Geschichte seines Volkes wurde zum Lackmustest. 1972, mit 36 Jahren, wurde er durch eine Mossad’sche Autobombe getötet…
„Männer in der Sonne“, in kurzen klaren Sätzen, ohne emotionalisierende Ausschmückungen, schildert ein menschliches Drama mit unmenschlichem Ende: das Schicksal von 4 palästinen-sischen Männern. Abul-Chaisurân bietet sich als Transporteur für 3 Männer an, die vom Irak nach Kuweit wollen: um Arbeit zu finden, um ihre Familien zu unterstützen und menschenwürdig leben zu können, um der Trost- und Hoffnungslosigkeit zu entfliehen.
Abu Thais, ein alter Mann, der jahrelang vom fruchtigen Segen seiner alten Olivenbäume träumte. Der nun am Schatt al Arab im Sand lag und erfuhr, dass es in Kuweit keine Olivenbäume gab.
Assaad aus Ramla war über Jordanien gekommen. Er war misstrauisch. Sein Onkel hatte ihm 50 Dinar geliehen, er sollte seine Tochter heiraten. Nur weil sie am gleichen Tag geboren wurde wie er. Aber niemand hatte ihn gefragt, ob er überhaupt heiraten, ob er Nada heiraten wolle. Er fühlte sich wie eine Ware.
Der erst 16 Jahre alte Marwân war zum ersten Mal allein, fremd unter vielen Menschen. Sein Vater hatte seine Familie verlassen, nachdem sein ältester Bruder kein Geld mehr aus Kuweit schickte und keiner wusste, was mit ihm geschehen war. Der Vater konnte seinen Traum verwirklichen, das Lager zu verlassen, indem er die Tochter eines Freundes heiratete, die bei einem Angriff auf Jaffa ein Bein verloren hatte.
Die 3 Männer forderten von Abul-Chaisurân einen genauen Plan, würden ihn erst bezahlen, wenn sie in Kuweit wären.
Er war Fahrer eines reichen Mannes, den er auf Jagdausflügen begleitete. Mit dem leeren Wassertankwagen eines Jagdausflugs wollte er sich ein bisschen Geld dazu verdienen. Er brauchte es, weil er sich zur Ruhe setzen wollte, um seinen Dämonen zu entkommen. Er war während eines Kampfeinsatzes gefangen und gefoltert worden: man hatte ihn seiner Männlichkeit beraubt. So hatte er seine Männlichkeit und sein Vaterland verloren.
„Wir müssen 2 Kontrollpunkte passieren. Bei beiden dauert es nur 5 Minuten, die ihr im Tankwagen verbringen müsst.“ Abu Khais und Assaad waren misstrauisch. Aber die 3 entschieden sich für die Fahrt.
Kurz vor dem1. Kontrollpunkt ließ er die Männer in den Tank hinabsteigen. „Zieht eure Hemden aus, es ist wie in einem Glutofen, aber nur für 5 Minuten.“ Er schloss den Deckel. Die Abfertigung dauerte tatsächlich nur 6 Minuten – die Männer glichen jedoch Mumien und nicht lebendigen Menschen, als sie hinaus kletterten.
Sie stoppten und rauchten, weit entfernt mit ihren Gedanken, in der Gegenwart und in der Zukunft; Träume, Wünsche, Hoffnungen vermischten sich mit Angst und Verzweiflung.
Am letzten Kontrollpunkt: „Es ist jetzt genau halb 12, merkt euch das. Nicht länger als 7 Minuten!Die Übergabe der Papiere dauerte: er musste die Neugier der Grenzen befriedigen, ein Glas Tee trinken. Erst 9 Minuten vor 12 konnte er den Deckel des Tankwagens öffnen.
Totenstille. Nichts und niemand rührte sich. Er war zu spät.
Um ihre Körper nicht den wilden Tiere und ihre ausgebleichten Skelette dem Sand zu überlassen. lud er sie an der städtischen Müllhalde ab, die Leichen waren kalt und steif, wo sie am nächsten Morgen gleich gefunden werden würden. Er fuhr weiter, stoppte, sprang aus dem Wagen, lief zurück und nahm das Geld aus den Taschen und Marwâns Uhr. „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ (Brecht).
Doch Abul-Chaisurân fand keinen Frieden, denn ein folternder Gedanke hämmerte in seinem Kopf, immer und immer wieder: warum haben sie nicht an die Tankwand geklopft? Warum warum warum?
Mit dieser offenen Frage schließt Kanafani sein Drama des Ausgeliefertseins an Menschen, an die Politik, an das Schicksal. مكتوب – Maktub: es steht geschrieben. Für Muslime gibt es kein blindes Schicksal, sondern ein von Gott zugeteiltes.
Abul-Chaisurân verglich den Weg von 150 km mit dem schmalen Pfad, der nach muslimischer Überlieferung ins Paradies oder in die Hölle führt.
Wo ist das Paradies? Wo ist die Hölle? Auf Erden? War Kuwait das Paradies? Ohne Oliven-bäume? Mit Geld in den Taschen, um die Mutter zu unterstützen? Um sich zur Ruhe zu setzen?
Die Schilderung der „Drei Männer in der Sonne“ sind aktueller denn je: Menschen, die ihre Träume verwirklichen wollen, sich nach einem besseren Leben, einem Leben in Würde sehnen. Die als Wirtschaftsflüchtlinge in Europa keine Chance hätten. Obwohl ihre Situation erst durch Krieg, Vertreibung und Besatzung wirkmächtig wurde.
Der Roman ist eine Anklage gegen den Krieg und seine langfristigen Folgeerscheinungen, er ist ein Requiem für die „ausgelagerten“ Menschen.