Tom Sawyer und Huckleberry Finn, Goethe und Schiller, Ernie und Bert, Jonathan Franzen und David Foster Wallace - die Beziehung zum besten Freund ist etwas Besonderes im Leben eines Mannes. Wenn es glückt, verbringt man dieses Leben von klein auf miteinander, träumt vom Großwerden, vom Abhauen und noch von mehr: Bands zu gründen (oder Unternehmen), Frauen zu lieben, die Welt zu regieren - oder einfach mal wieder zusammen zelten zu gehen. Freunde helfen sich und stehen sich bei. Eine Freundschaft kann in Krisen die Rettung sein - oder selbst zur Krise werden, abkühlen, zerbrechen. Tobias Rüther erzählt von besten Freunden, von Richtern, Rockern und Matrosen, von Schriftstellern, Karate-Kids und Prinzen. Er beschreibt alte Rollen und neue Lebensmuster, pointiert, kulturhistorisch versiert und sehr persönlich. Nicht zuletzt geht es um die Chance eines ganz anderen Männertyps, jenseits von Patriarchen, Softies und Rivalen. Rüthers Buch ist eine hellsichtige Analyse unseres Zusammenlebens - und ermuntert zu einem der größten Abenteuer, das ein Mann erleben kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.2013TOBIAS RÜTHER, Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung, hat ein Buch über beste Freunde geschrieben: wie sie sich finden, was sie zusammenhält und auseinanderbringt, und warum man von Geschichten über beste Freunde nicht genug kriegen kann - egal, ob im Kino, in Büchern, Popsongs oder dem wahren Leben. Es sind Geschichten über Aufbruch und Scheitern, Träume, Konkurrenz und Erfolg, über Autos und natürlich auch über Frauen. Es geht einmal quer durch die Weltgeschichte, vom Alten Testament bis in die neuen Länder, von Montaigne bis "Tschick", Schriftsteller wie Jonathan Franzen kommen zu Wort, aber vor allem ganz normale Männer, die davon erzählen können, was es bedeutet, fünfundzwanzig, fünfzig Jahre lang befreundet zu sein: wie frei und autonom es macht, einen Freund zu haben. Und glücklich sowieso. (Tobias Rüther: "Männerfreundschaft". Ein Abenteuer. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2013. 240 S., geb., 18,95 [Euro].)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.08.2013Johnny und Clyde
Tobias Rüther erkundet die Männerfreundschaft
Dort, wo der Mann heute noch Mann ist – am Steuer eines Sportwagens, im Fußballstadion, am Grill –, dort ist er zu einer von allen Seiten belächelten Parodie seiner selbst geworden. Sein eigenes Klischee. Jahre nach dem Ausbruch der „Krise der Männlichkeit“ stellt sich dem postmodernen Mann die Frage: Wer bin ich und wenn ja, wie viele?
So oder so ähnlich fragt Tobias Rüther, FAZ-Redakteur und Buchautor, nach der „Männerfreundschaft“. Sein gleichnamiges Buch sucht jedoch nicht nach der letzten Bastion maskuliner Selbstbestimmung, sondern tastet sich, mal kulturhistorisch, mal anekdotenhaft, zu dem vor, was Männer eigentlich zusammenhält. Wer hinter dem Titel eine verschrobene Geschichte des Kumpelhaften vermutet, wird enttäuscht. Angenehm enttäuscht.
Da ist zum Beispiel die Flucht, für Rüther ein Leitmotiv der Männerfreundschaft. Ob der junge Friedrich II., der vor seinem autoritären Vater flieht und dessen Freund der König aus Zorn umbringen lässt, oder die Jugendfreunde Maik und Andrej in Wolfgang Herrndorfs Roman „Tschick“, die mit einem geklauten Lada dem Alltag entkommen – das Ausreißen-Wollen ist universell. „We swore blood brothers against the wind“, so Bruce Springsteen in „No Surrender“, Rüthers Lieblingssong. Immer gehe es „gegen die Welt“.
Nun war Bonnie eine Frau, Clyde ein Mann. Darum gibt es ein Kapitel darüber, was Frauen- von Männerfreundschaften unterscheidet. Auch hier steht ein Berg von Klischees im Weg: Frauen reden, Männer schweigen sich an; Frauen können Intimes einander anvertrauen, Männer brauchen immer ein „Drittes“ (Sport, Technik . . .). Rüther versucht, das Dickicht zu durchdringen, um dann festzustellen, in jeder Freundschaft gehe es um Gefühle und Aufrichtigkeit. Das mag stimmen, und doch speist sich das Kapitel aus der Sorge, nicht von gendergeschulten Lesern falsch verstanden zu werden.
