Magersucht verstehen
- das Wichtigste auf den Punkt gebracht
- was Angehörige und Betroffene wissen müssen
- mit Adressenverzeichnis
Anorexie ist eine gefährliche Krankheit. Immer mehr Mädchen und junge Frauen zwischen 15 und 35 Jahren sind heute magersüchtig. Etwa 15 Prozent von ihnen sterben. Die Experten Michael Schulte-Markwort und Sabine Zahn geben komprimiert Antworten auf Fragen wie: Welches Essverhalten ist normal? Welches krank? Wie äußert sich Magersucht und was sind die Ursachen? Die Autoren beschreiben anschaulich, wie Magersüchtige denken und fühlen, und zeigen, wie Betroffene aus dem Teufelskreis der Hungersucht herausfinden.
- das Wichtigste auf den Punkt gebracht
- was Angehörige und Betroffene wissen müssen
- mit Adressenverzeichnis
Anorexie ist eine gefährliche Krankheit. Immer mehr Mädchen und junge Frauen zwischen 15 und 35 Jahren sind heute magersüchtig. Etwa 15 Prozent von ihnen sterben. Die Experten Michael Schulte-Markwort und Sabine Zahn geben komprimiert Antworten auf Fragen wie: Welches Essverhalten ist normal? Welches krank? Wie äußert sich Magersucht und was sind die Ursachen? Die Autoren beschreiben anschaulich, wie Magersüchtige denken und fühlen, und zeigen, wie Betroffene aus dem Teufelskreis der Hungersucht herausfinden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.2011Herantasten an den Kontrollverlust
Ein Comic-Roman und ein Handbuch widmen sich Ursachen, Symptomen und Therapien von Magersucht
Als sie Tyranna das erste Mal auf der Straße begegnet, geht es Anna schon ziemlich schlecht. Angefangen hat es irgendwann in der Pubertät: Die Veränderungen an ihrem Körper machen Anna Angst, sie will ihren jüngeren Körper zurück. Sie kauft eine Kalorientabelle und eine Waage und beginnt eine Diät, die sie erst viele Jahre später in einer Spezialklinik beenden wird. Tyranna, ihr Alter Ego in Gestalt eines überlebensgroßen Skeletts, reitet sie immer tiefer in einen Teufelskreis. Da hat die abgemagerte Anna bereits die Schule geschmissen, den Freund verloren und sich vor elterlicher Kontrolle in eine eigene Wohnung geflüchtet.
Lesley Fairfield, Künstlerin und Kinderbuchillustratorin, litt selbst dreißig Jahre lang an Magersucht und schildert in ihrem Comic-Roman mit knappen Dialogen und eindrücklichen Zeichnungen Annas Kampf ums Überleben. Immer wieder versucht Anna, ihr Leben in den Griff zu bekommen, doch von ihren neuen Freundinnen scheint niemand normal zu essen, und Tyranna tut das Ihre dazu: Um glücklich zu sein, musst du noch dünner werden. Als Annas Mutter endlich beherzt eingreift und sie zum Arzt bringt, ist sie körperlich wie psychisch völlig ausgezehrt. Der folgende Klinikaufenthalt ist erst ein erster Schritt zurück in die Normalität.
Magersucht ist kein Massenphänomen, Forscher gehen davon aus, dass etwa ein Prozent der europäischen Frauen betroffen sind. Doch es ist eine schwere und ernstzunehmende Erkrankung, die chronisch oder tödlich verlaufen kann, und keineswegs eine Marotte, der mit Ermahnungen von der Art "Jetzt iss doch mal was" beizukommen wäre. Nur fünfundvierzig Prozent der Betroffenen können die Magersucht so weit überwinden, dass sie wieder normal essen, so Michael Schulte-Markwort und Sabine Zahn, die sozusagen das Handbuch zum Comic-Roman geschrieben haben: einen knappen und gut verständlichen Ratgeber, der nicht nur die bekannten Fakten darstellt und erklärt, woran man Magersucht erkennt, wie sie entsteht und dass sie keine Erfindung der Moderne ist - man lese nur einige Lebensbeschreibungen von Heiligen.
Die Autoren widmen sich auch "weicheren", für die Betroffenen aber wohl entscheidenden Fragen: Was ist eigentlich normal? Und: Wie fühlt sich die Krankheit an? Denn für Außenstehende hat es nicht nur etwas Erschreckendes, eine Tochter, eine Freundin oder Kollegin abmagern zu sehen, es hat auch etwas Rätselhaftes: Magersüchtige essen eine halbe Kartoffel und versichern, sie seien satt. Oder sie essen gar nicht und versichern, sie hätten keinen Hunger. Sie schauen in die Spiegel und sehen Speckrollen und wabbelige Oberschenkel, wo alle anderen nur ein Gerippe erkennen können. Doch solche Äußerungen sind ehrlich gemeint und keineswegs vorgeschoben. Wahrnehmungsverzerrung und der Verlust des Hungergefühls gehören gerade zum Krankheitsbild und verhindern, dass die Betroffenen erkennen, wie es um sie steht. Die Autoren geben Tipps, was Eltern, Freunde oder Lehrer tun können, machen Vorschläge, wie man vorsichtig nachfragen kann, und verweisen auf Beratungsmöglichkeiten.
Am liebsten würde sie einfach alle zur Magersucht führenden Gedanken aus ihrem Gehirn streichen, berichtet die achtzehnjährige Lisa, doch so einfach ist es nicht. Ganz zentral ist für viele Magersüchtige ein Streben nach Kontrolle. Nicht essen, gerade wenn das Leckerste auf dem Tisch steht. Eine Therapie zu beginnen bedeutet dagegen, Kontrolle aufzugeben. Viele Therapien scheitern, wie aus den Berichten Betroffener deutlich wird, dann auch daran, dass sie als aufgezwungen erlebt werden. Die Autoren zeigen deshalb auf, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt, und schildern detailliert bis zum Beispielmenü, was die Betroffenen bei einer stationären oder ambulanten Behandlung erwartet.
Anna stellt in der Therapie eine lange Liste mit alldem auf, was die Magersucht ihr vermasselt hat: Schulabschluss, Beziehungen, Gesundheit, Einkommen, Lebenszeit. Der Leser atmet auf, als es ihr endlich gelingt, sich von Tyranna zu befreien. Das Handbuch wie der Comic-Roman bringen es auf den Punkt: Magersucht zu überwinden ist ein hartes Stück Arbeit, aber sie kann gelingen.
MANUELA LENZEN
Lesley Fairfield: "Du musst dünn sein". Anna, Tyranna und der Kampf ums Essen.
Aus dem Englischen von Michael Schmidt. Patmos Verlag, Ostfildern 2011. 114 S., br., 12,90 [Euro].
Michael Schulte-Markwort und Sabine Zahn: "Magersucht". Effektive Hilfe für Betroffene und Angehörige.
Patmos Verlag, Ostfildern 2011. 157 S., br., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Comic-Roman und ein Handbuch widmen sich Ursachen, Symptomen und Therapien von Magersucht
Als sie Tyranna das erste Mal auf der Straße begegnet, geht es Anna schon ziemlich schlecht. Angefangen hat es irgendwann in der Pubertät: Die Veränderungen an ihrem Körper machen Anna Angst, sie will ihren jüngeren Körper zurück. Sie kauft eine Kalorientabelle und eine Waage und beginnt eine Diät, die sie erst viele Jahre später in einer Spezialklinik beenden wird. Tyranna, ihr Alter Ego in Gestalt eines überlebensgroßen Skeletts, reitet sie immer tiefer in einen Teufelskreis. Da hat die abgemagerte Anna bereits die Schule geschmissen, den Freund verloren und sich vor elterlicher Kontrolle in eine eigene Wohnung geflüchtet.