Das Buch lebt vielmehr von seinen Anekdoten, ein theoretisches Interesse sei ihm fremd, betont Rüther. (Was bisweilen etwas lächerlich wirkt, wenn er etwa Nietzsche zitiert und sich dann rechtfertigt: „Entschuldigung, ich habe es grad nicht kleiner.“) Als sein Freund Schiller stirbt, schreibt Goethe, „die Hälfte des Daseins“ verloren zu haben. Der Mann spiegelt sich in seinem Freund, ganz ohne Konkurrenzdenken. „Frei und unverkrampft“ sei das Kennenlernen gewesen, erinnern sich zweihundert Jahre später die lebenslangen Freunde Michael und Manfred, „wie das bei Jungs eben so ist“. Aber noch mehr, nämlich offen. Eine kindliche Offenheit, die später abnimmt. Ob sie sich anfreunden würden, wenn sie sich erst heute träfen? „Wahrscheinlich nicht“, sagt Michael. Der beste Freund ist der, der einen noch so sehen kann wie mit zwölf. Trotz und wegen unterschiedlicher Lebensentwürfe.
Viele Männerfreundschaften halten deshalb so lang, erklärt Rüther, weil sie einen „zweckfreien Raum“ bilden, zu dem niemand anders Zutritt habe. Darin eingeschlossen sind gemeinsame Abenteuer, die wirkliche und die nur vorgestellte Flucht. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Jonathan Franzen über seinen Schriftsteller-Freund David Foster Wallace. Keine funktionalen Erklärungen aus Soziologie oder Psychologie also – wobei Rüther durchaus mit Soziologen spricht, mit Michael Kimmel zum Beispiel, der sich sicher ist: „Freundschaft, das ist die Familie, die wir uns selbst schaffen.“ Aber dieser Ersatz bleibt ein Produkt des Zufalls. Freunde kann man nicht suchen, nur finden.
Das Erlebnis von Autonomie führt Rüther zu einer optimistischen Prognose der Männerfreundschaft, auch im Zeitalter von virtuellen Freunden. Als eine „Großzügigkeit ohne Gegenleistung“ werde die Freundschaft zu jenem Rückzugsraum, der dem Mann von den überholten Bildern seiner selbst verwehrt bleibe. Aber eigentlich geht es hier gar nicht mehr um den Mann, sondern um die Freundschaft als solche. Gerade das macht Rüthers Buch zu einem großen Gewinn.
FRANZ VIOHL
Tobias Rüther: Männerfreundschaft. Ein Abenteuer. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2013. 240 Seiten, 18,95 Euro, E-Book 16,99.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Tobias Rüther erkundet die Männerfreundschaft
Dort, wo der Mann heute noch Mann ist – am Steuer eines Sportwagens, im Fußballstadion, am Grill –, dort ist er zu einer von allen Seiten belächelten Parodie seiner selbst geworden. Sein eigenes Klischee. Jahre nach dem Ausbruch der „Krise der Männlichkeit“ stellt sich dem postmodernen Mann die Frage: Wer bin ich und wenn ja, wie viele?
So oder so ähnlich fragt Tobias Rüther, FAZ-Redakteur und Buchautor, nach der „Männerfreundschaft“. Sein gleichnamiges Buch sucht jedoch nicht nach der letzten Bastion maskuliner Selbstbestimmung, sondern tastet sich, mal kulturhistorisch, mal anekdotenhaft, zu dem vor, was Männer eigentlich zusammenhält. Wer hinter dem Titel eine verschrobene Geschichte des Kumpelhaften vermutet, wird enttäuscht. Angenehm enttäuscht.
Da ist zum Beispiel die Flucht, für Rüther ein Leitmotiv der Männerfreundschaft. Ob der junge Friedrich II., der vor seinem autoritären Vater flieht und dessen Freund der König aus Zorn umbringen lässt, oder die Jugendfreunde Maik und Andrej in Wolfgang Herrndorfs Roman „Tschick“, die mit einem geklauten Lada dem Alltag entkommen – das Ausreißen-Wollen ist universell. „We swore blood brothers against the wind“, so Bruce Springsteen in „No Surrender“, Rüthers Lieblingssong. Immer gehe es „gegen die Welt“.