Lesley Fairfield, Künstlerin und Kinderbuchillustratorin, litt selbst dreißig Jahre lang an Magersucht und schildert in ihrem Comic-Roman mit knappen Dialogen und eindrücklichen Zeichnungen Annas Kampf ums Überleben. Immer wieder versucht Anna, ihr Leben in den Griff zu bekommen, doch von ihren neuen Freundinnen scheint niemand normal zu essen, und Tyranna tut das Ihre dazu: Um glücklich zu sein, musst du noch dünner werden. Als Annas Mutter endlich beherzt eingreift und sie zum Arzt bringt, ist sie körperlich wie psychisch völlig ausgezehrt. Der folgende Klinikaufenthalt ist erst ein erster Schritt zurück in die Normalität.
Magersucht ist kein Massenphänomen, Forscher gehen davon aus, dass etwa ein Prozent der europäischen Frauen betroffen sind. Doch es ist eine schwere und ernstzunehmende Erkrankung, die chronisch oder tödlich verlaufen kann, und keineswegs eine Marotte, der mit Ermahnungen von der Art "Jetzt iss doch mal was" beizukommen wäre. Nur fünfundvierzig Prozent der Betroffenen können die Magersucht so weit überwinden, dass sie wieder normal essen, so Michael Schulte-Markwort und Sabine Zahn, die sozusagen das Handbuch zum Comic-Roman geschrieben haben: einen knappen und gut verständlichen Ratgeber, der nicht nur die bekannten Fakten darstellt und erklärt, woran man Magersucht erkennt, wie sie entsteht und dass sie keine Erfindung der Moderne ist - man lese nur einige Lebensbeschreibungen von Heiligen.
Die Autoren widmen sich auch "weicheren", für die Betroffenen aber wohl entscheidenden Fragen: Was ist eigentlich normal? Und: Wie fühlt sich die Krankheit an? Denn für Außenstehende hat es nicht nur etwas Erschreckendes, eine Tochter, eine Freundin oder Kollegin abmagern zu sehen, es hat auch etwas Rätselhaftes: Magersüchtige essen eine halbe Kartoffel und versichern, sie seien satt. Oder sie essen gar nicht und versichern, sie hätten keinen Hunger. Sie schauen in die Spiegel und sehen Speckrollen und wabbelige Oberschenkel, wo alle anderen nur ein Gerippe erkennen können. Doch solche Äußerungen sind ehrlich gemeint und keineswegs vorgeschoben. Wahrnehmungsverzerrung und der Verlust des Hungergefühls gehören gerade zum Krankheitsbild und verhindern, dass die Betroffenen erkennen, wie es um sie steht. Die Autoren geben Tipps, was Eltern, Freunde oder Lehrer tun können, machen Vorschläge, wie man vorsichtig nachfragen kann, und verweisen auf Beratungsmöglichkeiten.
Am liebsten würde sie einfach alle zur Magersucht führenden Gedanken aus ihrem Gehirn streichen, berichtet die achtzehnjährige Lisa, doch so einfach ist es nicht. Ganz zentral ist für viele Magersüchtige ein Streben nach Kontrolle. Nicht essen, gerade wenn das Leckerste auf dem Tisch steht. Eine Therapie zu beginnen bedeutet dagegen, Kontrolle aufzugeben. Viele Therapien scheitern, wie aus den Berichten Betroffener deutlich wird, dann auch daran, dass sie als aufgezwungen erlebt werden. Die Autoren zeigen deshalb auf, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt, und schildern detailliert bis zum Beispielmenü, was die Betroffenen bei einer stationären oder ambulanten Behandlung erwartet.
Anna stellt in der Therapie eine lange Liste mit alldem auf, was die Magersucht ihr vermasselt hat: Schulabschluss, Beziehungen, Gesundheit, Einkommen, Lebenszeit. Der Leser atmet auf, als es ihr endlich gelingt, sich von Tyranna zu befreien. Das Handbuch wie der Comic-Roman bringen es auf den Punkt: Magersucht zu überwinden ist ein hartes Stück Arbeit, aber sie kann gelingen.
MANUELA LENZEN
Lesley Fairfield: "Du musst dünn sein". Anna, Tyranna und der Kampf ums Essen.
Aus dem Englischen von Michael Schmidt. Patmos Verlag, Ostfildern 2011. 114 S., br., 12,90 [Euro].
Michael Schulte-Markwort und Sabine Zahn: "Magersucht". Effektive Hilfe für Betroffene und Angehörige.
Patmos Verlag, Ostfildern 2011. 157 S., br., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2011Der eigene Körper
als Kampfzone
Zwei Ärzte informieren
über Magersucht
Wie ist das, wenn man sich mit einer Freundin im Café trifft und sie zwar ein üppiges Frühstück bestellt, aber außer ein bisschen Frischkäse nichts anrührt? Und dann fällt einem plötzlich ein, dass sie ein paar Tage zuvor beim Abendessen nur eine Mini-Portion Nudeln gegessen hat. In so einem Moment hätte man eigentlich die Möglichkeit nachzufragen, warum sie so wenig esse. Doch gleichzeitig spürt man, wie extrem heikel es ist, das Thema Magersucht anzusprechen. Für Außenstehende ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, sich in die Krankheit einzufühlen. Denn viele Menschen haben zwar ein vages Bild, sind aber im alltäglichen Umgang damit oft hilflos.
Deshalb haben die beiden Fachärzte und Therapeuten Michael Schulte-Markwort und Sabine Zahn ihren Ratgeber Magersucht geschrieben. Zunächst beschreiben sie den Verlauf der Krankheit. Die ersten Anzeichen sind oft harmlos. Da lässt jemand ab und zu eine Mahlzeit ausfallen, isst plötzlich mehr Obst und Salat und mag dafür bestimmte Sachen gar nicht mehr, die er früher gern gegessen hat. Bis irgendwann im Schrank des Abgemagerten eine Test-Hose liegt, um damit jede noch so kleine Gewichtszunahme schonungslos aufdecken zu können. Die Abwärtsspirale des Gewichts hat dann längst eingesetzt, das mehrmalige Wiegen täglich ist festes Ritual.
Magersucht ist zusammen mit der Bulimie, der Ess-Brechsucht, eine der häufigsten Essstörungen. Bei der Anorexia nervosa, so der Fachausdruck, nehmen die Betroffenen bewusst ab. Akribisch kontrollieren sie ihre Nahrungsaufnahme und haben Angst davor, das niedrige Gewicht nicht halten zu können. Sie werden immer dünner, haben aber längst das Gefühl für ihren Körper verloren und finden sich deshalb immer noch nicht dünn genug. Ihr Body-Mass-Index, also der Quotient aus Körpergewicht und dem Quadrat der Körpergröße, liegt oft weit unterhalb des kritischen Werts 17,5.
Magersucht ist vor allem eine Krankheit der westlichen Welt, möglicherweise spielt der gesellschaftliche Erwartungs- und Leistungsdruck eine Rolle bei ihrer Entstehung, auch die superschlanken Model-Vorbilder stehen oft in der Kritik. Insgesamt sind aber oft sehr komplexe Vorgänge der Auslöser, die Ursachen können weit zurückreichen. Magersucht tritt bis zu 40-mal häufiger bei Mädchen und Frauen auf als beim männlichen Geschlecht. Ein bis zwei von hundert Mädchen sind betroffen. Für rund 13 Prozent der Betroffenen endet die Krankheit tödlich, sie bringen sich entweder um oder verhungern. Das sind die harten Zahlen, von denen Michael Schulte-Markwort und Sabine Zahn berichten. Sie richten die Aufmerksamkeit vor allem auf die eigenwilligen Gewohnheiten der Erkrankten und deren schlimme Folgen, auf Selbst- und Fremdtäuschung. Sie erzählen aus der Praxis, berichten von Menschen, die nur noch nachts essen können, und auch dann nur acht Nüsse und hundert Gramm Haferflocken. Von Magersüchtigen, die sich lange in Supermärkten aufhalten und überlegen, was sie alles kaufen und essen könnten – und am Ende nur mit einem Salat nach Hause gehen. Die zwar gern in Kochbüchern blättern, aber fast nur noch für andere kochen und schon davon satt werden. Die Beschäftigung mit dem Essen ersetzt die Nahrungsaufnahme. Der eigene Körper dagegen wird zur Kampfzone.