Nun war Bonnie eine Frau, Clyde ein Mann. Darum gibt es ein Kapitel darüber, was Frauen- von Männerfreundschaften unterscheidet. Auch hier steht ein Berg von Klischees im Weg: Frauen reden, Männer schweigen sich an; Frauen können Intimes einander anvertrauen, Männer brauchen immer ein „Drittes“ (Sport, Technik . . .). Rüther versucht, das Dickicht zu durchdringen, um dann festzustellen, in jeder Freundschaft gehe es um Gefühle und Aufrichtigkeit. Das mag stimmen, und doch speist sich das Kapitel aus der Sorge, nicht von gendergeschulten Lesern falsch verstanden zu werden.
Das Buch lebt vielmehr von seinen Anekdoten, ein theoretisches Interesse sei ihm fremd, betont Rüther. (Was bisweilen etwas lächerlich wirkt, wenn er etwa Nietzsche zitiert und sich dann rechtfertigt: „Entschuldigung, ich habe es grad nicht kleiner.“) Als sein Freund Schiller stirbt, schreibt Goethe, „die Hälfte des Daseins“ verloren zu haben. Der Mann spiegelt sich in seinem Freund, ganz ohne Konkurrenzdenken. „Frei und unverkrampft“ sei das Kennenlernen gewesen, erinnern sich zweihundert Jahre später die lebenslangen Freunde Michael und Manfred, „wie das bei Jungs eben so ist“. Aber noch mehr, nämlich offen. Eine kindliche Offenheit, die später abnimmt. Ob sie sich anfreunden würden, wenn sie sich erst heute träfen? „Wahrscheinlich nicht“, sagt Michael. Der beste Freund ist der, der einen noch so sehen kann wie mit zwölf. Trotz und wegen unterschiedlicher Lebensentwürfe.
Viele Männerfreundschaften halten deshalb so lang, erklärt Rüther, weil sie einen „zweckfreien Raum“ bilden, zu dem niemand anders Zutritt habe. Darin eingeschlossen sind gemeinsame Abenteuer, die wirkliche und die nur vorgestellte Flucht. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Jonathan Franzen über seinen Schriftsteller-Freund David Foster Wallace. Keine funktionalen Erklärungen aus Soziologie oder Psychologie also – wobei Rüther durchaus mit Soziologen spricht, mit Michael Kimmel zum Beispiel, der sich sicher ist: „Freundschaft, das ist die Familie, die wir uns selbst schaffen.“ Aber dieser Ersatz bleibt ein Produkt des Zufalls. Freunde kann man nicht suchen, nur finden.
Das Erlebnis von Autonomie führt Rüther zu einer optimistischen Prognose der Männerfreundschaft, auch im Zeitalter von virtuellen Freunden. Als eine „Großzügigkeit ohne Gegenleistung“ werde die Freundschaft zu jenem Rückzugsraum, der dem Mann von den überholten Bildern seiner selbst verwehrt bleibe. Aber eigentlich geht es hier gar nicht mehr um den Mann, sondern um die Freundschaft als solche. Gerade das macht Rüthers Buch zu einem großen Gewinn.
FRANZ VIOHL
Tobias Rüther: Männerfreundschaft. Ein Abenteuer. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2013. 240 Seiten, 18,95 Euro, E-Book 16,99.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Tobias Rüther redet in seinem neuen Buch keinem klischeebehafteten Bild von "Männlichkeit" das Wort, berichtet Maximilian Probst, er macht sich in "Männerfreundschaften" vielmehr auf die Suche nach der Varianz, indem er viele Beispiele gibt, Bücher und Songtexte interpretiert und mit Literaten und Soziologen spricht, fasst der Rezensent zusammen. Ein Erkenntnisgewinn kommt am Ende nicht dabei raus, verrät der Rezensent, die Auflösung, dass Freundschaft nicht geschlechtsspezifisch ist, sondern sich vor allem über das Reden und Teilen konstituiert, ist nichts Neues. Rüther will aber wohl auch hauptsächlich unterhalten, vermutet Probst, dazu fehlt dem Rezensenten aber ein wenig die Kontroverse. Wenn Männerfreundschaft schon in Freundschaft allgemein aufgelöst wird, hätte sich Probst wenigstens ein paar kritische Gedanken über diese allgemeine Freundschaft gewünscht, Beispiele für unglückliche oder verheerende Freundschaften, vielleicht gar über bekennende Einzelgänger.
© Perlentaucher Medien GmbH
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