Ein wichtiges Anliegen des Buchs ist es, Eltern und Angehörige zu entlasten. Das soll den Teufelskreis zwischen Schuldgefühlen, Vorwürfen und Verteidigungsstrategien auflösen und die familiäre Atmosphäre verbessern. Ohne Schuldzuweisungen wird es leichter, sich die dringend notwendige Hilfe zu holen. Zudem fördert ein entspanntes Elternhaus den Therapieerfolg. Immer wieder betonen die Autoren, wie wichtig es sei, die Krankheit möglichst früh zu behandeln, das erhöhe die Erfolgsaussichten. Man müsse, so das Credo der beiden Ärzte, in einer begleitenden Therapie die psychologische Komponente der Erkrankung verstehen. Sie informieren über mögliche Therapieangebote und -formen, weisen auf gute Online-Portale wie www.magersucht.de oder www.hungrig-online.de hin, geben Tipps, wie man im Ernstfall die richtige Klinik findet oder wie man als Angehöriger oder Freund dem Betroffenen sonst noch helfen kann. Dass das manchmal nüchtern daherkommt, hat wohl mit dem Respekt der Autoren vor der ernsten Materie zu tun. Insgesamt ist das dicht geschriebene Sammelwerk ein nützlicher Ratgeber nicht nur für Angehörige.
HUBERT FILSER
MICHAEL SCHULTE–MARKWORT, SABINE ZAHN: Magersucht. Effektive Hilfe für Betroffene und Angehörige. Patmos 2011. 140 Seiten, 14,90 Euro .
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
als Kampfzone
Zwei Ärzte informieren
über Magersucht
Wie ist das, wenn man sich mit einer Freundin im Café trifft und sie zwar ein üppiges Frühstück bestellt, aber außer ein bisschen Frischkäse nichts anrührt? Und dann fällt einem plötzlich ein, dass sie ein paar Tage zuvor beim Abendessen nur eine Mini-Portion Nudeln gegessen hat. In so einem Moment hätte man eigentlich die Möglichkeit nachzufragen, warum sie so wenig esse. Doch gleichzeitig spürt man, wie extrem heikel es ist, das Thema Magersucht anzusprechen. Für Außenstehende ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, sich in die Krankheit einzufühlen. Denn viele Menschen haben zwar ein vages Bild, sind aber im alltäglichen Umgang damit oft hilflos.
Deshalb haben die beiden Fachärzte und Therapeuten Michael Schulte-Markwort und Sabine Zahn ihren Ratgeber Magersucht geschrieben. Zunächst beschreiben sie den Verlauf der Krankheit. Die ersten Anzeichen sind oft harmlos. Da lässt jemand ab und zu eine Mahlzeit ausfallen, isst plötzlich mehr Obst und Salat und mag dafür bestimmte Sachen gar nicht mehr, die er früher gern gegessen hat. Bis irgendwann im Schrank des Abgemagerten eine Test-Hose liegt, um damit jede noch so kleine Gewichtszunahme schonungslos aufdecken zu können. Die Abwärtsspirale des Gewichts hat dann längst eingesetzt, das mehrmalige Wiegen täglich ist festes Ritual.
Magersucht ist zusammen mit der Bulimie, der Ess-Brechsucht, eine der häufigsten Essstörungen. Bei der Anorexia nervosa, so der Fachausdruck, nehmen die Betroffenen bewusst ab. Akribisch kontrollieren sie ihre Nahrungsaufnahme und haben Angst davor, das niedrige Gewicht nicht halten zu können. Sie werden immer dünner, haben aber längst das Gefühl für ihren Körper verloren und finden sich deshalb immer noch nicht dünn genug. Ihr Body-Mass-Index, also der Quotient aus Körpergewicht und dem Quadrat der Körpergröße, liegt oft weit unterhalb des kritischen Werts 17,5.
Magersucht ist vor allem eine Krankheit der westlichen Welt, möglicherweise spielt der gesellschaftliche Erwartungs- und Leistungsdruck eine Rolle bei ihrer Entstehung, auch die superschlanken Model-Vorbilder stehen oft in der Kritik. Insgesamt sind aber oft sehr komplexe Vorgänge der Auslöser, die Ursachen können weit zurückreichen. Magersucht tritt bis zu 40-mal häufiger bei Mädchen und Frauen auf als beim männlichen Geschlecht. Ein bis zwei von hundert Mädchen sind betroffen. Für rund 13 Prozent der Betroffenen endet die Krankheit tödlich, sie bringen sich entweder um oder verhungern. Das sind die harten Zahlen, von denen Michael Schulte-Markwort und Sabine Zahn berichten. Sie richten die Aufmerksamkeit vor allem auf die eigenwilligen Gewohnheiten der Erkrankten und deren schlimme Folgen, auf Selbst- und Fremdtäuschung. Sie erzählen aus der Praxis, berichten von Menschen, die nur noch nachts essen können, und auch dann nur acht Nüsse und hundert Gramm Haferflocken. Von Magersüchtigen, die sich lange in Supermärkten aufhalten und überlegen, was sie alles kaufen und essen könnten – und am Ende nur mit einem Salat nach Hause gehen. Die zwar gern in Kochbüchern blättern, aber fast nur noch für andere kochen und schon davon satt werden. Die Beschäftigung mit dem Essen ersetzt die Nahrungsaufnahme. Der eigene Körper dagegen wird zur Kampfzone.
Ein wichtiges Anliegen des Buchs ist es, Eltern und Angehörige zu entlasten. Das soll den Teufelskreis zwischen Schuldgefühlen, Vorwürfen und Verteidigungsstrategien auflösen und die familiäre Atmosphäre verbessern. Ohne Schuldzuweisungen wird es leichter, sich die dringend notwendige Hilfe zu holen. Zudem fördert ein entspanntes Elternhaus den Therapieerfolg. Immer wieder betonen die Autoren, wie wichtig es sei, die Krankheit möglichst früh zu behandeln, das erhöhe die Erfolgsaussichten. Man müsse, so das Credo der beiden Ärzte, in einer begleitenden Therapie die psychologische Komponente der Erkrankung verstehen. Sie informieren über mögliche Therapieangebote und -formen, weisen auf gute Online-Portale wie www.magersucht.de oder www.hungrig-online.de hin, geben Tipps, wie man im Ernstfall die richtige Klinik findet oder wie man als Angehöriger oder Freund dem Betroffenen sonst noch helfen kann. Dass das manchmal nüchtern daherkommt, hat wohl mit dem Respekt der Autoren vor der ernsten Materie zu tun. Insgesamt ist das dicht geschriebene Sammelwerk ein nützlicher Ratgeber nicht nur für Angehörige.
HUBERT FILSER
MICHAEL SCHULTE–MARKWORT, SABINE ZAHN: Magersucht. Effektive Hilfe für Betroffene und Angehörige. Patmos 2011. 140 Seiten, 14,90 Euro .
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dieses Buch der beiden Ärzte Michael Schulte-Markwort und Sabine Zahn ist ein nützlicher Ratgeber für den Umgang mit Magersucht, lobt Rezensent Hubert Filser. Die beiden beschreiben den Verlauf der Krankheit, informieren über Therapieangebote und hilfreiche Webseiten wie www.magersucht.de oder www.hungrig-online.de und geben Tipps, wie man helfen kann. Vor allem aber entlastet das Buch Eltern und Angehörige, so Filser, der dies für einen wichtigen Aspekt hält. Denn nur, wenn keine Schuldvorwürfe im Raum stehen, könne man sich die notwendige Hilfe auch holen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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